Ein Jahr genug gehabt – Ein Rückblick

CC BY-NC-SA 2.0 , by Anika Lindtner


Fünf, sechs, sieben, Fertig! Ich lege Nadel und Faden zurück ins Nähkästchen: Gerade habe ich meine schwarzen Leggings geflickt. Sieben Löcher sind jetzt mehr oder weniger schön gestopft. Beim genauen Hingucken sieht man zwar, dass mein Handarbeitskönnen noch aus der ersten Klasse stammt, aber it does the trick. Ich lächle stolz, denn noch vor einem Jahr hätte ich die Leggins ohne großes Nachdenken einfach weggeworfen und eine neue gekauft.

Damit hatte ich im Januar Schluss gemacht: Ich hatte genug von immer neuen Klamotten, immer mehr immer mehr und mir vorgenommen, ein Jahr lang einfach mal nichts Neues zu kaufen, einfach aufzuhören. Eine Studie von Greenpeace hat ergeben, dass wir pro Jahr um die 60 Kleidungsstücke kaufen und 40 Prozent unserer Garderobe wenig oder nie tragen! Ich hab 60 Kleidungsstücke von mir rausgesammelt und fotografiert, um mir zu verdeutlichen, was das überhaupt heißt. Sechzig. Da kommt was zusammen.

 

Damals überlegte ich: Was würde sich ändern, wenn ich mal keine 60 Kleidungsstücke neu kaufe? Mein Selbstbild? Würde es mir unglaublich schwerfallen? Würde ich weinend an Schaufenstern vorbeihuschen, den Blick abgewandt? Oder befreit durch die Straßen Berlins hüpfen, mit meinem Glauben, die Welt ein bisschen besser zu machen?

Das Experiment war für mich aber mehr als eine Verzicht-Probe. Zum einen wollte ich bewusster mit Kleidung umgehen und den Müll verringern, den wir dadurch produzieren, und die teils fürchterlichen Herstellungsbedingungen, die wir damit unterstützen, reduzieren. Es war als Denkanstoß gedacht, um mein Konsumverhalten umzukrempeln, und um zu hinterfragen, warum ich überhaupt immer wieder neue Sachen kaufe.

Raus aus dem Kopf  

Ende letzten Jahres hatte ich so ziemlich alle Kleidung, die ich brauchte. Komplette Garderobe inklusive ein paar neuer Unterhöschen und schwarzer Socken (von mir unterschätztes Kleidungsstück!), Winterstiefel und Winterjacke und ein fancy Kleid für fancy Anlässe. Bereit für den Verzicht.

In den ersten Wochen nach dem Beschluss fühlte ich mich irgendwie erleichtert. Ein Stressfaktor war weg! Huch! Vorher war mir nie bewusst, dass dieses Haben-Können und das ständige Entscheiden, ob oder ob nicht, und wenn ja, wieviel, mich unter Stress setzt. Ich hatte tatsächlich sofort zu Beginn des Jahres das Gefühl: Großartig, ein ‘Problem’ weniger. Damit hatte ich nicht gerechnet.

Die komplette ‘Abstinenz’ fiel mir einfacher, als zu versuchen, das Einkaufen einzuschränken. So ging das auch immer weiter – Schaufenster habe ich gar nicht mehr so richtig wahrgenommen, das war für mich etwas, das eh einfach nicht in Frage kam und daher plötzlich wahnsinnig uninteressant geworden war.

Auch die darauffolgenden Wochen und Monate verabschiedete sich das Thema Kleidung Schritt für Schritt aus meinen Gedanken, daher gab’s dann auch gar keine große Auseinandersetzung damit. Ich hab gar nicht gemerkt, dass mir irgendwas “gefehlt” hat. Es war wohl eher anders rum: Es war mir eigentlich immer zu viel gewesen.

Das brauche ich jetzt! Sofort!

