Es geht hier nicht um Durchhaltevermögen, Baby

Ein Stromkasten, auf dem mit Stencil
, by Svenja Gräfen

Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Svenja.

Svenja lebt in Stuttgart und in Fernverkehrszügen, sie mag Papierboote, Softcover-Notizbücher und Kommasetzung. Steht als Poetry Slammerin auf Bühnen und muss noch den Semesterbeitrag überweisen.

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Ich will das alles nicht mehr, sagte sie und sprang aus dem Fenster.
Ich fand das furchtbar.
Furchtbar konsequent.

Laura Reichel

Hallo, Internet. Ich möchte gerne kurz über mein Problem sprechen.

Mein Problem ist nicht das, was schrecklich gern meiner so genannten Generation angedichtet wird. Es hat nichts damit zu tun, dass ich nicht weiß, was ich will. Ich stehe nicht inmitten einer Million Möglichkeiten, mir wird nicht schwindelig. Ich will nicht zu viel auf einmal und ich habe keine Entscheidungsschwierigkeiten.

Im Gegenteil weiß ich sehr genau, was ich will. Vielleicht, weil ich es schon die meiste Zeit meines Lebens will. Das klingt ziemlich pathetisch, und womöglich ist genau das mein Problem.

Das, was ich will, lässt sich nicht erreichen, indem ich eine Ausbildung mache oder studiere und mich dann auf einen Job bewerbe.

MEINE KINDHEITSERINNERUNG: SCHREIBEN

Ich bin 24, und ich schreibe seit ungefähr 17 Jahren. Vielleicht noch länger, wenn man mitzählt, dass ich meiner Mutter Geschichten diktiert habe, als ich selbst noch nicht schreiben konnte. Dass mein Grundschullehrer schon in der ersten Klasse beschriebene Notizzettel zu winzigen Büchern zusammennähte. Ich weiß noch, einmal hat er sich mit der Nadel in den Zeigefinger gestochen und geblutet. Ich hatte ein ungeheuer schlechtes Gewissen.

Meine Kindheitserinnerung ist Schreiben. Die alte Schreibmaschine. Das fensterlose Büro meines Vaters, grüner Teppichboden, grelles Neonlicht, eine Sammlung antiker Bügeleisen hinten im Regal. Sein alter Computer, Windows 95 und die Tastatur schon vergilbt. Mit zwei Fingern schlug ich Nachmittage lang darauf ein. Ich war kein krasses Genie, das mit acht Jahren Fantasy-Trilogien aus dem Ärmel geschüttelt hat. Ich habe erst einmal Geschichten nacherzählt, die ich schon kannte. X-beliebige Gestüte mit x-beliebigen Pferden und x-beliebigen Mädchen, die x-beliebige Ponys vor x-beliebigen, bösen Züchtern retten wollten. Es ging nicht darum, was ich schrieb, es ging: ums Schreiben.
Irgendwann tackerte ich Seiten zusammen, klebte mit Gaffatape Bücher, gestaltete Cover mit Word-Art. In Freundschaftsbücher schrieb ich konsequent „Schriftstellerin“ bei „Was ich mal werden will“. Von Anfang an. Ich habe keine Ahnung, wo das herkam. Ich habe nie außerordentlich viel gelesen.

Vielleicht dachte ich, das geht vorbei. So, wie ich dann ja auch irgendwann aufgehört habe, mir komplizierte Familiendramen für meine Playmobil-Figuren auszudenken. Es hat aber nicht aufgehört.

KOMPROMISS ALS KONSEQUENZ

Nach dem Abitur versuchte ich – auf dem Land lebend und ohne mir eine Vorstellung potenzieller Möglichkeiten machen zu können – Konsequenzen zu ziehen: ich will schreiben, also werde ich Journalistin.

Ein paar Wochen lang machte ich einen Kurs an einer Privatakademie, bis ich merkte: no way. Das mag ja mal interessant sein, so eine Glosse zu schreiben. Oder eine Reportage. Aber ich will Geschichten erfinden. Ich will literarisch schreiben.

Ich lebte in Berlin und ich schrieb. Arbeitete als Regieassistentin und schrieb. Ich arbeitete in der Redaktion einer Umweltzeitschrift. Ich trat mehr und mehr bei Poetry Slams auf. Hatte Erfolg. Das ging schnell. Finale der deutschsprachigen Meisterschaften, Einladungen zu Slams in ganz Deutschland, in Österreich, in der Schweiz. Das war für mich das erste Mal, mit meinen Texten etwas erreicht zu haben. Ich wurde also Poetry Slammerin. Und ich schrieb. Das ist doch ein Sprungbrett, könnte man meinen, das ist doch die Chance. Meine Slam-Texte waren und sind für mich allerdings das, was auch ein journalistischer Text ist: okay. Eine nette Abwechslung. Nicht mehr.

