Kindheit meiner Musik: Musik meiner Kindheit

Foto , CC BY 2.0 , by nanpalmero

Ich habe mich schon sehr lange darauf gefreut, auch endlich einen Beitrag in dieser Reihe schreiben zu können, denn solange ich denken kann, war Musik einfach immer da. Für meine Eltern war es eine Selbstverständlichkeit unser Haus mit Musik zu füllen und, auch wenn das Geld eigentlich klamm war, immer auch welches für neue Platten auszugeben. Musik half mir, mich auszudrücken, entführte in neue Welten und öffnete mein Herz. Und letzteres springt mir auch heute immer noch fast vor Glück aus der Brust, wenn ich diejenige bin, die während eines Konzerts mit glitzernden Augen dasteht und sich von den Klängen umarmen lässt.

Ja, das hier wird ein Text voller Pathos und Emotionen sein, denn: Das muss so.

Home is a „Wonderful Land“

Eine der ersten Erinnerungen ist genau genommen gar nicht meine, da ich noch viel zu klein war, gerade erst ein paar Monate alt, aber eben schon mitten unter musikbegeisterten Eltern. An meinem ersten Weihnachten konnten sie es jedenfalls kaum erwarten, den großen Familienteil mit Oma und Opa abzuschließen, um Weihnachten endlich mit ihrer eigenen jungen Familie zu feiern und das frisch geschenkte Album „QE2“ von Mike Oldfield auszupacken. Das alles taten wir dann auch, während mein Papa mich auf seinem Arm durchs Wohnzimmer fliegen ließ.

Und ob es nun doch die versteckte Erinnerung daran ist oder nicht, aber gerade „Arrival“ (die Cover-Version eines Abba-Songs, wie ich später herausfand) und „Wonderful Land“ schenken mir sofort ein Lächeln und ein wohlig warmes Gefühl von Zuhausesein. (Das funktioniert in etwa ähnlich intensiv wie bestimmte Gerüche auf einen Schlag die passenden Erinnerungen hervorrufen können.)




Peter und der Klopsemops

Dann kam die Zeit, in der der Platz vor unserem Plattenspieler der wichtigste Ort im ganzen Haus und das Gerät selber förmlich ein guter Freund wurde. Stundenlang konnte ich davor sitzen, Plattencover anschauen, die Geschichten in meinem Kopf lebendig werden lassen und natürlich: mitsingen!

„Verflixt und zugewuffelt!“ Es ist insgesamt unmöglich zu zählen, wie oft ich den Traumzauberbaum und seine verkuschelten Waldgeister Moosmutzel und Waldwuffel („Würdest du bitte mal deinen Zeh aus meiner Nase nehmen?!“) gehört habe, aber wenn ich eine Platte aussuchen müsste, die für meine frühe Kindheit steht, dann wäre es diese. Das „Küsschenlied“ macht mich heute noch froh und erinnere mich nur zu gut daran, dass ich das Gespensterduett meist zu überspringen versuchte (in Ermangelung einer entsprechenden Funktion beim Plattenspieler lief es meist auf Ohren zuhalten hinaus), weil es mir dabei schlicht zu sehr gruselte. Dafür war ich spätestens beim Frühlingslied wieder voll am Start („Schneeglöckchen! SCHNEEEEEEGLÖCKCHEN!“). Meine weiteren Hits: das Regenlied und, natürlich, der Klopsemops.

Überhaupt war wohl kaum etwas so prägend wie die Geschichtenlieder von Reinhard Lakomy und Monika Erhardt. Ich sog die Charaktere und Erzählungen rund um „Mimmelitt das Stadtkaninchen“ oder „Schlapps und Schlumbo“ förmlich auf, sprach die Dialoge mit, sang aus vollem Herzen (natürlich!) und ging so oft es ging mit ihnen auf Entdeckungsreise. Als Lakomy 2013 starb, dachte ich seufzend wieder sehr viel daran wie dieses kleine Mädchen damals so vor dem Plattenspieler kampierte, sich die ganze Welt um selbigen zu drehen schien und doch gleichzeitig so viel größer wurde.

Ein weiterer Plattenliebling hieß „In Dingsbumshausen ist was los“. Auf diesem sang u.a. Helga Hahnemann von der Theatermaus Berta und sie enthielt auch die Perle „Was ist denn dabei?“, featuring die Britt aus Bitterfeld und eine Anti-Fatshaming-Botschaft für Lilo aus Bad Doberan. (Leider leider ist das alles gerade nicht mehr im Netz zu finden. Falls doch, könnt ihr die Links gerne in den Kommentaren posten.)

