Datensätze zum Frühstück und Arbeitsphilosophie zum Mittag – Das Geek Girl Meetup 2013 #ggmberlin13

Foto , by Carla Drago

Zuerst wollte ich nur mal kurz am Morgen vorbeischauen, dann bis zum Mittag bleiben und am Ende verbrachte ich den ganzen letzten Samstag beim Geek Girl Meetup Berlin. Was es mit dieser (Un)Konferenz auf sich hat und weshalb sie mich so begeisterte – ein kleiner Rückblick.

Das Geek Girl Meetup Berlin gehört zu einem globalen Netzwerk von Veranstaltungen und nahm seinen Anfang in Stockholm. Seit 2012 gibt es das Event ebenfalls in Berlin, auch hier nutzt es das Format der Unkonferenz. Mit Unkonferenz (auch als BarCamp bekannt) ist eine Konferenz gemeint, die sich bewusst traditioneller Organisationsformen entledigt, oft auch kein festes Thema hat und keine Trennung zwischen Publikum und Vortragenden macht.

Im Fall des GGM werden in erster Linie Frauen aus dem Tech-Bereich dazu ermutigt, Vorträge zu halten und ihr Wissen miteinander zu teilen. Die Veranstaltung geht über einen ganzen Tag und die Teilnehmerinnen bestimmen das Programm, alles ist kostenlos und sogar für Verpflegung war dank Sponsoring gesorgt.

Nun lässt sich über die Verwendung des Begriffs Girls streiten – besonders bei solchen Veranstaltungen – und um ehrlich zu sein, mich hat das auch erst einmal die Augen rollen lassen. Dennoch: Eine Veranstaltung, die die Community stärkt, ist immer noch besser als gar keine und wenn sich Menschen sogar ehrenamtlich dafür engagieren, finde ich das per se erst mal eine großartige und unterstützenswerte Sache.

Ich gab dem GGM also eine Chance und wurde dafür mehr als belohnt. Es gab keine langweiligen Produktpräsentationen, die Vorträge waren von sehr hoher Qualität. Die anwesenden Frauen waren so schlau und inspirierend, dass sich noch an Ort und Stelle neue Kollaborationen ergaben und die Möglichkeit zu Diskussion und Austausch intensiv genutzt wurde. Die Atmosphäre erwies sich schnell als angenehm und vertraut, so dass ich, wie erwähnt, gar nicht mehr weg wollte. Auch wenn ich nicht mal den Hintergrund im Coden habe, wie die meisten Anwesenden, ich war hier doch unter Gleichgesinnten.

Es spiegelte sich sehr schön das wider, was Jess Erickson von den Berlin Geekettes in ihrem Eingangsstatement mit „This is not a about separatism. It’s about solidarity.“ („Es geht nicht um Separatismus, sondern um Solidarität.“) beschrieb.

Nicht nur Dinge lesen, sondern welche machen

Auftakt bildete die Keynote von Anne-Marie Imafidon, unter anderem Gründerin der STEMettes (STEM steht dabei für die Berufsbereiche science, technology, engineering, mathematics und wird im Deutschen mit MINT abgekürzt), einer weiteren Initiative, die Mädchen in naturwissenschaftliche und technische Berufe bringen möchte und vorwiegend in Großbritannien aktiv ist.

Imafidons Vortrag stieg mit einer Referenz an Sheryl Sandbergs „Lean in“-Bewegung ein und für einen kurzen Moment hatte ich Angst, dass Sandbergs Initiative hier blind abgefeiert werden könnte, obwohl sie aus diversen Gründen durchaus problematisch ist, doch Anne-Marie Imafidon verstand es auf charmante Art, einfach ihre eigene „Lean in“-Version daraus zu basteln.

Am meisten gefiel mir dabei ihr Stichpunkt des „Work out loud“, bei dem sie dazu aufrief, eigene Erfolge ruhig gut sichtbar zu machen und „laut“ nach draußen zu tragen, statt sie leise zu zelebrieren. Allein schon aus dem Grund, weil wir nie wissen können, wen wir mit unserer Arbeit vielleicht noch inspirieren könnten!

Ihr Fazit lautete: „Don’t just read. Do!“ (Nicht nur lesen, sondern machen!“) und erntete bei mir alle (!!einself!) Ausrufezeichen dieser Welt.

Außerdem gab sie sich als Fan von „Luther“ zu erkennen – das gab natürlich automatisch Bonuspunkte.

Kleine Finger treffen auf große Apps

Den Anfang meiner eigenen Talk-Auswahl machte Kathryn Rotondo mit ihrem Vortrag „Designing Apps for Little Fingers“. Sie hatte im März den Berlin Geekettes Hackathon gewonnen, der (offenbar) der erste Hackathon ausschließlich mit weiblichen Teilnehmerinnen war.

Binnen dieser 24 Stunden hatte Kathryn ihre Idee für eine App namens „Monkey See, Monkey do“ weiterentwickelt, mit deren Hilfe Kinder ihre Tagesroutine in spielerischer Form planen und durchgehen können. Die Idee entstand aus dem ganz einfachen Bedürfnis heraus, dass Kathryns kleiner Sohn seinen Tagesablauf mit Zähneputzen & Co. besser planen können und all das natürlich sogar Spaß machen sollte.