An mein Experiment erinnert wurde ich, wenn ich Besuch in Berlin bekam, der shoppen gehen wollte. Oder als am Anfang mein monatlicher Sonntagsbummel über den Flohmarkt wegfiel. Oder wenn ich Leuten von meinem Experiment erzählte und sie dann mit großen Augen fragten, was denn sei, wenn ich wirklich was brauche. Da ich ja aber alles hatte, was ich brauchte, war die Frage eher: Wann denke ich denn, dass ich was brauche? Wenn ich die Strumpfhose auch gern noch in einer anderen Farbe hätte? Wenn eine der drei Strickjacken ausgeleiert ist? Wenn die Lieblingsschuhe aussehen, als ob sie bald ein Loch bekämen?

Vor diesem Jahr hätte ich viel früher gesagt: das brauche ich jetzt! Sofort! Denn die Schuhe sind ja bestimmt bald kaputt. Irgendwas mal bis zum bitteren Ende getragen habe ich nie, da war dann immer schon der Ersatz bereit – und dann hatte ich am Ende doch plötzlich zwei Paar Schuhe, die ich noch lange anziehen konnte. Jetzt kommt mir “Ich brauche” viel schwerer über die Lippen. Vor allem, weil ich weiß, dass ich alles habe. Ich habe sogar so viel, dass ich immer noch ein paar Dinge besitze, die ich dieses Jahr nicht angezogen habe.  

Aus meinem Text vom Anfang des Jahres, blieb mir vor allem diese Frage im im Kopf, die ich mir damals selbst gestellt hatte: 

“Was passiert mit mir und meiner Körperwahrnehmung, wenn ich mich in nichts noch Neueres und noch Schöneres wickeln kann?”

Das ist tatsächlich spannend, denn es war für mich leicht, mein Körpergefühl an neue Kleidung zu knüpfen und mich damit aufzuwerten. Kein Wunder. Es ist mühelos, sich in einem nigelnagelneuen Fummel schön zu fühlen. Mehr, als unreflektiert das Portemonaie öffnen, gehört nicht dazu.

Und genau das ging ja nun nicht mehr. Stattdessen trug ich meine alten Kleider viel öfter und sie sind mir dadurch sehr ans Herz gewachsen. Ich habe mich viel mehr mit ihnen identifiziert – eben weil ich sie öfter trug. Ein schöner Kreis, oder? Viele meiner Klamotten sind jetzt echte Lieblingsstücke. Ich bin mir auch viel bewusster, welche Art von Kleidungsstücken ich wirklich trage und welche auf dem Kleiderbügel versauern, weil sie doch nie so richtig passen oder unpraktisch sind (Wie kam ich jemals auf die Idee, ein Oberteil mit aufgenähten Schleifen am Rücken zu kaufen? Das tut beim Anlehnen nach einiger Zeit weh! #duh)

Die Sache mit dem Basecap

Das einzige Mal, wo es haarig wurde, war während meines Roadtrips in den USA. Ich liebe es, mir Kleidung als Souvenir mitzubringen. Eine meiner Strickjacken erinnert mich zum Beispiel immer an abgelegene Sommerweiden in Schottland, weil ich sie dort gekauft habe. Erinnerungen zum Anziehen.

In den USA fing ich mitten in Wyoming an, mit mir zu verhandeln. “Wie doof ist das denn, wenn ich mir eine Tasse kaufe, statt eines T-Shirts, und dann die Tasse nur rumsteht? Und ist das T-Shirt in dem Moment überhaupt noch Kleidung oder eigentlich nur ein Souvenir?” Da hatte ich plötzlich Mühe mit meinem Experiment und bin ein bisschen trotzig geworden.

Letztendlich habe ich ein Basecap gekauft – gegen die Sonne, aber natürlich nicht nur, wenn ich ehrlich bin. Es war ein echter Eiertanz, bis ich es zur Kasse geschafft habe. “Ist ein Cap jetzt Kleidung? Oder ein Accessoire? Zählt Schmuck auch? Ein Hut? Ein Stirnband? Zieh ich ja auch an…?”

