Mein Haus, mein Kind, mein Rant

CC BY-NC-SA 4.0 , by Nicole

Erinnert ihr euch noch an diese Werbung aus den 90ern? Ein Anzugtypi sitzt am Tisch, kommt ein anderer Anzugtypi und sie begrüßen sich aufgesetzt überschwenglich.

„Neeein, sowas! Der Schober!“

„Schröder, ha ha!“

„Mensch, ewig nicht gesehen! Setz dich!“

Und dann, zack, zack, zack, zieht der eine Fotos aus der Tasche. Mein Haus, mein Auto, mein Boot. Eine wie von Sergio Leone gefilmte Duellsituation. Schließlich kontert der andere und setzt noch einen drauf: „Meine Dusche, meine Badewanne, und mein Schaukelpferdchen„.

Was in der Reihe noch fehlte? Meine Familie, meine Frau, mein Kind. Gut, dass der Sender Vox sich diesem Mangel jetzt angenommen hat. Seit kurzem läuft im Nachmittagsprogramm die Sendung „Mein Kind, dein Kind“. Nach Sendeformaten wie „Mein Lokal, dein Lokal“ auf Kabel1, in denen Leute sich in ihren Restaurants besuchen und diese vom Essen hin zum Interieur gegenseitig bewerten, oder “Mein himmlisches Hotel”, in der Leute mit ihren Hotels um Punkte konkurrieren und jeden Winkel kommentieren, geht diese neue Sendung einen Schritt weiter. Das gut erzogene Kind als Statussymbol, die perfekte Frau und Mutter, die bitte sympathisch und mit Leichtigkeit für dessen Erziehung sorgt.

Headdesk vs. facepalm

Ich habe länger nicht mehr nachmittags ferngesehen. Früher hatte ich Phasen, in denen ich mir das alles reingeknallt hab. Die Wohnungs-, die Hochzeits-, die Trödelsendungen. Oft in Hoffnung auf nette Momente der Erwachsenen untereinander. Und klar, weil ich eine Meinung zu Kleidern und Wohnungen habe. Je skandalsuchender oder gescripteter die Sendungen wurden, umso müder wurde ich ihrer. Dass ich “Mein Kind, dein Kind” überhaupt sah, war Zufall, aber einer der als Faust in der Magengrube saß. Ich habe nicht ab- oder umgeschaltet, weil ich nicht glauben konnte, dass das echt sein soll. Weil das so krass war, weil ich es so schlimm fand und unfassbar. Offener Mund, Bauchschmerzen.

Das Setup geht so: Zwei Eltern (bis auf eine Ausnahme bis jetzt nur Mütter) besuchen sich gegenseitig je einen Tag lang (die, die besucht, kommt ohne Kind), beobachten einander. Am dritten Tag treffen sie sich mit Kind und erzählen sich, was sie an der Erziehung der anderen scheiße fanden, warum sie von ihrer eigenen Erziehung trotzdem überzeugt sind, während die Kinder im Hintergrund spielen, manchmal miteinander. Natürlich sind die Paare sehr gegensätzlich gewählt. Autoritäre Mutter trifft auf Kumpelmutter, materialistische Mutter trifft auf Ökomutter, vollzeitarbeitende Mutter trifft auf Mutter, die lieber viel mit Kind zuhause ist.

Die Krönung der Shitshow ist aber die eingeblendete Sofameute. Das sind unterschiedliche Familien (aber regelmäßig die gleichen Familien), von Mutter mit erwachsenem Kind, Mutter und Vater mit zwei, Mutter mit drei Kindern, über ein Großelternpaar und ein, wait for it, Paar mit Kinderwunsch. In späteren Folgen auch ein schwules Paar mit Hund. Die sitzen alle auf ihren Sofas, gucken zu, wie die Mütter sich verhalten, und kommentieren jeden Move. Am Ende entscheiden sie, welche Mutter sie besser fanden. Wer streng ist, steht als unsympathisch da, wer locker lässt, wird belächelt oder verhöhnt, wie die Mütter sich auch verhalten, richtig machen sie es nicht, Kritik ist ihnen sicher. Kritik für Situationen, in denen sie, das muss man sich auch vor Augen halten, nicht nur von einer ihnen bis dahin eher fremden Person beobachtet und bewertet werden, sondern in denen sie auch von einem Kamerateam verfolgt und befragt werden. Und dabei irgendwie eine gute Nummer mit ihren Kinder performen müssen.

