The boy who read

© 2014 , by Lucie

Es gibt diese Dinge, die alle kennen. Sprichwörtlichste Pop-Kultur. Filme oder Bücher, die als konsumiert angenommen werden. So verstehen über Landes-, Religions- und andere Grenzen hinweg Menschen zum Beispiel, wenn von “Muggles” oder “Hufflepuff” die Rede ist. Die “Harry Potter”-Saga und ihre Charaktere, vornehmlich in der Ausprägung der 8-teiligen Filmreihe und mit deren Personal, dürfte eines der prominentesten Beispiele für ein solches Phänomen sein. Anspielungen auf Blitznarben, “Voldemort” oder “Hogwarts” sind common knowledge, die meisten werden zumindest wissen, was gemeint ist. Und während es sicher noch etliche gibt, die die Bücher nicht gelesen haben – mit den Filmen ging zumindest die grobe Handlung in die Allgemeinbildung ein. Harry Potter nicht zu kennen, kann fast als peinlich gelten.

In diesem Sinne: Hallo, mein Name ist Martin und ich war bis vor kurzem Harry-Potter-Verweigerer.

Ich kann mich noch relativ gut erinnern wie diese ganze Sache anfing, 1997. Man hörte plötzlich immer wieder von diesem „Kinderbuch“, das nicht nur das Zielpublikum begeistert, nein, auch Erwachsene lesen das! Zuerst etwas belächelt, dann interessiert, dann „Das musst du auch lesen!“. Irgendwann fing dazu auch die eher kulturpessimistisch geprägte Debatte um “Kinder, die endlich wieder lesen” an. „Hurra, Kinder lesen wieder Bücher, statt auf Displays zu starren.“ „Oje, ist das denn überhaupt kulturell wertvoll, was sie da lesen?“ Und so weiter. Harry Potter blieb auf die eine oder andere Art Thema, über Jahre. Mitternachtspremieren in Buchhandlungen, Filmgerüchte, alte Männer aus dem Vatikan, die von Satanismus schwafelten. Und irgendwie habe ich nie den Einstieg gefunden.

Erst war ich abgeschreckt vom Image als “Kinderbuch” ohne viel Anspruch, dann nicht sofort begeistert von der Zauberlehrling-Thematik und schlussendlich war ich, um ehrlich zu sein, genervt von der gefühlten omnipräsenten Erwartung und Empfehlung, Harry Potter nun doch bitte endlich zu lesen. Irgendwann habe ich – halb widerwillig – sogar anfangen, das erste Buch zu lesen, nur um es nach wenigen Kapiteln wegzulegen und mich bestätigt zu fühlen, dass mir dieser Schreibstil überhaupt nicht gefällt. Zu einem gewissen Grad schwang da auch der stereotype Hipster-Reflex mit. Die Kränkung, etwas nicht schon cool gefunden zu haben, bevor alle anderen es cool fanden. Ich hatte mich abgefunden damit, dieses Phänomen nicht zu verstehen.

Es hat dann eine gebraucht, deren Geschmack ich fast blind vertraue. Nachdrücklich wurde mir noch mal ans Herz gelegt, diese Bücher zu lesen, die im Merchandise-Wahn und neben den größtenteils eher mittelprächtigen Filmen ja zu Unrecht völlig unter- und verloren gegangen seien, und wenn ich möchte, dann bekomme ich auch vorgelesen. Na gut, dachte ich mir. EIN LETZTER VERSUCH. Zum Glück habe ich nachgegeben.

Bei diesem zweiten Mal konnte ich gar nicht mehr richtig nachvollziehen, was mich am Anfang des ersten Bandes so gestört hatte. Spätestens, wenn das Protagonisten-Trio komplett ist, kann man im Prinzip eigentlich nicht mehr anders als weiterzulesen. Wahrscheinlich hatte ich der Geschichte nie eine Chance gegeben. Und natürlich bin ich auch nicht mehr derselbe wie vor 17 Jahren. Und das ist gut so.

