Frauen, die auf Tore starren

Foto , CC BY-SA 2.0 , by stefaniefiebrig

Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Steffi.

Steffi ist Grafikdesignerin und Fotografin. Für das Köpenicker Maulbeerblatt schreibt sie eine Fußballkolumne. Gerade ist ihr erstes Buch „Bring mich zum Rasen“ erschienen.


Webseite von Steffi @rudelbildung

Frauen, die über Fußball schreiben, wird gerne im Vorbeigehen nahe gelegt: Schreib über Frauenfußball! Kann ich schon machen, denkt sich die Frau dann. Aber warum? Ich verstehe ja nicht mehr davon als Du, mein lieber Chefredakteur, mein geschätzter Kollege, liebe Freunde des gepflegten Sonntagskicks. Ist nämlich eine ganz andere Sportart. „Schreib über Frauenfußball“ impliziert zweierlei. Im günstigen Fall, dass sich eine Frau leichter in das Thema einarbeiten kann. Nicht, dass es dafür Anhaltspunkte gäbe. Im ungünstigen Fall, dass sie bei den Männern jedenfalls nichts verloren habe. Auch dafür fehlen Belege.

Ich habe ein Fußballbuch geschrieben, das sich mit den Fans beschäftigt. Als ich damit fertig war, fiel mir auf, dass zwar sehr wohl Frauen darin vorkommen – allerdings mit Blick auf ihre Rollen im Männerfußball. Aber wisst ihr was? Ich kann mich gut in Themen einarbeiten, von denen ich nichts weiß. Ich bin fragen gegangen. Julia Wigger, die Leiterin der Frauen- und Mädchenabteilung des 1.FC Union Berlin, und Sven Fiedler, ihr Stellvertreter, haben mir Frauenfußball erklärt. Ich möchte also die Geschichte ergänzen, die in meinem Buch fehlt. Sie handelt von der anderen Sportart, die genauso heißt. Fußball. Stellt euch vor, ihr seid Frauen mit einer Begabung für Fußball. Wie anders sähe eure Welt aus!

Zunehmende Professionalisierung
– Gewinn und Verlust zugleich

„Bei den Jungs ist klar, worum es geht: Die sollen Profis werden“, sagt Sven. Aber was ist das Trainingsziel bei den Mädchen? „Die Spielerinnen auf das höchste Niveau zu bringen. Mindestens zweite Bundesliga.“ Auch das ist Leistungssport und verlangt viel. Nur die Berufsaussichten sind schlechter. „Da ist kein großes Geld zu verdienen, bei den Frauen.“ Die Vereine leben nach wie vor davon, Profis für den Männerbereich auszubilden. Das ist der Schwerpunkt. Bei den Frauen werden erst ab der 1. Liga Gehälter gezahlt, denn ab da ist der Sport mit dem Beruf absolut unvereinbar.

Dass sich bei Union Berlin fünf Frauenteams etablieren konnten, ist keine Selbstverständlichkeit. Wie auch bei den Männern entscheidet nicht allein die sportliche Qualifikation über die Ligazugehörigkeit. Im Lizensierungsverfahren des Deutschen Fußballbundes muss nachgewiesen werden, dass der Spielbetrieb finanziell gesichert ist. Nicht jeder Verein kann oder möchte sich ein Frauenteam leisten, das dauernd den Mannschaftsbus samt Fahrerbereitschaft braucht, um Auswärtsspiele zu absolvieren. Dazu kommen medizinische Unterstützung, Betreuerstab und Spielstätte. Die Union-Frauen sind als Vizemeisterinnen in die 2. Bundesliga aufgestiegen. Die Erstplatzierten aus Leipzig haben keine Lizenz beantragt.

Vom Breitensport in den Leistungssport

„Wir versuchen, genau wie im Jungsbereich, die Mädchen individuell auszubilden und bis in die erste Frauenmannschaft zu bringen. Oder sogar weiter. Großes Nebenziel bei den Frauen“, ergänzt Julia, „sind Sozialkompetenz und Schule – weil wir wissen, und die Spielerinnen ab einem bestimmten Alter auch, dass man damit keine Millionen verdienen wird. Das ist hart und deshalb fair, wenn man gleich darauf hinweist.“ Es kommt im Mädchenbereich nicht selten vor, dass Eltern eine Spielerin im letzten Schuljahr aufgrund schulischer Leistungen abmelden. Klar geht Schule vor.

