Shalalalala, Erotica! (1) – Die sexuellen Aktivitäten der Wollmäuse

Foto , CC BY 2.0 , by Jellaluna

“Über Sex könnten wir doch mal wieder was schreiben”, haben sie gesagt. “Am besten regelmäßig”, haben sie gesagt. “Sex? Kenn ich, kann ich”, hab’ ich gedacht. Und “okay, mach ich”, hab’ ich gesagt.

Also hab’ ich mich zuhause vor den Rechner gesetzt, ein Schreibprogramm gestartet und ein neues Dokument aufgemacht.

Und sagen wir es so: bis hierhin lief noch alles problemlos.

Aber jetzt sitze ich seit drei Tagen hier und lese Twitter. Und das kam so: vorgestern habe ich den ganzen Tag das leere Dokument angestarrt, bis ich vor dem Rechner eingeschlafen bin. Gestern habe ich dann sogar was Längeres geschrieben, nämlich:

Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex Sex.

Ich hatte gehofft, dass das vielleicht meine erogenen Zonen oder wenigstens meine Kreativität stimuliert.

Machen wir’s kurz: hat es nicht. Also habe ich noch eben Twitter gelesen und plötzlich war es schon … heute. Heute habe ich extra starken Kaffee gekocht, das Schreibprogramm wieder aufgerufen, das Dokument geöffnet, tief Luft geholt und achtzig Mal “Sex” gelöscht. Einmal habe ich es noch stehen lassen, damit ich das Thema nicht ganz vergesse.

Mir war nämlich über Nacht eingefallen, dass mir überhaupt nicht mehr klar ist, wie das mit dem Sex eigentlich nochmal genau ging.

Die Sache ist: ich kann mich nur noch bedingt erinnern. Denn das letzte Mal, dass ich Sex mit einer anderen Person außer mir selbst hatte …

Ja. Ist ein bisschen her.

Wie es eben immer so kommt, kam eben einfach immer etwas dazwischen. Erst hatte ich eine Zeit lang keine Lust auf Sex. Danach war ich auf Reisen. Dann hatten meine Lieblings-Sexpartner_innen keine Zeit. Und plötzlich hatte ich neue Jobs, habe nur noch gearbeitet und hatte keine Zeit, später habe ich mich ein bisschen verguckt in eine Person, die keinen Sex mit mir wollte (tse!), dann war ich noch drei Mal auf Reisen und hatte keine Lust auf Sex, danach habe ich die Weisheitszähne herausbekommen und habe ALLE Menschen gehasst und ganz zum Schluss hatte ich plötzlich ein sexuell (und auch sonst!) vielversprechendes Date und musste es kurzfristig absagen. Und dann war auch schon vorgestern.

Es heißt ja immer “Sex ist wie Fahrradfahren, das verlernt man nicht”, und ich würde jetzt einfach mal annehmen, dass das stimmt. Andererseits: Fahrradfahren habe ich auch schonmal ein bisschen verlernt und das ist noch nicht einmal sonderlich lange her. Letztes Jahr im Frühsommer hatte ich einen Fahrradunfall, nach dem ich erst im Krankenhaus lag und daraufhin mein vollständig zerstörtes Fahrrad von der Polizeiwache nach Hause tragen musste. Ich wusste danach immer noch, wie Fahrradfahren so rein technisch funktioniert: raufklettern, festhalten und los. Nur rein praktisch hab’ ich mich einfach überhaupt nicht mehr getraut. Und wenn man sich nicht traut, hilft alles Theoriewissen einfach mal gar nichts. Dabei hatten sie mir schon auf der Polizeiwache mitleidig die Schulter getätschelt und gesagt, ich solle am besten gleich wieder fahren, damit ich keine Angst davor bekäme. Leider hatte ich zu dem Zeitpunkt schon sehr viel Angst, aber kein Fahrrad. Mein geliebtes Rad war irreparabel kaputt und für ein neues reichte das Geld nicht.

Das ist jetzt acht Monate her und vor dem Radfahren habe ich immer noch Angst. Als ich im Sommer endlich ein neues Rad hatte, habe ich mich gezwungen, möglichst viel zu fahren. Aber diese Panik ging nicht mehr weg und dieser Gedanke, dass überall eine Gefahr lauert. Egal wie langsam und vorsichtig ich fuhr, die Angst fuhr immer mit. Inzwischen hoffe ich, dass es nochmal so richtig Winter wird, damit ich mich noch ein Weilchen vor dem Radfahren drücken kann.

Nun würde ich mein Sexleben vor seinem (hoffentlich nur vorübergehenden) Ende zumindest nicht direkt mit einem Unfall vergleichen (so schlimm war es dann auch wieder nicht). Und eigentlich finde ich beides, Sex und Fahrradfahren, ziemlich gut. Außerdem geht beides zumindest ungefähr nach dem Prinzip “raufklettern, festhalten und los”. Aber beides steht eben auch seit einiger Zeit etwas unbeachtet in irgendeiner Ecke und es ist so ein bisschen die Luft raus (und das waren jetzt auch die letzten Fahrrad-Metaphern für diesen Text).

