Komisch, radikal, erfolgreich

Foto , CC BY-SA 2.0 , by Gage Skidmore

Mit Karrieretipps ist es wie mit den meisten Hinweisen für das bessere Leben, die man so erhält: Sie funktionieren dann besonders gut, wenn sie etwas in uns ansprechen, was wir ohnehin vermutet haben. Da ich noch in jedem meiner Arbeitsplätze (abgesehen vom Packjob im Supermarkt mit 16) die Auslegware oder Damentoilette irgendwann durch einen Tränenschleier gesehen hatte, mich aber dennoch für keinen Hormonninja halte, ist es also kein Wunder, dass mir unlängst folgender Tipp besonders im Ohr klang: Steh dazu, dass du manchmal nicht anders kannst, als zu weinen – auch am Arbeitsplatz. Was den Tipp umso glaubwürdiger machte, war der Umstand, dass ihn zwei Frauen aus sehr unterschiedlichen Arbeitsbereichen gaben, deren Gemeinsamkeit neben der Haarfarbe die Tatsache ist, immens erfolgreich zu sein. Sowohl Tina Fey in ihrer äußerst amüsanten Biographie “Bossypants” als auch Sheryl Sandberg in ihrem expliziten Karriereratgeber “Lean In” raten beide dazu, wenn es unbedingt sein muss, die Dämme ab und an brechen zu lassen.

Heulsusen do it better

Für Tina Fey, die ihren Weg von der Rezeptionistin eines YMCA in Chicago zur Produzentin und Autorin des Kritiker- (und Qualitätspublikums-)Lieblings “30 Rock” beschreibt, sind die Tränen ein zulässiger Ausdruck von Wut und eine wichtige Ablenkungstaktik: “Some people say: “never let them see you cry”. I say, if you’re so mad you could just cry, then cry. It terrifies everyone.” Bei Sheryl Sandberg geht die Sache tiefer. Für sie zeigen Tränen, dass uns irgendwas an dem liegt, womit wir acht Stunden am Tag verbringen. Die emotionale Bindung führe dazu, dass wir motiviert seien, für etwas zu arbeiten und um besser zusammen zu arbeiten, hülfe es, Emotionen der Kollegen zu verstehen, statt sie unterdrücken zu wollen.

Um eins vorwegzunehmen: Tina hat das radikalere Buch mit den – aus meiner Sicht – langfristig geeigneteren Tipps für eine bessere Arbeitswelt für Frauen geschrieben. Tina will die Welt ändern. Sheryl will uns der Welt anpassen. Das zeigt sich nicht nur beim Thema Tränen, aber eben auch dort. Während in “Bossypants” Emotionalität am Arbeitsplatz zeigt, dass etwas ganz gewaltig nicht stimmt und sie einen subversiven Umgang mit diesen Störfaktoren bietet, ist sie in “Lean In” nur das Schmiermittel im Geschmeidigmachen des oder der Arbeitenden für seine oder ihre Arbeitsumgebung – egal, wie änderungswürdig sie ist. Oder, wie es Kate Loose ausdrückt: “Sandberg’s revolution is not asking corporations to renovate their operations to eliminate sexism. Rather, revolution in ‚Lean In‘ is a battle to restructure the self.”

Nur tun, als ob, ändert die Welt nicht

Die Camouflage am Ich statt die Forderung nach echter Veränderung im Denken und Handeln von Organisationen und Männern ist beispielsweise das, was Sandberg aus dem Heidi-Experiment als Lehre zieht. 2003 legte eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität New York und der Columbia Business School Studenten einen Bericht über eine beruflich immens erfolgreiche Person vor. Nur eine Gruppe liest den echten Namen der beschriebenen Person: Heidi Roizen. Für die andere Gruppe wird der Name gegen Howard ausgetauscht. Das Ergebnis nach dem Lesen: Heidi wird als kalt, berechnend und karrierebesessen bewertet, Howard als sympathisch und aufstrebend. Sandbergs schafft es, diese Ungleichbehandlung von Frauen und Männern am Arbeitsplatz mit Studienergebnissen zu illustrieren. Allerdings ist ihre Ableitung daraus, dass Frauen sich ungerechten Erwartungen anpassen sollen, um erfolgreich zu sein. Sie sollen zum Beispiel in Gehaltsverhandlungen nicht ihre Verdienste in bestimmten Unternehmensbereichen, sondern ihren Beitrag zum Wohl der Gemeinschaft herausstellen, um die gewünschte Gehaltserhöhung zu bekommen – auch wenn sie ihren monetären Wert für das Unternehmen kennen, beispielsweise gezählt an akquirierten Kunden. Sandbergs Rechnung: Frauen sollen Ehrgeiz hinter einer Fassade von als “weiblich” wahrgenommenen Eigenschaften verstecken. Was kurzfristig und im Einzelfall funktionieren mag, ändert aber kein tiefergehendes Problem: Die Tatsache, dass Frauen etwas negativ ausgelegt wird, was für Männer selbstverständlich ist.