„In den letzten Jahren, in der Regionalligazeit, haben wir Top-Talente weggeschickt, damit sie mindestens 2. Liga spielen können.“ Sven hat das nicht gern getan. Kein Trainer möchte seine besten Spielerinnen abgeben. Inzwischen muss er das seltener. Der Verein bemüht sich um seine Talente und versucht, ihnen Perspektiven zu bieten. „Acht Spielerinnen haben es in Nachwuchs-Nationalmannschaften geschafft.“

Gehälter bekommen die Spielerinnen auch bei Union nicht. Was sie vorfinden, sind gute Rahmenbedingungen für ihren Sport. „Da steht bei uns nicht irgendein Papa und sagt ‘Renn mal!’, sondern qualifizierte Trainerinnen und Trainer sagen dir warum und wohin.“ Das Training findet vor und nach dem Schulunterricht statt, die Hausaufgabenhilfe sorgt dafür, dass alle alles schaffen. Die Ausrüstung wird gestellt. Der Verein arbeitet mit Schulen zusammen, die einen Sport-Schwerpunkt haben. Ärztliche Betreuung und Physiotherapie stehen den Spielerinnen kostenlos zur Verfügung. Zwei Spielerinnen sind im Internat untergebracht. Seit drei Jahren gibt es eine B-Mädchen-Bundesliga. Union ist dabei. Das alles setzt Anreize. Es muss sich lohnen, täglich hierher zu kommen, glauben Julia und Sven. Es sind noch immer weite Wege ins Umland, die die Spielerinnen auf sich nehmen.

Zweischneidige Impulse für Frauenfußball

Die Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen oder die Wahl zur Fußballerin des Jahres könnten Impulse für den Frauenfußball setzen. Sie tun es nicht, soweit es den Leistungssport betrifft – weil zu selten die Leistung gewürdigt wird.

Das Herausheben einzelner Spielerinnen ist schon im Jugendbereich problematisch. „Wenn da jeden Tag beim Training jemand in der Tür steht, der nur an einer Spielerin Interesse hat, wäre ich wahrscheinlich sehr ungemütlich. Ich glaube, das gibt schlechte Laune, auch von den anderen Mädchen. Die sind ja ein Team.“, sagt Sven. Aber Werbung und Sponsorenverträge funktionieren eben genau so.

Die Grenzen von Öffentlichkeit

Dazu kommt im Nachwuchsbereich noch ein anderer Aspekt. Gelegentlich beschweren sich Eltern darüber, dass die Trikots ihrer Töchter nicht mit Namen versehen sind oder Spielberichte nicht Namen und Rückennummer nennen, wie sie das von den Männern kennen. Christopher Quiring fällt Julia da ein, der den Sprung aus dem Nachwuchs in die erste Herrenmannschaft geschafft hat. „Der ist jetzt ein Star, den sprechen alle nach dem Spiel an. Das möchte die zehn Jahre alte Amelie auch. Ein Star sein. Wir haben aber die Verantwortung für unsere Spielerinnen. Man muss nicht alles preisgeben. Es gibt ja auch Leute mit blöden Ideen. Dann kommt jemand und sagt, du bist doch Amelie, ich soll dich heute abholen. Darüber müssen wir mit den Eltern reden. Die denken nicht so weit.“

Gemischte Teams

Bis sie 14 Jahre alt sind, dürfen Mädchen und Jungen zusammen spielen. „Gemischt ist es ja nicht wirklich. Es sind meist 13 Jungs und ein Mädchen.“ Julia hat selbst in einer Jungsmannschaft angefangen und das für sich als Bereicherung empfunden. „Es geht darum, sich durchzusetzen. Deshalb spielen wir auch Testspiele gegen Jungs. Da merken die Mädchen, was sie können, gehen an ihre Leistungsgrenzen. Das sind richtige Gegner.“ Irgendwann funktioniert die Logistik nicht mehr, etwa wegen der Umkleidekabinen. Außerdem geht die athletisch-physische Entwicklung ab einem bestimmten Zeitpunkt so stark auseinander, dass es nicht mehr sinnvoll ist.

Die Vereine bilden aber nicht nur Spielerinnen aus. Weil die Ausbildung für die Trainerlizenzen bei Männern und Frauen identisch verläuft, gibt es durchaus Frauen, die Jungsmannschaften trainieren. Gleiches gilt für die Schiedsrichterinnenausbildung. Es gibt neben Bibiana Steinhaus eine ganze Reihe von DFB-Schiedsrichterinnen, die auch Männerspiele pfeifen. „Ich bin froh, dass in meinem Team Frauen und Männer sind. Und nicht nur in der typischen Verteilung, bei der die Frauen immer die Betreuung übernehmen.“, sagt Julia. „Ich finde es ideal, bei Frauen- und Mädchenmannschaften ein Trainergespann aus einer Frau und einem Mann zu haben.“ Dieses Überkreuz ist für beide gut, es schafft Verständnis.

