Lebensgefährtinnen

CC BY-NC-SA 2.0 , by Anika Lindtner

 

(*Alle Namen sind geändert)

Als mein Handy nachts halb zwölf klingelt, krame ich gleich die Gummibärchentüte heraus und setze Tee auf. Ich hab da so ein Gefühl. Und richtig – Marie* ist am Telefon und schluchzt, ob sie bei mir vorbeikommen könne. Beziehungsdrama. Sie hat sich von ihrer langjährigen Beziehung getrennt und es ist alles nicht so einfach im Chaos der Gefühle.

Marie und ich kennen uns seit der gemeinsamen Abizeit. Danach zog sie für die Liebe sechs Jahre nach Hamburg  – aber wir blieben per Telefon in Kontakt und trafen uns auf Festivals. Jetzt wohnen wir fünf Fahrradminuten auseinander und können uns eben auch nachts mal schnell auf meiner Couch verabreden. Dass ich da sein kann, für Marie jetzt eine Schulter sein und mit durchs Liebeschaos gehen, ist für mich eines der schönsten Dinge in meinem Leben. Den Tränen zum Trotz, die aus Marie herauswollen, bei jedem zweiten Satz.

Hanni und Nanni

Freundinnen spielten schon immer einen wichtigen Part in meinem Leben. Meinen ersten Freund hatte ich erst mit 20 – also viel Zeit, ein starkes Freundschaftsnetz aufzubauen. Das hat mich so geprägt, dass ich meine Freundinnen auch später noch über meine jeweilige Beziehung stellte, die ich führte. Den Wunsch trug ich schon früh in mir. Seit ich mit sieben “Hanni und Nanni”-Bücher las, von den unzertrennlichen Zwillingen, habe ich mir immer eine beste Freundin gewünscht. Im realen Leben hatte ich damals gerade meine Schule gewechselt und war die Neue, die nicht so schnell Anschluss fand. Also träumte ich mir meine beste Freundin zurecht. Eine, mit der ich Zwillingsschwester sein konnte.

Der ist tatsächlich ein paar Jahre lang in Erfüllung gegangen – mit Jana. Ich hatte sie in der 10. Klasse kennengelernt und es passte einfach. Wir haben fünf Jahre in einer 2er WG zusammen gewohnt, Filme gedreht, sind das erste Mal mit 18 ohne Eltern miteinander verreist, haben auf Janas Couch Hausarbeiten aufgeschoben, Musik gemacht und uns schlapp gelacht, weil wir uns eine halbe Stunde nur mittels Tierlauten unterhalten haben. Solche Freundschaften sind rar. Jana war bei meiner Familie bekannt als meine zweite Hälfte. Sie war meine erste Beziehung – lange vor meiner ersten Liebe.

Irgendwann sind wir auseinander gezogen, weil ich mit meinem damaligen Freund zusammenleben wollte. Unsere Freundschaft hat sich dadurch unweigerlich verändert. Wir sind nicht nur mit dem Studium fertig geworden, haben Monate in anderen Ländern verbraucht, sondern haben auch andere Leute kennengelernt, die uns ebenfalls wichtig waren. Sie ist irgendwann schwanger geworden – ich trennte mich von meiner langjährigen Beziehung und stürzte Hals-über-Kopf in eine Fernbeziehung, für die ich alle drei Wochen mit dem Zug nach Wien fuhr. Aus Jana und meiner täglich-reden-Beziehung wurde ein alle-paar-Wochen-mal-sehen-Beziehung. Ich habe lange darunter gelitten, denn ich hatte das geliebt: Wir zwei gegen die Welt. Aber nicht nur Liebesbeziehungen verändern sich eben, wenn man erwachsener wird, sondern auch Freundschaften. Es gibt engere und mal wieder weniger enge Phasen – und nur, weil wir jetzt keinen täglichen Kontakt mehr haben, heißt das ja nicht, dass wir uns weniger wichtig sind. Das musste ich erst lernen. Ich war auch eifersüchtig auf neue Freundinnen, die ihr sehr nahe standen und musste meinen Vorstellungen aus den “Hanni und Nanni”-Büchern adieu winken. Aber irgendwann konnte ich auch andere Menschen nah an mich ranlassen. Mein Herz musste lernen, zu teilen. Es ist jetzt ein kleines Oktopus-Herz, das gern die Fühler nach anderen ausstreckt und sich mit ihnen verbindet.