Irgendwann ebbte all das wieder ab. Ich bin sehr dankbar für das Format Poetry Slam. Für die Kontakte, die Menschen, die vernetzte Szene, für viele Auftritte. Slam hat mir großartige Möglichkeiten eröffnet. Aber gereicht hat es nicht.

Ich bin seit dem Abitur immer wieder Kompromisse eingegangen. Ich wollte immer dasselbe, aber sagte mir: jetzt nicht Schriftstellerin. Jetzt nicht in Berlin bleiben. Jetzt nicht alles auf eine Karte. Jetzt kein Risiko. Jetzt nicht auftreten. Jetzt nicht den Roman fertig schreiben. Erst nach: dem Texterkurs (abgebrochen), dem ersten Studium (abgebrochen), dem zweiten Studium (…), erst irgendwann. Und je mehr Kompromisse ich einging, desto mehr überzeugte ich mich selbst davon, dass es sowieso nichts werden würde.

ACHJA. DIESES STUDIUM.

Ich studiere Kultur- und Medienbildung. Ich bin darauf gekommen, weil ich Poetry Slam-Workshops an Schulen gab und das ganz nett fand.
Wir lernen unter anderem, wie man sich auf Praktikumsstellen bewirbt. In den Abteilungssitzungen wird darüber geredet, in künftigen Auswahlgesprächen die »verkappten Künstler« zu erkennen und nicht zuzulassen. Keine Menschen mehr, die eigentlich Musik, Theater, bildende Kunst, Filme, Schauspiel oder Literatur machen wollen. Es soll nun doch eine überwiegend wissenschaftliche Ausbildung für künftige Pädagogen sein. Ich würde mich gern beschweren dürfen. Ich würde gern sagen: was sollen das für Pädagogen sein? Wie soll jemand, der kein Musiker ist, andere Menschen Musik vermitteln? Wie soll jemand, dessen Leidenschaft nicht das Theater ist, andere eben dafür begeistern? Wie soll jemand, der nie an einem Filmset stand, anderen erklären, wie Regie geführt wird?

Nicht, dass das falsch verstanden wird: ich will nicht arrogant sein. Ich will mich nicht von meinen Kommilitoninnen und Kommilitonen distanzieren, sagen: das, was ihr braucht, das brauch ich nicht. Obwohl ich vieles kritisch sehe, ist es doch so furchtbar einfach: die Hochschule macht ein Angebot. Man nimmt es an oder man tut es nicht. Ich hätte nach dem ersten Semester gehen können. Ich hätte nach der ersten Woche gehen können. Ich hätte mich bei Erhalt des Zulassungsbescheids dagegen entscheiden können.

Aber ich habe mich dafür entschieden. Immer und immer wieder.

Ich wollte das, aus irgendeinem Grund wollte ich das so sehr: dieses Stück Normalität, diesen geraden Weg, das, was erwartet wird. Das, was alle machen. Ich wollte das Angebot annehmen und es zelebrieren. Ich wollte einen Abschluss. Ich wollte, dass es diesmal kein Kompromiss ist.
Und irgendwann war es dann schlicht zu spät. Irgendwann war die erste Woche vorbei, das erste Semester, das zweite Semester. Es blieb ein Kompromiss.

Ich stecke mittlerweile im siebten Hochschul- und im fünften Fachsemester. Gerade falle ich zum ersten Mal durch das angesetzte Projektsemester und habe so, quasi gezwungenermaßen, ein halbes Jahr frei. Ich bin in dieser Zeit wieder mehr aufgetreten, habe einen Kurzfilm produziert und meinen Roman fertig geschrieben.

Logisch: ich könnte das als Erfolg verbuchen. Dann weiter studieren, meinen Abschluss machen und halt nebenher ein bisschen schreiben.

Ich will es aber unbedingt anders? Klar, ich könnte mich an Schreibschulen bewerben oder um mehr Stipendien. Noch mehr bei Wettbewerben einreichen. Auf gut Glück noch mehr Verlage anschreiben, noch mehr Agenturen. Es gibt all diese Wege, und natürlich ist das hart. Natürlich muss man kämpfen. Natürlich ist man immer wieder kurz davor, aufzugeben. Und damit das nicht falsch verstanden wird: ich reiche mein Manuskript ungefähr überall ein, wo es nur geht. Ich formatiere und verbessere und drucke und suche Adressen raus und klebe und stehe am Postschalter an.

