Als ob ich eine Wahl hätte

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Ich habe zwei Ausweise. Ende 2014 ist das Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts in Kraft getreten. Kinder ausländischer Eltern, die in Deutschland geboren sind, haben seither das Recht darauf, sich als deutsche Staatsbürger zu bezeichnen – und ich bin hier geboren.

Aber die beiden Ausweise, die ich mit mir rumtrage, beweisen jeweils, dass ich türkischer Staatsbürger bin. Da ist einmal der Reisepass, weinrot, Halbmond und Stern auf dem Deckel. Und da ist einmal eine ID, so groß wie eine EC-Karte.

Denn ich bin zwar in Deutschland geboren, aber anscheinend zu früh. Mit dem Gesetz, das nun gilt, dürfen nur diejenigen Kinder beide Pässe haben, die nach 1990 auf die Welt gekommen sind.

Was heißt das konkret? Wenn ich nach Mexiko, Großbritannien, Irland oder in die Vereinigten Staaten fliege, muss ich mich Wochen vorher um ein Visum kümmern (hier eine Liste, auf der man sich das anschauen kann, welche Visabestimmungen gelten). Das kostet jeweils Geld und Zeit. Das ist aber nur die eine Seite; diejenige, die nervig ist. Die andere Seite lautet: Deutschland hat effektiv keine Lust, sich um Integration zu kümmern. Sonst hätte jemand mal kurz nachgedacht, was da genau möglich ist – und was nicht.

Ich definiere mich nicht über den Pass
– aber das ist auch egal

Deutschland hat seit den 50er Jahren Millionen Menschen aufgenommen und sich 2001, also relativ spät, dazu entschieden, dass es faktisch ein Einwanderungsland ist. Seit diesem Zeitpunkt findet eine Diskussion darüber statt (parallel zum Kopftuchverbot aus 2003 und den rituellen Anti-Ausländer-Kampagnen), wie sich all diese Kinder fühlen sollen, wenn sie erst einmal erwachsen sind.

Es ist nicht so, dass ich mich über meinen Pass definiere. Ob da nun draufsteht, ich sei Deutscher, Türke oder Kosmopolit, spielt faktisch keine Rolle, die Menschen sagen schließlich nicht:  “Okay, du hast einen deutschen Pass, cool, du bist ein Deutscher”. Aber es ist deswegen nicht egal.

Ich habe in dem “Bruchreif”-Text ja bereits sehr ausführlich erklärt, wie schwer es mitunter gewesen ist, Abitur zu machen. Das hing damit zusammen, dass ich keine Bezugspersonen in meinem Umfeld hatte, die mir hätten helfen können. Die Eltern sprechen die Sprache nicht, das war’s.  Wir sind die erste Generation, die hier geboren und aufgewachsen ist und sich alles größtenteils selbst beibringen musste. Ich habe es alleine nicht geschafft, ohne Nachhilfe hätte das alles nicht geklappt. Der schulische Erfolg wurde so zur Frage des Geldes und der Willenskraft meiner Eltern.

255 Euro, damit ich Deutscher sein darf

Für Kinder, die nach 1990 auf die Welt gekommen sind, gibt es diese Bezugspersonen endlich: Wir sind das. Wenn Kinder, die nach 1990 hier auf die Welt gekommen sind, heute Probleme bei ihren Hausaufgaben haben, wenn sie Probleme in der Schule haben, dann klingeln unsere Telefone. Wenn junge Eltern heute ihren Kindern zeigen wollen, warum es sich lohnt, in der Schule aufzupassen, anstatt im Zweitjob putzen gehen zu müssen, weil es eine finanzielle Notwendigkeit ist, dann zeigen sie auf Leute wie uns. Wir haben eine Vorbildfunktion übernommen, weil wir es geschafft haben, uns durchzubeißen. Ob das nun über den ersten Bildungsweg geklappt hat oder den zweiten. Wenn es um Integration geht, sind es vor allem auch wir gewesen, die diese Arbeit geleistet haben*, während in der öffentlichen Wahrnehmung darüber diskutiert wurde, wie kriminell wir sind.

Genau aus diesem Grund ist die Regelung so verletzend, für die sich CDU und SPD entschieden haben. Durch sie wird unsichtbar, was in den knapp 20 Jahren zwischen Anwerbestopp und Wiedervereinigung passiert ist. Diese Zeit wird damit faktisch negiert.

