Hauptsache, raus!(2): New York City

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Meine Probleme mit New York beginnen traditionell mit dem Fahrkartenautomaten in der U-Bahn und enden am Flughafen JFK. Das liegt zum einen in der Natur der Sache, denn diese Orte gehören stets zu Beginn und Ende einer Reise in die US-amerikanische Metropole. Es liegt aber auch – das sei hier selbstkritisch festgestellt – an mir selbst. New York und ich, wir sind eine dysfunktionale Beziehung. Wir lieben einander und versuchen es immer mal wieder miteinander, aber wir sind einfach zu verschieden, um zusammen zu sein.

Das zeigt sich, wie gesagt, zunächst am Fahrkartenautomaten. Dieses Mal, das dritte Mal nach 2008 und 2013, als ich in der Stadt ankomme, will ich besonders klug sein und eine schon erworbene MetroCard wieder mit Geld aufladen. Die New Yorker ziehen die immer gleiche Karte durch einen Scanner am Bahnhofseingang und können dann für den abgebuchten Beitrag fahren, so lange sie die Bahnhöfe nicht verlassen.

Mit Plastikausrüstung in die Tropfsteinhöhle

Das mit dem Aufladen geht schon mal nicht. “Card expired”, sagt mir der Automat, der als robuster Metallklumpen im altertümlichen Inneren des U-Bahnhofs Church Avenue in Brooklyn das einzige zu sein scheint, das nach 1985 entstanden ist. Das war bei meiner ersten Reise nach Nach York ohnehin der größte Schock. Die – mit Verlaub – Abgefucktheit der U-Bahnhöfe. Die Züge sind relativ modern, aber sie fahren durch ein Tunnelsystem, dessen Ein- und Ausstiegslöcher an beschmierte Tropfsteinhöhlen erinnern. In den Stationen ist es brütendheiß, in den Zügen selbst auf gute alte amerikanische Art so runtergekühlt wie in den wandschrankgroßen Kühlschränken dieses Landes, in die auf den ersten Blick auch mal mit dem SUV en passant erlegte Tiere passen. Jagdfreunde, aufgemerkt.

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Zurück zu meinem Abenteuer mit dem Fahrkartenautomaten. Am Vorabend angereist, hatte ich mich 1A vorbereitet, was die US-Währung anging: Ich hatte 2 US-Dollar aus dem vergangenen Urlaub sowie frisch aus dem Geldautomaten gezapfte Zwanziger bei mir. Ich kann mich nicht erinnern, aus einem US-Geldautomaten mal etwas anderes als Zwanziger bekommen zu haben – was aber durchaus an mir und nicht den Geldautomaten liegen kann. Im Grunde genommen ist es auch egal, was aus dem Automaten kam: Die USA präferieren Plastik. Ob am hinterletzten Dunkin Donuts-Terminal im ländlichen Texas, der Klofrau in Wisconsin oder dem Yellow Cab, bei dem ich die Karte nicht mal mehr zum Fahrer reichen muss: Die Kreditkarte regiert. Da trifft es sich schlecht, wenn man, wie ich, innerlich 60 Jahre alt ist und “Nur Bares ist Wahres!” murmelt, weil man sich davon mehr Selbstdisziplin in Sachen Geldausgeben verspricht.

 

50 ways to lose your tourists: Die Freuden des Express Trains

Mein Begehr an diesem Donnerstagmorgen ist der Erwerb eines All-you-can-ride Fahrscheins für die U-Bahn. Preis für eine Woche: 30 Dollar. Ich versuche, bar in zwei Zwanzigern zu zahlen. Das Problem: Der Automat gibt grundsätzlich nicht mehr als 9 Dollar Wechselgeld zurück. So lässt mich ein einziger Dollar an dem Versuch scheitern, mein Bargeld loszuwerden. Ich versenke stattdessen meine EC-Karte in dem ersten von vielen, mir wahnsinnig unseriös vorkommenden Apparaturen, um damit ganze $ 2,75 für eine einzelne Fahrt zu berappen. Schließlich habe ich ja extra Bargeld geholt, um die Wochenkarte zu kaufen und noch bin ich nicht gebrochen genug, es nicht weiter zu versuchen. Obwohl die Einheimischen ihr übriges tun, dies zu bewerkstelligen, so wie sie ungeduldig hinter mir auflaufen und Hinweise rufen, die ich nur mit Mühe als ein “Swipe it slowly!” (“Zieh die Karte einfach langsamer durch, du blöde Kuh!”), übersetzen kann. Immerhin kommt keine körperliche Gewalt zum Einsatz, ein Umstand, den ich auf die Tageszeit schiebe. Es ist noch nicht zwischen vier und sechs Uhr nachmittags, wenn –  wie meine Gastgeberin mir bestätigte – auch schonmal ein Kind vom Bordstein gefegt werden kann, weil es den rushhournden Einheimischen im Weg ist. Johnny T. erklärt das hier eindrucksvoll:

Mit dem geglückten Erwerb des Fahrscheins geht das Elend in der New Yorker U-Bahn auf eine gewisse Art aber erst los. Schuld daran ist ein Monstrum namens “Express Train”. Einst erfunden, um die oben erwähnten berufstätigen New Yorker ohne viele Zwischenhalte von A nach B zu bringen, brechen sie nichtsahnenden Touristen das Genick.