FÜSSE IN TÜREN UND DIESES VERFLIXTE GLÜCK

Fakt ist: es geht immer um Glück. Es geht immer um Juryentscheidungen, ums Messenlassen und um die richtigen Kontakte zur richtigen Zeit. Es geht um Füße in Türen und um riesige Mengen Druckerpapier, um Zeitmanagement und um so viel blauäugige Hoffnung, die man mit den Briefmarken auf Einsendungen pappt, immer wieder aufs Neue. Und dann ist so oft so viel abhängig von einer einzigen Entscheidung, vielleicht bloß von einer einzigen Stimme für oder gegen dich. Und ich schreibe bewusst: dich, denn es ist immer etwas Persönliches. Es ist verdammt schwer, eine Absage nur auf die Arbeit zu beziehen und nicht auf sich selbst. Ich schaffe das zu oft noch nicht.

Seit Monaten denke ich nach, wälze ich Gedanken, verdrehe ich Tatsachen und schwanke ich zwischen Blauäugigkeit und Vernunft hin und her. Natürlich wird mir dazu geraten, fertig zu studieren. Danke, ich brauche nicht noch mehr Argumente, die dafür sprechen, denn ich kenne bereits genug.

Ich habe, de facto: Abitur, Führerschein, Bafög-Schulden.

Und: Ein unveröffentlichtes Romanmanuskript und ein Langfilmdrehbuch auf der Festplatte. Und ich habe: doch schon so viel abgebrochen. Demzufolge muss ich: endlich einmal Durchhaltevermögen beweisen.

Außerdem habe ich Angst vor einem harten Schnitt. Jetzt plötzlich doch zu sagen: ich scheiß drauf. Ich will nur schreiben. Und natürlich habe ich Angst davor, nach einer Sozialisation in dieser Welt, nach fünf Jahren Kompromiss, aufgrund meiner Ungeduld. Logisch habe ich Angst davor, dass irgendwann jemand sagt: siehste. Das haste nun davon. Dass jemand sagt: Durchhaltevermögen, wo ist das Durchhaltevermögen? Denn darauf kommt es an.

Wir sprechen hier aber nicht von Durchhaltevermögen, Baby. Wir reden hier nicht von Konsequenz. Es geht hier weiß Gott nicht um irgendeine Generation, um ein Zuviel an Möglichkeiten oder um Endlospraktika, es geht nicht um Selbstfindungstrips oder um Großstadtmelancholie. Es geht nicht darum, dass mir die paar Prüfungen schon zu viel sind, die paar Seminararbeiten, es geht nicht um abstruse Anwesenheitspflichten oder um das schlechte Mensaessen.

Es geht darum, dass ich weiß, was ich will, und um meine Angst davor, dass diesem Wollen zu viel Naivität innewohnt. Und ich brauche (vielleicht sogar mehr als einen Abschluss): irgendetwas, das mir zeigt, dass ich mich nicht mehr auf Kompromisse einlassen sollte.

11 Antworten zu “Es geht hier nicht um Durchhaltevermögen, Baby”

  1. Kinch sagt:

    Und was machst du jetzt?

    • Svenja Gräfen sagt:

      Zumindest habe ich mittlerweile den Semesterbeitrag überwiesen ;) und ansonsten: irgendwie einfach machen und weiterschreiben.

  2. „Entweder man lebt, oder man ist konsequent“ – Erich Kästner

    Ich glaube nicht, dass Kompromisse per se schlecht sind. Es gibt tolle Kompromisse, schöne Umwege, die dich näher an dein Ziel bringen, als ein direkter Weg es jemals schaffen könnte.
    Ich glaube, es geht um die klischeehafte Angst, die geschürt wird, wenn man sagt, man möchte vom Bücher schreiben leben können. Dann verziehen die Leute das Gesicht und sagen, oh, das ist schwer. Und man selbst nickt. Und traut sich dann gar nicht, es zu probieren. Obwohl man irgendwo doch das Gefühl hat, dass es doch eigentlich klappen könnte. Ich bin froh, ebenso naiv zu sein. (naiv, von französisch naïf ‚kindlich‘, ‚ursprünglich‘)

    Vielleicht brauchst du irgendwas, das dir zeigt, dass Naivität nicht schlecht ist.

