Von #unten und #oben – Wir müssen übers Erben sprechen

Foto , by Samuel Zeller

Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Francis.

Francis Seeck ist Kulturanthropolog_in, Autor_in und Antidiskriminierungstrainer_in und promoviert aktuell zu kollektiver Fürsorge/Care-Arbeit in trans* Räumen. Francis arbeitet zu den Themen Klassismus, Care, Trauer und geschlechtliche Vielfalt und ist beim Institut für Klassismusforschung aktiv, einem Netzwerk von Akademiker_innen aus einem Armuts- oder Arbeiter_innenhintergrund. 2017 veröffentlichte Francis bei Edition Assemblage „Recht auf Trauer. Bestattungen aus machtkritischer Perspektive“.


Homepage von Francis @Francis__Seeck

Im November berichteten ich und tausende andere Menschen unter dem Hashtag #unten über Erfahrungen mit Klassismus. Klassismus bezeichnet die Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft oder ökonomischen Position in der Gesellschaft. Von Klassismus betroffen sind zum Beispiel erwerbslose Menschen, wohnungslose Menschen und Student_innen aus einem Arbeiter_innenhintergrund. Menschen berichteten von Diskriminierung ,denen sie als Arbeiter_inkinder an Schulen und Hochschulen ausgesetzt waren, von Schikanen durch Jobcenter und Arbeitsagenturen. Von Scham und Sprüchen wie: „Du gehörst doch eh nicht aufs Gymnasium“ und Vorwürfen „du hast dich einfach nur nicht richtig angestrengt.“


So wichtig ich die Debatte finde: Wenn wir für eine wirklich gerechtere Gesellschaft kämpfen, dürfen wir das #oben nicht auslassen und müssen über diejenigen mit Geld sprechen – vor allem über die, die es erben.

Unsichtbare Sicherheitsnetze

Ich erinnere mich noch genau an den Moment, in dem eine Bekannte mir gestand, dass sie sich nun bald eine Eigentumswohnung kaufen würde. Vorher war sie immer die Erste gewesen, die betonte hatte, wie “arm und prekär” sie doch gerade wäre. Als wir beide für eine Zeit lang ALG2 bezogen, wunderte ich mich, mit welcher Gelassenheit sie dies tat, während ich jeden Tag zittrig zum Briefkasten ging, weil ich einen neuen Brief vom Jobcenter befürchtete. Sie fragte mich immer, warum ich denn so gestresst sei. Ich fragte mich nur, warum ich nicht genau so entspannt sein konnte wie sie.

Die Antwort darauf war ernüchternd. Denn wie sich herausstellte, hatte sie vorm Beantragen von ALG2 ihre Ersparnisse auf Konten von Freund_innen verteilt, um später wieder Zugriff darauf zu haben. Ich dagegen hatte nicht mal Ersparnisse, die ich irgendwo hätte in Sicherheit bringen können.

Wir saßen also in ihrer Neuköllner 1-Zimmer Wohnung, eingerichtet mit Möbeln vom Flohmarkt und Ebay-Kleinanzeigen. Ich schaute sie entgeistert an und fragte sie, wie sie sich denn eine Eigentumswohnung leisten wolle? Nach einem langen Moment des Schweigens berichtete sie mir beschämt von einer Erbschaft. Ich hatte ein Tabuthema angesprochen und sie versuchte ihr Erbe kleinzureden.

In dem Moment merkte ich, was uns trennte: Neben unseren unterschiedlichen biografischen Hintergründen, waren es auch unsere Perspektiven für die Zukunft. Und die Möglichkeit, Fehler zu machen.

Denn egal, wie sie fallen würde, war da immer noch ihr finanzielles Sicherheitsnetz.

Der große Unterschied: Reich erben oder nicht?

Privatvermögen ist in Deutschland sehr ungleich verteilt. Die reichsten zehn Prozent der Haushalte besitzen zusammen etwa 60 Prozent des Gesamtvermögens. Die unteren 20 Prozent besitzen hingegen gar kein Vermögen.

In Deutschland werden jedes Jahr ca. 400 Milliarden Euro vererbt. Die Mehrzahl der Erbschaften können aufgrund hoher Freibeträge steuerfrei entgegen genommen werden.

