Ich hatte einen Parasiten und mich darüber gefreut.

CC BY-NC-SA 2.0 , by Anika Lindtner

Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen.
Dieses Mal kommt er von Simone.

Simone lebt in Berlin, mag ihren sowie ein paar andere Hunde und schweigt nicht gern. Beruflich organisiert sie und privat versucht sie, die vielen interessanten Projekte und Ideen, die sich vor ihr auf tun unter einen Hut zu bringen.

@haas_simone

Triggerwarnung: Beschreibung von Fehlgeburten.

Es ist Anfang August 2014. Meine Menstruation ist ungewöhnlich schwach und ich bin unsicher, wie ich das in meinen Verhütungscomputer eintragen soll. Ich gehe also zu meiner Frauenärztin, um hier einen Rat zum weiteren Vorgehen zu bekommen. Nach der Beschreibung meines Problems fragt sie wie selbstverständlich und als hätte ich da – trotz scheinbarer Menstruation – selbst drauf kommen sollen, ob ich schon einen Schwangerschaftstest gemacht hätte? Nein, warum auch, bis jetzt bin ich ja noch nicht mal in irgendeiner Form “drüber”, habe ja auch Blutungen.

Einen Ultraschall später werde ich gebeten, den „Damen im Vorzimmer“ meinen Urin zur Verfügung zu stellen. Ich selbst solle doch im Flur warten, während dieser ausgewertet wird. Mir ist kotzübel – ein Schwangerschaftssymptom? Tausend Gedanken schießen durch den Kopf. Der, den ich dominieren lassen will, ist meine gewissenhafte Anwendung des Verhütungscomputers, den ich schon seit über einem Jahr benutze und laut dem ich bis jetzt immer zu fruchtbar war, weswegen wir öfter Kondome kaufen mussten als uns lieb war. Die jüngste der „Damen“ macht sich auf, meinen Urin zu überprüfen. Da sie die Tür nicht schließt, kann ich sie dabei beobachten. Ich versuche, weg zu schauen und kann es nicht. Als würde ich an einem Verkehrsunfall vorbei laufen und mich schämen zu gaffen, während ich meine Augen nicht abwenden kann.

Nach einer gefühlten halben Stunde treffen sich unsere Blicke. „Is positiv“, sagt sie mit einem Lächeln und als hätte ich mir genau das gewünscht. In mir dreht sich alles und ich denke, sie macht einen schlechten Scherz, was ich mit meiner Äußerung „Nich wirklich, oder?“ eventuell auch zum Ausdruck bringe. Diese zwei Worte, die mir die Tränen in die Augen schießen lassen und mich zu einer hirnlosen Beobachterin meiner selbst machen, lösen bei den „Damen“ eine komplett entgegengesetzte Reaktion aus: So sehr wurde ich in den ganzen Jahren, die ich in dieser Praxis ein- und ausgehe, nie angelächelt. Als wäre ich jetzt Teil einer besonderen Gemeinschaft.

Leider ist kein Spiegel in der Nähe, ich muss aussehen wie ein Geist, der sich übergeben muss. Aber dieses Gefühl wird mir beim Blick in die fremden Gesichter nicht bestätigt. Vielleicht wird es auch ignoriert oder als Symptom dieses “wunderbaren Ereignisses” gewertet. Das nächste, was ich mich mit Blick auf das Behandlungszimmer sagen höre: „Heißt das, ich muss da jetzt nochmal rein?“ Ja, aber vorher müssen noch ein paar Standard‐Laboruntersuchungen gemacht werden; erst dann werde ich, nach einer weiteren gefühlten Stunde, wieder bei meiner Ärztin vorstellig. „Hab ich es doch gesagt!“ ist ihre – triumphierende – Wiederbegrüßung. „Nehmen Sie bereits Folsäure? Das sollte man schon beim Kinderwunsch tun.“ KINDERWUNSCH? Ich glaube, ich schaue von unverständig bis aggressiv und antworte: „Ich bewerbe mich doch gerade erst. Bis jetzt habe ich noch keine Aussicht auf eine baldige Job‐Zusage.“ Dieser Umstand scheint momentan nicht im Geringsten interessant. Folsäure ist das Thema, außerdem die Eisenaufnahme, die ich trotz meines Vegetarismus – es gehe doch nix über Fleisch als Eisenlieferant! – sichern muss. Außerdem solle ich bitte kein rohes Fleisch essen, aber das mache man ja als Vegetarier [sic] ja sowieso nicht.