Ich, sieben Jahre alt. 
Ich, sieben Jahre alt. 

Was uns verbindet

Heute, mit 29, habe ich mehrere Freundinnen, die mich in verschiedenen Lebenslagen sehr eng begleitet haben. Meine „Hanni und Nanni“- Bücher verstauben auf dem Dachboden und mein Traum von der besten, der einen Zwillings-Freundin ist ausgeträumt. Einige Freundschaften sind auch auf dem Weg zum Erwachsenwerden verloren gegangen und ich habe jedes Mal darunter gelitten. Auch heute träume ich noch oft unruhig von Menschen, zu denen der Kontakt seit Jahren abgerissen ist. Loslassen war nie meine Stärke.

Die Freundinnen, die jetzt da sind, kenne ich teilweise aus langweiligen Unterrichtsstunden in der Schule, dem Studium, das wir gleichzeitig unterbrochen haben, oder auch von Programmierkonferenzen. Wir waren in den verschiedensten Lebenssituationen füreinander da. Wir haben Bachelorarbeiten geschrieben und lauthals geflucht dabei, Katzen adoptiert, erste Wohnungen gesucht, Streits mit den Eltern durchgestanden, Heiratsanträge, das erste Mal verarbeitet, heimlich Zigaretten geraucht, Gehaltsverhandlungen geübt, die erste Beziehung beendet, das erste Kind bekommen, Schwangerschaftspanik durchgemacht. Zur Zeit sind wir alle gerade an sehr unterschiedlichen Punkten in unserem Leben: Haben Familien gegründet, uns frisch getrennt, sind Yogalehrerinnen geworden, promovieren, leben offene Beziehungen oder fliegen beruflich in der Weltgeschichte herum. Das, was uns verbindet, sind wir.

 

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Glückliche Damen mit schrumpeligen Pos

Ich zelebriere diese Freundschaften sehr gern. Einmal im Jahr zum Beispiel geht’s an die Ostsee und zum Paddeln. Das sind für mich mit die schönsten Zeiten des Jahres. Ich finde es so wichtig: Zusammen neue Dinge erleben und Erinnerungen schreiben. Ich habe das Gefühl, dass das um mich herum immer weniger passiert, je älter wir werden, dieses zusammen wegfahren. Einmal nur Freundinnen sein, nicht Partnerinnen, Mütter, Töchter oder Teamleiterinnen.

Vor ein paar Wochen war es wieder soweit. Zwei Tage lang haben wir Ostseeluft eingeatmet und stundenlange Gespräche geführt, haben uns Bauchmuskelkater angelacht. Einen Morgen sind wir sogar halb nackt und kreischend in die 10°C kalte Ostsee gehüpft. Um andere haben wir uns nicht geschert – so frei habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Danach haben wir Strandkörbe zusammengeschoben, unsere Zehen in den Sand gesteckt und abends mit Baileys und russisch Brot angestoßen. Freundinnentage wie in meinen Kinderbüchern. Und jedes Mal denke ich daran, dass ich meinem 7-jährigen Ich zuflüstern möchte: “Es wird alles gut. Und noch besser.”  Ich hoffe, dass wir genau das auch in den nächsten vierzig Jahren noch machen und uns noch weniger um andere scheren und dann einfach splitterfasernackt mit schrumpeligen Pos in die Wellen hüpfen. Verrückte glückliche alte Damen.

