Der Weg ist die #ubahn

An einem Tag das gesamte Berliner U-Bahn-Netz in alle Richtungen abfahren? Maike und Jörg haben dies am vergangenen Samstag getan. Fünfzehn Stunden lang waren sie unterwegs und haben in dieser Zeit auch bewusst darauf geachtet, wie die Menschen im Untergrund miteinander umgehen.

Als wir um neun Uhr morgens vor der Rolltreppe standen, die uns am Alexanderplatz hinab zur U5 bringen sollte, wurde uns mulmig. Auf was hatten wir uns da nur eingelassen? Würden wir überhaupt durchhalten? Wären wir am Ende des Tages zerstritten? Und vor allem: welche Menschen würden uns auf unserer langen Tour begegnen? Dann in der Bahn fühlte es sich zu Beginn an, als wären wir Teil einer Performance, ganz so, als ob gleich etwas Außergewöhnliches passieren müsste. Dabei war es doch lediglich unsere Aufgabe, dazusitzen, U-Bahn zu fahren, zu beobachten und ab und an mit der überirdischen Welt zu kommunizieren. (Die wichtigsten Dokumente der Fahrt hat der wunderbare Philipp bereits freundlicherweise für uns auf Storify zusammengestellt.)

Wir hangelten uns entlang der U2, da diese von allen anderen Linien gekreuzt wird und fuhren so in fünfzehn Stunden tatsächlich das ganze Berliner U-Bahn-Netz ab. Niemals waren wir alleine. Wir wurden immer wieder von tollen Menschen begleitet – sei es nur für ein paar Stationen oder gar für mehrere Stunden – und zwei uns (zumindest im analogen Leben) vorher völlig Unbekannte kündigten sogar an, Muffins zu backen, die sie uns abends im wohl überfülltesten Wagen des ganzen Tages überreichten. Sie schmeckten köstlich!

Trotz Stromversorgungsproblemen – selbst mit zusätzlichen externen Akkus durften wir nicht zu häufig unsere Mobiltelefone verwenden – kamen wir in den Genuss all der Anfeuerungstweets vieler, vieler Menschen und in der Zwischenzeit war ein Interview mit uns im „Der Die Das“-Blog der Süddeutschen Zeitung erschienen und abends waren wir erst aus der Konserve und später sogar live aus der U-Bahn zu Gast bei Radio Trackback.

Der geschärfte Blick

Soweit also der Spaß, doch wir hatten ja noch ein ernstes, wichtiges Anliegen: Wir wollten doch beobachten, wie die Leute in öffentlichen Verkehrsmitteln miteinander umgehen, denn im Rahmen der #aufschrei-Debatte wurde häufig davon berichtet, wie Menschen – hauptsächlich Frauen – im öffentlichen Nahverkehr belästigt wurden. Von Vornherein war uns klar, dass wir keine wissenschaftliche Studie machen würden, und es ging uns nicht darum, das Negative hervorzuheben, sondern ganz allgemein auf das Geschehen zu achten. Deshalb ist es wunderbar, dass in jenen Waggons, in denen wir uns befanden, fast nichts und erst recht nichts Schlimmes passiert ist. Selbst am späten Abend konnten Transpärchen, Manga-Kids und eine als Zombie geschminkte Frau unbehelligt durch sogenannte Problembezirke fahren. Alte, gebrechliche oder gesundheitlich beeinträchtigte Menschen bekamen fast immer einen Sitzplatz und die Menschen waren meist eher bei sich, ließen Mitreisende weitgehend in Ruhe. Das ist verdammt gut so!

eins

Aber wir haben in den fünfzehn Stunden nur einen kleinen Teil des U-Bahn-Tages gesehen, unser Erleben ist nicht repräsentativ. Versteckte Angrapschereien, Geflüster, all die heimlichen kleinen Gesten, haben wir gar nicht warhnemen können. Darüber können wir also keine Aussagen treffen. Aufgefallen ist uns, dass es tatsächlich immer nur Männer waren, die in Mackerhaltung drei Sitze belegten, um Dominanz zu zeigen. Frauen geben sich mit ihrem eigenen Sitzplatz zufrieden, stellen höchstens einmal ihr Gepäck neben sich ab. Wobei am Samstag auch die Mehrzahl der Männer rücksichtsvoll im Wagen saß.