Dann solle ich doch bitte in einer Woche wiederkommen. Auf dem Ultraschall sei noch nicht so viel zu sehen, da müsse man dann nochmal gucken. An dieser Stelle fahre ich zurück in meinen Körper: „Heißt das, es könnte sein, dass nächste Woche schon gar nichts mehr da ist?!“ Dieser Satz begleitet mich raus aus dem Behandlungszimmer. Zu den „Damen“, die mich immer noch beseelt angrinsen, sage ich gefasst: „Ich brauche einen Termin für nächste Woche, gucken ob es überhaupt noch da ist.“ Dann gehe ich raus und kann schon im Treppenhaus meine Tränen erneut nicht zurückhalten. Wie ferngesteuert gehe ich in die nächste Apotheke und kaufe Folsäure‐Tabletten.

Der Smiley war komisch

Mein Freund ist nicht zuhause, aber ich kann ihm das doch nicht bei Threema schreiben. Oder doch? Macht das die Sache vielleicht weniger gigantisch? Nein, so etwas kann man nicht mal eben schreiben, deswegen schreibe ich: „Bin zuhause. Komm einfach auch, wenn du fertig bist“. Das klingt zu ernst, es braucht einen Smiley zur Auflockerung. Zwanzig Minuten später klingelt das Telefon. „Komm einfach nach Hause“ rufe ich so gefasst wie möglich. Wieder zehn Minuten später steht er abgehetzt in der Tür. „Ich bin schwanger“, sage ich meine Tränen zurückhaltend. „Hab ich mir gedacht, der Smiley war komisch“, er wirkt geschockt und wir nehmen uns in den Arm.

Der Schockzustand hält den ganzen Tag an. Teilweise starren wir uns einfach nur an. Und der Satz „Erstmal gucken, was nächste Woche rauskommt“ fällt mehrfach. Zur Beruhigung wahrscheinlich.

Nächste Woche könnte sich das ganze als Kurzzeitproblem herausstellen. Es ist noch früh und es kann sein, dass die Schwangerschaft sich nicht weiter entwickelt, dann könnte ich weiter an meiner beruflichen Weiterentwicklung arbeiten – ein guter Job und ein Stadtwechsel waren bis vor ein paar Stunden meine Hauptziele. Auf der anderen Seite haben wir schon mal über Kinder nachgedacht, wenn auch als abstrakte Vorstellung in einer weit entfernten Zukunft. Wenn die Schwangerschaft also weitergeht, dann könnte daraus vielleicht auch etwas Gutes resultieren. Fest steht zu diesem Zeitpunkt nur eins: Wir können das jetzt nicht mehr entscheiden. Denn egal, für was wir uns entscheiden, die Karten sind bereits gelegt, die Schwangerschaft ist vorhanden und schwirrt nicht als Idee, für oder gegen die ich mich entscheiden muss, im Raum. Sie ist körperlich.

Am Nachmittag breche ich noch einmal ein, ich weine und rauche meine letzte Zigarette. Egal wie verwirrt, geschockt, wütend ich war als ich die Praxis meiner Frauenärztin verließ, ich habe direkt nach dem Termin bei meiner Ärztin nicht geraucht, keinen Kaffee getrunken und so weiter. Doch nun brauche ich diese letzte Zigarette, denn ich bin verzweifelt, auch mein Freund weiß nicht, was er sagen soll. Fazit des Tages: „Wir überlassen es dem Schicksal!“

Geht die Schwangerschaft weiter, dann bekommen wir ein Kind. Endet sie nächste Woche, dann haben wir unser gewohntes Leben zurück. Aber schon in den ersten Stunden wird uns eines klar: Freude über dieses Ereignis wird von allen Seiten, vorausgesetzt.

Ich wundere mich, warum niemand auf die Idee kommt, uns zu fragen, ob wir das überhaupt wollen. Anscheinend hat man es zu wollen und überhaupt bin ich doch – anscheinend – “im besten Alter” dafür. Und da ich die Pille nicht nehme, scheine ich es doch darauf angelegt zu haben? Dabei heißt das Gerät VERHÜTUNGSCOMPUTER, nicht Wunschkindcomputer.