Die Erfahrung aus „Monkey See, Monkey Do“ und anderen Apps, die ihr Sohn gerne benutzt, teilte Kathryn in ihrem Vortrag und erklärte darin zum Beispiel, warum ein einzelnes Tippen auf den Bildschirm besser ist, als der Doppel-Tipper, wie sich Kleinkinder am besten bei der Stange halten lassen und dass man auch plötzliches Desinteresse einkalkulieren sollte oder auch, was ein sogenanntes Baby Gate ist – quasi eine Untersektion der App, die nur über einen komplizierteren Zugang zu erreichen ist und bestimmte Infos für die Eltern enthält.

Nun designe ich zwar keine Apps und erst recht nicht für kleine Kinder, geschweige denn meine eigenen, aber für mich war Kathryns Vortrag wieder mal ein perfektes Beispiel dafür, wie man prima über den Tellerrand geschubst werden kann und der eigenen Perspektive eine wertvolle neue hinzufügt.

Langlebiges Design in Zeiten der Vergänglichkeit

Weiter ging es für mich mit „Designing for Ephemeral Technology“: In ihrem Vortrag beschrieb die Designerin Valentina Montagna anhand ihres ganz persönlichen Lebenslaufs wie sie damit umging, dass ihre Fähigkeiten plötzlich als obsolet angesehen wurden.

Zuerst arbeitete sie nämlich als Schriftsetzerin im Druckwesen. Als dort jedoch keine Weiterentwicklung sondern eher ein Aussterben ihres Berufs absehbar war, entschied sie sich für eine Ausbildung im Buch-Design, nur um bei ihrem Abschluss festzustellen, dass nun E-Book-Reader auf dem Vormarsch und nicht mehr aufzuhalten waren.

So war sie also bereits zum zweiten Mal gefühlt aufs Abstellgleis geraten, von wo sie allerdings die Quintessenz mitnahm: Angesichts der schnellen technischen Fortschritte die wir durchleben, gibt es so gut wie keinen Ausbildungsweg im und um den Tech-Bereich herum, der nicht von ebenso schnellen Veränderungen betroffen wäre. Der Weg durch einen kreativen Prozess, in dem eine Idee entwickelt wird, ist am Ende aber immer derselbe und auf diesen kommt es schließlich an – ja, er braucht sogar seine Zeit, damit die Idee überhaupt gut werden kann.

Also: Keep calm and design on! Oder so.

Mittlerweile ist Valentina Montagna übrigens Mitgründerin und Designerin von urlist.

Die Ungewissheit umarmen

Einer meiner definitiven Lieblingsvorträge kam von Jeanny Wang. Mit „How to Design for Uncertainty: Tips & Tricks of the Trade“ zeigte sie sehr schön, dass, obwohl der Vortrag natürlich eher einen Design-Fokus hatte, er sich doch ebenso gut allgemein auf Produktentwicklung und Teamarbeit anwenden ließ. Er beinhaltete nämlich eine eigene Arbeitsphilosophie, von der ich nur hoffen kann, dass sie immer mehr Anhängerinnen und Anhänger findet.

So empfahl Wang, dass man sich zwischendurch quasi immer wieder einen dreijährigen Menschen verwandeln sollte, um ganz ungeniert fragen zu können, warum jetzt eigentlich Schritt XYZ erfolge. Nach dem Warum zu fragen, wird gemeinhin leider immer noch eher als beleidigend empfunden, obwohl es uns helfen kann, keinen Tunnelblick zu entwickeln und das eigentliche Ziel unserer Arbeit immer wieder neu ins Auge zu fassen.

jeannywang

Ebenso wichtig ist es laut Wang, dass wir uns mit anderen Leuten beraten und nicht als einzeln kämpfendes „Genie“ handeln, dass wir Kritik zulassen und uns damit auch ein Stück weit verletzbar machen, anstatt die eigenen Ideen um jeden Preis allen und allem überstülpen zu wollen.

Nun klingen all diese Dinge so, als verstünden sie sich eh von selbst, doch zeigt unsere derzeitige Arbeitswelt, dass wir uns immer noch viel zu starren Modellen und Mustern ergeben und somit am Ende kontraproduktiv arbeiten.

Verhalten vs. Veränderung

In „Designing for Behavior Change“ stellte Ekaterina Karabasheva einige Möglichkeiten vor, wie Persuasive Technology aussehen kann. Technologie also, die designed wurde, um Userinnen und User durch bestimmte Anreize zu einer neuen Verhaltensroutine zu führen, ohne diese jedoch zu forcieren. Vieles geschieht unter dem Stichwort der Gamification und eines der bekanntesten Beispiele dafür dürfte sicher Foursquare sein.

In ihrer Präsentation nannte Karabasheva unter anderem die Menstruationszyklus-App Clue, die seit kurzem aus der Beta-Phase raus ist und nun auch im App Store heruntergeladen werden kann, was sogleich einige Anwesende im Publikum begeistert taten.