Gestern hat mir eine Frau gesagt, man müsse wegkommen von der Vorstellung, dass Sex einfach so passiere, und ihm gezielt einen Platz im eigenen Leben einräumen. Nun ist es aber so, dass in meinem Leben gerade ungefähr so viel Platz ist wie in meinem Bauch, wenn ich zwei Burger und einmal Pommes Schranke gegessen habe: gar keiner. Um Sex gezielt in mein Leben einräumen zu können, müsste ich außerdem wohl erst einmal etwas anderes um- oder ausräumen. Oder womöglich gar insgesamt mal mein Leben aufräumen.

A propos “aufräumen”: als ich Anfang der Woche aus Versehen mein Bücherregal umgeräumt habe, habe ich dahinter zunächst eine sehr große Wollmaus gefunden, die aus eng verworrenen Staubflusen, Haaren und Fasern bestand. Womöglich waren das früher auch einmal zwei Wollmäuse (mindestens!), die sich beim Sex ineinander verworren haben. Unter der Wollmaus fand ich, verhakt zwischen der Wand und dem Regalbrett mit der Gegenwartsliteratur, einen schwarzen, klebrigen Dildo. (Den Zusammenhang zwischen dem Dildo und der Gegenwartsliteratur können Sie sich gerne selber basteln).

Die Sache ist: ich weiß nicht, was passiert ist. Ich weiß es wirklich nicht. Ich komme mir vor wie in einem dieser Denkspiele, bei denen eine seltsame Situation oder ein Ereignis beschrieben wird und man herausfinden muss, was passiert ist. “Ein Dildo hinter Gegenwartsliteratur – WAS IST PASSIERT?”

Es fängt ja schon damit an, dass mir gar nicht mehr bewusst war, dass ich überhaupt einen schwarzen Dildo besitze (rot und blau, ja, aber schwarz?!).

Und es geht damit weiter, dass ich keine Ahnung habe, was genau der Dildo überhaupt in der Nähe des Bücherregals (und schon gar nicht halb dahinter) zu suchen hatte. Neben dem Regal steht auf der einen Seite das Klavier, auf der anderen Seite ist das Fenster. Das Klavier ist zu instabil, um auch nur in der Nähe davon Sex zu haben, das Fenster kommt ebenfalls nicht in Frage, und zwar aus logistischen Gründen. Denn: es war gerade erst Winter, und hat man bei geschlossenem Fenster am oder auf dem Fensterbrett Sex, rumst mindestens eine der involvierten Personen regelmäßig gegen eine kalte Glasscheibe. Außerdem ist das Fensterbrett sehr, sehr schmal. Kann man machen, aber … nein.

Fand der Dildo-Sex hingegen wiederum im Sommer und bei geöffnetem Fenster statt, haben wir die Bewohner_innen von bis zu 12 bis 22 Nachbarwohnungen unterhalten (wobei nur 12 auch etwas hätten sehen können). Was durchaus möglich ist. Als zweite Möglichkeit bleibt dann noch der Fußboden vor dem Regal. Aber wann und mit wem? Oder vielleicht doch irgendjemand alleine? Und vor allem: wer von allen Beteiligten hat irgendwann nach dem Sex gesagt “so! Schluss jetzt!”, und dann den Dildo hinters Bücherregal geworfen? (So jedenfalls stelle ich mir das jedenfalls gerade vor.)

Andererseits ist es womöglich auch völliger Blödsinn, überhaupt anzunehmen, dass ich bei alledem überhaupt irgendwie involviert war. Vielleicht war ich auch gerade zum Kaffeekochen in der Küche. Oder Zigaretten holen. Und als ich zurückkam, war der Dildo schon längst hinter der Gegenwartsliteratur verschwunden.

An diesem Punkt habe ich dann auch das Nachdenken vorerst bleiben gelassen, die Wollmaus weggeworfen und den Dildo gereinigt. Eine Sexpause ist ja das eine, aber das andere ist die theoretische Option auf Fahrradfahren Sex (und ein nicht uninteressant geformter Dildo).

Ich jedenfalls gehe jetzt mal in meinem Leben einen Platz für den Sex suchen.

Wir lesen uns in zwei Wochen. Vielleicht hab ich ihn ja bis dahin gefunden.

Der Titel dieser Reihe stammt aus diesem Lied von Olaf Schubert.
Danke für die Idee an Juliane <3

4 Antworten zu “Shalalalala, Erotica! (1) – Die sexuellen Aktivitäten der Wollmäuse”

  1. Lea sagt:

    Womöglich handelte es sich gar nicht um einen Dildo, sondern um ein Wollmauskokon. Wollmäuse nutzen diese kleinen schwarzen Gehäuse, um sich aus Haaren, Staub und ähnlichem Material in angemessen privater Umgebung selbst zu formen. Könnte ich mir so vorstellen.

    • Lelan sagt:

      Ahhh. Das sollte man besser 100% klarstellen bevor man den „komisch geformten Dildo“ als solchen benutzt.

  2. […] bekanntermaßen Sex in meinem Leben in letzter Zeit eher nicht stattfand, dachte ich mir, ich gucke einfach, wie […]

  3. anna sagt:

    wunderbar :)