Ganz weit oben in der damaligen Top 5 war aber definitiv „Peter und der Wolf“. Hier lernte ich zum ersten Mal unterschiedliche klassische Instrumente kennen (ganz so wie es Sergei Prokofjew beabsichtigt hatte) und war besonders fasziniert vom tragischen Klang der Ente (also der Oboe). „Peter und der Wolf“ wurde außerdem die erste Platte, die ich ganz alleine umdrehen konnte. Ein grandioser Moment! Und das nicht nur, weil meine Eltern dann jeweils weiter dem nachgehen konnten, was sie eben gerade machten, statt regelmäßig wegen ungeduldigen „UMDREEEH’N!“-Rufen aus dem Wohnzimmer aufspringen und auf Seite 2 wechseln zu müssen.

Ossi Fun Fact: Als ich damals so am Plattenspieler klebte, wanderte mein Blick währenddessen natürlich auch über die restliche Vinyl-Beute meiner Eltern. Dort fiel mir immer wieder ein Cover von Jennifer Rush ins Auge, eine Platte, die zu meiner Verwunderung allerdings nie aufgelegt wurde. Als ich meine Mutter fragte, ob wir die nicht auch mal hören sollten, winkte sie nur ab und meinte, dass sie die doof findet und meine Eltern die Platte leider nehmen mussten. Aber wieso etwas nehmen müssen, was man eigentlich nicht haben will? Meine Verwunderung löste sich schnell auf, denn an diesem Tag lernte ich, was Bückware ist, warum die Verkäuferin in der Buchhandlung (wo wir fast alle Platten bestellten und kauften) manchmal so seltsam verschwörerisch tat und dass man, um manche heißbegehrte Platten zu bekommen, hin und wieder auch wortwörtlich andere dafür als „Spezialangebot“ in Kauf nehmen musste.

All you need is Leuchtturm, Barbara Ann

Wer mich kennt, weiß: I’m a sucker for good pop music. Eigentlich auch kein Wunder, denn von Anfang an waren da auch immer: The Beatles. Es ist schließlich kein Zufall, dass der Nickname, den man heute mit mir verbindet, einen Bezug zu den Fab Four hat. Wobei ich damals noch weniger das weiße Album hörte und dafür eher eine Art Best Of, das meine Eltern zusammengestellt hatten.

Hier dachte ich ganz lange, dass „Penny Lane“ eine Person wäre, lernte meine ersten französischen Worte von „Michelle“ (Très bien ensemble!), während meine Mutter erklärte, dass „Hey Jude“ geschrieben wurde, um den Sohn von John Lennon aufzumuntern (Ich fragte mich damals immer, warum er denn überhaupt schlechte Laune hatte) und ich sang schließlich jedes „Bababababaaa“ (das waren dann die Bläser) bei „All you need is love“ mit.

Außerdem liebte ich das Leuchten im Gesicht meines Vaters wenn „A hard day’s night“ lief und er manchmal davon erzählte wie er als Jugendlicher auf Klassenfahrt in Prag in einem Kino landete und vollkommen davon umgehauen wurde, was da auf der Leinwand passierte – obwohl er noch kaum Englisch verstand und die tschechischen Untertitel auch nicht gerade weiterhalfen.

Bei uns musste man sich zwar nicht zwischen Beatles und Stones entscheiden, aber trotzdem hatte ich John, Paul, George und Ringo immer noch ein kleines bisschen lieber als zum Beispiel Mick, Keith, Ron und Charlie. Die größte Konkurrenz bekamen die Pilzköpfe (mich fasziniert weiterhin, dass diese Frisur tatsächlich mal als Akt der Rebellion galt) noch am ehesten durch ihre amerikanischen Künstlerkollegen namens Beach Boys (nicht zu verwechseln mit den natürlich ebenfalls heiß geliebten Quietschbeus).

Auch wenn ich bislang nur den Strand von Warnemünde kannte und ich mir Surfen lediglich aufgrund des Plattencovers vorstellen konnte: Die elterlichen Berichte sagen jedenfalls, dass ich zu „I get around“ oder „Barbara Ann“ in wilde Tanzorgien verfiel – und an dieser Stelle fällt mir dann mal auf, dass ich bei englischsprachigen Songs offenbar echt eine Vorliebe für die mit Personennamen hatte, ha!

