Mein Rückzugsort

Foto , CC BY-NC-ND 4.0 , by Lena Reinhard

Dieser Text spielt draußen im Grünen. Wenn ihr zum Lesen auch die passende akustische Untermalung mögt: einfach bei Noisli zum Beispiel „Leaves“ und „Forest“ anwählen. :)

Alltag ist manchmal ein Arschloch: zu viel von allem, und das dann auch noch zu schnell, zu plötzlich, zu aufgeregt, zu laut, in jedem Fall viel zu häufig einfach “zu”.

Ab und zu will ich dann einfach nur noch raus, am liebsten per One-Way-Ticket zum Mond, wo es keine Geräusche gibt. Mangels eigener Rakete wird es dann meistens doch: der Park ums Eck.

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Seit vier Jahren lebe ich im großen Luxus: ich habe einen Park mitsamt Badesee direkt vor der Haustüre. Zur Türe raus, rechts die Straße runter, links abbiegen und fünf Minuten später stehe ich mitten im Grün. Da, wo keine Häuser mehr sind, wo es nichts gibt außer Bäumen, ein paar Parkbänken und Grün (im Winter eben Braun und, je nach Schneelage, Weiß bis Matschfarben).

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Dieser Park mit diesem See, das ist mein Rückzugsort.

Ich liebe Grün, und ich liebe Blau, und besonders im Frühling und Sommer gibt es hier davon mehr als genug. Im Park gibt es weite, grüne Wiesen, auf denen immer jemand Frisbee spielt, picknickt oder in der Sonne liegt.. Und es gibt kleine Wäldchen mit Lichtungen, auf denen selbst im Hochsommer immer Schatten ist. Wo die Sonne zwischen Blättern hervorglitzert, wenn wieder ein wenig Wind weht.

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Oft komme ich einfach nur zum Laufen hierher. Zuhause los, langsam einlaufen, bis ich die Parkgrenze erreicht habe, habe ich mein Tempo gefunden. Einatmen. Ausatmen. Schritte zählen. Eins, zwei, drei, vier. Einatmen, ausatmen. Irgendwo ein paar Vögel hören, das Knacken von Ästen unter den Schuhsohlen, Kies, der sich zur Seite schiebt. Einatmen, ausatmen. Nicht mehr nachdenken. Nur noch einatmen, ausatmen.

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Jedes Jahr zum Ende des Berliner Winters (ergo irgendwann zwischen Ende Januar und Mitte Mai) komme ich mindestens einmal mit meiner Kamera hierher. Ich ziehe meine alte Fotografierhose an, die mit den vielen Gras- und Dreckflecken, die ich sowieso nie wieder rauschwaschen kann. Dann spaziere ich die Wege in den Wäldchen entlang, robbe durchs Unterholz, und suche zwischen Nadeln, Holz und Schneeresten nach den ersten Zeichen von Grün.

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Ich beobachte Ameisen am Boden und sehe beim Blick nach oben die ersten Blätter gegen die letzten Stücke vom kühl blauen Winterhimmel, die bald schon gegen grüne Dächer eingetauscht sein werden.

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An sommerlichen Sonntagen mache ich oft ausgedehnte Fahrradtouren, und sei es nur zu einer Eisdiele am Stadtrand. Ich nehme eine Decke mit, Notizbuch und Stift, und zum Abschluss am frühen Abend fahre ich immer in den Park.

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Ich breite meine Decke aus, lege mich ins Gras und schaue ins Weite. Nichts beobachten, nichts fokussieren, nur den Blick am Waldrand ausruhen. Ab und an schreibe ich ein paar Zeilen, lege das Buch wieder weg und liege einfach nur noch da.

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Im Sommer mag ich am allerliebsten den See. Meistens bin ich früh morgens oder erst spät abends da, wenn nicht mehr viel los ist. Es gibt da diese eine Stelle, an der seit Jahren ein Baumstamm oberhalb des Wassers liegt, auf dem man sitzen, reden, Bier trinken und manchmal Schwäne beobachten kann.

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Will ich schwimmen gehen, lege ich meine Kleidung dort ab, laufe die paar Schritte ans Ufer, freue mich, wenn mir der Schlamm durch die Zehen quillt und manchmal ein erschreckter Frosch zur Seite hüpft, und laufe dann langsam ins kühle Wasser, bis ich ganz eintauchen kann. Ganz besonders zauberhaft ist dieser See in Mondnächten, wenn es schon ganz dunkel ist und der Mond sich auf dem Wasser spiegelt. Dann ist die Stadt mitsamt allem, was nervt, ganz, ganz weit weg.

Dieser Ort räumt meinen Kopf auf. Lässt mich zur Ruhe kommen, selbst die größten Grübeleien irgendwo zwischen Baumreihen wandern und langsam leiser werden; lässt mich atmen und runterkommen.

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Und das, obwohl da immer Menschen sind: jemand, der eine große Picknickrunde veranstaltet, eine Truppe Kinder, die lauthals grölend einem Ball hinterherlaufen, in irgendeiner Ecke weit weg eine Freiluft-Techno-Party oder direkt hier, drei Meter von mir, ein Kleinkind, das seit zehn Minuten brüllt wie eine Feuerwehrsirene, während ich das hier schreibe. Aber, ganz ehrlich: wenn ich absolute Ruhe wollte, könnte ich mich auch in meiner Wohnung verbarrikadieren.

Aber so ist das eben mit meinem großen Wohnzimmer: von dieser grünen Tapete, der blauen Zimmerdecke und dem leichten, permanenten Durchzug, der nach Frühling oder Sommer riecht, ist zum Glück mehr als genug für alle da.

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Jetzt gerade summt hier über mir im Baum ein riesiger Schwarm Hummeln herum, nebenan teilen junge Frauen eine riesige Schüssel Tiramisu untereinander auf, an einem Schild flattern ein paar bunte Bänder im Wind und ein kleines Kind kugelt lachend einen Hügel herunter. Währenddessen ist eine kleine Spinne einen Grashalm hochgekrabbelt und versucht, von da aus meinen Arm zu erobern. Und ich, ich setze jetzt meine Sonnenbrille wieder auf, lege mich hin und schaue den Gänseblümchen beim Wachsen zu.

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Alle Bilder von Lena Reinhard.

3 Antworten zu “Mein Rückzugsort”

  1. mtk sagt:

    Sehr schöner Artikel. Merci!

  2. kleinekramkiste sagt:

    Wow…jetzt will ich raus aus dem stickigen Büro…

  3. Tina sagt:

    Ja, die Rehberge sind echt schön. Irgendwie fühlt sich dieser Park viel friedlicher an als andere in Berlin.