Buchgedanken und ein Comic-Tipp zum Welttag des Buches

Foto , CC BY-NC-ND 2.0 , by misschristi1972

Welttag des Buches! Fast schon zu naheliegend, da etwas über Bücher zu schreiben. Interessanterweise ist der Tag, der sich in Deutschland vor allem durch lesefördernde Spendenaktionen für Schüler_innen auszeichnet, aber nicht nur ein Tag für Lesekultur – sondern in vollem Wortlaut der “Welttag des Buches und des Urheberrechts”.

Wer heute etwas über Bücher schreiben will, der_die ist auch schnell beim Thema Urheberrecht. Vor allem, wenn es um deren digitalisierte Form geht, das eBook – keine Buchmesse, kein Verlag kommt heute mehr um dieses Thema herum, bei dem sich in der Branche oft trotzige Euphorie mit nackter Panik mischt. Und bislang hat sich der deutsche Buchmarkt hier nicht so richtig mit Ruhm bekleckert. Da wären die Preise von eBooks, die dank Buchpreisbindung zumindest bei gleichzeitigem Erscheinen eines gedruckten Buchs meist noch deutlich höher sind als in anderen Ländern. Da wäre der Versand-Gigant Amazon, der mit dem populären eReader Kindle weiter am eigenen Monopol mauert – mit einem eigenen eBook-Format, das sonst nirgends läuft, und gleichzeitigem Ausschluss des offenen eBook-Standards ePub.

Reader anderer Hersteller versuchen es mit eigenen Formaten, eigenen Allianzen mit großen Buchhandelsketten – alle wollen ihr Stück vom Kuchen und möglichst viel davon, und die Kund_innen kennen sich im Kompatibilitätswald nicht mehr aus. Ganz davon abgesehen, dass ja nie so ganz klar ist, welche Rechte ich eigentlich habe, wenn ich ein eBook erworben habe – kann ich es verkaufen? Kann ich es verschenken, wenn ich durch bin? Nun, in der Regel: . Die Buchbranche erging sich bislang eher in Jammerei über die (angeblich) vielen schädigenden illegalen Downloads von eBooks – statt sich zu fragen, warum dies für manche eventuell eine attraktive Option ist, und ob vielleicht die Preis- und Lizenzpolitik, Formate und Angebote etwas damit zu tun haben und dringend reformbedürftig sein könnten. Als einzige “Idee” zur Förderungen legaler eBook-Verkäufe warf der Börsenverein für den Deutschen Buchhandel 2011 einen weiteren eReader ins Rennen. Das wäre doch nicht nötig gewesen.

Wieso hat dieses Buch keine Volltextsuche!

Da sind wir doch mit den als “Totholz” geschmähten Papierbüchern auf der sicheren Seite: die können wir einfach tauschen, leihen, verkaufen, bekritzeln und nach dem in-die-Badewanne-schmeißen einfach wieder trocknen. Doch, wer wie ich in letzter Zeit schon mal das unangenehme, phantomschmerzartige Gefühl hatte, in einem gedruckten Buch automatisch nach einem Wort, einer Passage, einer Seite suchen zu wollen, die- oder derjenige weiß, dass es keinen Weg zurück gibt.

Der Text hat im Elektronischen neue Qualitäten bekommen, die ihn entkörperlicht und ihn neu und anders teilbar, erfahrbar, kommentierbar und damit oft auch qualitativ reicher gemacht haben. Doch ganz abgesehen von den Jahrhunderten, die das gedruckte Buch schon überdauert hat und noch überdauern wird (es mag ein etwas müßiger, nörgelig klingender Hinweis sein, aber bislang ist Papier tatsächlicher noch langlebiger als digitale Datenträger – mit gewissem Vorsprung), denke ich, dass noch eine ganze Weile gedruckte Bücher erscheinen werden. Mehr noch, wenn Materialität der prägende Unterschied in der Konkurrenz zum Digitalen wird, dann wird es vor allem gut für jene Bücher aussehen, bei denen dies ein entscheidender Faktor ist. Großformatige Bücher. Bunte Bücher. Sehr kleine Bücher. Bücher aus besonderen Materialien. Bücher mit vielen Bildern. Und da sind wir auch schon bei einem meiner Lieblingsthemen: Comics!

Das Comic im Netz

Comics funktionieren natürlich auch im Digitalen – und erhalten dort, ähnlich wie Texte, neue Qualitäten. Webcomics wie xkcd, The Oatmeal, sinfest und unzählige großartige mehr (eure Lieblinge könnt ihr gerne in den Kommentaren hinterlassen) haben bewiesen, dass digitale Publikationsformen gerade hier von großem Vorteil sein können – ein Comic drucken zu lassen ist noch mal weitaus teurer als ein Buch nur mit Text, die Verlagslandschaft ist kleiner und hat weniger Geld, und über das Netz können Comic-Künstler_innen bekannt werden, bevor sie die Möglichkeit haben, auf Papier zu veröffentlichen. Mehr noch sind im Netz Erzählformen möglich, die mit den technischen Möglichkeiten des Digitalen, mit Animation und Aufbruch von klassischen Leserichtungen experimentieren.

Der Comic-Zeichner und -Theoretiker Scott McCloud, der viel mehr als durch Erzählungen für seine gezeichneten Comic-theoretische Werke wie das legendäre “Understanding Comics” bekannt ist, zeigt dies etwa in seinem Web-Comic “The Right Number”. Auch sonst beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema Web-Comic und der Bedeutung der Digitalisierung für die Literaturform. In einem ebenso dichten wie unterhaltsamen Vortrag beim Internationalen Literaturfestivals in Berlin stellte McCloud diverse lesenswerte Web-Comics und deren neue Möglichkeiten vor – gab aber trotzdem wichtige Grenzen zu bedenken.

