Klebepoetiken: Über Laptops & Aufkleber

© , by Daniel Warwel

Wie wir unsere Laptops mit Aufklebern dekorieren, sagt viel über uns aus. Dabei entfalten sich seltsam analoge Aufkleberpoetiken, denen Daniel mal auf den Grund geht.

Die Sommerferien vor meinem 5. Schuljahr waren besonders aufregend. Nicht nur weil ich bald auf das städtische Gymnasium wechselte, sondern auch wegen der Vorbereitungen, die deswegen getroffen wurden: Ich durfte mir ein neues Outfit für den ersten Schultag aussuchen, ich bekam eine neue Schultasche – und auch ein neues Mäppchen, ein Federmäppchen (oder auch: Schludermäppchen) aus hellem Leder. Die waren in der Grundschule nämlich nicht erlaubt, angehenden Gymnasiast_innen schien man potentielle Unordnung bei der Stifte-Aufbewahrung jedoch durchaus zuzutrauen. Das beste an diesen Mäppchen war jedoch, dass man es bekritzeln, bemalen, kurz: individualisieren, konnte. Um mich also ausreichend vorzubereiten, schnappte ich mir das Ledermäppchen meines großen Bruders, studierte die Sprüche, Verzierungen und Kritzeleien ausgiebig und fing an sie akribisch auf mein neues Mäppchen zu kopieren, in der Hoffnung, etwas von der Coolness meines Bruders würde damit auch mit auf mich übertragen werden.

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Als mein alter Laptop vor Monaten ihren Geist aufgab (RIP, Melissa Rockbottom!) und ich endlich einen neuen hatte, fühlte ich mich wieder in mein 10-jähriges Ich zurückversetzt, das vor dem blanken, unberührten Ledermäppchen saß und überlegte, wie man diesem Gegenstand am besten diese Aura des Neuen austreiben könnte. Durch Verzierungen wie Zeichnungen oder Aufkleber wird das standardisierte Massenprodukt auf einmal zu einer Projektionsfläche der eigenen Individualität: Wer diese Objekte dann benutzt oder auch nur betrachtet, nimmt sie nicht mehr nur in ihrer bloßen Funktion wahr (ein Mäppchen, ein Laptop), sondern wird sich bewusst oder unbewusst fragen, ob und welche Rückschlüsse ihre äußere Gestaltung auf meinen Charakter zulässt.

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Neben dem bemalten Mäppchen oder Rucksack reihte sich – für die, die es sich leisten können – schon seit Längerem der Laptop ein, zusammen mit den anderen elektronischen Geräten wie Smartphones, die mittlerweile so oft unseren Alltag strukturieren. Vermutlich steigt der Drang unsere Gegenstände zu individualisieren je häufiger wir sie benutzen und wie etabliert die Nutzung dieser Gegenstände ist. Ich kenne dementsprechend kaum eine Person, die ihren Laptop jeden Tag nutzt und ihn nicht mit Aufklebern versehen hat. Und ähnlich wie mit meinem Ledermäppchen in der 5. Klasse musste ich die Auswahl und Anordnung der Aufkleber auf meinem Laptop minuziös vorbereiten und erstmal einige Prioritäten klären: Sollten es nur bildliche Aufkleber sein oder auch abstrakte? Sollen eventuelle Parolen politisch oder nur witzig sein? Soll nur ich etwaige Anspielungen verstehen oder möglichst alle, die jemals einen Blick auf meinen Laptop werfen werden? Wer bin ich überhaupt, wer möchte ich sein und wie kann ich das in Aufklebern auf einem kleinen Macbook ausdrücken?

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Ich entschied mich schließlich dafür Videospiele als Basis für meine Aufkleberpoetik zu nehmen, da der Laptop auch zunehmend als meine Spielkonsole diente. Das mag auf den ersten Blick alles sehr banal wirken, aber diese Form der Individualisierung von Laptops ist komplexer als es vielleicht den Anschein erweckt: Normalerweise richtet sich unsere Aufmerksamkeit auf das, was sich auf dem Bildschirm und der Tastatur abspielt. Unsere digitale Kommunikation findet statt indem wir in die Geräte schauen und nicht auf sie; diese Geräte sind aber in der Regel für die Teilnehmer_innen eines virtuellen Gespräches nicht sichtbar. Wenn wir unsere Geräte also mit Aufklebern versehen, richtet sich ihre Botschaft nicht an die, mit denen wir sonst virtuell kommunizieren: Die Aufkleber sind nur von außen sichtbar und entziehen sich damit dem virtuellen Raum.

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Die Poetik der Aufkleber ist also eine analoge und richtet sich an die, die sich so nah bei uns aufhalten, dass sie einen Blick auf unser Gerät werfen können, und das obwohl sie dadurch oft nicht mehr zu denen gehören, für die wir zwingend virtuelle Kommunikationsmittel brauchen (denn wer neben mir steht, um meine Laptopaufkleber zu inspizieren, kann auch direkt mit mir reden und muss mir keine Nachricht schreiben). Dadurch entsteht die paradoxe Tendenz, dass sich die Botschaft, die wir über unsere Aufkleber auf unseren Laptops vermitteln wollen, nicht an die richtet, mit denen wir über unseren Laptop kommunizieren. Sie können Warnung sein oder Schutzschild, unerwünschte Blicke und Kommunikation abblocken oder herbeiführen – je nachdem wie die Botschaft verstanden wird. Und nicht nur das: Das Platzieren und Anbringen der Aufkleber zwingt uns unsere Geräte in ihrer Materialität wahrzunehmen und ihre Hüllen als Raum zu begreifen, in dem wir uns selbst ausdrücken können.

