Ich hasse fliegen
“Ich hasse fliegen.” Das hab ich mir schon sehr oft gedacht, wenn ich es mal wieder tat. Natürlich ist hassen ein etwas starkes Wort. Aber in den entsprechenden Momenten ist es das einzige, was sich in meinem Kopf adäquat anfühlt. Denn Fliegen macht mir Angst. Da kann ich mir noch so oft sagen, dass es sich um ein vergleichsweise sicheres Reisegefährt handelt und meine Ängste so rein rational betrachtet Unsinn sind. Wenn ich nicht gerade einen guten Tag habe (und mal ehrlich, wie oft hat man die schon), reicht ein kleiner Ruckler, eine Mini-Turbulenz, und ich sitze mit verkrampften Muskeln und starrem Blick im Flugzeugsitz. Fluchtreflexe setzen ein. Ich kann fühlen, wie die Adrenalin-Ausschüttung durch meinen Körper rauscht wie Wasser durch einen gebrochenen Staudamm. Panikattacke.
Bis jetzt hab ich es noch immer geschafft, dabei zumindest die Form zu wahren. Kein Flugzeug musste wegen mir landen, keine Flugbegleiter_innen einen Aufruhr verhindern. Vermutlich ist meine Sorge, unangenehm aufzufallen, einfach noch größer als die mühsam unterdrückte Panik. So leide ich still vor mich hin, versichere mir, dass ich nie nie nie wieder in ein Flugzeug steige oder formuliere in meinem Kopf wilde Vorwürfe gegen vermeintlich Schuldige (“Schuld” am Betreten des Flugzeugs ist natürlich niemand ausser mir, aber da ich mir in diesen Momenten zu sehr selbst leid tue, trifft es meist meine Reisebegleitung oder sonst jemand, die oder den ich für den Anlass der Flugreise verantwortlich machen kann. Zum Glück vergesse ich das alles augenblicklich, wenn ich das Flugzeug verlasse). Zugleich bin ich stets zutiefst davon überzeugt, dass nur ich die Wahrheit kenne: dass es ja wohl ein absoluter Irrsinn ist, Menschen in einem großen Metallcontainer in 10.000 Meter Höhe zu katapultieren, und warum das eigentlich niemand ausser mir begreift, dass wir in einem fliegenden Sarg sitzen!1!! So müssen sich Verschwörungstheoretiker_innen den lieben langen Tag fühlen.
Ängste machen was sie wollen
Gleichzeitig kommt mit der Angst auch die Scham: schließlich habe ich das Glück, mir Flüge und Reisen leisten zu können, habe das Privileg eines europäischen Passes und die Möglichkeit, mich vergleichsweise frei zu bewegen. Wie kann meine Angst so undankbar sein? Im Panikmodus fange ich an, mir zu überlegen, was ich alles noch gerne im Leben machen würde (schließlich könnte ich jetzt sterben). Und fühle mich gleich doppelt grauenvoll. Menschen, die eine Chemotherapie beginnen, können sich diese Gedanken machen. Nicht unbedingt solche, die mit einem sicheren Verkehrsmittel in den Urlaub unterwegs sind. Und dann die Scham darüber, dass es ja wohl so schlimm auch nicht sein kann, schließlich habe ich mich schon wieder in ein Flugzeug gesetzt. Menschen mit richtiger Angst wären dazu vermutlich gar nicht in der Lage. Dummerweise verdränge ich die negativen Gefühle ausserhalb von Flugzeugen sofort. Dann siegen die Reiselust, die Neugier, das Fernweh. Im Flugzeug dann: sich selbst und die Welt verfluchen. Nie wieder fliegen, aber diesmal wirklich! Repeat.
Irrationale Ängste sind eine merkwürdige, unschöne Sache. Ich habe stets das Gefühl, ich sollte sie nicht haben. Ich darf sie eigentlich nicht haben. Es gibt ja schließlich so viele ganz reale Dinge, vor denen Menschen Angst haben müssen, vor denen ich Angst haben könnte (Spoiler-Alarm: ich hab auch noch mehr in petto). Trotz allem, die Ängste, die machen was sie wollen. Und das klingt alles vielleicht ein bißchen lustiger, als es eigentlich ist.