Als ich mit dem Cap auf dem Kopf aus dem Shop sprang, grinste ich halb schuldig halb freudestrahlend, weil ich jetzt doch irgendwie eine Grauzone gefunden hatte. Ich argumentierte damals vehement, dass es eh keine Kleidung ist und ich es sowieso zum Autofahren gebraucht hätte, weil die Sonne mich sonst so geblendet hat. Und wir wollen ja auch nicht, dass ich noch einen Unfall baue. So.

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Sonstige Nebenwirkungen  

In der ersten Zeit habe ich meinen Verzicht kompensiert, indem ich anstatt Kleider mal ein paar neue Ohrringe gekauft habe. Also dann eben Schmuck zum schön fühlen. Das ist ja erlaubt. Oder?

Aber das Ganze, der Verzicht, hört einfach nicht bei Kleidung auf. Es geht ja generell darum, Zufriedenheit zu kaufen oder zu üben. Mit mir selbst und dem, was ich schon im Schrank habe zufrieden sein, ist der anstrengendere Weg. Aber dafür fehlt dann angenehmer Weise der schale Beigeschmack am Ende.

Was ich definitiv gelernt habe, ist, Dinge mehr zu schätzen. Jetzt ist es eben wirklich sehr sehr traurig, wenn ich meinen Schal irgendwo habe liegen lassen, oder ein weiteres Loch in meine Leggings gerissen habe. (Wie viele Löcher kann so ein Ding eigentlich noch bekommen! Und woher kommen die? Das Internet ist voll von Theorien.)

Durch das Experiment war nichts mehr so eben mal austausch- oder ersetzbar. Dass ich das erst lernen musste, finde ich ganz schön peinlich und unglaublich verwöhnt von mir. Ich musste sehr oft an die Generation meiner Großeltern denken (oder an meine Eltern in der DDR – sie sind unglaublich kreativ mit dem umgegangen, was sie damals hatten) und an all jene Menschen, die in Deutschland im Gegensatz zu mir mit Armut zu kämpfen haben. Für die das Alltag ist: Kleidung bis zum Letzten auftragen, flicken und viele, viele Dinge wiederverwenden.

Mit der Zeit hat sich mein Experiment auch auf andere Dinge ausgewirkt, die ich besitze:

Wenn etwas kaputt geht, ist bei mir der erste Schritt nicht mehr “Ach, dann kauf ich mir halt was Neues”, sondern “Ich schau erst mal, wie ich das wieder hinkriege”. Was man eigentlich unter normalem Menschenverstand verbuchen sollte, war mir vor meinem Experiment irgendwo zwischen Meetings, Konferenzreisen und Abenden auf der Couch abhanden gekommen. 

So habe ich ganz stolz einen dreimal verbrannten Topf in einstündiger Arbeit wieder hergerichtet und auch noch den Deckel repariert. Das fand ich schön zu merken, dass sich da bei mir durch dieses eine Jahr schon etwas geändert hat. Über den Kleiderschrank hinaus.

Und so weiter?

Alles in allem hat das Jahr für mich unglaublich viel gebracht und ich kann es nur empfehlen, sich mal ein Jahr lang von etwas zu verabschieden. Vor allem rigoros. Was mir wahnsinnig geholfen hat, war die klare Linie, die es gab: Keine Kleidung. Punkt. Ich stelle es mir schwieriger vor, zu sagen: nur ein Kleidungsstück pro Monat oder so.

Ich fand es schön zu merken, wie wenig mir doch die Dinge gefehlt haben, von denen ich dachte, sie bedeuten mir so viel. Schön fand ich auch andere Projekte, die mir im Laufe des Jahres über den Weg gelaufen sind, wie auch das “Daily Rewind – 365 Tage in Secondhandkleidung”, wo Hindi Kiflai ein Jahr lang nur Second-Hand Kleidung geliehen (! who knew!) hat und damit auch zu weniger Konsum aufruft.

Und ich? Ich werde das Experiment auch nächstes Jahr weiterführen und nicht mehr Experiment nennen. Aber weil ich eine lebenslange Lösung suche und nicht die nächste Herausforderung, muss ich die Regeln etwas anpassen: Wenn etwas wirklich unbrauchbar geworden ist, darf ich es ersetzen. Möglichst Second-Hand oder lokal produziert. Ich hab alles, was ich brauche, ich liebe alles, was ich habe. Mehr brauch’ ich auch nicht.