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Ich ließ meinem Videospiel-Fandom freien Lauf und suchte mir auf Redbubble vor allem die Motive zusammen, mit denen ich am liebsten von außen charakterisiert werden würde. Zwischen den Aufklebern ist auch noch ein wenig Platz, sodass ich sie als Collage mit der Zeit immer etwas ergänzen kann. Und es funktioniert: Ich habe sowohl neugierige Nachfragen als auch anerkennende Zustimmung bekommen – und das obwohl ich mir dieses Mal nichts von meinem großen Bruder abschauen musste.

Habt ihr eure Laptops auch mit Aufklebern verziert? Welche habt ihr dafür ausgesucht und warum? Wurdet ihr schon oft wegen eurer Aufkleber angesprochen? Postet uns eure persönliche Aufkleberpoetik & Erfahrungen in den Kommentaren!

6 Antworten zu “Klebepoetiken: Über Laptops & Aufkleber”

  1. LexasLeben . sagt:

    Interessant. Einmal die Tatsache an sich, aber auch die Überlegungen dazu.
    Und da keine These ohne Gegenbeispiele auskommt, möchte ich mich mal als ein solches zur Verfügung stellen. Ich habe früher nämlich weder meine Federmäppchen individualisiert noch tue ich es jetzt mit meinem Laptop. Und ja, er ist täglich in Gebrauch.
    Ich sah das kritzeln auf das Leder immer als Zerstörung an. So schön manche Zeichnung auch war… Und wenn ich mir vorstelle meinen Laptop mit Stickern zu „verzieren“ tut er mir leid. So, wie er hergestellt wurde ist er gut und wirkt seriös. Ich kann ihn immer und überall nutzen, ohne, dass ich dadurch sofort einen bestimmten Eindruck hinterlasse. Kein Statement, einfach nur ein Arbeitsgerät. So mancher Vortrag ist super, aber der Gesamteindruck wird durch bunte beklebte Laptops geschmälert. Wenn es sich wirklich nur um einen privaten Laptop handelt und man für Arbeit/Studium einen zweiten hat, okay, dann könnte ich mir das vorstellen. Aber sobald er mit in die „offizielle“ Öffentlichkeit genommen wird, sollte er bitte neutral bleiben. So zumindest meine Meinung dazu und meine Handhabung des Themas.

  2. Eule sagt:

    Ich hatte früher den wunderbaren Kleber mit dem Falkenweibchen der Frauenperspektiven auf meinem Laptop und noch einen von einer Firma, die Hardware für Gamer herstellt, weil ich das irgendwie cool fand und beide farblich gut harmonierten. Als ich ein Business-Seminar hielt, pulte ich beide wieder ab. Insgeheim schäme ich mich ein wenig für meine Mutlosigkeit, aber andererseits ist das Publikum halt in bestimmten Business-Kontexten so gestrickt, dass es das nicht als Ausdruck der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Subkultur versteht, sondern Kleber mit Kindlichkeit und Unreife gleichsetzt. Und die Mühe, diesen ersten Eindruck der Inkompetenz mit viel Kompetenz und persönlicher Reife wieder auszugleichen, spare ich mir gerne.

  3. analogMensch sagt:

    Irgendwie musste ich doch die ganze Zeit über beim Lesen schmunzeln :D
    Auch meine Laptops waren immer voller Zeug geklebt! Viele Sachen die ich einfach nur schön fand, andere als Statement. Die Auswahl war dabei sehr zufällig, nämlich immer dann, wenn ich irgendwo wieder einen Aufkleber entdeckte, der mir gefiel. Zwischendrin dann einige Bands versteckt, auf deren Konzerten ich war und auch dort Klebematerial abgestaubt hatte.

    Mittlerweile habe ich keinen Laptop mehr, sondern wirklich einen PC hier zuhause stehen. Da klebt noch nichts drauf, weil es niemand sehen würde. Jetzt stapeln sich hier die Aufkleber, und irgendwie weiß ich nicht so wirklich wohin damit…

  4. Slomo Goldfish sagt:

    Mein Mac ist noch frei von Aufklebern, weil ich mich davor gescheut habe, das „saubere“ Gerät zu bekleben (call it neurosis, if you like). Allerdings stieß ich beim Probebier einer Mikrobrauerei um die Ecke auf ein sehr schönes Hopfen-Motiv. Jetzt liegt der Aufkleber auf dem Tisch und wartet auf eine Verwendung.

  5. Louki sagt:

    Interessant! Erst mal danke für den Artikel, der Header und die Überschrift haben mich überhaupt erst auf die Idee gebracht, meinen Laptop zu dekorieren! Vorher war der völlig leer und langweilig. Nun prangen darauf folgende Sticker: „Prokrastinatorische Aktion“, „Getrennt in den Farben, vereint in der Sache – Faschismus bekämpfen“, „Fck Nzs“, „Smash Sexism“ und „All Refugees welcome“. Was sagt das wohl über meine Persönlichkeit aus? Vermutlich, dass ich ein sehr politischer Mensch bin! Aber Referenzen auf Computerspiele finde ich auch nicht übel! Gäbe es so etwas, dann würde ich mir auch gerne einen Sticker von „Monkey Island“ auf meinen Laptop kleben.