Denn in den meisten Comic-Erzählungen ist das Format immer noch ein wesentlicher Bestandteil der gestalterischen und damit auch erzählerischen Qualität – die Beschränkung auf eine bestimmte Seitengröße und -Format, Panelform und Seitengestaltung, Farb- und Papierauswahl sind ein Teil der Erzählung und als solche nicht einfach elektronisch zu substituieren und beliebig auf die Form eines digitalen Endgeräts zu skalieren. Selbst die farbstarken Tablets taugen nur eingeschränkt: sie werden als eBook-Reader in der Regel hochkant gehalten. Eine aufgeschlagene Comic-Erzählung, bei der sich die zwei Seiten einer Doppelseite in der Regel aufeinander beziehen, ist aber quer zu lesen – und so gehalten bietet auch ein Tablet kaum genug Platz.

Comics sind offenkundig ein Bereich, in dem die Digitalisierung noch lange nicht alle Fragen beantworten kann. Und das muss sie ja auch nicht. Wir hören Musik aus riesigen Online-Datenbanken über das Netz – trotzdem sind die Verkaufszahlen von Vinyl-Platten in den letzten Jahren stetig gestiegen. Neu gekauften Platten liegt dann oft einfach ein Download-Code für die digitale mp3-Version bei. Friedliche Koexistenz ist möglich! In der einen oder anderen Form könnte dies auch für das gedruckte Buch eine Zukunftsvision sein.

Kennt Ihr eigentlich Olympe de Gouges?


Meine Leseempfehlung zum Welttag des Buches kann nun natürlich nichts anderes sein als ein Comic – ein gedrucktes! Und nachdem bei der Wahl des Datums für den Welttag des Buches mal wieder nur Autoren bedacht wurden, und Buchdruck-Denkmale in Deutschland auch 2006 noch kaum Autorinnen kennen, freut es mich besonders, nun die Comic-Biographie einer feministischen Pionierin vorzustellen.

“Die Frau ist frei geboren – Olympe de Gouges” (Splitter, 2013) erzählt das Leben der französischen Schriftstellerin, Revolutionärin und Frauenrechtlerin Marie Gouze (1748-1793), die sich selbst den Namen “Olympe de Gouges” gab und mit der Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin 1791 die erste Forderung gleichberechtiger Menschenrechte vorlegte. Die 480 Seiten starke Graphic Novel erzählt in schwarz-weißen, sehr dichten Bildern das Leben de Gouges von ihrer Geburt in einer außerehelichen Beziehung bis zu ihrer Hinrichtung durch die Jakobiner, die sie sich nicht zuletzt durch ihr Eintreten für die Rechte der Frauen zum Feind machte. In der sachlichen Ausführlichkeit und den nicht immer leicht zu unterscheidenden, weil nur wenig typisierend gezeichneten Figuren ist “Die Frau ist frei geboren” sicher keine rasche Comic-Lektüre für zwischendurch, dafür bekommen Leser_innen aber wirklich etwas geboten für den nicht unbedingt niedrigen Preis. Mit ausführlicher Zeittafel und vielen zusätzlichen Kurzbiographien zu wichtigen Personen in de Gouges’ Leben gibt es viel interessanten Bonus-Content zu der in Deutschland noch viel zu unbekannten frühen Feministin. (Und wer den Preis des deutschen Verlags, dafür aber Französisch nicht scheut, kann alternativ auch das Original von Casterman, erschienen 2012, erwerben).

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7 Antworten zu “Buchgedanken und ein Comic-Tipp zum Welttag des Buches”

  1. Anne Wizorek sagt:

    Mein absoluter Lieblingswebcomic: http://www.dieselsweeties.com/ Außerdem: http://asofterworld.com/ (wobei das vielleicht nicht als klassischer Comic zählt?) Und natürlich: http://questionablecontent.net/ :)

    Ansonsten habe ich erst vor kurzem „Die Zeit und Gott“ von Aike Arndt gekauft und bin furchtbar verknallt in den charmanten Humor. Habe auf jeden Fall die ganze Zeit herzlich gekichert und kann es deshalb wärmstens weiterempfehlen: http://www.gottcomics.de/die-zeit-und-gott/comic-vorschau.html

  2. Julian Finn sagt:

    Webcomics! Also Saturday Morning Breakfast Cereal (http://smbc-comics.com) find ich bisweilen noch brillianter als XKCD, dazu möchte ich ja Savage Chickens empfehlen, der zwar nicht immer Großartig ist, aber bisweilen brilliante Momente hat. http://www.savagechickens.com/

    • Auto_focus sagt:

      Haha, nach SMBC hatte ich die ganze Zeit beim Schreiben in meinem Kopf gekramt, aber es wollte mir nicht einfallen. Danke!

  3. strucky like sagt:

    Toller Artikel! Sehr schöne Webcomics aus diesen Gefilden hier sind http://www.18metzger.de/ und http://enjambements.blogspot.de/ , wobei letzterer gerade eher zum lyriker mutiert. Ansonsten: http://pbfcomics.com/ , http://mycardboardlife.com/ und natürlich http://harkavagrant.com/ und und und…

    • Auto_focus sagt:

      Danke für das Lob <3 Und für die Tipps!! Werde mir heute Abend zum Web-Comic-Lesen frei halten müssen…

  4. Franziska sagt:

    Super Comic-Tipp! Werde ich mir auf jeden Fall besorgen :) Liebste Grüße aus der Frankfurter Heimat!