Was mir CrossFit über meine Angst beibrachte

Foto , CC0 1.0 , by Pascal

[Triggerwarnung: Body Image, Body Issues, Shaming, Depression, Antidepressiva]

Aus einer Laune und Nebenwirkung meines Antidepressivums heraus fing ich letztes Jahr an, ein paar Mal die Woche zu joggen – im weitesten Sinn des Wortes: Eine Minute keuchend durch den Park traben, dann eine Minute gehen, während ich nach Luft schnappe, so lange, bis ich fünf Kilometer geschafft hatte.

Mit einem Körpergewicht weit jenseits vom “Normbereich” am helllichten Tag in der Öffentlichkeit Sport zu machen, erforderte mehr Mut als jeder Seelenstriptease auf Twitter oder meinem Blog, aber ich zog es durch und siehe da: Mir ging es besser, die durch das Antidepressivum ausgelöste Unruhe wurde kontrollierbarer, ich fühlte mich wohler in meiner Haut und sah mich langsam auch nach anderen Sportarten um. Über tumblr stieß ich auf CrossFit, eine furchtbar brutal aussehende Mischung aus Gewichtheben, Konditionsübungen und Turnen, die aber an jedes Fitnesslevel anpassbar sein soll, traute mich aber nicht, es auszuprobieren.

Es wird schlimmer statt besser

Fast ein Jahr später kämpfe ich mehr mit meinem Körper und meinem Blick auf ihn als je zuvor. Zwar bin ich einen Viertelmarathon gelaufen und ziemlich stolz darauf, aber je öfter ich höre, wie toll (lies: schlanker, normschöner) ich jetzt aussehe, desto mehr mäkele ich an meinem Körper rum.

Die Tage, an denen ich in den Spiegel schaue, nicke und mir einen anerkennenden Klaps auf den Hintern gebe, kommen zwar nun öfter vor, aber an schlechten Tagen nehme ich mein normalerweise recht positives Selbstwertgefühl mit einer erschreckenden, mir bisher nicht bekannten Grausamkeit auseinander. Da ich nicht genug Geld habe, um das einzige andere probate Mittel (hübsche Unterwäsche) gegen meine immer wiederkehrenden Body Image Issues zu kaufen, mache ich weiter regelmäßig Sport, aber verliere langsam das Interesse am Joggen. Auf Facebook stolpere ich zufällig über ein CrossFit Bootcamp in Regensburg. Sechs Wochen lang, dreimal die Woche, 60 Minuten. Erst nach einigem Zögern melde ich mich an.

Ich habe nämlich Angst. Der Großteil der Fitness-Community ist durchzogen von verschiedenen Arten des Shaming: Fatshaming, bei dem dicke Menschen bestenfalls als „Vorher“-Foto oder „so willst du doch nicht enden“ dienen. Shaming, bei dem man Menschen ein schlechtes Gewissen macht, die andere Prioritäten oder Verpflichtungen haben und deswegen keinen Sport machen. Shaming, bei dem Menschen mit Behinderungen als „Inspiration Porn“ instrumentalisiert werden. Shaming, bei dem Sport als Allheilmittel für sämtliche Erkrankungen und Ersatz für Medikamente angepriesen wird.

Muskelkater-Liebe

Eine überwältigende Mehrheit der dargestellten Menschen auf Fitspo-Blogs bleibt namens- und gesichtslos und wird nicht bei der Ausübung einer Sportart, sondern mit einem Einmachglas mit Früchten und Wasser oder mit einer Yogamatte gezeigt. Oft sieht man auch nur einzelne Körperteile, z.B. einen flachen, muskulösen Bauch, über denen ein “motivierender” Spruch wie “Ausreden verbrennen keine Kalorien” steht. Die Menschen werden von ihrer sportlichen Leistung entkoppelt. Es scheint also doch nicht um fitness inspiration, sondern um Ästhetik zu gehen.

Meine Lust auf CrossFit ist stärker als meine Vorbehalte und ich gehe Ende September zum ersten Training. Die Angst bleibt aber und wird stärker, als ich zum ersten Mal vor der Box, wie man CrossFit-Studios nennt, stehe. Zu hören sind Hip-Hop, Gewichtheberstöhnen, auf den Boden aufprallende Hanteln und Rudergeräte. Am liebsten würde ich umdrehen und mich in meinem Bett verkriechen, aber bleibe letzten Endes doch. Während ich planlos, aber sehr dekorativ rumstehe, fällt mir auf, dass das Verhalten der Teilnehmer_innen untereinander gleichzeitig unterstützend und wettbewerblich ist. Die Trainer feuern an, geben Tipps zur richtigen Haltung, damit Verletzungen vermieden werden, und wenn das Workout fertig ist, kriegt jede_r ein High Five.

