Sexuelle Gewalt gegen geflüchtete Frauen – Was muss sich ändern, um Schutz bieten zu können?

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Ich wusste, dass es sehr schwer werden würde diesen Artikel zu schreiben.

Es ist noch viel schlimmer als befürchtet.

Ich muss an die Adressat*innen dieses Artikels denken. Ich würde gerne sagen, dass ich auch geflüchtete Frauen erreiche. Doch das tue ich nicht. Ich schreibe auf Deutsch. Ich schreibe für einen Blog, den ich sehr mag, den wohl aber die wenigsten Geflüchteten lesen. Deshalb bitte ich euch, die Leser*innen, die vielleicht in Flüchtlingsheimen arbeiten, oder Fachkräfte im hiesigen Thema sind/Fachkräfte kennen, dieses Thema publik zu machen und auf den Tisch zu bringen. Frauen, die geflohen sind nach ihren Bedürfnissen und ihren Wünschen zum Thema Schutz gegen sexuelle Gewalt Gehör zu leisten. Denn dieses Thema geht uns alle etwas an.

Mitnichten ist sexuelle Gewalt „lediglich“ ein Problem, von geflüchteten Menschen. Die FRA (European Union Agency for Fundamental Rights) gab im März 2014 eine Studie heraus, bei der 42.000 Frauen verschiedener EU- Länder befragt wurden. 33% gaben an, Betroffene von physischer oder sexueller Gewalt gewesen zu sein. Auch in Deutschland waren es 35%. Die WHO kommt bei ihrer aktuellen (und weltweit bezogenen) Studie ebenfalls auf das furchtbare Resultat von 35%. Sexuelle Gewalt gegen Frauen* ist kein importiertes Problem – es ist ein globales.

Natürlich sind Frauen, die aus Kriegsgebieten kommen, Kinder haben, die deutsche Sprache unzureichend beherrschen und von den deutschen Behörden abhängig sind, besonders schutzbedürftig und gefährdet. Doch die Problematik sexueller Gewalt ist geschlechterspezifisch – und nicht von Nationalitäten abhängig. Höchstens das nationale Recht hat Auswirkungenund dieses greift in Deutschland schlecht. Die taz bemerkte im August 2015 treffend:
„Laut deutschem Strafgesetzbuch (Paragraf 177) gilt derzeit ein Geschlechtsverkehr nur dann als Vergewaltigung, wenn er mit Gewalt oder bestimmten Drohungen erzwungen wurde oder wenn der Täter eine schutzlose Lage ausnutzte. Es genügt also nicht, dass eine Frau eindeutig Nein gesagt hat und der Mann dann trotzdem in sie eindringt.“

Wenn wir über besseren Schutz sprechen, müssen wir auch über besseren Rechtsschutz sprechen. Auch wenn es dank EU-Zwang nun endlich eine Angleichung geben soll und ein „Nein“ auch als solches gelten soll – der Unmut, den es auch im deutschen Justizministerium über die Schließung der Lücke im Gesetzbuch gab, war ernüchternd.

Dr. iur. Ulrike Lembke sprach in einem Interview mit dem Missy Magazine über die Diskrepanz von Anzeigen sexueller Gewaltdelikte zu ihren Verurteilungen – bei lediglich 14% aller Fälle. Der Rechtsstaat schützt ungenügend. Das muss sich gerade für geflüchtete Frauen, die in ihren Herkunftsländern nicht gut geschützt wurden und dem Rechtsstaat daher bisher kein Vertrauen schenken können, ändern. Vertrauen ist ein großes Stichwort, sowohl in der Beratung als auch im Recht.

Überraschung! Das Patriarchat trägt eine gewaltige Verantwortung bezüglich Gewalt gegen Frauen weltweit. Was führt also außer der aktuellen Fokussierung gegenüber Flüchtlingen dazu, dass die deutsche Medienlandschaft sich auf das Thema stürzt und dabei Geschichten von „schönen Frauen, die sich nicht sicher fühlen“ (O-Ton) erzählt? Ein Grund sind die miserablen Bedingungen der Unterbringung von geflüchteten Menschen.