(Na gut, einmal im Jahr vielleicht ein Grauzonen-Basecap.)

Was vorher geschah:

Genug gehabt! – Der Text, mit dem alles anfing

 

8 Antworten zu “Ein Jahr genug gehabt – Ein Rückblick”

  1. Mai sagt:

    inspirierende Aktion! vielen Dank dafür :D

  2. Alter sagt:

    …das scheint das Geheimis der „Alten“ zu sein. Zu schätzen was man hat und nich immer auf der Jagd nach neuem.

    • Steffi sagt:

      Wie wahr… Und das Glück darin zu finden, etwas Altes wieder in neuem Glanz zu schätzen zu wissen. Auch Reparieren hat etwas Meditatives. :-)

  3. Hindi sagt:

    hey Anika, wir müssen auf jeden fall mal quatschen. Vieles was Du hier beschreibst, habe ich ähnlich empfunden. Der Verzicht ist in meinem Fall ja auch kein wirklicher Verzicht gewesen. Aber ich habe viel gelernt. Liebe Grüße aus Frankfurt, Hindi

  4. langziehohr sagt:

    huhu anj, dankeschön für diesen kommentar und wie toll, dass es dir auch was gegeben hat. deine fragen, inwiefern es sich immer „lohnt“ etwas zu reparieren, kann ich sehr gut verstehen und hab selbst darauf noch keine befriedigende antwort gefunden. gerade wenn es darum geht, flecken zu entfernen, die dann irgendwie 2 fleckenmittel, 3 wäschen und vllt noch ein gang zur chemischen reinigung verursacht haben. in dem fall würd ich auch abwägen und schauen, was mir logischer vorkommt, bzw. wobei ich mich besser fühle. das ist sowieso alles eine ziemliche bauchsache – wichtig wäre mir einfach, dieses bewusstsein bei mir dafür zu schulen was es eben heißt, etwas wegzuwerfen oder etwas wiederzubenutzen und angewohnheiten von mir zu hinterfragen. man wird sicherlich öfter auf solche grauzonen stoßen, aber das finde ich auch total spannend! :)

  5. Christina Grandrath sagt:

    Toller Bericht. Finde super, dass du das durchgezogen hast.

    Ich mache so das Experiment übrigens schon länger, wobei das weniger eine bewusste Entscheidung als ein Zusammenspiel mehrerer Dinge ist: Ich bin groß und dick und habe große Füße. Das führt dazu, dass ich in weit über 90% aller Klamotten- und Schuhgeschäfte nicht gehen brauche, weil die sowieso nichts in meiner Größe führen. Und in den restlichen Geschäften ist ein Großteil der Ware nicht mein Ding (ich hätte gern mehr Frauenkleidung für dicke Frauen, die sich am nüchternen Stil vieler Männerklamotten orientiert und nicht so bedruckt, glitzernd oder sonstwie „niedlich“ ist).
    Bleibt der Onlinehandel, aber da kaufe ich nicht spontan sondern überlegt und nur wenn ich wirklich, wirklich was brauche. Über Dinge wie nachhaltig oder regional produziert, kann ich leider nur leise weinen. Selbst bei Manomama ist meine Größe eine Sonderanfertigung und damit nicht retournierbar, was im Zweifelsfall heißt über 100 Euro für eine Hose auszugeben, die dann vielleicht nicht richtig passt oder nicht gut sitzt oder mir nicht gefällt. Bilder ersetzen nun mal kein Anfassen.

    Im Endeffekt bedeutet das, dass ich ganz gezielt einkaufe, weil es Aufwand ist und ich dem Shoppen im Sinne von Einkaufsbummel nicht viel abgewinnen kann. Im letzten Jahr habe ich mir daher auch kein einziges Stück Klamotte gekauft. Dieses Jahr war dann doch mal eine Hose nötig, denn ich habe gehört der Trend geht zu Zweithose ;)