In der ersten Stunde machen wir einen Leistungstest, der mir den schlimmsten Muskelkater seit Ewigkeiten einbringt. Jede Stunde ist gleich aufgebaut: Aufwärmen, Techniktraining, Workout of the Day, Dehnen. Die ersten drei Wochen habe ich jeden Tag Muskelkater. Die ersten beiden Wochen ziehe ich es sogar in Erwägung, im Stehen zu pinkeln, weil meine Oberschenkel bei jeder Bewegung protestieren. Diesen Text tippe ich mit Muskelkater in den Unterarmen. Gehörte ich nicht zu den Menschen, die das Gefühl von Muskelkater mögen, hätte ich das Bootcamp schon längst aufgegeben.

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Der Vergleich stinkt

Nach fünf Wochen kann ich sagen, dass das Training nicht nur körperlich hart ist. Ich mache schon länger regelmäßig Sport, kann aber einfach nicht mit den anderen im Kurs mithalten. Die meisten Übungen muss ich an meine Grenzen anpassen, was zwar ein Vorteil von CrossFit ist, aber auch ein herber Schlag gegen mein Ego. Für eine, die es gewohnt ist, von Haus aus in vielen Bereichen gut zu sein, ist es schlimm, die Schlechteste in einer Gruppe zu sein.

Also höre ich auf, mich mit den anderen zu vergleichen, und schaue darauf, wie viel besser ich im Vergleich zur ersten Stunde geworden bin. Die beiden Trainer sind außerdem ein Geschenk des Himmels: Sie ermutigen ohne zu drängen, sie vertrauen darauf, dass ich meinen Körper und seine Grenzen am besten einschätzen kann, und vor allem wissen sie, was sie tun.

Doch ein Teil der Angst bleibt. Box Jumps, also das Springen auf eine Holzkiste, sind eine Grundübung im CrossFit. Bei jedem Sprung habe ich Angst, die Kiste durch mein Gewicht und die Wucht des Sprungs kaputt zu machen oder nicht hoch genug zu springen und über die Kiste zu stolpern. Unangenehm: Mein Bauch schwabbelt bei der Landung und macht mir meinen Status als “Die Dicke” in der Gruppe deutlicher bewusst als jede andere Übung.

Beim Aufwärmen sollen wir über unsere_n Partner_in springen, die_der auf allen Vieren vor uns kniet. Genau da spreche ich „Ich habe Angst“ zum ersten Mal aus – weil ich mich um die Person vor mir sorge, deren Wirbelsäule ich mit meiner Tollpatschigkeit und meinem Gewicht bestimmt zertrümmern würde.

Aber ich traue mich nach und nach mehr und stelle fest, dass ich höher und weiter springen kann als ich mir selbst zugetraut habe. Meine Angst weicht einem Lächeln. Im Laufe der Wochen werde ich immer selbstbewusster. Mein dicker, ekliger Körper wird von einer (in meine Augen) bizarren Ansammlung von Makeln zu einem starken, dicken Körper, der es mir ermöglicht, Traktorreifen durch die Gegend zu flippen oder mit einem Medizinball zu joggen.

Bootcamp für das Selbstbewusstsein

„Ich habe Angst“, der Satz, der mir am Anfang des Kurses am häufigsten durch den Kopf schoss, wird allmählich von „Uh, das sieht geil aus, kann ich es auch mal probieren?“ abgelöst. An schlechten Tagen zerfleische ich mich nicht mehr (zumindest nicht mehr ganz so schlimm), sondern kann mir durch Überreste des Muskelkaters ins Bewusstsein rufen, was ich im letzten Training geschafft habe, und dass mein Körper nicht normschön sein muss, damit ich ihn mögen kann.

Das Bootcamp ist bald vorbei und ich werde es erstaunlicherweise wirklich vermissen. Noch erstaunlicher finde ich, dass die Mitglieder der Box tatsächlich sehr offen und urteilsfrei sind, auch wenn ich definitiv nicht zur Gruppe passe. Ich fühle mich akzeptiert und ernst genommen. Damit hat CrossFit meinem eigenen Kopf einiges voraus.

3 Antworten zu “Was mir CrossFit über meine Angst beibrachte”

  1. Thomas Hirmer sagt:

    Wenn du nicht zur Gruppe passt, passt die Gruppe eher nicht zu dir. Red‘ dir nichts ein (zu spät), du machst das prima. Und der Dickere von uns beiden bin ja immer noch ich ;-). Liebe Grüße, Thomas

  2. j____l sagt:

    Interesting! Bei mir hieß es damals beim Kieser-Training: „Wenn du Muskelkater davon bekommst, machste was falsch, das ist nicht gesund.“ Ist das inzwischen anders?

  3. […] sind wir über einen Text von Kleinerdrei gestolpert, na ja eigentlich war es Carla, welche über diesen Text gestolpert ist. Mit den […]