*In einer früheren Version dieses Artikels
Vielleicht ist es nur ein momentanes Ding, weil alles noch recht frisch ist. Journalistenschule aus und vorbei, ab jetzt ist der Plan: Journalismus und sonst nichts. Keine Fließbandarbeit mehr, kein Protokolle-Abtippen, keine Briefe kuvertieren. Also Artikel schreiben, ab sofort/Mai Vollzeit. Alles recht frisch also. Aber die ersten fünf Stunden sind immer schwierig. Nachdem der Artikel online ist, also für alle zu lesen, beobachte ich Reaktionen. Unter dem Artikel, Feedback per E-Mail, auf Twitter, wenn der Artikel auf der Facebook-Seite gepostet wird, dann auch dort.
Die Angst, präzisiert, das ist die Angst vor einem Fehler. In einen Artikel, den ich geschrieben habe, einen faktischen Fehler hineingeschrieben zu haben. Utah als Stadt bezeichnet zu haben statt als Bundesstaat zum Beispiel. Das ist ein Fehler. Da muss ein Stern hin.
*In einer früheren Version dieses Artikels stand, dass Utah eine Stadt ist. Diese Behauptung ist falsch. Utah ist ein US-Bundesstaat. Wir bedauern den Fehler.
Ich bin einer dieser Journalisten, die daran glauben, dass JournalistInnen nicht alles wissen. Mal nicht wissen müssen, weil Naivität oft eine Chance ist dafür, Fragen zu stellen, auf die man nicht kommt, wenn man im Thema steckt – und mal nicht wissen können. ProfessorInnen verbringen ihr Leben damit, an einer sehr genau definierten Stelle ein Problem jahrelang zu bearbeiten. Wie soll ich da mithalten? Das wird nicht möglich sein, ist aber auch nicht weiter tragisch.
Wenn ich also Sterne sehe in den Artikeln von anderen JournalistInnen, dann empfinde ich das prinzipiell als ein gutes Zeichen. Es heißt, dass jemand reagiert, einen Fehler öffentlich macht, das ganze Blablabla um die seit Jahren diskutierte Haltung des “Wir haben verstanden, dass wir nicht unfehlbar sind” auch als tatsächlich verstandene und eingenommene Position dokumentiert. Das ist doch gut, wichtig, das sollte auch so sein.
*In einer früheren Version dieses Artikels stand, dass das Logo von Ebay seit 17 Jahren existiert und Tom Walter das Logo von Ebay allein entwickelt hat. Das ist falsch. Wir bedauern den Fehler.
Aber selbst einen Fehler machen? Das fühlt sich immer scheiße an. Als ob ich ein Glas Wasser hätte und einen Tropfen Blut hineinfallen ließe. Wenn ich schnell genug rühre, vermischt sich das schon. Aber schmecken wird mir das nicht mehr.
Wenn ich Artikel schreibe, lese ich mir die Seiten, auf die ich verlinken werde, mehr-, also mehrmehrfach durch. Habe ich alles richtig verstanden? Ist das auch wirklich so? Ich schaue, ob andere bereits zu dem Thema geschrieben haben, lese nach, zu welchen Schlüssen sie gekommen sind. Lese noch einmal die Originalquelle durch, schreibe weiter, schreibe fertig, lasse redigieren. Wir reden hier nicht von Artikeln, an denen ich Wochen arbeite, sondern eher über Artikel, die ich im Laufe von wenigen Stunden aufschreibe. Nicht immer ist es mein Kernbereich.
Ich habe kürzlich einen Artikel darüber geschrieben, dass Sony einen Patentantrag gestellt hat für eine smarte Perücke – der Patentantrag ist so absurd, dass ich ihn nicht geglaubt habe, während ich darüber schrieb. Aber hey: Bloomberg hatte darüber berichtet, BBC hatte darüber berichtet, das musste stimmen. Die Originalquelle ist die Seite des US-Patentamts, der Antrag ist dort nachzulesen. Ich checke per Wikipedia, ob die Seite des Patentamts auch die richtige ist. Ja, ist sie. Alles von vorne. Was stand drin? Ist es die richtige Seite? Habe ich das richtig verstanden? Kann man das so schreiben? Dieselben Antworten.