Ich hatte Ende 2013 mal bei einem Politiker nachgefragt, ob ich ebenfalls einen “Doppelpass” haben kann. Die Antwort: “Leider wird es einstweilen für Sie nicht möglich sein, einen “Doppelpass” zu haben. Denn Sie fallen nicht in die berücksichtigte Altersgruppe.”

Es würde mich 255 Euro kosten, mich um einen deutschen Pass zu bewerben. Ich soll also zahlen, damit ich ein Stück meiner Vergangenheit abstoßen darf. Das wird nicht passieren.

* Nicht ausschließlich natürlich, es gab genug Gastarbeiter, die hierher gekommen sind und nicht ganz unten anfangen mussten.

P.S. Wenn ihr juristisch gut unterwegs seid und glaubt, dass da eine Klage Sinn ergeben könnte, bitte wendet euch gerne an mich.

7 Antworten zu “Als ob ich eine Wahl hätte”

  1. Es scheitert an 255 Euro? Ich kann der Argumentation nicht folgen. Warum verlierst du deine Vergangenheit durch irgend eine Amtsgeschichte, wenn du sagst, dass es keine gefühlte Identifikation über den Pass gibt?

    Wenn ich es richtig verstanden habe, ist es für dich kein Problem, einen deutschen Pass zu bekommen. Wenn du ohne dem kleinsten Unterschied hier dazugehören möchtest, sind doch damit alle Möglichkeiten gegeben, oder?

    Stecken hinter der Doppelpass-Debatte Probleme mit dem Sozialsystem oder so? Ich meine, gibt es einen Grund, dass nicht jeder auf der Welt überall sofort einen Pass bekommt? Vielleicht wiegt deine Einschränkung im Komfort tatsächlich weniger als die Nachteile, die du hättest, wenn plötzlich massenweise Leute einen Doppelpass bekommen würden. Sehr hypothetisch, ich weiß, aber gibt es da evtl. eine Logik?

    • hakantee sagt:

      Das Problem ist, dass ich nicht beide Pässe haben kann. Ich muss mich zwischen dem deutschen Pass und dem türkischen Pass entscheiden. Ich gehe davon aus, dass ich den deutschen Pass ohne Probleme bekommen würde. Das will ich aber nicht, weil ich es nicht einsehe, aufgrund dieser – für mich sehr willkürlich anmutenden – Regelung mich so entscheiden zu müssen.

      Für EU-Bürger ist es beispielsweise kein Ding, beide Pässe gleichzeitig zu haben. Für Menschen mit türkischem Pass hingegen schon. Was extrem komisch wirkt, wenn man sich die Gastarbeiter-Geschichte anschaut.

      • Philipp sagt:

        Unionsbürger genießen auch nahezu dieselben Rechte in jedem EU-Staat. Außerhalb der EU können sich beispielsweise Franzosen an die deutsche Botschaft wenden. Für die Mitgliedstaaten gelten die Regeln, die in den EU-Verträgen aufgestellt sind. Die Türkei ist kein Mitglied der EU. Sie hat aber mit Deutschland einige Abkommen, die sie teilweise gegenüber anderen Nicht-EU-Staaten besser stellt.

        Für mich ist dieses „Doppelpass“-Dilemma nicht wirklich nachvollziehbar. Wenn es um den jährlichen Urlaub geht, kann man auch als Deutscher ganz simpel – alleine schon mit dem Perso – in die Türkei reisen. Wenn man dort arbeiten möchte, dann ist die türkische Regierung in der Pflicht, optimale Rahmenbedinungen für „ausländische“ Arbeitskräfte zu sorgen. Das ist nicht Aufgabe der doppelten Staatsangehörigkeit.

  2. Thomas sagt:

    Deutschland bekommt es immer hin, dass Staatsbürgerrecht zu verschlimmbessern. Es gab eine Zeit, da konnte die deutsche Staatsbürgerschaft nur vom Vater vererbt werden, irgendwann bekamen auch Kinder von deutschen Müttern den deutschen Pass aber nur wenn diese nach dem 1.1.1964 geboren wurden. Mich nervt diese Sicht auf die deutsche Staatsbürgerschaft als Mitgliedschaft in einen exklusiven Club sehr.