Im Intro klingt das übrigens so: “Vorname Person A oder Vorname Person B – Zwei Mütter besuchen sich und kritisieren ihren Erziehungsstil. Und Deutschland entscheidet: Wer macht es besser?” Und “Wer hat die Nase vorn?”

What the everloving fuck? Hab ich das Memo verpasst, dass Kindererziehung eine Competition ist? Und “Deutschland” darüber entscheidet? Ernsthaft, Deutschland? Ausgerechnet? Das hat noch mal eine besondere Note, wenn man ein bisschen auf die Banderolen guckt, die Informationen zu den kommentierenden Familien liefern. Einen Querschnitt der Bevölkerung sollen sie darstellen. Und yay, wir haben auch eine Mama mit Kopftuch und drei ihrer Kinder auf dem Sofa. Bei denen aber über den Banderolentext mehrmals in jeder Folge darauf hingewiesen werden muss, dass sie gläubige Moslems sind (teils 4 mal in 25 Minuten) und wo ihre Wurzeln liegen, während die anderen Familien dahingehend unmarkiert bleiben. Ist aber auch nicht so, also würde die Sofameute sich nicht selbst rassistisch äußern und zum Beispiel Verhalten von Müttern und dem Vater auf die jeweilige vermeintliche Kultur beziehen.

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Denkt denn niemand an die Kinder?

Manchmal kommentiert die Sofameute auch das Verhalten der beobachteten Mütter in Bezug auf Kindeswohl und die Gefährdung desselben. (Wenn kleine Kinder Treppen alleine hochlaufen dürfen. Oder, noch besser: wenn Mütter in der Schwangerschaft Sport gemacht haben.) Aber was ist eigentlich mit der Sendung selbst? Wie ernst nehmen die Kommentator_innen selbst Kindeswohl? Wie geil ist das eigentlich für Kinder, wenn sie im Fernsehen sehen können, wie “Deutschland” sie, ihre Eltern (vor allem Mütter), ihre Erziehung disst? Sie als “verzogen” oder “zurückgeblieben” bezeichnet oder ihre Mütter als blöd und unfähig darstellt? Leitmedium hat das neulich auch mal angerissen, bezüglich einer gerade laufenden Debatte um Kinderfotos online. Und noch viel grundsätzlicher: Wie ernst nehmen die Sendungsmacher_innen Kindeswohl, die Perspektive der auftretenden Kinder? Die zur Unterhaltung und Bewertung von Sofameuten im und vor dem Fernseher vorgeführt werden? You guys, seriously?

Das Letzte, was Kinder und Eltern brauchen, ist die Bewertung von irgendwelchen Leuten, die sie nicht kennen. Oder eine Verschärfung der eh schon herrschenden Bewertungskultur für Eltern. Auch nahe Verwandte dürfen sich bei Kritik am “Erziehungsstil” gerne auf die Zunge beißen, wenn es nicht gerade darum geht, ein Kind vor gewaltvollen Erziehungsmaßnahmen oder Verwahrlosung zu schützen. Ob das Gemüse vom Markt oder aus dem Glas ist, ob Mama am Kind klebt, oder nicht, ob der Boden glänzt oder ein Legominenfeld ist, ob die Eltern in der Küche rauchen oder täglich mehrmals putzen: was bockt’s die Leut? Und auch bei Konflikten, wenn Eltern A anders mit einem aufgedrehten oder verärgerten Kind umgehen als Eltern B, was hilft es da zu sagen: oh, B find ich cooler, A nervt? Was soll das? Vor allem brauchen wir nicht noch mehr misogynes Mütterbashing.