Erbende Kinder können bis zu 400.000 Euro steuerfrei entgegennehmen. Den Höchststeuersatz von 30% muss ein erbendes Kind erst zahlen, wenn ein Erbe 26 Millionen übersteigt. Jedes Jahr wird mehr Geld vererbt, wobei es jedoch große Unterschiede zwischen den neuen und alten Bundesländern gibt. In Westdeutschland machen Erbschaften ca. ein Drittel des Gesamtvermögens aus.

Es kommt also immer weniger darauf an, was du eigentlich für einen Job machst und wie hart du arbeitest, sondern eher, wie viel Geld du von deiner Herkunftsfamilie erben wirst.

Das ist der Faktor, der uns trennt: Wirst du reich erben oder nicht?

Schulden erben

Ich arbeite seit einigen Jahren als Antidiskriminierungstrainer_in zum Thema Klassismus/Soziale Ausgrenzung. Ich gebe diese Seminare für feministische und queere Aktivist_innen, aber auch Lehrer_innen und Sozialarbeiter_innen. Zu Beginn der Trainings hänge ich im Seminarraum Plakate mit Fragen auf wie „Haben deine Eltern studiert?“ oder „Wirst du erben?“ Die Seminarteilnehmer_innen können Punkte verteilen: Ja, ich werde Vermögen erben. Nein. Oder: Ich werde Schulden erben. Gerade in feministischen und queeren Räumen gehen Teilnehmer_innen häufig davon aus, dass sie in einer ähnlichen Klassenposition sind und einen ähnlichen Hintergrund haben, obwohl die Unterschied häufig enorm ausfallen.


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Wenn wir in den Workshops übers Erben sprechen, versuchen Menschen oft ihre Klassenprivilegien herunterzuspielen. „Aber ich werde doch nur 500.000 Euro erben!“ „Ich kriege nur ein Haus in Süddeutschland vererbt. Wer will denn da schon wohnen?“ Viele schätzen auch ihren eigenen Klassenhintergrund völlig falsch ein.

Einmal wollte ein Teilnehmer an einem Selbstermächtigungs/Empowerment-Workshop für Menschen aus einem Armuts- oder Arbeiter_innenhintergrund teilnehmen. Er habe ein Haus von seinen Eltern geschenkt bekommen, die als Professor und Ärztin arbeiten. Allerdings sei das Haus reparaturfähig und er musste so unglaublich viel Arbeit reinstecken. Teilnehmen wolle er aber vor allem, weil er nicht an Lohnarbeit glaube und Geld in unserer Gesellschaft überbewertet wird.

Ich schätze die ungläubigen Blicke von uns anderen sagten alles. Trotzdem musste ich ihn noch eine Weile davon überzeugen, dass der Empowerment-Workshop eher für andere Menschen gedacht war.

Ich bin immer wieder entsetzt, wie wenig Wissen bei den meisten Teilnehmer_innen aus einem bildungsbürgerlichen- oder Mittelklassenhintergrund über soziale Ungleichheit vorhanden ist.

Sie wissen weder, wie ALG2 funktioniert, noch wie über Erbschaften Ungleichheit reproduziert wird. Ich hingegen war schon mit zehn Jahren bei Hartz4-Protesten dabei, musste mit in die Arbeitsagentur und meine Mutter gab mir wertvolle Tipps. Zum Beispiel: Trau keiner Behörde. Kopiere immer alle Formulare die du im Sozialamt abgibst, da sie sonst eventuell verschwinden werden.

Es gibt natürlich auch diejenigen unter uns, die Schulden erben werden. Als mein Vater starb, musste ich das Erbe ausschlagen, da er verschuldet war. Dies bedeutete damit aber auch, dass ich keinerlei Möglichkeit hatte, persönliche Sachen von ihm zu behalten. Alles von ihm ist weg. Am Telefon wollte die Behörde meiner Mutter und mir nicht einmal verraten, welche_r Nachlassverwalter_in sich um den Fall kümmerte, sondern uns wurde nur an den Kopf geworfen: „Da war eh nichts von Wert dabei!“

Mein Vater hatte gemalt und geschrieben. Aber da er von Sozialhilfe lebte, wurden seine Erinnerungen nicht als wertvoll betrachtet.