Neue Lebensplanung 

Einige Tage braucht es, um mich an die Nachricht zu gewöhnen. Nachdem ich nochmal einen Abend lang die Wut rausgeweint habe, füge ich mich immer mehr in meine neue Rolle als Schwangere und fange an, mich mit dem, was in den nächsten Monaten auf mich zukommt, auseinanderzusetzen. Das Internet hilft mir bei der Klärung der wichtigsten Fragen: Meine Brüste werden jetzt mindestens drei, wahrscheinlich aber die kompletten neun Monate schmerzen; meine Libido sollte nach drei Monaten zurückkehren; der Blähbauch wird mich wahrscheinlich schon in zwei Wochen aussehen lassen als wäre ich im vierten Monat, aber auch das legt sich wieder. Die Hormone werden Stimmungsschwankungen mit sich bringen, bleierne Müdigkeit nur in den ersten drei Monaten, Veränderung des Geschmacks‐ und Geruchssinns und, wie ich vermute, sind nebenbei ausgeschüttete Glückshormone daran Schuld, dass ich trotz all dieser Unannehmlichkeiten immer mehr wirkliche Freude über meinen Zustand empfinden kann. Denn genau das ist passiert. Ich bin zu einer “Bilderbuchschwangeren” mutiert, wie ich sie mir immer vorgestellt habe und hinterfrage diesen Zustand nicht mehr: Nichtrauchen fällt mir leicht, Nichttrinken auch. Wir freuen uns beide als wir eine Woche später erfahren, dass die Schwangerschaft gehalten hat und sich langsam eine Fruchthöhle und anderes in meiner Gebärmutter bilden.

Doch trotz der Akzeptanz, die ich für meinen Zustand empfinde, quälen mich immer wieder die Gedanken über meine neue Lebensplanung. Kann ich immer noch Karriere machen? Wo soll das Geld herkommen, das für eine Familie benötigt wird? Wann kann ich normal arbeiten gehen? Wie lange wird es dauern, bis das Kind in der Kita oder durch eine Tagesmutter betreut werden kann? Können wir uns Kita oder Tagesmutter dann überhaupt leisten?

Panik keimt immer wieder in mir auf, aber im Gespräch mit anderen – wenn auch meist Kinderlosen – werde ich immer wieder beruhigt. Nicht nur mein Freund, der mir zusichert, dass wir alles dafür tun werden, dass ich meinen beruflichen Ideen nachgehen kann, sondern auch meine Familie und Freund_innen bieten mir einen starken Rückhalt, der mich daran glauben lässt, dass alles gut wird.

Mein kleiner Parasit

Die erste Vorsorgeuntersuchung steht an. Der Gedanke, dass nun eine Herzaktivität festgestellt werden soll, ist für mich völlig unglaubwürdig. Ein lebendiges Wesen in mir. Ich als Wirtin eines Parasiten, um es mit Simone de Beauvoirs Worten (Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau, Hamburg 2003, S. 629) zu sagen. Mein Freund und ich gehen als Paar dorthin. Wir sind nun werdende Eltern, da gehört es nun einmal unter anderem dazu, dass er hinter dem Behandlungsstuhl auf einem normalen Stuhl sitzt und auf einem Monitor das Innenleben meines Uterus mitverfolgt und wir freuen uns auch. Allerdings verläuft der Termin alles andere als reibungslos. „Es ist zu klein für die achte Woche“, sagt meine Ärztin. Sie sieht besorgt aus, erklärt aber, dass man sich in der frühen Schwangerschaft durchaus verrechnen kann und der Eisprung später als gedacht stattgefunden haben könnte. Nach diesem Termin ist meine Panik über meine veränderte Lebensplanung komplett verflogen. Es geht nun einzig und allein darum, meinen kleinen Parasiten am Leben zu erhalten. Wie verrückt rechne ich alle Möglichkeiten durch und suche nach Zeitpunkten, an denen die Befruchtung stattgefunden haben könnte, bis einer davon mit der Größe des Embryos übereinstimmt. Eine Woche lang quält uns der Gedanke, dass jetzt schon alles vorbei sein könnte. Mit Freude stelle ich fest, dass die Schwangerschaftssymptome genau jetzt anfangen, sich zu häufen. Meine Brüste haben inzwischen vier Zentimeter mehr Umfang und fühlen sich an als würden sie jeden Moment platzen, aber ich nehme es gern als positives Anzeichen für eine normal verlaufende Schwangerschaft mit Freude hin. Am Ende dieser Woche bekommen wir die Nachricht, dass nun eine Herzaktivität vorhanden sei, ich sei allerdings zwei Wochen später schwanger geworden als gedacht und solle nun in zwei Wochen zum ersten Vorsorgetermin wiederkommen.