Eure Erwartungen interessieren uns nicht

In dieser Beziehung ist Fey kompromissloser und sympathischer, weil sie niemandem rät, zu sein, was er oder sie nicht ist. Ihr Rat an Frauen, die auf geschlechtsspezifische Diskriminierung am Arbeitsplatz treffen: Finde erstmal heraus, ob dich die Meinung deines Gegenübers kümmern muss, weil er oder sie dir deinen Weg verbauen kann. Wenn nicht: Gib keinen Deut darauf, was die Person denkt. Steck deine Energie in Nützlicheres. Wenn Ja: Finde einen Weg, an ihm oder ihr vorbeizukommen. Wenn es dein Boss ist, geh zu seinem oder ihrem Boss. Such dir einen anderen Job, mach dich unabhängig von der Erwartung deines Gegenübers. Anschaulich erzählt wird das am Beispiel der ebenfalls großartigen Komödiantin Amy Poehler, die auf den weinerlichen Einspruch eines Kollegen, während eines Sketches doch nicht so unweiblich zu sein, mit vor Wut schwarzen Augen zischte: “I don’t care what you think.” Diese Botschaft ist mächtig, weil sie den auch von Sandberg als Karrierehindernis zitierten sozialisationsbedingten frauenspezifischen Wunsch, gemocht zu werden, auf seinen Platz verweist; und der ist eben nicht hinter einem Schreibtisch eines Unternehmens. Ich zitiere an dieser Stelle gern aus dem Archetyp der Darstellung eines Friss-oder-Stirb-Karrierewegs, nämlich diversen US-Reality-Shows: “I’m not here to make friends”. Ohne ein Freibrief für Arschlochverhalten zu sein, bedeutet dieser Tipp: Beliebtheit ist nicht so wichtig, wie gute Arbeitsergebnisse abzuliefern.

Frauen fördern keine Frauen

Ein anderer handfester Tipp von Fey zum Kontern geschlechtsspezifischer Diskriminierung ist, sich nie einreden zu lassen, es gäbe nicht genug Platz für mehr als eine Frau an der Spitze. Das korrespondiert mit einem aus der Forschung zu Frauenkarrieren bekannten Phänomen: Frauen fördern keine Frauen, aus Angst, dass “oben” nur Platz für Eine sei. Fey sagt: Der Glaube, nur besser als die anderen Frauen sein zu müssen, verengt das Sichtfeld. Jeder und jede ist im Wettstreit mit jedem und jeder. Sich darauf zu konzentrieren, die Beste zu sein, ist besser, als nachzurechnen, wie viele Frauen vor dir nach oben gekommen sind.

Wo sich Sandberg und Fey dann wieder einig sind, ist im Ratschlag, von Perfektionismus abzusehen. “Lean In” benutzt dafür die knackige Parole “Done is better than perfect”, Fey bezieht sich auf ihre Zeit bei SNL und zitiert ihren Ex-Boss Lorne Michaels: “Die Show fängt nicht an, weil sie fertig ist, sie fängt an, weil es halb zwölf ist.”

Sheryls Single-Problem

Ein weiterer massiver Unterschied in Feys und Sandbergs Sicht auf einen erfolgreichen Karriereweg ist der Part, den Partner dabei spielen. Fey erwähnt am Rand, dass ihr Mann Erziehungsaufgaben übernimmt. Für Sandberg ist die Wahl des Partners nichts weniger als die bedeutsamste Karriereentscheidung, die eine Frau überhaupt treffen kann. Schon bei der Wortwahl runzelt sich meine Stirn, weil sie sagt, dass die Frage nach dem “ob” einer Partnerschaft die entscheidende Karrierefrage sei.

Ob?

Wirklich, Sheryl? Ob?

Das letzte Mal, als ich das mit diesem “Und sie lebten glücklich usw.” ausprobiert habe, lag es nicht wirklich nur in MEINER Hand, ob das was wird, oder nicht. Einen Partner zu finden, ist nicht, wie sich für ein T-Shirt zu entscheiden. Um in der Allegorie zu bleiben: Das T-Shirt namens Partner hat die blöde Angewohnheit, selbst ein Wörtchen beim zukünftigen Träger oder der Trägerin mitreden zu wollen. Natürlich ist es wichtig, dass, wenn man erstmal jemanden gefunden hat, der dich mag, wie man ist, er oder sie unterstützt, was man erreichen will. Aber so zu tun, als sei die Partnerwahl eine Voraussetzung für Karriere per se, ist ein Schlag ins Gesicht für all die, die Single bleiben, sei es, weil sie es wollen oder weil eine oder einer fürs Herz und den ganzen Rest nicht des Weges kommt. In Sandbergs Logik sind Singles per se karrierebenachteiligt und Partner am Ende nur ein Mittel der Selbstoptimierung im Dienst des Jobs. Ich hänge mich ja gern rein, Sheryl. Aber Partnersuche als Jobförderer und nichts anderes? Das ist einfach zu viel verlangt.

Klarer Punktsieg für Tina, also. Indem sie Frauen sagt, dass ihr Weg nicht von der Art, wie Männer sie sehen und ob sie attraktive Partnerinnen abgeben, abhängen muss, gibt sie ihnen die Freiheit, selbstbewusst voranzuschreiten. Nicht ganz unwichtiger Tipp dabei: “Stell nie die Leute ein, die dich schlecht behandelt haben.”

5 Antworten zu “Komisch, radikal, erfolgreich”

  1. Anne Wizorek sagt:

    ooh, ich kannte die rede von amy poehler noch gar nicht. hach! <3

    "when you feel scared, hold someone’s hand and look into their eyes, and when you feel brave, do the same thing."

  2. neapel sagt:

    Vorsicht, das Headerfoto ist nicht von George Arriola sondern tatsächlich von Lucas Jackson/Reuters (siehe z.B. http://www.guardian.co.uk/tv-and-radio/2010/may/26/tina-feys-greatest-comedy-moments ), und steht auch nicht unter CC BY-SA. Dieses scheint aber ok: http://www.flickr.com/photos/gageskidmore/4840317334/

  3. julianeleopold sagt:

    Danke für den Hinweis. Ich bin gerade unterwegs und ändere das so schnell wie möglich.

  4. […] Moment hatte ich Angst, dass Sandbergs Initiative hier blind abgefeiert werden könnte, obwohl sie aus diversen Gründen durchaus problematisch ist, doch Anne-Marie Imafidon verstand es auf charmante Art, […]