Das geht so: Den Bruchteil einer Sekunde bevor sich die Türen zum Eisknast namens U-Bahn schließen, hört selbst der US-amerikanisch sprechende Touri ein entfernt nach “Express” klingendes Wort. Dann geht es allerdings schon los. Ab jetzt herrscht – zumindest für die deutsch sozialisierten unten den Fahrgästen – totale Zuganarchie. Station für Station zieht an mir vorbei, ich klammere mich an meine Metro App – ganz Großstädterin. Allein: Ihr fehlt der Empfang. Es ist kein Zufall, dass New Yorker besonders vor den U-Bahneingängen besonders kommunikativ wirken, alle in ein Telefon quaken oder Textnachrichten absetzen. Unter Tage ist das nämlich absolut nicht zu machen. Der Zeitungsindustrie kann das aber keine Entwarnung sein: Die Leute starren auch in der empfangsfreien New Yorker U-Bahn permanent aufs Handy. Phantomempfang?

 

Nimm dir was zu Essen mit, wir fahren nach Williamsburg

Das gute am Express Train ist, dass ich Tropfsteinhöhlen U-Bahnhöfe sehe, die ich nie zuvor gesehen habe. Beim Wechsel des Gleises an der ersten nach gefühlt 74 durchfahrenen Stationen fühle ich mich kosmopolitisch. Nicht jeder kann schließlich von sich sagen, so weit draußen schonmal umgestiegen zu sein! Und riecht der schimmlige Moder herabfallenden Deckenleitungen in Nordbooklyn nicht ganz anders als in Manhattan?

Ganze drei Mal falle ich dem Express Train zu Opfer. Ich steige in einen Zug, er fährt kilometerweit weiter, als er sollte. Ich steige aus, fahre zurück, wieder viel weiter als ich sollte.  Das ganze wiederholt sich ein paar Mal. In den Stunden, die ich in falschen Zügen verbringe, perfektioniere ich mein Poker Face. Keiner soll wissen, dass ich hier falsch bin. Zu allem Unglück ist das hier auch nicht Manhattan, wo ich ohne Probleme aussteigen könnte, um ein Taxi zu nehmen. Irgendwann spuckt der Zug mich an einem Ort aus, den ich für Williamsburg halte. Das soll so etwas sein wie das unerträgliche Hipsterkind von Mitte und Neukölln auf US-amerikanisch. Als ich mir selbst ein Bild machen will, sehe ich nur eine verpennte Gegend mit einer oberirdisch fahrenden U-Bahn. So ein bisschen wie die Skalitzer Straße in Berlin, wäre sie in Senftenberg. Wahrscheinlich ist das nicht Williamsburg, denke ich mir. Oder es ist Williamsburg, aber der noch nicht hippe Teil.

Lange soll mein auf dieser Entdeckung beruhendes Selbstbewusstsein nicht anhalten. Grund dafür ist, das nicht lösbar zu scheinende Problem der Fahrkartenbeschaffung mit Bargeld. Irgendwann schaffe ich es, meine Zwanziger in Zehner zu wechseln. Ich wittere Morgenluft und gehe an den Automaten in der West 4th Street. Der begrüßt mich allerdings mit dem freundlichen Laufbanner “No cash allowed.” Kurz bevor ich in mich im brackigen Kondenswasser der Station ertränken will, erblicke ich das Fahrkartenhäuschen. Das Häuschen mit dem Mann in Uniform darin sieht schusssicher aus. Ich weiß inzwischen, warum.

Ich nenne dem Mann meinen Ticket-Wunsch. Er zuckt mit den Schultern und murmelt irgendetwas von fiftyfive. Ich quetsche mit letzter Verzweiflung raus, dass ich das im Internet anders gesehen hätte. “Ssörty it ses on se webseit!” Irgendwann versteht mein Gegenüber – er wollte mir den 7-Tages-Pass mit Busszugang andrehen. Was das für meine Reiseerfahrungen bedeutet hätte, mag ich mir bis heute gar nicht ausmalen. Express-Busse bis Pennsylvania? Ich sehe mich schon aus reiner Hilflosigkeit ein neues Leben anfangen, als Kellnerin in einem Eiscreme-Schnellrestaurant, irgendwo an einer seelenlosen Ausfallstraße. Dort werde ich dann mühsam Trinkgeld zusammensparen, um irgendwann den Rückflug nach Berlin bezahlen zu können. Ohne Zwischenhalt, versteht sich.

5 Antworten zu “Hauptsache, raus!(2): New York City”

  1. Anne Wizorek sagt:

    Get out of the way! <3 :)

  2. neurosenthal sagt:

    haha – in die express train falle bin ich auch schon geraten…

    • Anne Wizorek sagt:

      Ich glaube, davor ist kein Touri wirklich sicher. ;) Ich war bei meinem ersten NYC-Trip so stolz, dass es mich nur einmal erwischte und das auch nur, weil mir ein New Yorker (!) falsche Infos gegeben hatte. Aber irgendwie beruhigend, dass es denen auch noch passiert…