  3. A. sagt:

    superschöner Text, Svenja! Auch ich stand vor dieser Entscheidung und hab nach dem Durchfallen durch die Bachelorarbeit gesagt: Nö, jetzt nicht mehr. Ich arbeite lieber und mache das, was mir Spaß macht, Vollzeit. Ich mache mich nicht mehr kaputt. Von der Prüfungsamtsdame („So wenig fehlt Ihnen nur noch! Halten Sie durch“) bis zu entsetzten Eltern haben alle den selben Ton angeschlagen. Durchgesetzt hat sich bei mir mein Schutzmodus. Hätte ich weitergemacht, wäre ich ernsthaft krank geworden. Und außerdem brauche ich mein Studium nicht . Und wenn, dann kann ich es in der Zukunft irgendwann nochmal abschließen. Ermutigt hat mich auch der Satz in Bohnis (aus der Chaussee der Enthusiasten) Biografie „Jura-Studium erfolgreich abgebrochen“ oder so ähnlich. Und irgendwer meinte dann auch mal zu mir „bei KünstlerInnen gehört ein abgebrochenes Studium ja fast schon zum guten Ton“. Nicht, dass es viel hilft bei der Entscheidung. Aber schön zu lesen, dass man nicht ganz allein ist mit dieser Frage.

    • Svenja Gräfen sagt:

      Merci, auch so was ist immer schön zu lesen! Und sobald der Schutzmodus greift gibt’s sowieso keine Alternative mehr zum Aufhören. Traurig ist nur, dass dann meist Vorwürfe wie „och je, jetzt hast du ja drei (vier, fünf, sechs…) Jahre einfach verschwendet!“ kommen – weil anscheinend doch ausschließlich der Abschluss zählt und nicht das, was man ansonsten mitgenommen hat… Same old story.

  4. Ariakan sagt:

    Ein Studium sollte nicht als etwas angesehen werden, dass man „zu Ende“-macht oder das nur mit Abschluss seinen Wert generiert. Ein Studium ist vielmehr ein Zeitraum innerhalb dessen sich ein Mensch die Zeit nimmt, seinen Geist zu schulen. Das mag damit geschehen, dass man langweilige Seminararbeiten schreibt, komplizierteste Scheiße aus den Aufsätzen des gewählten Fachbereichs zu verstehen versucht oder einfach ein gutes Gespräch mit Dozenten oder Kommilitonen führt. Ganz gleich was der Fokus im Studium sein mag, es ist nichts geringeres als eine Ausbildung bzw. ein Training des Geistes. Ein Geist, der immer auch dazu genutzt werden kann einen guten Roman zu schreiben. Also betrachte doch mal das Studium als Komplementär zu deinem Wunsch schreiben zu wollen.

    • Svenja Gräfen sagt:

      Jaah- der Grundgedanke ist tiptop. Bei all dem Bachelorn und Mastern geht der für meinen Geschmack zu oft verloren. Mag an meinem Studiengang liegen, vielleicht geht es woanders noch idealistischer zu ;)

  5. Natalie sagt:

    Dein Durchhalten geht wohl nicht so weit, wie andere es gerne hätten oder du das Gefühl hast, dass es müsste. Kennst du deinen Moment, wann es für dich gut ist und ab wann du wegen „anderen“ weiter machst?

  6. Laura Elisa Nunziante sagt:

    Richtig, es ist auch viel Glück mit dabei. Mir geht es genauso wie dir. Einige kleine Erfolge und am Ende reicht es eben doch nicht. „You can get it if you really want.“ Is klar.
    Und in den Buchhandlungen stapeln sich die 50 Shades of Greys.
    Danke für den Text. Wirklich gut.

    Laura

  7. Dan Nietsche sagt:

    Das kommt mir dermaßen bekannt vor, dass ich jetzt mein Handy an die Wand schmeiße.

  8. Ein wirklich schöner Text mit viel Ehrlichkeit. Klingt fast nach mir, jedenfalls ansatzweise. ;) Leider ist es scheinbar oft nicht so, dass man nur das machen kann, was man gerade am liebsten würde. Aber alles was du erlebst sind neue Erfahrungen, die dich vielleicht auch immer wieder zu neuen Texten inspirieren können. Verlorene Zeit gibt es nicht. Ob man etwas abbricht oder fertig macht, man hat immer gelernt in der Zwischenzeit, ob nun über das Fach oder das Leben an sich. :)