Ekaterina Karabasheva arbeitet gerade selbst für ihre Masterarbeit an einer App, die Menschen mit Essstörungen bei der Therapie unterstützen soll. Beispielsweise, indem tägliche Mahlzeiten darüber festgehalten werden oder auch per Push Notification daran erinnert wird, falls die Notiz bisher noch nicht erfolgte. Besonders interessant war die anschließende Diskussion, in der die Teilnehmerinnen Karabasheva gleich Feedback zu ihrer App-Idee gaben und hilfreiche Verbesserungsvorschläge machten.

Hier zeigte sich auch eine der großen Stärken des Geek Girl Meetup: In einer durchweg positiven Atmosphäre inspirierte man sich nicht nur gegenseitig zu neuen Ideen, sondern spornte auch sogleich zu deren Umsetzung an. Das „Don’t just read. Do!“ aus Anne-Marie Imafidons Eingangsrede wurde schon vor Ort an vielen Stellen Wirklichkeit.

Gehirngefühle

Ein weiteres Highlight war Sophie Mayer mit ihrem Talk „How Modern Technology is Changing the Way Our Brains Work“. Hier warf sie einen etwas düsteren Blick auf das, was uns Technologie neben all den Bequem- und Möglichkeiten auch beschert: Zunehmend fehlendes Mitgefühl nämlich. Wenn zwischen Bildschirm und Tastatur keine Empathie mehr passt bzw. entstehen kann, obwohl wir weiterhin miteinander, also mit Menschen kommunizieren, wo führt uns das eigentlich hin? Das Bild, das Mayer zeichnete, war ein eher pessimistisches und hat nichts mit den Versprechungen zu tun, die wir uns von den Möglichkeiten des Netzes mach(t)en.

Mayer startete deswegen auch direkt den Aufruf, wegzukommen von der eher emotionslosen Wegwerfkultur in der wir uns befinden und uns hinzubewegen zu einer empathischen Nachhaltigkeit, die unsere tatsächlichen Bedürfnisse auch auf Produktebene abbildet sowie ihnen gerecht wird.

sophiemayer

Zu viel Pathos? Vielleicht.

Notwendiges Mantra? Auf jeden Fall! (Ja, ich schaue zu dir rüber, Berliner Start-Up-Blase.)

Why so English?

Trotz all der Begeisterung fürs GGM muss hier aber noch ein Aber folgen, das gar nicht mal zwingend nur an diese Veranstaltung gerichtet ist, sondern an eine bestimmte Kategorie von Community-Initiativen, die sich gerade in letzter Zeit und besonders in Berlin häufen: Sie stellen Dinge auf die Beine, um eine Gemeinschaft zu bilden oder die bestehende zu stärken. Sie wollen eine Community, aber warum nur eine auf/in Englisch?

Nun ist Englisch natürlich eine Weltsprache und ich selbst bin mehr als Fan, aber wenn ich anderen Leuten begeistert von solchen Veranstaltungen berichte, merke ich doch viel zu oft, wie sie an dem Punkt zurückschrecken, dass alles auf Englisch stattfindet, obwohl sie eigentlich genauso dort hingehörten und das ist gelinde gesagt, verdammt schade.

Wenn ich mir zum Beispiel nur die Berlin Geekettes Community anschaue, sehe selbst ich mich dort nicht wirklich – obwohl ich eigentlich der Zielgruppe angehöre. Das ist natürlich nicht schlimm, denn genug Frauen geht es da offenbar anders und das zählt – nicht jede Initiative ist für jede_n und das ist auch absolut okay so.

Ich frage mich nur, weshalb es nicht noch mehr zusätzliche Angebote und Netzwerke gibt bzw. wo sie sind? Auch landesweit? Warum gibt es solche Veranstaltungen wie das GGM hier nicht in weiteren Sprachen? Allein ein simples Konzept wie das des Geek Girl Meetup könnte doch noch viel öfter übernommen und auch umgesetzt werden?

Oder vielleicht existieren diese Veranstaltungen und Netzwerke bereits und ich kenne sie nur noch nicht? Dann zögert bitte keine Sekunde und teilt sie hier in den Kommentaren mit! Am Ende gilt es vielleicht nur, all diese Events im wahrsten Sinne des Wortes, zu entdecken?

Das ist jedenfalls mein einziger Wunsch nach diesem inspirierenden Samstag. Ansonsten lasse ich einer anderen Teilnehmerin des Geek Girl Meetup an dieser Stelle das letzte Wort, denn ich kann es nur bestätigen:

Webseite des Geek Girl Meetup Berlin
Fotos vom Geek Girl Meetup
Einige der Vorträge als Sound-Mitschnitte
Tweets zum #ggmberlin13

2 Antworten zu “Datensätze zum Frühstück und Arbeitsphilosophie zum Mittag – Das Geek Girl Meetup 2013 #ggmberlin13”

  1. Ninia LaGrande sagt:

    Vielen Dank für den Bericht (und die ganzen Links)! Schade, dass ich die Veranstaltung erst jetzt kennenlerne, beim nächsten Mal versuche ich, dabei zu sein.