Ghosting – oder: (kein) Abschied vom Geist der schnellen Trennung

Foto , CC BY-SA 2.0 , by Jody Sticca

Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Anna.

Anna lebt zwischen Berlin, Bodensee und Lateinamerika, arbeitet in Medien, Kultur und Politik, bloggt darüber und twittert unter @agrebea meistens über zu laute Privatgespräche in öffentlichen Verkehrsmitteln.


Blog von Anna @agrebea

Als mein Freund sich dazu entschied, mich plötzlich, unerwartet und unangekündigt von einem Tag auf den anderen zu verlassen, mich nicht darüber in Kenntnis zu setzen und seitdem nicht mehr für Erklärungen oder gar persönliche Gespräche erreichbar ist, tröstete mich eine Freundin damit, dass es für diese besonders perfide Art des Verschwindens bereits immerhin schon den ‘offiziellen’ Namen “Ghosting” gäbe.

Seit einigen Monaten geistert – im wahrsten Sinne des Wortes – dieses als „neues Trennungsphänomen“ bezeichnete Wort durch die Ratgeberwelt. Unter der Überschrift „Wenn der Partner einfach verschwindet“ oder übersetzt durch „Die leise Trennung“ wird mit „Ghosting“ eine vermeintlich neue Art des Schlussmachens durch Verschwinden beschrieben, bei der der_die Partner_in sich plötzlich und ohne weitere Ankündigung durch Streit oder vorausgegangene Konflikte nicht mehr auf Nachrichten und Anrufe meldet. Das Gegenüber löst sich in Luft auf. Als prominentes Beispiel wird dafür in den Klatschgazetten das Ende der Beziehung von Charlize Theron und Sean Penn angeführt. Sie habe sich einfach nicht mehr bei ihm gemeldet, um Diskussionen zu vermeiden, die in einem offenen und ehrlichen Trennungsgespräch hätten aufkommen können. Aha. Überdies habe dieses Verhaltensmuster (natürlich!) mit diesem Internet und seinen neuen Möglichkeiten des Datings und der Chat-Dienste oder dem „Wisch-und-Weg-Prinzip“ zu tun, so einige Expert_innenkommentare dazu. Nochmals: Aha.

Der Schmerz ist real

Abgesehen davon, dass Trennungen meistens schmerzhaft sind und mensch Zeit dafür braucht, um sie zu verarbeiten, so geht mir der Begriff „Ghosting“ seit meiner letzten Trennung nicht mehr aus dem Kopf. Ist das wie „Sexting“, „Social Freezing“ und Co. nur ein irgendwie ungeschickter, aber schnell gefundener oder erfundener Neologismus, damit alle gleich wissend nicken können, wenn man davon erzählt? Und wenn wieder mal nur das Internet an allem schuld ist, wieso tut es offline so weh?

Was laut Ratgebern über „Ghosting“ klar zu sein scheint, ist, wo genau der Geist im Ghosting steckt: Die verlassene Person, der_die “ghostee”, fühle sich, als habe sie in der Partnerschaft statt einer realen Person nur ein Gespenst gesehen, das sich nun in Luft aufgelöst habe. Nahezu reflexartig werden in Frauenzeitschriften “5 Tipps gegen Ghosting: So meldet er sich garantiert wieder bei dir” gegeben, die so bahnbrechend sind wie “Nicht melden” oder “Sei beschäftigt” oder auch “Sei immer freundlich, nicht zickig!” und gefühlt aus der prä-feministischen Offline-Dating-Steinzeit stammen.

All die guten Tipps haben aber einen entscheidenden Haken: Denn wer verschwindet, kann gar nicht mehr merken, ob sein_ihr Gegenüber freundlich, zickig oder beschäftigt ist. Die verlassene Person hat gar keine Möglichkeit mehr dazu, einen beschäftigten und süß-sauer-glücklichen Eindruck zu machen. Aber das spielt natürlich keine Rolle. Ebensowenig die hämmernden Fragen wie “Was habe ich falsch gemacht?” und “Hätte ich es wissen müssen?”, mit denen die Verlassenen zurückbleiben. Sie triggern unseren Selbstoptimierungsdrang und halten uns davon ab, den Geist auch einfach mal als Riesenarsch zu bezeichnen. Schmerz und Enttäuschung haben bei diesen Tipps auch keinen Platz.