Dennoch: Kaum ging der Artikel online, sind da diese fünf Stunden.
In diesem Artikel war dann kein Fehler. Wäre einer drin gewesen, hätte es für mich den Artikel kaputt gemacht. Ich würde gerne genauer benennen können, was mich daran stört. Vielleicht ist es, dass in der Zeit, in der dieser Fehler auf der Seite steht, mehrere tausend Menschen den Artikel gelesen haben werden (und den Fehler nicht als solchen registrieren), vielleicht ist es, dass ich mich schlecht fühle, “nicht einmal das” richtig hinzubekommen, vielleicht ist es auch einfach nur eine narzisstische Kränkung.
*In einer früheren Version dieses Artikels stand ein Fehler. Hakan hat diesen Fehler gemacht. Es tut ihm leid.
Ich habe mit Kollegen geredet, nicht mit vielen, aber mit einigen. Die sagen, dass diese Art von Angst gut ist, weil sie mich daran hindert, unaufmerksam zu werden, Andere haben lediglich gesagt, dass sie diese Angst nicht haben.
Ich für meinen Teil habe keine abschließende Position dazu. Ich kriege nur mit, dass es konstant fünf Stunden sind, es also nicht weniger wird. E-Mail, Facebook, Twitter, Kommentare. Im Großteil der Fälle kommt natürlich nichts, es spielt sich überwiegend in meinem Kopf ab. Aber diese Sterne sind Schweine.
Seriously, it doesn't get better than this in life. #pt pic.twitter.com/lfy0XzFVU5
— Jillian C. York (@jilliancyork) November 1, 2013
5 stunden schon um? habe erst einmal keinen fehler gefunden…
schon beklemmend manchmal: diese leichte verzögerung, bevor man bei twitter dann wirklich auch auf „twittern“ drückt. auch die beklemmung: ist da vielleicht ein fehler im tweet oder bei fb, auf den die trolle sich vielleicht stürzen?!
gruß
Genau dieses Gefühl, ja.
[…] der Kollege Hakan Tanriverdi in einem Blogpost bei Kleiner3 aufgeworfen. Der Text trägt den Titel “*In einer früheren Version dieses Artikels” und gefällt mir nicht nur wegen des Versions-Gedankens. Beachtlich finde ich ihn vor allem, weil […]
Korrekturvorschlag:
*In einer früheren Version dieses Artikels wurde das Wort „kuvertieren“ fälschlich „kurvertieren“ geschrieben. Das ist falsch. „Kuvertieren“ kommt nicht von „Kurve“, sondern von „Kuvert“ (Umschlag), zu frz. „couvert“/“couvrir“ (bedecken). Wir bedauern den Fehler und freuen uns, dass wir die Kurve noch einmal bekommen haben.
Haha. Danke. Wobei ich hier anmerken muss, dass ich Rechtschreibfehler nicht mit einem Sternchen markieren würde. Es sei denn, der Name wäre falsch geschrieben, in diesem Fall dann schon.
[…] *In einer früheren Version dieses Artikels […]
Ich muss an die „Nachricht“ denken über den indischen Polizeichef, der gesagt haben soll, Frauen sollten eine Vergewaltigung doch genießen, wenn sie passiere. Das Ganze war im Endeffekt nicht mal eine Ente, sondern ein aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat, das bestimmte Medien gierig aufgegriffen und/oder unreflektiert wiedergegeben haben und das dann die Runde machte, weil keiner sich die Mühe gemacht hat, zu fragen wie es wirklich war.