Kriegsberichterstattung
aus den Mommy Wars

Im englischen Sprachraum gehen mit Regelmäßigkeit Texte rum, die von den sogannten Mommy Wars erzählen. Die Fronten sind klar abgesteckt: Working Moms vs. Stay at Home Moms. Stillen vs. Pulvermilch. Attachment Parenting vs. irgendwas anderes. Wie die anderen es machen, ist falsch und unverantwortlich, wer sein Kind liebt, macht xy. Ich hatte den Eindruck, dass das eigentlich immer mehr abklingt, als Mythos fortgewischt werden kann. Dass der Wunsch nach und die Bereitschaft zu Solidarität vermeintliche Differenzen trumpft, dass mehr Leuten wichtig ist, mit anderen Elternschaften offen und respektvoll umzugehen, nicht wertend. Weil wir alle unsere Zweifel und Unsicherheiten haben, nicht immer die richtige Lösung wissen. Dass es nicht immer leicht ist, nicht wertend zu sein, aber zu schaffen, wenn wir alle uns Mühe geben. Dass viele Leute im Internet viel gute Arbeit dafür machen. Zum Beispiel Rike Drust (she’s an awesome feminist!), die auf ihrer Facebookseite Muttergefühle. Gesamtausgabe (Titel ihres ersten Buches) Sorgen und Fragen von anderen Müttern vorstellt und ein Auge darauf hat, dass die Ratschläge dazu nicht verurteilend sind, sondern unterstützen. Und in diese Bemühungen kracht so eine Sendung rein. Eine Sendung, die sich anfühlt, als falle sie allen Eltern in den Rücken, die sich um Respekt vor- und untereinander bemühen, die Arbeit darein investieren, einen Raum für Solidarität zu schaffen, insbesondere unter Müttern und für sie.

Aber innerhalb des schrecklichen Rahmens dieser Sendung gibt es überraschend ein paar schöne Momente; in der einzigen Folge, in der ein Vater am Start ist, übrigens. Und er etwas beobachtet, was er bei seinen Kindern nicht so super findet, nämlich wenn am Tisch Essen rumfliegt, und er sieht, dass es beim anderen Kind auch so ist. Dass das kein judgy Moment ist, sondern ein “oh, nicht alleine damit”. Nicht alleine damit, es nicht zu schaffen, dass der Essplatz eines Kindes zwischen eins und zwei nicht voller Essensreste ist. Was ich nachvollziehen kann, weil auch mich schon erleichterte zu sehen, wie andere Kinder nicht nur krümeln, sondern Stücke rumwerfen. Dass es normal ist, kein Versagen. Als die Mutter dieser Folge sieht, wie das Kind des Vaters Schokokekse knabbert, kritisiert sie ihn nicht dafür, sondern erzählt ihm von ihrem Dilemma, als Erwachsene selbst Schokolade essen zu wollen, aber das Kind soll noch keine und was macht man da eigentlich. (Hab ich mich nämlich auch schon gefragt.) Die zwei finden Verbindungen in ihrem sonst eher unterschiedlichen Umgang mit ihren Kindern. Für so Alltagskram ist es Magie, andere Kinder und andere Eltern zusammen zu sehen. Nicht für Erziehungsziele oder Konzepte. Nicht für krasse Kontraste und Konflikte. Gemeinsamkeiten finden in dem, was man unterschiedlich macht. Die Geschichten von anderen mitkriegen und ernstnehmen. Nicht “So machst du das falsch” sondern eher “Wenn ich in so einer Situation bin, hilft mir meistens xy.” Best practices austauschen, aber im Hinterkopf behalten, dass die nicht best for everyone sein können. Für sowas kann zum Beispiel ein Online-Clan von Eltern gut funktionieren, wenn man weniger Alltagseinblick bei Eltern vor Ort hat, oder Magazine mit Erfahrungsberichten und nuancierten Debattenbeiträgen wie umstandslos.