Essen, Trinken, Pillen schlucken.
Jedenfalls: falls ihr das auch kennt, euch aber trotzdem dummerweise regelmässig in ein Flugzeug setzen müsst oder wollt, hier meine ultimativen und total fehlbaren Anti-Flugangst-Strategien.
Schreiben. Die wirren Angstgedanken notieren oder auch aufschreiben, was die merkwürdigen Mit-Fluggäste so treiben (Lesen! Schlafen! Was fällt diesen Posern eigentlich ein). Einige der Notizen zu diesem Artikel entstanden schon vor Jahren in einsamen Stunden des Terrors.
Die Reisebegleitung nerven. Die Reisebegleitung sollte sich Fachwissen aneignen und parat haben (“in Wolken ist die Luft unterschiedlich dicht, daher dieses Ruckeln”, “Wir wechseln gerade den Korridor”, “Wir haben die Flughöhe ja noch nicht erreicht”, etc.). Am wichtigsten ist, dass die Reisebegleitung den Satz: „dieses Geräusch ist ganz normal“ sehr ruhig und überzeugend aussprechen kann. Und Händchen halten.
Auf die Wolken gucken und denken: wenigstens die Aussicht ist geil. Kann aber auch nach hinten losgehen. Neulich sass ich in diesem Propellerflugzeug mit 12 Sitzreihen, und als ich realisierte, wie hoch wir waren: Massiver Panikanfall. Was hat ein solches Spielzeuggefährt in dieser Höhe zu suchen?!
Nicht mit der Reisebegleitung zusammensitzen. Fun Fact: manchmal habe ich beim Alleine-Fliegen weniger Angst. Oder besser gesagt: ich habe die Ängste besser im Griff (naja. manchmal). Wenn ich niemanden habe, dem ich mein ganzes kleines schwarzes Herz ausschütten kann, muss ich das eben mit mir selbst ausmachen, und ich will ja auch nicht unangenehm auffallen (siehe oben). In ganz schlimmen Fällen kann man zusätzlich Fremde in ein Gespräch verwickeln. Man merkt ja schnell, ob die dafür empfänglich sind (und sie können auch nicht weg. Hehe.). Ich habe schon erstaunlich empathische Mitreisende erlebt. Daher an dieser Stelle ein großes Dankeschön an namenlose Ex-Mitreisende: den deutschen Familienvater, der eh schon dabei war, seine Tochter zu beruhigen, und dann halt auch noch der Mittdreißigerin sein Ohr lieh. Und an die nette Frau aus Montreal, die meine Pein erkannte und mir unermüdlich Smalltalk-Frage um Smalltalk-Frage stellte, bis wir wieder am Boden waren.
Flugbegleiter_innen beobachten. Ich nenne es auch – und das meine ich kein bißchen despektierlich oder ironisch – das Ballett. Ich habe naturgemäß eine große Bewunderung für Flugbegleiter_innen, egal wie angeblich “unanspruchsvoll” ihre Tätigkeiten sind. Für mich ist die Grundvoraussetzung ihres Berufs anspruchsvoll. Ich kann ihnen unermüdlich dabei zusehen, wie jeder ihrer Handgriffe sitzt und ineinander fließt. Wie sie sich unauffällig mit der Kanne zurückschlängeln, wenn der Kaffee alle ist. Wenn sie sich gegenseitig Servietten und Nusstütchen anreichen. Wenn sie mit beiden Armen gleichzeitig die Handgepäck-Fächer schließen. Sie haben keine Angst. Sie haben Präzision. Es ist wunderschön!
(Interessanterweise empfinde ich keinerlei ähnlichen Gefühle für Pilot_innen. Aber die sieht man ja auch nie).
Essen. Hurra, das Flugzeugessen kommt! Egal, was es ist und ob es schmeckt oder nicht – ich esse gerne Flugzeugessen, denn da hat man was zu tun. Am besten ist es auf Langstreckenflügen wo man auch noch ein Minibrötchen mit Pseudo-Butter oder einen Cracker und ein Stück Käse und ein ekliges Schaum-Dessert oder abgepackten Kuchen bekommt oder so. Alles muss auf minimalstem Raum ausgepackt und arrangiert, belegt, bestrichen und verzehrt werden. Danach hat man einen Haufen Plastikmüll, den man wiederum ordentlich falten, zerlegen und platzsparend im Getränkebecher verstauen kann. Flugzeugmüll-Zen. Das sind zwanzig kostbare Minuten, in denen du nicht über das vom-Himmel-fallen nachdenken musst.