Als Journalist selbstkritisch zu sein, genau zu recherchieren, seine Quellen zu kennen halte ich für unabdingbar, aber auch der Ehrenkodex, der mal unter Journalisten in dieser Sache herrschte, ist nichts mehr wert. Kleine Fehler können für einen persönlich schwer wiegen – das verstehe ich sehr gut. Es ist, als trüge man einen Makel mit sich herum, der in einem ewigen Büchlein verzeichnet wird und wieder zum Vorschein kommt, wenn es mal um die Gesamtbeurteilung aller Werke geht. Das ist vor allem auf persönlicher Ebene eine Angelegenheit, die es Menschen unnötig schwer macht, weil nun mal jeder Fehler macht und man sich mit diesem überhöhten Anspruch das Leben selbst schwer, manchmal auch schmerzhaft macht. Ich mache sowas auch und kann manchmal nicht einmal damit umgehen, mich irgendwo vertippt zu haben. Andererseits: Sorgfalt ist eine Eigenschaft, die zunehmend seltener wird. Da kommt dann so etwas bei heraus wie der indische Polizeichef oder ein Kujau. Zweimal hinschauen, dreimal nachschlagen, viermal korrigieren muss also nicht so schlecht sein.
Wenn man jetzt mal vom Gefühl absieht. Auch in anderen Berufen wird profesionelle Arbeit verlangt und Fehler fühen zu Reklamationen. Wenn sauber gearbeitet wird, verliert sich doch die Kritik in reinen Äußerlichkeiten. Es bleiben nur Geschmacksurteile. Nur ist der Journalismus in Deutschland über die Jahre so selbstgefällig geworden, dass die Korrektur durch die Leser jetzt zum großen Bohei wird. Bei der „Zeit“ wird der Kommentator zusätzlich noch moralisch belehrt, bei Springer und SPON ist Kritik nur in homöopathischen Dosen erlaubt und hängt von der Tagesform des Zensors ab (außer sie ist links UND dumm, das geht immer). Schließlich galt und gilt sachliche Kritik von Journalisten an Journalisten als unkollegial. Wenn sie in der Öffentlichkeit geäußert wird, ist sie ein garantiertes Aufstiegshemmnis. Logisch, dass deshalb viele Journalisten auf den einfachen, und lange Zeit populären Weg des Meinungsjournalismus gesetzt haben. Es war doch viel einfacher, sich ein paar (in der Regel) linke Schlagwörter und Meinungstrends anzueignen, statt ernsthaft an sich zu arbeiten. Ich sehe da auch noch keine Trendwende, sondern nur eine neue Weinerlichkeit, dass das alte Muster so nicht mehr funktioniert. Was überhaupt bei jungen Journalisten völlig fehlt, ist das Bedürfnis nach sachlicher Professionalität. Schönschreiben ja, Sachlichkeit nein. Claudius Seidl, Volker Weidemann, Heribert Prantl und viele andere lassen grüßen. Auch wenn es der größte Unfug ist, so ist es doch gut geschrieben (was bei den Profis der Branche zweifellos zutrifft). Das Problem beginnt doch mit der Prätention, Welterklärer sein zu wollen. Und lange Zeit galt ja auch die Parole im Journalismus. Je mehr Welterklärer, desto besser. Für den echten Journalisten gab es aber immer nur zwei seriöse Wege. Entweder reiner Faktenjournalismus, oder der Erwerb hoher Sachkompetenz. So wie ich den Text verstanden habe, wird auch diese einfache Wahrheit an Journalistenschulen nicht mehr vermittelt.
Interessant, wie Sie in einem Text, in dem es darum geht, sich an Fakten abzuarbeiten, in dem es also an keiner Stelle um Meinungsjournalismus geht, nicht einmal ansatzweise, das herauslesen wollen. Das spricht in meinen Augen eher für eine Kritik, die einer grundsätzlichen Abneigung gegen „linke“ Medien geschuldet ist, nicht aber einer sachlichen Auseinandersetzung mit diesem Text.