In Gießen, das in Hessen die Erstaufnahmeeinrichtungen von Flüchtlingen stellt, gab es dutzende Fälle von Gewalt gegen Frauen. Die dortigen Zeltlager verursachen chaotische Zustände: Wer im wahrsten Sinne keinen Schutzraum gewähren kann, verstärkt Schutzlosigkeit. Der soziale Wohnungsbau wurde bundesweit aufgeschoben und ausgehebelt. Eine Frau, die in Hannovers größtem Heim für Geflüchtete in Hannover (700 Menschen) lebt, erzählte mir, dass sie nicht durch die Flure gehen kann ohne von Männern sexuelle Belästigungen zu ertragen. Heime mit dieser Personenanzahl, in denen dazu noch meist wenige Frauen leben, sind von Beginn an unzureichend geschützt. Der individuelle Mensch verschwindet und damit auch seine individuellen Probleme. Sozialer Wohnungsbau und spezielle Einrichtungen für Frauen und Kinder und Heime in der Innenstadt – all dies wären allein äußerliche Faktoren, um Übergriffe besser zu verhindern.

Was also muss noch getan werden um geflüchtete Frauen zu schützen? Es müssen finanzielle Mittel für Fachkräfte ausgegeben werden: Sozialarbeiter*innen, Psycholog*innen, Sachbearbeiter*innen, Dolmetscher*innen, die sowohl in interkultureller Sensibilität als auch mit Thematiken sexueller Gewalt vertraut sind – Das ist eine Kompetenz, die unserem jetzigen Justizsystem auch noch fehlt, indem Betroffene z.B. keine psychosoziale Prozessbegleitung erhalten. Die Sprachbarriere ist dabei ein großes Thema. So toll das Engangement von freiwilligen Kräften ist– hier müssen der Staat und die Kommunen investieren, um gute, fachspezifische Hilfe gewährleisten zu können.

Ich bin hier nur auf Frauen eingegangen, sexuelle Gewalt ist natürlich ein Thema, das nicht nur Frauen betrifft: Kinder, UMF (Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge) sowie Männer sind ebenfalls betroffen. Menschen mit Behinderungen, Trans*menschen oder andere marginalisierte Gruppen sind genauso hochgradig schutzbedürftig. Die bereits angesprochenen Maßnahmen würden auch ihnen helfen. Das Machtgefälle und die daraus resultierende Schutzlosigkeit von Frauen, und gerade geflüchteter Frauen, haben mich jedoch sehr beschäftigt, weil es einfach unfassbar viele trifft und das hochgradig strukturell.

Ich weiß, dass ich diesem vielschichtigen Thema mit diesem Artikel nicht gerecht werden kann. Ich empfehle, falls ihr Betroffene seid, oder Betroffene von sexueller Gewalt kennt die Seite wildwasser.de/info-und-hilfe/beratungsstellen-vor-ort, wo ihr euch regional Adressen zur Beratung heraussuchen könnt. Wildwasser selbst war mal bei uns in der Uni und berät wirklich gut. Außerdem gibt es das Hilfetelefon, das vom Familienministerium bereitgestellt worden ist und in über 15 Sprachen berät, unter der Nummer 08000 116016. Sie beraten auch per Mail und Chat – das Ganze passiert anonym. Kennt Ihr noch Beratungsstellen,die ihr empfehlen könnt? Eventuell welche, die auf geflüchtete Frauen spezialisiert sind? Ich wäre Euch sehr verbunden.

Zu allerletzt: Die Artikel, die in den Medien waren und sind finde ich zum größten Teil abscheulich. Oft wird „der Islam” für sexuelle Gewalt gegen Frauen verantwortlich gemacht. Es werden „Quellen” genutzt, die sich auf Verschwörungstheoretiker beziehen. Auf solche Artikel werde ich nicht verlinken, weil ich solchen Menschen keine Plattform bieten mag. Ich möchte sie nicht weiter kommentieren außer, dass ich es verwerflich finde reale Probleme von Frauen in Not aufzunehmen und für rechtspopulistische Zwecke einsetzen. Schauermärchen vom „bösen vergewaltigenden Ausländer”, der Jagd auf blonde Mädchen macht (AfD/Pegida- Sprech), erinnern mich an Zeiten der deutschen Geschichte, die dieses Land nicht auffrischen sollte. Sexuelle Gewalt gegen Frauen ist ein globales Problem – Rassismus darf nicht als Vorwand dienen, um dagegen vorzugehen.