Es beginnt nun eine Zeit, in der ich mit Leib und Seele schwanger bin. Die Hormone spielen verrückt. Ich esse Dinge, die ich vorher nicht mochte, in rauen Mengen. Ich koche Marmelade ein und bin zufrieden – trotz Libidoverlust und Blähungen. Durch die Müdigkeit mache ich täglich einen Mittagsschlaf, wobei ich mit der Hand auf dem Bauch einschlafe, um das unaufhörliche Pochen im Unterleib spüren zu können. Noch drei Wochen vorher wurde ich gefragt, ob ich es schon spüren würde und hielt die Fragenstellerin für völlig verrückt, weil es für mich Bewegenderes gab. Nun erliege ich selbst der Faszination des Schwangerseins. Die finanzielle und berufliche Situation setzen mir immer noch zu, allerdings sehe ich mich schon mit Baby im Tragetuch auf Kongressen stehen. Die einzige Sorge, die ich zu diesem Zeitpunkt habe, ist die, dass es dem Embryo nicht gut gehen könnte. Ich errechne mir das Ende der zwölften Woche, diesen magischen Zeitpunkt, an dem die Fehlgeburtenrate auf einen Miniprozentsatz sinkt.

In der Woche, in der der zweite reguläre Vorsorgetermin ansteht, werde ich unruhig. Das Pochen wird weniger; die Sorgen, dass etwas schief laufen könnte, größer. Ich teile anderen meine Sorgen mit, wobei jede_r versucht, mich zu beruhigen. Am Donnerstag minimale Blutungen – laut Internet passiert das häufiger mal in der Frühschwangerschaft, da muss man sich keine Sorgen machen. Am Freitagmorgen gehen mein Freund und ich zu meiner Ärztin. Die „Damen schicken mich durch das Labor“. Ich denke bei mir, ob nicht erstmal nachgeschaut werden sollte, wie nötig das noch ist. Beim Ultraschall dann die Gewissheit: Keine Herzaktivität. Der Embryo immer noch so groß wie in der sechsten Woche, nur die Fruchtblase ist ordnungsgemäß gewachsen. Es folgt der gleiche Schockzustand wie zwei Monate vorher. Und genauso setzt bei der Ärztin die Routine ein.

Sie erklärt mir, dass ich um eine Ausschabung nicht herum komme, denn da die Fruchtblase gewachsen ist, habe ich zu viel Gewebe in mir, das nicht allein abgehen kann. Ich müsse aber nicht direkt heute ins Krankenhaus. Nächste Woche reiche aus. Ich kann die Tränen nicht zurückhalten. Auch nicht, als ich der lächelnden Arzthelferin sagen muss, dass ich keinen weiteren Termin benötige. Sie wirkt ehrlich traurig. Im Aufzug nehmen mein Freund und ich uns in den Arm. Ich frage mich, wann ich das letzte Mal weinend nach Hause gelaufen sei und weiß, dass es war als ich erfahren habe, dass ich schwanger bin.

Emotionales Wechselbad

Insofern hört meine Schwangerschaft auf wie sie begonnen hat: Leichte Blutungen, schockiertes Nebenmirstehen, eine Zigarette zum Runterkommen. Es kam jedoch etwas dazu, für das ich mich schämte: Erleichterung. Am Tag, an dem ich erfahren habe, dass ich eine Fehlgeburt habe und meine Ärztin statt von “Embryo” von “Gewebe” zu sprechen beginnt, habe ich das Gefühl, mein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Am zweiten Tag nach dieser Nachricht hingegen habe ich das Gefühl, das Wertvollste, was ich besaß, aus meinem Körper gerissen bekommen zu haben. Dieses emotionale Wechselbad hält an bis zum Montag, dem Tag der Ausschabung. Ich werde in die beste Geburtsklinik der Stadt auf die Entbindungsstation geschickt, um das Gewebe – also Embyro samt weiterwachsender Fruchtblase – aus dem Unterleib geschabt zu bekommen. Auch hier ist mein Freund während der Stunden des Wartens an meiner Seite. Während Neugeborene an uns vorbei geschoben werden und Hochschwangere sich bewegen, um die Wehen zu fördern, warten wir auf die verschiedenen Behandlungsgespräche bis hin zur OP.

Während in der Vorbehandlung die behandelnde Ärztin in voller Routine ihr Ultraschallgerät in einen Eimer Gleitgel tunkt um zu schauen, ob der Abgang in Schwung gekommen ist, wird mir vom Pflegepersonal und vom Narkosearzt aufrichtiges Mitgefühl und Beileid entgegengebracht.