In dieser frühen Vor-dem-Schallplattenspieler-bis-zum-Umfallen-tanzen-Phase gab es aber auch eine ganz ganz große Heldin und die hieß: Nena! Da spielte natürlich auch eine gewisse Anzahl Luftballons eine Rolle, aber meine Lieblingslieder hießen vor allem „Nur geträumt“ oder „Leuchtturm“. Mit letzterem verbindet mich lustigerweise die Erinnerung, dass ich es im Kindergarten meinem damaligen besten Freund vorsang (das Lied handelte schließlich von einem coolen U-Boot, das musste ich ihm unbedingt erzählen!), während ich Schweinebammel am Klettergerüst machte und beim „AAAAAHAHAAAA“-Teil noch mal so richtig aufdrehte. Wenn ich heute nur den Sound-Effekt vom Song-Anfang höre, bringt mich das direkt wieder zurück auf diesen Spielplatz, den es mittlerweile schon sehr lange nicht mehr gibt:

Wir sind die Roboter

Aber nicht nur klassischer Pop fand früh den Weg in meine Gehörgänge. Von Led Zeppelin (die ich mal in einem Teenie-Trotzmoment legendär als „Hippiescheiße“ bezeichnete, was seitdem als Running Gag der Familie fungiert) bis Pink Floyd hatte ich auch sehr bald mit Kraftwerk zu tun. Genauer gesagt mit der Single zu „Die Roboter“. Von der war ich nämlich so fasziniert, dass ich sie immer und immer wieder hören wollte – einen Lieblingssong obsessiv on Repeat zu hören, hat sich ja bis heute bei mir gehalten – da ich den Plattenspieler aber noch nicht alleine bedienen durfte, musste das mein Vater übernehmen. Der war zwar in seiner Studienzeit DJ und kannte das Prinzip „Lieder wünschen“ sehr gut, aber irgendwann hatte ich ihn überstrapaziert und als ich mir mal wieder „Die Roboter“ herbei sehnte, behauptete mein Papa plötzlich, dass die Platte „wohl irgendwie verschwunden“ sein müsse.

Dass es seitdem viel mehr und bessere Möglichkeiten gibt, um die eigenen Lieblingslieder in Dauerschleife abspielen zu können, gehört für mich, wie man sich denken kann, auf jeden Fall zu den größten technischen Errungenschaften. Kraftwerk liebe ich natürlich immer noch und wünsche mir sehr, dass Musik vielleicht irgendwann wieder einmal so bahnbrechend sein wird wie damals, als es in den Fernsehshows hieß „Es ist ein bisschen schwierig diese Musikrichtung einzuordnen“…

Could it be limbo dance?

Musik geliebt zu haben, die ich heute nicht mehr höre, ist mir nicht peinlich, doch ich gebe zu, dass ich bestimmte Sachen schlicht nicht mehr nachvollziehen kann. David Hasselhoff und „Do the Limbo Dance“ zum Beispiel könnte ich nicht mal mehr ironisch hören, aber die dazugehörige Kassette (wenn ich mich richtig erinnere, auch eine Art Best Of, haha) habe ich wie einen Schatz gehütet, denn dass der Typ aus „Knight Rider“ auch noch sang, fand ich damals verdammt cool. (Don’t jugde.)

Kommen wir also auch zum Unvermeidlichen: Ja, selbstverständlich hatte ich eine Boy-Band-Phase! In meinem Fall konzentrierte sie sich auf Take That, denn die hatte ich beim Auftritt in irgendeiner Samstagabendshow (Imagine that!) gesehen, wo sie „Could it be magic“ performten und prompt musste ich mir das Debüt-Album „Take That & Party“ zulegen – dessen Cover mir heute Schmunzelanfälle beschert – und konnte mich fortan erst mal nicht entscheiden, welchen Typen aus der Band ich am besten fand. Ich fing bei Robbie an, kam dann zu Gary, dann zu Howard, streifte Mark und Jason, landete am Ende wieder bei Robbie und stand netterweise aber gar nicht mehr so auf ihn oder die Musik als er die Band verließ, weswegen mir das große Drama erspart blieb, das andere Fans durchmachten.

Music was my first love,
concerts were my second

Die anderen Jungs, die ich damals seeehr viel hörte, waren die Prinzen. Ich meine zu erinnern, dass mein Vater die CD von „Das Leben ist grausam“ anschaffte, da der Song „Millionär“ (Leistungsgesellschaft, ick hör dir trapsen) damals im Radio rauf und runter lief.

Die Prinzen höre ich nun heute zwar gar nicht mehr, aber sie werden immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben, denn sie wurden 1993 das erste Konzert auf das ich gehen durfte und welches ich absolut glückselig wieder verließ – vor Begeisterung hatte ich so sehr geklatscht, dass ich am nächsten Tag den Muskelkater in meinen Händen pflegen musste. Ich schwor mir, ab sofort alles an Konzerten mögliche mitzunehmen! Dass ich nun eines gesehen hatte, war eine riesengroße Sache, denn noch ein Jahr zuvor hatten meine Eltern meinem Bruder und mir erzählt, dass man erst ab 18 Jahren auf Konzerte dürfe.