Wie es (uns) besser geht

Was ich vor allem will? Empathie, for fucks sake. Auch im Fernsehen. Besonders im Fernsehen. Wegen seiner Wirkung für alle, die vielleicht keinen Online-Clan zu Hand haben, die schwache Netzwerke in ihrem Umfeld haben, die alltäglicher unnötigen Bewertungen ausgesetzt sind. Was noch? Dass die Sendung wegen miesen Einschaltquoten eingestellt wird (und mit meinem Artikel nicht aus Versehen zum Gegenteil beigetragen zu haben). Dass ich sowas Bescheuertes nie wieder sehen muss. (Und auch ähnlich kaputte Sofameute-Sendungen nicht mehr, in denen Kinder und ihre Eltern zur Unterhaltung vorgeführt werden, wie die Supernanny oder Frauentausch.) Dass Kinder selbstbestimmt in der Öffentlichkeit eine Rolle spielen und vorkommen können und Familienalltag nicht als Wettkampf inszeniert wird.

Und für alle anderen, die auch keinen Bock auf solche Formate haben, aber ein Interesse an Geschichten zu Elternschaft und ihren super vielschichtigen und überraschenden Herausforderungen, habe ich zum Glück eine Empfehlung. Eine, die ich allen Eltern ins digitale Portemonnaie stecken möchte, eine, die auch für Leute, die keine Eltern sind, ein Schatz sein kann: Der Podcast The Longest Shortest Time von Hillary Frank, den müsst ihr hören. Echt jetzt. Sie führt Interviews mit Eltern, über besondere und schwierige Situation mit ihren Kindern oder mit sich selbst. Sachen mit denen sie nicht gerechnet hätten, Sachen, die für sie Alltag sind und für andere neu. Beim Zuhören kann man oft überrascht werden: lernen, nicht allein zu sein mit kniffligem Kram oder mehr zu sehen hinter Elternverhalten, bei dem man vielleicht selbst judgy gewesen wäre (ist mir beim Hören schon passiert) und sich dann mit “oh!” vorzunehmen, auf die Entscheidungen von anderen Eltern für ihre Kinder zu vertrauen. Weil niemand ihre Kinder so gut kennt, wie sie. Die Folgen sind kurz, unterhaltsam gemacht, berühren. Wer gerne This American Life hört, wird das sehr mögen. Und hinter der Sendung steht ein Netzwerk. Es gibt eine geschlossene Facebookgruppe für Mütter und eine für Väter (der Link zu letzterer findet sich in den Kommentaren dort), gedacht als judgement free zones, und in den USA von den Macherinnen der Sendung organisierte Speed Dating for Mom Friends-Events. (Hallo, ich will sowas hier auch, bitte.)

Und wenn ihr lieber fernseht, als Online-Radio auf Englisch zu hören, kann ich zumindest einen Film empfehlen. In Babys von Thomas Balmès werden vier Kinder in Japan, Namibia, der Mongolei und den USA in ihrem ersten Lebensjahr beim Aufwachsen beobachtet. Ohne Kommentare oder Bewertung. Und es ist so schön zu sehen, wie die Kinder, die mit sehr unterschiedlichen Erziehungsstilen groß werden, geliebt werden, wachsen und gedeihen. Ganz unabhängig davon wie autoritär oder laissez-faire die Eltern sind. Ganz unabhängig davon, wie gepampert oder nackt die Kinder durch die Welt laufen und sie kennenlernen. Und unabhängig davon, was andere sagen.

Habt ihre andere Tipps, in denen es besser geht?
Formate, in denen Elternschaft kein Höherschnellerweiter ist?
Oder einen ähnlichen Hass auf andere Sendungen?

Eine Antwort zu “Mein Haus, mein Kind, mein Rant”

  1. Sarah sagt:

    Ich möchte einfach danke sagen für den tollen Beitrag (was für eine gruselige Show, die ich noch nie gesehen habe und nun auch nicht sehen will) und für die Hinweise wie es besser geht.
    Früher schaute ich auch gerne diese Formate (vor allem diese Babysendung in der Mütter zur Geburt begleitet werden) aber irgendwann wird das öde und Formate à la Frauentausch ätzend. Ich bleibe meinen Netflix-Serien treu. Da gibt’s auch keine ätzende Werbung. :)
    Viele Grüße
    Sarah