Schwangerschaft und Etikette

Beim Abschlussgespräch bekomme ich das Gefühl, dass ich mich auch als Frau mit Fehlgeburt nicht der Norm entsprechend verhalte. Auf die Frage „Wann kann ich den Mutterpass wegwerfen?“ bekomme ich einen unverständigen Blick mit dem Hinweis auf eine Broschüre, an der ich wohl kein Interesse hätte, wenn ich so etwas fragen würde. Wieso? Worum ging es denn? Ein Blick auf die Broschüre verriet meinen Fehler: In diesem Krankenhaus werden Fehlgeburten in einer Sammelbestattung beigesetzt und die trauernden – “wurdenden” – Eltern werden zur Beerdigung eingeladen. Spontan wird mir wieder kotzübel. Damit hatte ich nicht gerechnet. Am liebsten hätte ich die Menschen gefragt, ob sie noch alle Tassen im Schrank haben, das „Gewebe“, von dem den ganzen Tag die Rede war, zu beerdigen. Aber mir ist klar, dass ich damit anderen vor den Kopf stoßen würde, die sich anscheinend gut damit fühlen und ich will diesen Menschen meinen Respekt entgegenbringen.

Nun bin ich nicht mehr schwanger. Ich erwarte kein Kind und zwischendurch bin ich sehr traurig darüber, dass mein kleiner Parasit gestorben ist. Aber ich kann nun auch meine Pläne wieder aufnehmen. Meine Schwangerschaft endete Ende der 12. Woche und ich habe gerade mal zwei Monate davon gewusst. Dennoch fühlt es sich an, als müsste ich eine Ewigkeit zurückdenken um da anzuknüpfen, wo ich vor dem positiven Test stand.

Ich habe die positive Erfahrung gemacht, dass ich von einem Netzwerk von Menschen umgeben bin, die für mich da sind, wenn etwas so Einschneidendes passiert. Ich falle weich und dafür bin ich dankbar. Eine (unerwartete) Schwangerschaft hat unheimlich viel mit Etikette zu tun. Frau kann nicht einfach in jeder Runde ihre Wut über dieses Ereignis preisgeben. Freudiges Erwarten wird vorausgesetzt und dem muss man sich fügen, wenn man aus seinem engsten Vertrautenkreis heraustritt. Vor allem, wenn man in einer intakten Beziehung lebt, aber ich wage zu bezweifeln, dass es für alleinstehende Frauen leichter ist, denn hier greift ein anderes Korsett: Vorwürfe, warum sie nicht aufgepasst hat. Selbst schuld, da musst du jetzt durch. Hätte ich mich von Vornherein für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden, dann wäre mir dieser Weg sehr schwer gemacht worden. Weder meine behandelnde Ärztin noch mein Umfeld hätte verstanden, warum ich abtreibe, obwohl ich in einer festen und langjährigen Partnerschaft bin und so viel Unterstützung erwarten kann. Vom ersten Tag an hätte ich mir gewünscht, dass mir eine Wahl gelassen wird, indem ich auf beide Möglichkeiten deutlich aufmerksam gemacht worden wäre. Aber hätte ich eine Abtreibung gewollt, dann wäre mir dafür nicht ohne Nachfrage eine Broschüre in die Hand gedrückt worden, da hätte ich mich schon selbst um Informationen kümmern müssen oder trotz aller Scham und verständnisloser Blicke meiner Ärztin sie direkt danach fragen müssen.

Als ich der Abschlussuntersuchung nach der Ausschabung diese Broschüre vorgelegt bekomme, liegt mir die Frage, ob in diesem Krankenhaus auch Abtreibungen vorgenommen werden, auf der Zunge. Werden diese Abtreibungsgewebe auch bestattet? Oder sind sie es nicht so wert wie mein Gewebe, da hier die Transformation vom Embryo zum Gewebe auf natürlichem Wege entstanden ist und die Schwangerschaft ausgetragen worden wäre, wenn sie gewollt hätte? Diese Frage zu stellen wäre gegen die Etikette gewesen. Als Schwangere und als Fehlgeburt fragt man so etwas nicht. Frau freut sich oder trauert, dazwischen gibt es nichts, was außerhalb des eigenen Freund_innenkreises artikuliert werden darf.