Frauenfußball
– nicht nur Anhängsel des Männerfußballs

Schlecht behandelt fühlt sich Julia keinesfalls. „Wir müssen nicht beim Verein betteln, weil wir Frauen und Mädchen sind. Oder anders: Auch die Senioren und die Traditionsmannschaft müssen Anträge ausfüllen, wenn sie etwas haben wollen.“ Die Frauen fahren inzwischen mit dem großen Bus zu ihren Punktspielen, statt sich mit kleinen Bussen zu quälen. Auswärtsübernachtungen zahlt der Verein. „Es gab nie einen Spruch in der Richtung, ‘das ist zu teuer, das geht nicht’“, sagt Sven. Wo sie hin wollen und wie sie sich positionieren wollen, wurden sie vom Präsidium gefragt. „Überlegt in Ruhe, wir stehen in jedem Fall hinter euch. Egal, ob ihr Breitensport oder Leistungsfußball machen wollt.“ Bis jetzt sind Sven und Julia nicht enttäuscht worden. „Wir haben letztes Jahr unser letztes Spiel im Stadion bestreiten dürfen, vor 1100 Zuschauern. Sonst sind 150 da.“

Für alle Fans ist die erste Männermannschaft heilig. Dem folgt in der Publikumsgunst die U23, die Ausbildungsmannschaft der Männer. „Wenn die einen guten Tag haben, spielen sie auch wirklich gut Fußball.“ Julia macht die fehlende Wahrnehmung des Frauenfußballs in Berlin eher an den zeitlichen Überschneidungen der Spieltermine, der Attraktivität der Spielorte und am Berliner Sport-Überangebot insgesamt fest. Die Sportberichterstattung arbeitet dem hinterher. Frauen und Mädchen, die Fußball spielen, fallen dabei fast immer raus.

Aber dagegen kann ich etwas tun. Hier und jetzt.

4 Antworten zu “Frauen, die auf Tore starren”

  1. Naja – Turbine hat in Berlin wahrlich nicht nur Fans. Und was der 1. FC Union in den letzten Jahren in punkto Mädchen- und Frauenfußball geleistet hat, ist ziemlich großartig.

  2. Auch von mir vielen Dank. Bei Interesse schaut doch mal rein: https://www.facebook.com/Ballkoeniginnen

  3. Dennis sagt:

    Soweit ich mich entsinne (man könnte es auch nachschlagen) ist der Fußball mit Frauen(mann?)schaften tatsächlich wie eine andere Sportart behandelt worden. Erst verboten, dann erlaubt aber keine 90 Minuten – jetzt die Frauen die als erste auf Kunstrasen spielen sollen….?

    Ich sehe schon eine Veränderung in den letzten Jahren – zunehmend wird über Fußball mit Frauen(mann?)schaften berichtet – natürlich nicht genug und bei weitem nicht so breit wie bei Männern. Mich interessiert Fußball nur bei Spielen der Nationalmannschaft (also alle 2 Jahre). Und ich gucke nur wenn Deutschland spielt – bin also nicht so richtig der Fan.

    Aber ich bewundere die Frauen genauso wie die Männer, wenn sie den Weltmeister(innen)titel holen – und das ist auch wieder ein Anfang.

  4. Acalmin sagt:

    Ganz netter Artikel, mit einem dicken aber: Frauenfußball ist keine andere Sportart! Sie spielen nach denselben Regeln, auf denselben Plätzen und sind in denselben Verbänden organisiert. Wenn Kinder im Hof auf Garagentore bolzen, nennen wir das Fußball, aber bei Frauen ist es auf einmal eine andere Sportart? Diese sprachliche Abgrenzung ist leider allzu oft ein Exklusionsmechanismus, der vor allem bei Sportjournalisten beliebt ist. Gerade jetzt während der WM ist das zu beobachten; die meisten Artikel kommen nicht ohne einen Verweis auf den Männerfußball aus. Je nach Couleur ist das wohlwollend-gönnerhaft oder hämisch-abwertend gemeint. Immer spiegelt sich jedoch darin das Unbehagen, dass Frauen öffentlichen Raum beanspruchen, der eigentlich für Männer reserviert ist. Solche Vergleiche finden sich bei Volleyball oder Eiskunstlauf nämlich äußerst selten und da käme auch niemand auf die Idee, das als eine andere Sportart zu bezeichnen.