Harry, Hermione und Ron wuchsen mir schnell ans Herz. Identifikationsfiguren und Aspekte an ihnen, in denen ich mich wiederfinde. Harry, der latent überforderte Idealist. Hermione, die gerechtigkeitsverliebte Perfektionistin. Ron, der unterschätzte Tollpatsch. Schnell merkt man, dass es in diesen Büchern nur vordergründig um das Schwingen von Zauberstäben geht. Im Mittelpunkt stehen Außenseitertum, Freundschaft und Solidarität. Macht und deren Missbrauch, Verantwortung und die Angst vor dem Tod.

Als großer Fan von „whodunit?“ Krimis im Stile von Sherlock Holmes, „Columbo“ oder „Bones“ war ich schnell total hin und weg von den Murder-Mystery-Handlungssträngen der frühen Bände. Details, die am Anfang eines Buches nebensächlich erscheinen, werden am Ende als zentrale Elemente aufgelöst. Die späteren Bücher konzentrieren sich dann aus meiner Perspektive auf eine dystopische Gesellschaftsstudie. Nicht, was ich von Harry Potter erwartet hatte, auf den ersten Blick.

Was mich allerdings am meisten überrascht hat, ist, wie sehr mich diese Geschichte berühren konnte. Ich glaube, ich habe selten so viel geweint bei einem Buch. Es gibt eine Szene, in der Harry erstmals einen “Patronus” (eine Art magischer Tier-Schutzengel) heraufbeschwört, der Gedanke daran macht mir sofort feuchte Augen. Figuren und Geschichten wie die von Sirius Black oder Lily Potter. Hach! Und wenn ich an die Angriffe von Dementoren denke, ja, dann gruselt es mich durchaus. Aber ich will nicht zu viel spoilern. Insbesondere im Vergleich mit den naturgemäß ausgedünnten Filmen, die ich mir immer jeweils im Anschluss angesehen habe, wird die Liebe zu Details deutlich, zu den noch so kleinen Nebenfiguren und -Plots, die diese Welt so lebendig werden lassen.

Ich muss zugeben: retrospektiv ärgere ich mich über diesen leicht arroganten Typen, der den ersten Band damals nach zwei Kapiteln weggelegt hat. Fast hätte ich wegen ihm eine wirklich tolle Geschichte verpasst, mit Momenten, die mich ab jetzt begleiten und die ich nicht missen möchte. Ich war, und das soll jetzt wirklich nur mich in dieser speziellen Geschichte treffen, einfach ignorant.

Und heute? Diesen Winter trage ich ungehemmt einen “Gryffindor”-Schal und letztes Jahr hat man mir zu Weihnachten einen Zauberstab geschenkt. Und ich kann es kaum erwarten, alles nochmal zu lesen. Kann man also durch das Dickicht eines globalen Pop-Phänomens wie Harry Potter dringen und sich mit ganzem Herzen auf seinen Ursprung einlassen? Absolut! Es im Jahre 2013 zu tun, eineinhalb Jahrzehnte nach Erscheinen des ersten Bandes, hat schon fast etwas von einer kulturellen Entdeckungsreise. Wenn ihr jemand habt, der mit euch auf diese Reise geht, um so besser!

Also: Don’t believe the hype. Aber lest erst die Bücher.

9 Antworten zu “The boy who read”

  1. Max sagt:

    Ich kann mich auch noch an die Mitternachtslieferung erinnern. Da stand wirklich um kurz vor 24 Uhr der Postbote mit dem Halbblutprinzen (oder wars der Feuerkelch, weiß es nicht mehr genau) unterm Arm vor der Türe. Hatte meine Mutter damals als Überraschung organisiert. Das war schon was. Und gelesen habe ich in der Nacht auch bis in die frühen Morgenstunden.

    Auch heute lese ich die Bücher immer wieder. Keine Ahnung, wie viele Male das nun schon waren, aber sie werden irgendwie nie langweilig. Bei den Filmen ist das allerdings etwas anders. Da finde ich die ersten Teile bis einschl. Feuerkelch recht gut. Bei jedem weiteren Film finde ich diese gewisse „Magie“ von den ersten Filmen nicht mehr wieder. Da geht viel mehr kaputt und ist bei weitem actionlastiger. Naja, vielleicht kommt das auch nur mir so vor.

    Als Kinderbuch habe ich es nie wirklich angesehen. Ja, ok, es war vermutlich mehr für diese Zielgruppe als für irgendeine andere gedacht, aber das ganze Drumherum und der Charme machen die Geschichten wieder zu etwas für „Jedermann“. Kann man immer lesen, und wenn ich einmal anfange, dann lese ich auch eine Zeit lang. Ist mir bisher bei kaum einem anderen Buch passiert.