 

6 Antworten zu “Ich hatte einen Parasiten und mich darüber gefreut.”

  1. Susanna sagt:

    Oh mein Gott! Genau so habe ich die „frohe Kunde“ erlebt!
    In der FrauenarztP. lagen Zeitungen und Broschüren für Frauen & Männer rum. Bei denen für die Frauen war von paradiesischen Zuständen die Rede, von himmelhochjauchsent und inniger Zuversicht. Bei denen für die Vätern gings um Unsicherheit, Sorgen, Sich-Gewöhnen und wie man mit dem beseelten Wesen (der Mutter) umgeht. Ich musste erstmal schauen, ob ich nicht doch zum Mann mutiert war.
    Mein Freund freute sich damal ausufernd, was zwar schön war, aber auch viel Druck bedeutete. Diesen Kontrollverlust über mich, mein Leben und meine Zukunft zuzulassen, hat mir alles abverlangt.
    Ich musste keine Fehlgeburt verkraften.
    Ich habe mich dann auch ihm zuliebe mitreißen lassen und heute ist unser Sohn 12 Jahre alt.
    Alles Gute für eine grandiose Zukunft!

    • Mountain_of_Conflict sagt:

      Mitreißen klingt für mich so, als wäre die Unsicherheit über das Kind nicht direkt gewichen. Magst du sagen, wann sich das für dich geändert hat? Bei der Geburt oder schon während der Schwangerschaft?

  2. n.g. sagt:

    Vielen Dank für diesen wichtigen, ehrlichen und sehr persönlichen Beitrag! Es ist so so wichtig, das Thema Fehlgeburt, ungewollte Schwangerschaft und gerade die Achterbahnfahrt an Emotionen beschrieben werden! Ich wünsche dir alles Gute!

  3. Anj sagt:

    Ein sehr bewegender Beitrag.

    Ich würde mich an dieser Stelle nur mit einer kleinen Anmerkung beteiligen: In meiner Praxis geht man keineswegs automatisch davon aus, dass eine Schwangerschaft eine positive Nachricht für die Frau bedeutet. Eine der ersten Fragen, die man nach einem positiven Schwangerschaftstest zu hören bekommt, ist: „Haben sie einen Kinderwunsch?“ Denn je nach Antwort „ja“, „nein“, „vielleicht“ müsste man ja entsprechend früh beraten werden… Dass das bei dir nicht geschehen ist, lässt mich nur fassungslos den Kopf schütteln.

    • Mountain_of_Conflict sagt:

      Eine Frage: Gibt die Ärztekammer oder eine andere Organisation Leitfäden dazu heraus, um auf solche Probleme aufmerksam zu machen? Oder muss man da allein auf das Einfühlvermögen der Ärzte vertrauen, dass so etwas seltener wird?

  4. disqus_WRpDG4PPUK sagt:

    Toller Artikel! Vielen Dank! Ich kann so vieles nachvollziehen. Zwar bin ich gewollt schwanger geworden, war aber nach meiner Fehlgeburt in der 16 Woche doch immer wieder sehr irritiert, wie damit umgegangen wurde. Begriffe wie „Sternenkinder“ und Beilegungen oder Minialtare für den nicht-lebensfähigen Embryo fand ich auch äußert befremdlich. Ich selber konnte besser damit umgehen, in dem ich die Sache möglichst rational betrachtet habe – und eine antrophologische Abhandlung über den Umgang mit Fehlgeburten gelesen habe. Da wurde mir klar, dass manche Menschen Trauer eben besser verarbeitet, wenn sie das machen, was aus meiner Sicht Firlefanz war. Ich finde es nach wie vor schwierig, den schmalen Grat zwischen dem Betrauern eines ungewollten Schwangerschaftsendes und dem Umgang mit gewolltem Schwangerschaftsende zu finden. Während es für ersteres hilfreich sein kann, den Embryo als vollständigen Menschen zu betrachten, ist genau das Gleiche für letzteres durchaus problematisch. Wir müssen aber beides können! Und ich glaube, gerade dafür ist es wichtig darüber zu reden und eine Sprache zu finden, die beiden Fällen gerecht wird. Ich mag den Gedanken, dass bei einer Fehlgeburt vor allem die unerfüllten Erwartungen, Hoffnungen und Vorstellungen betrauert werden und kein Mensch. (Hier gibt’s dazu auch einen kleinen Blogeintrag: http://hasenklein.blogspot.de/2015/10/feministischer-freitag-wir-mussen-reden.html)