  3. Alexander Trust sagt:

    Es ist in der Tat nicht nachvollziehbar, dass man es manchen erlaubt und anderen nicht. Ich kann verstehen, warum Du dich ärgerst, aber das Problem, das du schilderst hat meiner Meinung nach nichts mit Türken oder Deutschen zu tun, oder Integration, also indirekt ja. Nur solche Entscheidungen gibt es zuhauf in der Politik, die oftmals anhand von Zahlen entschieden werden, nicht anhand von Personen, geschichtlichen Verläufen, usf. Meist ist ein Budget für eine Entscheidung verantwortlich, eine Prognose, irgendeine Tabelle. Meine Großmutter ist zum Beispiel ebenfalls „zu früh“ geboren, so wie Du, nur in ganz anderem Zusammenhang. Sie ist Deutsche, hat aber Pech beim Renteneintrittsalter und der Vergütung gehabt. Obwohl sie deutlich mehr als 40 Jahre am Stück gearbeitet hat, muss sie sich mit einer Mini-Rente begnügen, weil sie zu einer Gruppe von Menschen gehört, die „zu früh geboren“ wurden und deshalb in eine Übergangsphase fallen.

    Ach und noch was. Du schreibst: „Die Eltern sprechen die Sprache nicht, das war’s.“ Nun, das Problem haben viele Leute in diesem Land, nicht nur Du. Es gibt Kinder, die zwar Eltern haben, die Deutsche sind, Ihnen aber trotzdem nicht allzu sehr bei der Bewältigung des schulischen Alltags helfen können. Es ist in der Tat schade, dass die Chancen entsprechend nicht gleich sind, zumal es jedes Jahr neue Studien gibt, die die soziale Ungleichheit belegen. Diejenigen, die im Bildungssystem besonders bevorzugt werden sind Kinder von Lehrern. Nicht weil die Leute das mit Absicht tun, sondern weil sie am besten an die Anforderungen des Systems angepasst sind. Selbst Kinder von reichen Eltern haben in der Schule nicht zwingend die besten Erfolgschancen, weil Bildung bei ihnen nicht großgeschrieben wurde.

    Aber, und das ist etwas Positives, was Du selbst formuliert hast. Du hast es geschafft und kannst nun für deine Nachkommen ein gutes Beispiel sein. Leider kann man dieses Problem „selbst“ nicht viel schneller lösen als über Generationen, wo die ersten besonders viel schuften mussten, damit die anderen es besser haben. Das hat in diesem und in vielen anderen Ländern der Welt der Großteil von uns gemeinsam, da spielt es keine Rolle, ob jemand Ausländer oder Einheimischer ist.

  4. […] Wir machen Integrationspolitik und übersehen, dass Deutschland genau genommen nicht erst seit den 1950ern, sondern seit 1880 ein Einwanderungsland ist. Im Ergebnis fällt gerade eine komplette Generation MigrantInnen durch das Integrationssieb. […]

  5. Moritz sagt:

    Ich kann das ziemlich gut nachvollziehen. Staatsbürgerschaft ist und war denke ich schon immer ein Status, der nicht nur Rechte vergibt, sondern sie auch verwehrt – und das (heutzutage) in ungleichem Maß. Es gibt so viele Sonderregelungen für die Doppelte Staatsbürgerschaft, abhängig vom Alter oder dem Herkunftsland, die beim Erlangen der Mehrstaatigkeit eine Rolle spielen und aus meiner Sicht einfach nur ungerecht sind.

    „Die deutsche Staatsbürgerschaft ist kein Ramschartikel, den man billig verscherbelt“

    „Wer Deutscher werden will, soll sich vorbehaltlos zu unserem Land und unserer Grundordnung bekennen, da gibt es keinen Platz für Hintertürchen“

    Zwei Sätze von Alexander Dobrindt. Voller Vorurteile – und ich denke das ist das Hauptproblem: Die auf Vorurteilen basierende Angst irgendeiner „deutschen Elite“, dass „Fremde“, die sich nicht 100% nach ihren Vorstellungen integrieren wollen, das System ausnutzen und missbrauchen. Dass diese „Fremden“ seit Jahrzehnten hier leben, arbeiten, ihre Kinder großziehen, ihren Freundeskreis haben, dass sie all das tun, was auch StaatsbürgerInnen tun – nur eben über Ländergrenzen hinweg… geschenkt. Um „deutsch“ zu sein, um wirklich die gleichen Rechte zu genießen, soll man auch noch alle anderen Identitäten über Bord schmeißen. Außer natürlich man hat das richtige Alter, oder das richtige Herkunftsland…