zwei

Wenn blöde Sprüche oder Aggressionen kamen, gingen diese von Männern aus und in drei von vier der erlebten Fälle, waren im weitesten Sinn Drogen im Spiel, da die Männer betrunken oder laut Eigenaussage bekifft waren. Das ist kein schöner Zusammenhang, und er macht uns auch ein wenig ratlos, denn eigentlich sind wir überzeugt vom Recht auf Rausch. Wir wollen dies nicht plump und automatisch mit Entgleisungen im Umgang mit Anderen gleichsetzen. Und auch wir stehen nach wie vor auf ein kühles Wegbier, das Menschen gerne auch mal in der U-Bahn trinken. Wir hatten das am Samstag übrigens selbst vor für die allerletzte Teilstrecke, haben es aber am Ende schlicht vergessen und haben uns dann an unserer Endstation noch ein Stehbier am Gleis gegönnt.

In den beiden Fällen, in welchen sich explizit junge Frauen wegen ihres Geschlechts blöde Sprüche anhören mussten, haben diese sofort verbal pariert und damit die Männer zum Schweigen gebracht. Es ist toll, dass sie das drauf haben, aber wäre es nicht viel besser, sie müssten sich erst gar nicht auf diese Weise zur Wehr setzen? Wir wissen Dank #aufschrei, dass nicht alle Frauen in der Lage sind, so zu agieren und dass verbales Zurwehrsetzen auch Handgreiflichkeiten nach sich ziehen kann.

drei

Sehr unheimlich waren die vollkommen leeren Stationen: Rudow, Spandau, das nördliche Charlottenburg. Dort ohne Begleitung fahren und aussteigen, ohne Stationspersonal, ganz allein? Sogar tagsüber eine unangenehme Angelegenheit. Wir finden es unverantwortlich, dass dort niemand mehr von der BVG auf den Bahnsteigen ist. Da helfen auch kein noch so tolles Beleuchtungskonzept und erst recht keine Videoüberwachung. Da sich die brutalen Gewaltfälle der vergangenen Jahre in Berlin sogar auf den gut frequentierten U-Bahnhöfen der Innenstadt ereigneten, wo ebenfalls kein Personal vor Ort war, halten wir es für sehr wichtig, dass sich in diesem Punkt etwas ändert. Menschen müssen sich sicher fühlen können, wenn sie in Berlin mit der U-Bahn unterwegs sind!

Wir bedanken uns mit einem ‚kleinerdrei‘ bei den famosen Mitreisenden: @yetztonyte, @antischokke, @hdsjulian, @carhartl, @jackiejackieA, @adieu_tweetesse, @_WinstonSmith, @autofocus, @philipp. Es war uns eine Ehre!

16 Antworten zu “Der Weg ist die #ubahn”

  1. iriedaily sagt:

    Coole Sache, ich hoffe es hat euch Spaß gemacht, und auch cool, dass ihr so ein „Projekt“ mal anstoßt, im besten Fall gibt es Nachahmer in anderen Städten die von ihrem ÖPNV erzählen. Der Punkt, dass man sich unwohl fühlen kann an gewissen Orten, ist natürlich berechtigt, der Ruf nach mehr Personal auch. Aber irgendwie liest es sich so, als würdet ihr kichernd tanzend und mit Seifenblasen über eine Blumenwiese trollen (wollen). Es ist halt immer noch ÖPNV und „Straßenverkehr“. Dort kann es nie unfall- oder zwischenfallfrei bleiben. Selbst nicht in Utopia. Aber lasst uns daran arbeiten. :)

    • ruhepuls sagt:

      Es hat ja nichts mit Seifenblasen und einer Blumenwiese zu tun, wenn es uns ein Anliegen ist, dass man keine Angst haben muss, angepöbelt, überfallen oder gar vergewaltigt zu werden und wenn man an die Menschen appelliert, sich respektvoll zu verhalten.

      • iriedaily sagt:

        Das ist uns auch ein Anliegen. Wir schauen in die gleiche Richtung. Und deswegen finden wir es ja gut, dass ihr so ein Ding durchzieht, auch wenn ihr womöglich eh nur die damit erreicht, wo ihr offene Türen einstoßt. Aber eine Erinnerung an respektvolles Verhalten ist immer gut. Eigenes Handeln schafft Vorbild. :)

        Eine kleine Gegenfrage: wie steht ihr zum s.g. „Opfer-Gen“? Habt ihr euch mit dem „Konzept“ schon mal auseinandergesetzt? (laurent)

    • Jörg Braun sagt:

      Ich finde Seifenblasen und Blumenwiesen toll. Und Tanzen auch.