Trinken. Alkohol im Flugzeug entspannt mehr als anderswo, das wurde mir auch schon von weniger panischen Fliegenden als beliebtes Mittel bestätigt. Auf Langstreckenflügen kriegt man oft auch die harten Sachen, putzige kleine Gin-, Wodka- und Whiskey-Flaschen mit ein wenig Soda dazu. Wenn man andeutet, eine nervöse Fliegerin zu sein (dabei einen möglichst elenden und zugleich bescheidenen Eindruck machen), kriegt man auch gerne Nachschlag. Auf 10.000 Meter Höhe knallt aber auch schon so ein Flugzeug-Fläschchen Rotwein gut. Bei der Alkohol-Methode kamen mir bisher die Discount-Airlines entgegen, etwa bei EasyJet kann man sich mit der Kreditkarte (the Future!) so viel Dosen Bier kaufen wie man in der Flugzeit runterkriegt. Das klingt nicht sehr ruhmreich, aber ich mach das ja auch nicht zum Spaß. Flugangst ist serious business.
Die Downside: kurze Flüge am Vormittag führen keinen Alkohol (Horror!), man muss dank Alkohol oft aufs Klo, und bei langen Flügen kommt man in Trinklaune, sollte aber eigentlich schlafen. Auch mag, will oder kann natürlich nicht jeder Mensch Alkohol trinken.
Pillen schlucken. Nachdem ich es mir dann doch mal eingestanden habe, dass ich diese Angst auch mit noch so viel selbstironischem Nusstütchen-Falten nicht besiege, war ich zuletzt mal beim Arzt und ließ mir was verschreiben. Das war ziemlich unkompliziert, der Assistenzarzt in meiner Hauspraxis war angemessen verständnisvoll und erwog mit mir die Optionen, Schlaftablette vs. Beruhigungstablette, und ich entschied mich dann für letzteres. Das ist natürlich nichts für die Wochenendbeschäftigung (“ich muss ihnen aber sagen, dass man davon süchtig werden kann”), und man sollte das eigene Gefährdungspotential ein bißchen kennen. Ich hatte nun nach dem Versuch eh den Eindruck, dass es (trotz der Warnung) nichts besonders starkes war. Es ist schon ein ganz angenehmes Gefühl, die Angstspitzen in Kopf und Bauch werden dadurch gekappt, aber ein kleiner Angst-Blob blieb bei mir trotzdem zurück (zumindest bei der Menge, die mir empfohlen wurde und die zu überschreiten ich wiederum viel zu viel Angst gehabt hätte). Ausserdem fühlte ich mich ein wenig so, als wäre ich gerade zu ungeschickt um mir selbst die Schuhe zu binden. Das war eigentlich ganz lustig.
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Warum fliegt nur diese Person immer wieder, wo es doch für sie offenbar eine solche Qual ist? Wird sich vielleicht die eine oder der andere nach dem Lesen dieses Textes fragen. Was soll ich sagen: an andere Orte zu kommen ist einfach eine verdammt tolle Sache. Manchmal auch unvermeidlich. Also lasst mich in Ruhe, ihr unkomplizierten Flieger_innen, die ihr immer gleich beim Start einschlaft oder mal in Ruhe ein Buch lest! Euch anderen wiederum, die ihr vielleicht ähnlich empfindet, wenn es ums Fliegen geht, sei gesagt: we can do it! Ich wünsche einen guten Flug.
Flugbegleiter_innen beobachten ist für mich die allerbeste Beruhigung. Immer daran denken: Diese Menschen fliegen tagein, tagaus – solange die seelenruhig im Flugzeug hin und her laufen und ihrer Arbeit nachgehen, ist alles in Ordnung, denn gerade die wissen genauestens Bescheid, wenn das Flugzeug etwas macht, was es nicht machen sollte.