Diejenigen von uns, die Schulden erben, haben auch nicht die Möglichkeit, irgendwann in den Räumen unserer Kindheit in Erinnerungen zu schwelgen. Die Tür der Wohnung wird von der Polizei zugeklebt, Zutritt strafbar.

Wir werden keine Möbel, Bücher und Bilder unserer Eltern erben und unser Trauerprozess wird somit noch erschwert.

Über Geld spricht man doch

„Über Geld spricht man nicht!“ Viele Menschen in meinen Workshops betonen, dass ihnen dieser Satz in ihrer Kindheit antrainiert wurde. Und ja, es ist schwer über Geld zu sprechen. Darüber zu reden, wie viel Geld unsereins eigentlich zur Verfügung hat. Wie viel hast du eigentlich zum Leben? Wie viel hast du gespart? Was wirst du erben? Oder eben auch nicht? Es ist unangenehm und macht deutlich, was uns trennt.

Es ist unangenehm für Menschen zu merken, dass sie doch eher viel Geld zur Verfügung haben, ohne jemals wirklich etwas dafür getan zu haben. Zu merken, dass sie dadurch unbeschwerter durch die Welt gehen können, während andere das mit großer Angst und ohne jegliches Sicherheitsnetz tun.

Wenn wir in den Workshops ganz konkret über Vermögen und Nicht_Erben sprechen, wird es oft ganz ruhig. Soziale Ungleichheit ist plötzlich keine abstrakte Zahl mehr.

Manchmal erzählen mir auch Leute mit einem privilegierten Klassenhintergrund „Geld allein macht nicht glücklich“ und möchten dann mit mir über ihre schwierigen Kindheiten sprechen. Oder darüber, wie sie ein Jahr mit wenig Geld gelebt und dies dann später auf ihrem Blog vermarktet haben.

Wenn dich weniger Geld wirklich glücklicher macht, dann bitte: verteile dein Erbe um! Verteile es an die Menschen, die weniger haben oder Organisationen, die gegen soziale Ungleichheit kämpfen.

Wir müssen über Geld sprechen! Und es dann aber auch konkret umverteilen.

Erbe für alle?!

Während ich und andere Menschen beim Hashtag #unten von Klassismuserfahrungen berichteten, wäre es nun an der Zeit, dass sich Menschen mit Vermögen und materiellen Privilegien zu Wort melden. Wie viel wirst du erben oder hast du schon geerbt? Hast du überlegt, wie du dein Erbe umverteilen kannst? Welche Ideen für eine gerechtere Erbschaftspolitik hast du?

Beim Thema soziale Ungleichheit sollten nicht nur von Klassismus Betroffene sprechen, während alle anderen schweigen und weiter versuchen ihre Klassenprivilegien zu verstecken.

Wir müssen dafür kämpfen, dass der eigene Bildungszugang nicht von dem unserer Eltern abhängt. Aber solange wir nicht auch über Geld und Erbe reden, sind das nur Minischritte auf dem Weg zu einer gerechteren Gesellschaft.

Doch wie können wir diese besser umsetzen?

In lesbischer und feministischer Geschichte gab es bereits einige Gruppen, die auf Klassenunterschiede aufmerksam machten und Umverteilung einforderten. Eine Berliner Gruppe von „Prolllesben“ richtete dazu beispielsweise ein Umverteilungskonto ein, auf dem anonym eingezahlt und abgehoben werden konnte. Der Ungleichheitsforscher Tony Atkinson machte dagegen den Vorschlag ein „Erbe für alle“ einzurichten: In Deutschland könnte dadurch bei einer Erbschaftsteuer von 20% jede Person zum 18. Lebensjahr 20.000 Euro in die Hand gedrückt bekommen.

Dies wäre ein Beginn.

Zum Weiterlesen

Artikel bei derFreitag „Sollen sie doch Ratten jagen“ – Eine kleine Diskursgeschichte der Hate Speech gegen Arme
Radio-Feature vom BR „Warum unsere Gesellschaft die Armen verachtet“
Blog Class Matters
Blog Denkwerkstatt
Projekt Sanktionsfrei
Buch „Wir Erben – Was Geld mit Menschen macht“ von Julia Friedrichs
Buch „Klassismus – Eine Einführung“ von Andreas Kemper und Heike Weinbach

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