Ghosting ist weder süß noch niedlich

Mein Unbehagen mit dem Begriff Ghosting liegt auch darin, dass ich ihn verniedlichend finde. Nicht zuletzt durch Karikaturen wie die in der Huffington Post erinnern mich die medialen Beschreibungen dieser Art von Trennung mehr an den kleinen Geist „Casper“ oder an das freundliche kleine Gespenst aus den Kinderbüchern Otfried Preußlers als an die von mir erlebte besonders brutale Art, einen Menschen loszuwerden, den man irgendwie mal doch geliebt hat oder zumindest ganz passabel fand. Die Problematik des Begriffs steckt aber im Detail. Denn Geister verschwinden nicht einfach so, im Gegenteil. Der Geist meines Ex-Freundes zumindest ist immer dann da und spukt gewaltig, wenn ich mir gerade wieder einmal vorgenommen habe, ihn zu vergessen.

Folgt man den vielfachen Erklärungen und Erläuterungen von Psycholog_innen im Netz, dann rührt die Praxis des Ghosting daher, dass Menschen sich gegenseitig aufgrund der veränderten Bedingungen von Dating im Netz nicht mehr als tatsächliche Menschen mit Gefühlen, Hoffnungen und Ängsten wahrnehmen, sondern als zweidimensionale, algorithmisierte Profile. Handlungen wie das Swipen, bei denen zwischen den Profilen einzelner Personen hin- und hergewischt wird, verstärken diese Entmenschlichung der Wahrnehmung des Anderen, sagen Psycholog_innen. Dies würde sich auch nach ein paar Dates nicht wesentlich ändern, da ein Großteil der Kommunikation dann immer noch über soziale Netzwerke und Chat-Apps erfolge, die uns unseren Love- oder Dating-Interest immer noch eher als fragmentiert statt mit all seinen_ihren Verletzlichkeiten erscheinen lassen und es uns so einfacher machen, ihn_sie einfach zu ignorieren, zu löschen oder zu blocken, wenn wir seiner_ihrer überdrüssig werden. Die Spur des tatsächlichen Kontaktes bleibt so zwar in der Erinnerung. Aber die kann man angeblich bestens verdrängen – wenn man selbst der Ghost ist.

Bei vollem Tempo aus einem Auto geworfen werden

Was nämlich bei allen Wortneuschöpfungen, Bezeichnungen und Mutmaßungen außer acht bleibt, ist, wie es sich für den_die Ghostee anfühlt, wenn der Partner_die Partnerin sich einfach in Luft auflöst, nicht mehr erreichbar ist und seine_ihre Spuren nicht einmal zu verwischen versucht. Die Gewalt und die Kräfte, die mensch als verlassene Person erwischen, sind nicht weniger stark, als wenn man aus einem fahrenden Auto geworfen wird.

Ohne Vorankündigung, auf gerader Strecke, ohne Tempolimit, bei Vollgas.

Was bleibt, sind die Erinnerungen, die gemeinsamen Termine im Terminkalender, für die man schon Tickets gekauft hatte, die Orte, an denen man gerne gemeinsam Zeit verbracht hat und die nun irgendwie surreal erscheinen. Und da ist kein Geist, da ist nie einer gewesen. Nur noch Spuren, die man irgendwie versucht selbst zu vernichten. Der gelöschte Termin. Die gelöschte Nummer. Die weggeworfene Zahnbürste. Und keine Klatschzeitschrift, die darüber berichtet.

“If dreams are like movies, then memories are films about ghosts” sangen einst die Counting Crows. Ich hoffe nur, dass bald der Abspann kommt, das Licht angeht, und ich das Kino endlich verlassen darf.

Bis dahin übe ich mich im Austreiben des Geists. Was man dazu braucht, sind mächtige Ghostbusters. Jene, die mit eingetuppertem Essen, Party-Einladungen und Whisky Sour dafür sorgen, dass der Geist – wenn er schon nicht verschwindet – einem nur noch von Draußen beim Glücklichsein zusehen kann. Und dabei keine Spuren mehr hinterlässt.

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