    Schöner Beitrag. 10 Punkte für @map :-)

    Grüße

  2. Lena sagt:

    Mir ging es ähnlich – ich wollte diesen „Hype“ nicht mitmachen. Auch stellten die Medien J.K. sehr negativ dar, so dass ich keine Ambitionen hatte die Bücher zu lesen. Aber, auch da verläuft meine HP-Geschichte ähnlich, dann wurde mir das Buch erneut empfohlen, von jemandem dem ich sehr vertraue. Also begann ich Buch 1 und legte es einfach nicht mehr weg. Ich war über 30 als ich die Bücher das erste Mal las.
    Ich habe sie mittlerweile bestimmt 4 oder 5 mal gelesen (und auch gehört) und bin nach wie vor begeistert.
    Auch da ich Mutter bin (und vieles aus einem anderen Blickwinkel betrachte) – enthalten die Bücher für mich so viel mehr als „nur eine Kindergeschichte“.

    Ich schließe mit meinem (derzeitigen) Lieblingszitat:
    Die Stimme eines Kindes, egal wie ehrlich und aufrichtig, ist bedeutungslos für jene, die verlernt haben zuzuhören.

    Herzlichst
    Lena

    Ps. Auch ich habe inzwischen passende Socken und einT-Shirt ;-)

  3. Frank sagt:

    Englisch oder Deutsch gelesen?

  4. spicollidriver sagt:

    Ich finde übrigens, daß die Filme hier ein gutes Stück zu schlecht davon kommen (insbesondere, wenn die Reihenfolge erst Film, dann Buch ist).

  5. Charlotte sagt:

    Ich finde, dass man* die ersten zwei Bücher als Kinderbücher abstempeln darf, im Gegensatz zu den Bänden 3-7. Ich finde, dass Harry und irgendwie auch J. Rowling erwachsener geworden sind. Ich habe selber ziemlich „spät“ angefangen die Bücher zu lesen, obwohl ich schon von klein auf, als der erste Film raus kam, die Geschichte um diese Welt voller Zauberer und Hexen faszinierend fand. Als ich 13 war, habe ich dann zum Glück, nach dem Wiederholten Weglegen des ersten Bandes (ich war nie lesefaul, eher sehr lese begeistert, wollte aber trotzdem nie Harry Potter lesen und habe mir stattdessen die Horbuchkassetten immer wieder angehört.) angefangen die Bücher zu lesen, mir kontinuierlich alle Teile zu gelegt und nie wieder aufgehört, aus dieser Welt auszubrechen. Und 3 Jahre danach lese ich nun zum 4. mal diese Reihe durch und entdecke immer wieder Dinge, die in meinem Kopf nach ganz hinten geschoben wurden. Ich kenne viele Menschen, die es langweilig finden, Bücher mehrmals zu lesen, da diese meinen den Inhalt zu kennen. Ich kann das am Beispiel von Harry Potter nur verneinen. In den 7 Büchern ist viel Inhalt und viel Zwischen den Zeilen, wofür ich Jahre gebraucht habe es zu entdecken, dass in einem Kopf bzw. meinem Kopf nicht genügend Platz ist alles zu behalten und es doch toll ist, sich daran zu erinnern, wenn man* die Bücher in die Hand nimmt.
    Ich finde, dass es nie zu spät ist in die Welt von Hogwarts einzutauchen und hoffentlich sich jeder, der die Bücher gelesen hat, sich in dieser Welt wohl fühlt.

    Sehr schöner Beitrag und ich hoffe dir wird noch mehr Harry Potter Merch über den Weg laufen.

  6. Mary sagt:

    Da finde ich mich auch ein bisschen wieder. Damals habe ich eine Abneigung gegen die Autorin entwickelt, weil ich der Meinung war, dass man nicht am laufenden Band tolle Bücher schreiben kann. Mit großem Appetit auf fantastische Erzählungen habe ich dann doch noch letztes jahr zu HP gegriffen :)

  7. […] Wie toll! Ich bin auch so riesiger Harry Potter Fan. (Anmerkung: Wie auch Map, der das hier sehr schön […]