Ein Liebesbrief für all meine Schwestern* in einer Welt voller Hass
An meine lieben Schwestern* im Kampf,
Das letzte Jahr war hart. Du, ich, wir haben viele Dinge erlebt, die uns emotional mitgenommen haben, viele davon haben wir nie zuvor erlebt. Auch wenn es nicht das erste Mal ist, dass Du traurig bist. Dieses Land hat Dir schon so häufig das Herz gebrochen. Du bist schon diskriminiert worden, oft, häufig, viel zu häufig. Weil Du anders aussiehst oder einen anderen Namen trägst als die Leute in Deiner Schulklasse. Weil Du ein Hijab trägst. Weil Du existierst.
Immer wieder hast Du die Hoffnung verloren, dass es eine Zukunft für Dich in Deutschland gibt, auch wenn Du hier geboren wurdest oder Deine Familie seit Jahrzehnten hier lebt. Europa, die Idee eines friedlichen, freien Bundes von Staaten, in denen Du Dich frei bewegen kannst, wurde in Frage gestellt und Du wurdest enttäuscht. Nach dem Brexit ist die Aggression enorm gewachsen, Hass-Kriminalität ist in den Wochen und Monaten nach dem Referendum signifikant höher als im Jahr davor. Dämme des Unsagbaren gegenüber Minderheiten sind gebrochen, in Deutschland und dem Rest der Welt. Du, Ich, Wir haben uns noch nie so hilflos gefühlt. Wir können nicht wirklich erklären, warum es diesmal anders ist und wir müssen auch nicht.
Du, Ich, Wir haben den Hass wachsen sehen, wir haben zusehen müssen wie Menschen, die Hass propagieren, öffentliche Räume einnehmen und ihre Abscheu gegen uns salonfähig wird. Angriffe auf Unterkünfte von Geflüchteten, Racial Profiling wenn wir im Zug sitzen, die immer größer werdende Zahl von Hass-Kommentaren im Internet, denen wir begegnen. Du, Ich, Wir kämpfen jeden Tag, wir kämpfen jeden Tag ums überleben und es gibt genügend Tage an denen wir uns fragen, wofür kämpfen wir eigentlich? Lohnt sich unser Kampf, wenn die andere Seite so hasserfüllt und stark ist?
Aber Du hast, genauso wie ich, die Worte von der amerikanischen Politaktivistin Assata Olugbala Shakur im Kopf, die sagte:
“Nobody in history has ever gotten their freedom by appealing to the moral sense of the people who were oppressing them”
moralische Gefühl der Menschen appellierte, die sie unterdrückten.)
Du, Ich, Wir wissen, dass Freiheit ein andauernder Kampf ist, und wir kämpfen ihn schon unser ganzes Leben. Die US-amerikanische Schriftstellerin und Aktivistin Audre Lorde sagte einmal:
“I am not free while any woman is unfree, even when her shackles are very different from my own.”
auch wenn ihre Fesseln ganz andere sind, als meine eigenen).
Das sind Meine, Deine, Unsere Vorbilder, hinter denen wir uns vereinen, Deine Schwestern* im Kampf: die Vergessenen, die, deren Ideen verworfen wurden, die Enteigneten, die Entrechteten, die am wenigsten Respektierten. Die, die am häufigsten angegriffen werden.
In den letzten Wochen, wenn nicht sogar schon Monaten, hast Du verschiedene Versionen von: „Verzweifle nicht, organisiere dich“ oder „Weinen wird nichts verändern“ gehört. Dir wurde gesagt, Du solltest weniger fühlen, weniger mit dem Herzen denken und stattdessen (re-)agieren. Die Menschen die zu Dir, Mir, Uns kommen und nach Unterstützung und Trost fragen, sind dieselben Menschen die Dir, Mir, Uns sagen, dass wir nicht weinen sollen, dass wir aufhören sollen zu fühlen, wir sollen aufhören zu trauern.
Wenn wir uns also entschließen, zu fühlen und damit den Mechanismen der Unterdrückung, die unseren Schmerz unsichtbar machen wollen, zu widerstehen, sind wir nicht nur Spielverderber*innen für uns selbst, sondern auch für andere Menschen. Aber das ist ein falscher Blick auf uns! Unsere Tränen sind unser Handeln, auch wenn Andere das nicht verstehen. Deine Wut, Dein Zorn muss nicht produktiv sein. Deine Entrüstung ist genug, allein die Fähigkeit, dass Du so tief fühlen kannst, ist Deine, Meine, Unsere Stärke.
Braune Frau*, mutige Frau*. Muslimische Frau*, die immer wieder einen Weg gefunden hat, sich aus den Trümmern des öffentlich über sie verbreiteten Hasses und der täglichen Angriffe herauszuholen. Schwarze Frau*, die gelernt hat, sich selbst zu heilen, selbst wenn die Welt sagte, sie sei nichts wert. Queere Frau*, deren Existenz allein ein Akt des Widerstands ist. Die kommenden Tage, Wochen, Monate werden dunkel. Sie werden hart sein. Der Wahlkampf wird auf dem Rücken von vielen von uns ausgetragen werden. Ich kann es nicht beschönigen.
Aber heute möchte ich euch sagen, Du, Ihr inspiriert mich. Und ich möchte, dass Du weißt, dass ich Dich sehe. Ich sehe Deine Anmut. Ich sehe Deine Kraft. Ich sehe Deine Stärke. Ich sehe Dein Feuer. Danke für das Leuchten.
Mich macht dieser Text sehr traurig. :(
Trotzdem oder vielleicht auch gerade deshalb finde ich in diesen folgenden Liedzeilen Trost und Ermutigung: Ich will doch nur ein bisschen.. https://vimeo.com/199259377
In diesem Sinne: nur nicht unterkriegen lassen vom Grauen. Expelliarmus Hass und grauenvolle Welt // Expecto Patronum Liebe und Respekt!
Ein Liebeslied für alle Feminist*innen, Rebel Girls und Schwestern im Geiste! :) https://vimeo.com/204510700