Eine kleine Notlüge ihrerseits, denn sie hatten Karten für Genesis (für mich war das lange Zeit nur die Band mit Phil an der Front), aber keine Möglichkeit uns auch mitzunehmen. Dafür hatte ich mir dann selbst eine Kassette mit meinen persönlichen „Greatest Hits“ von Genesis zusammengestellt, wo die einzelnen Songs durch ein komplexes Bewertungssystem auf dem Kassettenumschlag noch mal einzeln bewertet wurden (voller Kreis = woohoo, halbvoller Kreis = yay, leerer Kreis = okay). Als ich allerdings die Wahrheit über Kinder und Eltern als Konzertbegleitung erfuhr, hatten meine selbstverständlich keine Ausreden mehr.

Das zweite Konzert wurde dann sogar Phil Collins auf seiner Solotour. Es endete mit einem Song, der auch heute noch zu meinen liebsten von ihm gehört:

(Warum Phil einer_einem kategorisch peinlich sein muss, auch wenn man die Sachen von ihm mag, habe ich übrigens nie verstanden. Aber das ist wohl das klassische Zeichen für Mainstream-Erfolg?)

Soundtrack of my life

In meiner wachsenden CD-Sammlung befanden sich anfangs auch viele Film-Soundtracks, darunter natürlich (!) der zu „Bodyguard“. Überhaupt war zu dieser Zeit alles mit Whitney Houston großartig und ja, ich habe da in Tonlagen mitgesungen, die wirklich fern meiner Fähigkeiten sind. Ein weiterer wichtiger Soundtrack war der zu „Forrest Gump“, den mir mein damaliger Englischlehrer näher brachte, indem er einzelne Songs für Hörverständnisübungen benutzte – eine Aufgabe, die ich über die Maßen liebte, immerhin machte ich das eh schon die ganze Zeit wenn ich Lieder aus dem Radio mitgeschnitten hatte und mir ein Booklet o.ä. fehlte. Ohne Hilfe mitsingen zu können, bedeutete für mich irgendwie auch immer Empowerment und war damit bereits Galaxien von den Zeiten entfernt, als ich die Radiolieder mit Fantasieenglisch begleitete („Oho, Kellofarsch!“) und sogar mal Falco fälschlicherweise ins Englische einordnete, weil ich den österreichischen Refrain nicht verstand.

Mein Hang zu Soundtracks und Compilations führte freilich auch zu diversen Ausgaben der Bravo Hits, u.a. der Nummer 6, wo Mark Wahlberg noch zu rappen versuchte und „Whoomp there it is“ auf „Katzeklo“ traf (was habe ich dieses Lied gehasst…).

Da wir zu dem Zeitpunkt leider noch kein MTV hatten, waren gerade die Compilations sehr toll und wichtig für mich, um neue Künstler_innen zu entdecken, insbesondere aus dem R’n’B-Bereich. So lernte ich auf diese Weise zum Beispiel En Vogue und Salt ’n’ Pepa kennen, aber vor allem stieß ich dadurch auf TLC. Von ihnen kaufte ich mir schließlich „CrazySexyCool“ und O! M! G! Was lieb(t)e ich dieses Album! Es war genau das, was sein Titel versprach und beeindruckte mich wahnsinnig, weil diese jungen Frauen ganz selbstverständlich über Liebe, Sex und gesellschaftliche Probleme sangen.


Yeah yeah yeah yeah

Ich hatte zwar daheim (noch) keine dezidierten Musiksender, aber von „Formel Eins“ bis „Elf 99“ sog ich allesallesalles auf, was es in Sachen Musikvideogucken überhaupt gab. Und ich weiß nicht, wie es euch geht, aber es gab dann immer mal Videos, bei denen die Welt kurz einen Moment anhielt. Bei denen es das Schlimmste war, wenn jemand dazwischen quatschte und man sich nur noch näher an den Bildschirm schieben wollte, um auch ja nichts zu verpassen. Jede einzelne Einstellung musste erfasst werden und natürlich auch jeder Ton. Weil es einfach so vollkommen war…

(Die Lyrics zu „Man on the moon“ druckte ich mir aus und trug sie fortan in meiner Federtasche immer mit mir herum. Überhaupt verwandelten sich meine Schulutensilien immer mehr in Fan-Artikel. Yeah yeah yeah yeah…)

Whatever is next

Das hier ist nur ein Ausschnitt und, Musik-Nerd die ich schließlich immer noch bin, kribbelt es mir direkt in den Fingern, einen zweiten Teil zu verfassen und natürlich auch im Grunde schon die nächste Serie zu starten: Musik meiner Jugend. Als eigentlich fast alles mit einem Schüler_innenaustausch in Frankreich begann und dies förmlich eine neue Ära einläutete.

Aber wie gesagt, das ist noch mal eine andere Geschichte.

Für heute sage ich einfach: Thank you for the music. <3

Aus dieser Reihe

Lena – „Als ich Rolf Zuckowski doof fand: Musik meiner Kindheit“
Nicole – „80er, 90er und das Beste von gestern: Musik meiner Kindheit“

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