Das impliziert ja, dass viele Fehler wirklich Fehler sind und keine Absicht. Und das fällt beim momentanen Stand des Journalismus schwer. Da geht es nicht um einen geografischen Fehler, sondern darum, dass absichtlich Zitate vekürzt oder aus dem Zusammenhang gerissen werden (und sich dann über Autorisierung beschwert wird) oder Studien, die absichtlich falsch interpretiert werden, um bspw Angst vor Masseneinwanderung zu schüren. Oder kleine Dinge, die absolut aufgebauscht werden und dann das große Medien-Mobbing losgeht.
Und wie hier schon richtig gesagt wird, auch bei der BBC und Co kann man leider nicht mehr wirklich glauben. Es wird ja eh nur noch von überall her zusammenkopiert. Es gilt leider überall: Schlagzeile > Wahrheit. Fakten können eine Geschichte schnell kaputt machen oder im Wege stehen, wenn man seine Agenda durchdrücken will.
Es ist auf jeden Fall gut, wenn du Angst vor Fehlern hast. Das bedeutet, dass du einen gewissen Anspruch an deine Arbeit/Leistung hast und das ist gut für dich und deine Leser!
Mein Papa hat immer gesagt: nur wer nichts macht macht keine Fehler. Fehler kann man reduzieren, aber nicht zu 100%. Etwas vorzuwerfen hat man sich nur, wenn man nicht gründlich war. Dass es trotz gründlicher Arbeit mal zu einem Fehler kommen kann sollte man sich selbst und vor allem auch anderen immer zugestehen.
Dass es anscheinend Leute gibt, die keine Angst vor Fehlern haben finde ich gruselig.
Obwohl ich nur einen kl., unjournalistischen Blog mit weniger als 50 Lesern im Schnitt pro Tag betreibe kann ich das gut nachvollziehen. Wenn ich andernorts was gelesen habe, und deutlich gemachte Korrekturen fand, hat mich das immer beeindruckt. Aber selbst etwas falsch zu machen – oh, wei!
Mit sich selbst nachsichtiger sein, ohne dabei nachlässig zu werden scheint mir der angemessene Weg. Mit der Zeit auf Routine hoffen.
Oh ja, exakt, quälend sind diese Stunden, quälend!
Dass andere das Gefühl gar nicht kennen, überrascht mich jetzt schon. Ich habebisher allenfalls gehört, das höre nie auf.
Hallo wiederum,
ich hatte den Kommentar als Replik über diesen Artikel verstanden und dementsprechend reagiert. So, wie SIe das jetzt ausführen, kann ich damit leben – auch wenn ich Ihre Sicht nicht teile.
Spannend jedenfalls finde ich, dass Sie glauben, ich würde mich abschirmen. Genau das soll verhindert werden, zumindest ist es das, was ich versuche. So wie ich in der Regel auch versuche, auf jedes Feedback zu antworten (teilweise auch unter den Artikeln selbst, das gelingt aber nicht immer). Genau wie das jetzt hier abläuft. Schauen, was gesagt wird, schauen, ob man das teilt, darauf reagieren. Das ist schon alles.
Ich kenne das. Pünktlich zum Redaktionsschluss der kleinen Lokalzeitung, bei der ich arbeite, kriechen die Gedanken in mir hoch: Sind auch keine Fehler drin? Hast du dich auch nicht verrechnet? Egal, wie häufig ich alles noch mal gelesen und geprüft habe. Und die Gedanken bleiben leider häufig genug die ganze Nacht. Oder kommen gegen 4 Uhr morgens und bleiben als flaues Gefühl.
[…] “In einer früheren Version des Artikels” von Hakan, in dem er auf herrliche Weise ausführt, was das Schreiben für ein Online-Medium mit einer_einem macht und wie wir im Grunde das Loslassen von Texten neu lernen müssen. […]