Kaum zu fassen, dass ich das schreiben muss aber: Die Verhältnisse sind verwerflich und nicht Religionen oder Menschen einzelner Nationalitäten.

2 Antworten zu “Sexuelle Gewalt gegen geflüchtete Frauen – Was muss sich ändern, um Schutz bieten zu können?”

  1. sanczny sagt:

    „Doch die Problematik sexueller Gewalt ist geschlechterspezifisch – und nicht von Nationalitäten abhängig.“

    Ich kann mir denken, dass du was anderes damit sagen wolltest, aber: Aufenthaltsstatus hat ganz viel mit dem Problem zu tun und gehört in die intersektionale Analyse.

    Mit gesichertem Aufenthalt wären die meisten Menschen gar nicht in der Situation, auf engstem Raum mit vielen Unbekannten leben zu müssen, unter unwürdigen Umständen, in ihrer Bewegungsfreiheit und in fast jeder Hinsicht eingeschränkt, ….

    Dann steht sexualisierte Gewalt in einem Kontext von männlicher Dominanz und Sexismus. Bei der Situation in den meisten Heimen und dem Umgang der Behörden mit Geflüchteten sind Gefühle von Macht- und Hilflosigkeit vorprogrammiert. Da wird durch gewollte äußere Umstände eine Situation erzeugt, die für potentielle Opfer gefährlich ist. Natürlich ist es absolut nicht zu entschuldigen, dass [meistens] Männer Dominanz in Form von sexualisierter Gewalt an [meistens] Frauen wiederherzustellen versuchen. Aber dafür, dass Frauen dem trotzdem ausgesetzt sind, sind neben den eigentlichen Täter*n noch andere verantwortlich.

    Der Rechtsstaat schützt ungenügend vor sexualisierter Gewalt, richtig. Sexualisierte Gewalt wird ständig aus ihrem (Macht-) Kontext gezogen und individualisiert. Aber genau das passiert hier eben nicht. Weil die mutmaßlichen Täter* keine weißen Deutschen sind.

    Das alles hat mit dem Status dieser Menschen in diesem Land zu tun. Sexualisierte Gewalt hat keinen universalen Charakter.

    „Der individuelle Mensch verschwindet und damit auch seine individuellen Probleme.“

    Das stimmt für individuelle Probleme, aber es sind keine individuellen Probleme, um die es hier geht.

  2. Lukas sagt:

    Ja, besonders verwerflich daran ist doch, dass das von AFD und Konsorten ausgenutzt wird. Da steigen Leute auf den #Aufschrei auf, die ihn nur nutzen um rechtsgerichtete Stimmungen zu schüren. Wenn viele Menschen unter unwürdigen Umständen in einem Lager zusammen gepfercht werden, dann kommt es zu Gewalt und die betrifft die oft wenigen Kinder und Frauen ganz besonders (ebenso wie Homosexuelle, Behinderte, usw) . Kapazitäten um spezielle Einrichtungen für Frauen zu schaffen sind anscheinend nicht da, aber es ist mehr als Ekelhaft, diese Übergriffe anderen Kulturen in die Schuhe zu schieben, während hier bei uns bei jeglicher Form von Sexismus beide Augen zugedrückt werden. Zu dem Thema ein Blogeintrag von mir: http://queergoblin.tumblr.com/post/131695076703/feministen-fressen-unsere-kinder-zum-thema

    Der sieht bei uns nicht anders aus. Solange aber sexuelle Gewalt nur dazu genutzt wird, um nach Wählerstimmen am rechten Rand zu angeln und kein Geld für Psychologen, Sozialarbeiter und eben Einrichtungen zur Verfügung zu stellen, solange nimmt man sie mutwillig in Kauf. Dabei ist zu bedenken, dass Missbrauch sich oft über Generationen hinweg auswirkt und sehr schlimme Kreisläufe entstehen können. Da werden dann Menschen die ohnehin schon traumatisiert sind, noch weiter traumatisiert, ziehen sich zurück oder gehen an dieser Last kaputt.

    Um solch ein Gefälle zu verhindern muss eben tiefer in die Tasche gegriffen werden, aber wenn ich mich nicht irre, krankt ja sogar hier die finanzierung von Frauenhäusern und Co immer wieder.

    Ein menschenwürdiger Umgang sieht anders aus und es ist gut das darauf aufmerksam gemacht wird.