Ich kann Deine Angst- und Panikattacken (auf der Metaebene) total nachvollziehen!
Ich hab zwar keine Flugangst, aber dafür Angst vor allen spitzen oder scharfen Gegenständen, die andere Menschen (in der Regel mit weißen Kitteln) in mich rein stecken wollen (inkl. Zuführung und Entnahme von Flüssigkeiten …).
Ich wurde als Säugling ziemlich vielen langen Untersuchungen unterzogen (Blutbild, 24h-Urin, Rückenmarkspunktion, …) Und wir es damals (Ende der 70er) so üblich war, hat man die Mutter weggeschickt (die stört da nur) und den Säugling festgebunden. Davon hat sich meine Psyche bis heute nicht erholt. Und ich kann mir einreden so viel ich will, dass alles ganz harmlos ist und die Ärztin oder die Arzthelferin das können und jeden Tag 100mal machen. Ich bekomme Panikattacken schon wenn ich im Wartezimmer sitze und erst recht wenn ich das Desinfektionsmittel rieche.
Und das schlimme ist: viele Dinge, die Du als Lösungsmöglichkeiten ansprichst, gehen gar nicht. Alkohol, Beruhigungspillen, Essen ist alles no-go, weil man darf ja das Ergebnis nicht beeinträchtigen. Und was es nicht besser macht, sind dann Ärzte und Ärztinnen, die einen nicht ernst nehmen (insbesondere meine KinderärztInnen waren so: „Ach, da brauchst Du doch nicht so ein Theater machen, das ist doch nur ein kleiner Pieks…“). Heute ist es bei Vielen besser, vermutlich wird heute sensibler ausgebildet …
Wie auch immer: Ein Punkt (der Dir wahrscheinlich auch bekannt ist und den ich noch ergänzen will): Die Angst vor der Panik. Man sitzt nicht nur da versucht sich zu konzentrieren oder abzulenken, sondern gleichzeitig hört man ständig in sich hinein, weil man weiß, dass die Panik gleich irgendwo hinter der Ecke lauert und herspringt. Und genau diese unterschwellige Angst, dass die dich bestimmt gleich überfällt, lässt die Panik um so schneller kommen …
Fliegen ist für mich auch eine schweißtreibende Angelegenheit und es schnürt mir die Kehle zu, sobald ich das Ding betrete. Ich beobachte auch immer fleißig die Flugbegleiter_innen, sobald es etwas ruckelt. Ich scanne dann ihre Gesichtszüge und Bewegungen nach Zeichen von einem möglichen Notfall ab. Sobald Sie ewas zu schnell laufen, zu oft hin und her flitzen, verkrampfe ich innerliche und sitze gelähmt da, in sicherer Erwartung, dass es jetzt mit uns bergab geht.
Bei einem Langstreckenflug hält der Körper so viel Stress am Stück ja nicht aus, also finde ich immer wieder mal 20 ruhige Minuten, indem ich halbwegs normal funktioniere und mich mit Film gucken und Magazin lesen ablenken kann, bevor die nächste Attacke kommt.
Meine Angst vor dem Sterben und absolut keine Kontrolle darüber zu haben ist hier sehr ausgeprägt. Als Fahrerin oder Beifahrerin in einem Auto, bin ich dem Tod zwar so sehr viel näher, aber ich habe keine Angst, da ich weiß, dass ich bei einem Unfall wahrscheinlich sofort tot wäre und immerhin die Illusion habe wie James Bond noch rechtzeitig ins Steuer greifen oder aus dem Auto hechten zu können. Das gibt mir eine Sicherheit, die ich da oben nicht haben. Im Flugzeug, in diesem, wie du es so schön genannt hast, fliegenden Sarg, habe ich A) die Illusion von Kontrolle nicht und B) kann die Möglichkeit nicht ertragen (egal wie gering), dass ich im Falle eines Absturzes, vielleicht noch 10 oder 15 Minuten über meinen sicheren Tod nachdenken MÜSSTE.
Mir würde es vielleicht helfen, direkt im Cockpit mitzufliegen oder selbst das Flugzeug zu steuern, da ich dann mit Kontrolle beschäftig wäre. :P