  2. Wichtig eure Schlussfolgerungen zur unverantwortlichen Verwaisung der U-Bahn-Stationen durch Aufsichtspersonal BVG. Zynischer Werbeslogan dazu: „Das Wachpersonal ist jetzt aus dem Häuschen!“

    Ich verstehe auch nicht, wieso bei den dadurch möglich werdenden schwersten Körperverletzungsdelikten noch keiner der Betroffenen die Betreiber wegen Fahrlässigkeit zur Mitverantwortung gezogen hat.

    Habt ihr unterschiedliche Verhaltensmuster erkennen können zwischen den klassischen Abteilwaggons und den kompletten Duchgangszügen? Ich halte letztere für deeskalierend, weil das von Breitmachern zu bestreitende „Revier“ so unklar wird:-)

    Generell tolle Aktion und ich wünschte mir, dass einige der BVG-Verantwortlichen und Politiker es euch mal nach tun – auch und gerade auch mal zu ungemütlicheren Zeiten.

    • Jörg Braun sagt:

      Die Durchgangszüge sind imho insofern deeskalierend, als dass es darin nicht so leicht möglich ist, durch lautstarke (verbale) Dominanz zu belästigen, eben weil die Räume undefinierter sind. Die breitbeinige Mackerhhaltung ist dort imho aber einfacher, weil die längs angeordneten Sitzreihen und die größere Beinfreiheit zur Mitte des Waggons hin dies begünstigen. Dennoch empfinde ich unterm Strich die Durchgangszüge als angenehmer, weil eben der Gesamtraum nicht so eng erscheint.

  3. Julia Seeliger sagt:

    Wenn blöde Sprüche oder Aggressionen kamen, gingen diese von Männern aus und in drei von vier der erlebten Fälle, waren im weitesten Sinn Drogen im Spiel, da die Männer betrunken oder laut Eigenaussage bekifft waren. Das ist kein schöner Zusammenhang, und er macht uns auch ein wenig ratlos, denn eigentlich sind wir überzeugt vom Recht auf Rausch.

    Eigentlich? Ratlos? Auch auf Drogen hat es keine Übergriffe zu geben. Genauso wie man Frauen (Männer), die auf Drogen vergewaltigt wurden, dafür nicht verantwortlich machen darf.

    • ruhepuls sagt:

      Liebe Julia, das steht da auch nicht, denn selbstverständlich rechtfertig Rausch kein übergriffiges Verhalten. Es ging darum, dass Gegner des Rausches das Erlebte als Argument für ihr Anliegen nutzen könnten.

  4. christinefi sagt:

    Können wir davon auch eine Langfassung haben? Als ich in Berlin lebte, bin ich leidenschaftlich gerne U- und S-Bahn gefahren, das kannte ich nicht aus meiner Heimatstadt (in Freiburg gibt’s nur Trams), und ich würde gerne mehr über diesen Tag lesen. Mit Rausgucken, Gerüchen, Geräuschen, Impressionen. Quasi ein bisschen Mitreisen. :)

  5. M. sagt:

    Meint ihr Rathaus Spandau oder Altstadt Spandau oder beide bei der Aufzählung verwaister Bahnhöfe?

    • ruhepuls sagt:

      In Richtung Spandau war eigentlich gegen Ende alles verwaist..

      • Marian Funk sagt:

        aaaaaaah, ja das stimmt allerdings. bis man in spandau ist gibts ne menge stationen bei denen man sich fragt, ob da überhaupt schon mal jemand ausgestiegen ist. nur bei rathaus spandau konnt ichs mir nicht so recht vorstellen, weil da eigentlich meistens was los ist. ich wohn da in der nähe, darum fragte ich..

        meine lieblingsstation ist übrigens rathaus schöneberg.

  6. Stadtbewohner sagt:

    Ein wirklich tolles Projekt, ich bin ganz begeistert! Bestimmt anstrengend zwischendurch, aber sehr amüsant. Ich werde mal darüber auf meinem blog schreiben..

    lg Stadtbewohner

  7. […] Ergebnis ist beruhigend: Es sei “fast nichts und erst recht nichts Schlimmes passiert“, bilanzieren […]

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