Warten nervt

Foto , CC by 2.0 , by Axel Kuhlmann

Warten wird mittlerweile als willkommene Auszeit im hektischen Alltag gepriesen: Wir sollen uns über die Pause freuen und währenddessen entspannen. Ich möchte das nicht – ich möchte überhaupt nicht warten müssen.

Ich sitze an der Haltestelle und warte. Der Anzeiger ist außer Betrieb. Bitte beachten Sie den Aushang steht auf dem Display, das mich eigentlich über das Eintreffen der nächsten Tram informieren soll. Als wäre mit dem Aushang etwas anzufangen: vor einer Weile begegnete mir ein Foto, auf dem ein Fahrplan der Berliner Verkehrsbetriebe zu sehen war, über den jemand mit Edding Richtwerte! geschrieben hatte.
 

 
Warten nervt. Auch wenn ich in einem eigens dafür gebauten Wartehäuschen sitze, das vor Sonne, Wind, Regen oder Schnee schützt und dem Vorgang des Wartens im besten Fall etwas Gemütliches verleiht. Das Interieur meines Wartehäuschens besteht aus ein paar ausgeblichenen Hockern. Sie waren wohl einmal gelb – womöglich so leuchtend wie die Hausfarbe der Berliner Verkehrsbetriebe. Sie sind außerdem mit Tags versehen, die sich offenbar allen Reinigungsmitteln widersetzen. Der Hocker neben mir weist einen Brandfleck auf: jemand hat seine Zigarette hier ausgedrückt. Warten nervt. Deshalb wird währenddessen besonders viel geraucht. Ich verstehe das schon, ich war auch mal so eine. Aber man kann die Zigarette ja auch auf dem Boden austreten – oder in das dafür vorgesehene Löchlein des Haltestellen-Mülleimers werfen. Wobei dort oft Schwelbrände entstehen, weil Zigarettenfilter in Zeitlupe verbrennen und deshalb dem Mülleimer über Stunden hinweg eine stinkende Schwade entweicht. Ganz so, als sei er ein Räuchermännchen für den öffentlichen Raum.

An meiner Haltestelle ist heute aber alles in Ordnung. Der Mülleimer hängt sowieso nicht hier, wo die Menschen warten, sondern weit weg, am Eingang der Haltestelle. Dort, wo sie vorbei kommen, bevor sie mit dem Warten anfangen. Beim Mülleimer gehen sie meist noch schnellen Schrittes. Erst wenn sie sich ihrem Wartepunkt nähern, werden sie langsamer, passen sich dem Vorgang des Wartens an, das sich durch Abwesenheit von Geschwindigkeit und Bewegung auszeichnet.

Warten nervt. Ich werde unruhig und auf einmal gehöre ich zu jenen, deren rechtes Knie sich beim Sitzen viel zu schnell auf und ab bewegt. Genauso verhält es sich mit meinen Gedanken, sie sind zu sehr in Bewegung, schwer zu kontrollieren. Wenn der Akku des Mobiltelefons leer ist, muss ich das Warten völlig auf mich zurück geworfen aushalten und gleichzeitig die anderen Menschen ertragen, von denen ich mich nicht gut abgrenzen kann. Alles, was sie sagen, wird nun noch lauter, wirkt rücksichtsloser, geht mir näher. Sonst hilft Musik, mehr Abstand zwischen mich und die anderen Wartenden zu bringen. Das Lesen von Tweets, das Ansehen von Bildern, das Versinken in Artikeln, das Lernen von Vokabeln sind Mechaniken, um Geschwindigkeit aufzunehmen und mich von der Passivität des Wartens abzulenken.

Ich will jetzt!

Warten nervt. Ich bin abhängig, kann nichts beeinflussen. Ich warte auf Trams, Züge, Flugzeuge, ein neues Leben, Menschen, Kurznachrichten, Liebe. Ich bin ungeduldig, denn ich will jetzt losfahren, ich will jetzt ankommen, ich will jetzt lange Haare haben, ich will jetzt küssen, ich will jetzt lieben, ich will jetzt wieder in Tokio sein. Dabei wird ausgerechnet dort besonders viel und diszipliniert gewartet. Ich weiß es, ich habe ohne zu Murren mitgewartet. Vor Restaurants und Cafés, aber vor allem auf Bahnsteigen. Die Gewissheit, dass sich niemand vordrängelt, entspannte mich etwas: Wartet man in der Schlange vor einem Restaurant und muss zwischendurch auf die Toilette, ist es selbstverständlich, sich nach der Rückkehr wieder dort einreihen zu können, wo man vorher stand. Ich denke nicht, dass in Japan jemand etwas mit Weggegangen, Platz vergangen! anfangen kann.

Es ist jedoch Vorsicht geboten: Nicht jede Schlange ist ein Indiz für Qualität. Es gibt offenbar Menschen, die Geld damit verdienen, in Schlangen zu stehen. So soll die Beliebtheit eines Events oder eines Restaurants simuliert werden. Angeblich steigert in Japan die Dauer des Wartens den Wert des zu Erwartenden. Ich empfinde nicht so. Vorfreude ist auch nicht meine schönste Freude. Etwas Schönes zu erleben, ist meine schönste Freude.