Vor allem, wenn ich sehe, wie viele Paare in ihrer Liebesbeziehung verschwinden und durch den Alltag nebenbei Freundschaften einschlafen, merke ich, wie glücklich ich mich schätzen kann. Dass ich Menschen habe, die für mich da sind. Egal was gerade im Leben passiert, egal wo wir sind, egal wie lange wir uns nicht mehr gehört haben. Wenn es wieder Gefühlschaos gibt, wie zum Beispiel jetzt bei Marie.

“Wenn das alles nix wird, mit den Beziehungen und dem Kinderkriegen, dann sitzen wir einfach hier auf der Couch, alt und runzelig und streicheln unsere 10 Katzen und trinken Tee.” lachen wir beide den Kloß in Maries Hals weg.

Gefunden

Auch wenn es manchmal schwierig ist, wenn ich am liebsten alles selbst für sie lösen würde und ihre Probleme eigenhändig anpacken – mehr als für einander da sein können und sollen wir nicht. Auch wenn wir echt dumme Sachen anstellen oder zu lange in einer schwierigen Beziehung bleiben, oder uns nicht trauen, den Job zu wechseln.

Als ich Marie später verabschiede, hat sie ein winziges Lächeln auf dem verheulten Gesicht und den Rest Gummibärchen unterm Arm. Ich krabble unter meine Bettdecke und denke daran, wie drei Jahre zuvor die Situation umgekehrt war. Damals hatte ich die roten Wangen und alle anderen beruhigten mein erhitztes Gemüt, reichten Schultern zum Anlehnen und Gummibärchen, verkrümelten sich trotz Geburtstag der PartnerIn oder quengelndem Kind ins Nebenzimmer um ein Notfall-Skype-Chat zu führen.
Ganz abgesehen davon, wie mein Leben verläuft: ob ich jemals Kinder haben werde oder eine Liebesbeziehung, die anhält bis ich 90 bin, oder ob ich andere Träume wahr mache – ich freue mich einfach darauf.

Denn meine Lebensgefährtinnen – die habe ich schon gefunden.

9 Antworten zu “Lebensgefährtinnen”

  1. Kassiopaia sagt:

    „Verrückte glückliche alte Damen.“, au ja, das wünsche ich mir auch für meine Freundschaften! Am besten saugen sich die kleinen Oktopus-Herz-Tentakel dazu so fest, dass sie mindestens tiefrote Knutschflecke der Liebe und Begeisterung für meine FreundInnen hinterlassen.

  2. UH sagt:

    Dein Text hat mich sehr berührt. Ja, da bin ich auch sehr dankbar dafür, dass mein Herz gelernt hat zu teilen und dass es diese wundervollen Menschen in meinem Leben gibt!

  3. Anj sagt:

    „Lebensgefährtinnen“ ist ein schönes Wort für Freundinnen. Bei so engen Freundschaften sucht man ja manchmal nach einer Bezeichnung, die der Bindung gerecht wird. Sie sind etwas anderes als die Liebesbeziehung zum Partner/zur Partnerin, anders als eine Schwester, aber auch anders als „eine Freundin“. Wenn man über einen so langen Zeitabschnitt über so viele Lebenssituationen hinweg Gedanken, Gefühle und Gummibärchen teilt, wird man zur Familie.

    • langziehohr sagt:

      ja, das empfinde ich auch so! <3

    • spicollidriver sagt:

      Wobei das ja leider je nach persönlicher sexueller „Orientierung“ unnötig confusing wird bzw. sein kann (also natürlich nicht für einen selbst, aber evtl. hat man keine Lust darauf, sich ständig erklären zu müssen).

  4. […] Anika schreibt über eine Spezies, die leider viel zu selten ist: Lebensgefährtinnen. […]

  5. Mountain_of_Conflict sagt:

    „Das hat mich so geprägt, dass ich meine Freundinnen auch später noch über meine jeweilige Beziehung stellte, die ich führte. Den Wunsch trug ich schon früh in mir.“
    Ich finde das ist eine wichtige Perspektive. Der Liebespartner muss nicht zwangsläufig der wichtigste Mensch im Leben sein.