Warten vor dem Konzert, dass die Band beginnt: schrecklich! Warten vor dem Apple Store: niemals! Ich habe Ende der neunziger Jahre einmal in der Kölner Fußgängerzone vor einer Konzertkasse übernachtet, um ein Ticket für ein Madonna-Konzert zu bekommen. Der Kauf gelang zwar, doch Monate später wurde das Konzert abgesagt. Seither hege ich einen Groll gegen Madonna und warte im Namen des Kapitalismus nicht länger als unbedingt nötig.

Das Warten in Japan gelang mir vermutlich nur deshalb so gut, weil ich dort hinausgerissen aus meinem Alltag war. Ich hatte es nicht eilig und schon meine bloße Anwesenheit vor Ort war aufregend genug, das Simulieren von geduldigem Warten bereitete mir Freude, ganz so, als probierte ich etwas Neues aus. Es war nicht schlimm, keine Geschwindigkeit zu haben, jeder Blick durch die Gegend war keiner ins Leere, an seinem Ende stand immer ein positiver Reiz.

Popkultur

Warten nervt. Es gibt neben den Wartehäuschen auch Wartezimmer – in denen man womöglich sogar unter Schmerzen wartet. Ein Meme ist diesem Warten entsprungen: der #wartezimmertweet. Ihm wohnt ein Rant inne. Er ist der Blitzableiter für das vibrierende Knie und die zuckenden Gedanken. Niemand braucht einen Wartezimmertweet, außer der Person, die ihn schreibt.

 

Weniger verbreitet ist der #warteschleifentweet, was vielleicht damit einhergeht, dass man sich beim Warten am Telefon meist zu Hause oder auf der Arbeit befindet und genügend andere Wege der Zerstreuung gehen kann. Am wahrscheinlichsten ist aber wohl, dass sich der Hashtag einfach (noch) nicht etabliert hat.

Möglicherweise ist es auch die Warteschleifenmusik, die Menschen davon abhält, ihre Wut ins Internet zu schreiben. Weil sie mürbe macht – oder andere Handlungen provoziert: Nach ein paar Abenden in Folge, die ich in der O2-Warteschleife verbrachte, begann ich, zu der Warteschleifenmusik zu tanzen. Ich gab mir dabei besonders viel Mühe, einen freudigen Ausdruck zu haben, denn es galt, das Schlechte mit dem Guten zu bekämpfen.

 

Nur sehr selten kommt es vor, dass Menschen sich an Warteschleifenmusik tatsächlich erfreuen und der Herkunft auf den Grund gehen. So widerfuhr es PJ Vogt & Alex Goldman, die einen Podcast moderieren, der Reply All heißt, die den Komponisten ihrer Lieblingswarteschleifenmusik sogar interviewten.

 

Wenn ich am Telefon warte und von Computermusik beschallt werde oder mit Computerstimmen sprechen muss, bleibt der Gedanke an jene eine Folge der Serie Al Bundy niemals aus, in welcher der Hauptprotagonist den ganzen Tag in einer Warteschleife gefangen ist und sich danach sehnt, mit einem echten Menschen zu sprechen. Als er nach Stunden des Wartens kurz seinen Posten verlässt, um auf die Toilette zu gehen, meldet sich währenddessen am anderen Ende der Leitung endlich eine Person und findet niemanden vor. Dann kommt die Tochter der Familie vorbei, sieht den Hörer neben dem Telefon – und legt auf.

Das Ende ist nah

 

Warten nervt und in der Warteschleife dominieren zwei Ängste: kurz nach der langen Wartezeit die Verbindung zu verlieren – oder gar für immer warten zu müssen. Gegen letztere setzen manche Anbieter Wartezeitangaben ein. Es ist ein Akt der Gnade gegenüber den Wartenden, ihnen ein Ende in Aussicht zu stellen. Das ist weitaus beruhigender als lediglich die Wiederholungen der Warteschleife zu ertragen und zu hoffen, ein letztes Mal die Worte Bitte legen Sie nicht auf! Der nächste freie Mitarbeiter ist sofort für Sie da! vernehmen müssen, nach denen die Schleife wieder von vorn beginnt, die Musik sich erneut in Form bringt und dem nächsten Bitte legen Sie nicht auf!-Höhepunkt entgegen strebt.

Deshalb brauche ich auch das Display an der Haltestelle. Ich kann in meinem Wartehäuschen besser warten, wenn ich bereits im Vorfeld über die Dauer des Wartens informiert bin. Im Gegensatz zu den Zeiten, die auf Displays an Bushaltestellen angegeben werden, erhalte ich an Tram-Haltestellen nämlich recht zuverlässig Auskunft.

Als meine Bahn endlich kommt, ist sie so voll, dass ich und die meisten anderen Wartenden nicht hineinpassen. Ausgelaugt und genervt von der Warterei starren wir durch die Fenster ins Innere der Tram, wo noch viel Platz ist. Erst nach meinem beherzten Schrei, man möge doch etwas zusammenrücken, finde ich doch noch hinein. Es ist nun Zeit für einen angespannten #weilwirdichhassen Tweet. Öffentliche Verkehrsmittel nerven auch.

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