Mission Orgasmus – Über die Serie „Masters of Sex“

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Warum ich bisher nicht schon Zillionen Lobhudeleien über „Masters of Sex“ in diesem Internet gelesen habe, ist mir ein Rätsel, denn die Serie gehört für mich eindeutig zu den größten Entdeckungen des letzten Jahres. Da selber machen aber eh ganz im Sinne der Serie ist, fange ich hier einfach mal mit der Schwärmerei an.*

For science! – Der Hintergrund

Die Serie basiert auf der Biografie „Masters of Sex: The Life and Times of William Masters and Virginia Johnson, the Couple Who Taught America How to Love“ des Autors Thomas Maier und wurde von der Drehbuchautorin und Produzentin Michelle Ashford adaptiert.

Es wird die Geschichte von William „Bill“ Masters und Virginia „Gini“ Johnson erzählt, die in den 1950er und 1960er Jahren Pionierarbeit mit Untersuchungen über das menschliche Sexualverhalten leisteten und u.a. den Begriff des sexuellen Reaktionszyklus’ in die Sexualforschung einbrachten. Zu Beginn der Serie ist Masters bereits ein renommierter Gynäkologe an der Washington University in St. Louis, Missouri und hat sich auf Paare mit Zeugungsschwierigkeiten spezialisiert. Er entwickelte sogar eigens eine neue Befruchtungsmethode und intern bekommt der spröde Experte dafür charmante Titel wie „Alpha dog of coochie medicine“ verliehen.

Erzählerisch steigen wir im Jahr 1956 ein, das Jahr, in dem Masters zum ersten Mal auf Johnson trifft (die Wikipedia-Quelle verortet das Treffen dagegen im Jahr 1957). Zu diesem Zeitpunkt strebt Masters (grandios gespielt von Michael Sheen) bereits nach anderen Höhepunkten und hat angefangen, seinen lang gehegten Traum – das menschliche Sexualverhalten an echten Menschen zu erforschen – umzusetzen. Heimlich, natürlich. Denn was Masters vorschwebt, wird im Allgemeinen als unanständig und sogar pervers angesehen: Sex ist schließlich das, was zwei Menschen (ausschließlich aus Mann und Frau bestehend, klar) in ihrem Schlafzimmer tun und die Babys bringt. Leute dabei zu beobachten und zu analysieren, kann also nur Schweinkram sein.

Friends can kiss – Die Figuren

Fürs Erste guckt Masters deshalb wortwörtlich durchs Schlüsselloch und studiert die Sexarbeiterin Betty DiMello (hinreißend direkt, nicht nur wenn sie rülpst: Annaleigh Ashford) wenn sie Kundschaft hat. Diese bringt ihm dann auch gleich mal bei, dass Frauen Orgasmen durchaus faken (können) und macht klar, dass der sehr kühle Wissenschaftler sich eine weibliche Forschungspartnerin zulegen sollte, wenn er überhaupt weitere Studienteilnehmer_innen gewinnen möchte.

So heuert er kurze Zeit später Virginia Johnson (gespielt von der wunderbaren Lizzy Caplan) als seine Assistentin für sich und das Forschungsprojekt an. Die ehemalige Nachtclubsängerin will, nachdem sie die Themen Heiraten und Kinder jeweils zwei Mal durch hat, ein Studium der Verhaltensbiologie aufnehmen und nebenbei Geld als Sekretärin verdienen. Als Masters sie zu ihrer Einstellung zum Thema Sex befragt, zeigt die Frau mit der untypischen Vita eine sehr progressive Meinung: Frauen setzten körperliche Anziehung zu oft direkt mit Liebe gleich (weil sie zu diesem Denken erzogen werden), während Sex doch auch für sich genommen schon Spaß machen kann. Auf Masters’ Frage, warum eine Frau wohl einen Orgasmus vortäuschen würde, antwortet sie aber auch punktgenau: „So the woman could get back to whatever she’d rather be doing.“

Obwohl Bill Masters im Fokus des Serientitels und zu Beginn auch der Story steht, entpuppt sich Virginia schnell als der eigentliche Star der Geschichte und wird unerlässlich für das Forschungsprojekt. Wo ihm oft die nötige Empathie abgeht, ergänzt ihn Virginia und sagt darüber hinaus herrlich unverhohlen ihre Meinung. Das bringt eine nicht immer unproblematische Situation mit sich, denn Frauen sind zu dieser Zeit in der Gynäkologie eher als Patientinnen oder Sekretärinnen vertreten, aber nicht als Forschungsassistentinnen oder gar Ärztinnen.

Virginia ist damit außerdem eine der feministischsten Figuren, die es derzeit im großen Serien-Universum zu sehen gibt – und das nicht nur, weil sie bereits in den 1950er Jahren für Casual Sex und Cunnilingus steht.

Sie ist alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, wird aber nicht ausschließlich durch ihre Mutterrolle definiert – in der ersten Folge kommen Tochter und Sohn sogar noch nicht einmal vor. Sie ist vor allem getrieben von ihrer Neugier und eben einem wahrhaften Forschungsdrang. Auf einfühlsame Nicht-Holzhammer-Art wird gezeigt, wie sie mal mehr und mal weniger erfolgreich damit jongliert, plötzlich nicht nur einen Job, sondern eine wissenschaftliche Karriere zu verfolgen, gleichzeitig ein Familienleben zu haben und dann noch selbstbestimmt ihren eigenen Bedürfnissen nachzukommen.

Zusammen mit der gewieften Sekretärin Jane Martin (Helene Yorke), die sie ebenfalls für die Studie anwirbt – „For science!“ – bildet sie das emanzipierte Dream Team der Serie. So arbeiten sie schließlich unter anderem am „größten Fortschritt für Frauen seit dem Frauenwahlrecht“ wenn sie die Theorien eines gewissen Herrn Freud zum weiblichen Orgasmus als Trugschluss entlarven und feststellen, dass frau dabei auch allerbestens ohne Penis auskommt.

Insgesamt strotzt „Masters of Sex“ aber auch nur so vor vielschichtigen Frauenfiguren, deren Storys bestens in die Entwicklung um die Masters-Johnson-Studie eingeflochten werden und: deren Sexualität auch immer wieder im Vordergrund steht.

Allen voran Libby Masters (gespielt von Caitlin Fitzgerald), Bills Ehefrau, die nach zwei langen Jahren unerfüllten Kinderwunschs enorm frustriert ist. Auf den ersten Blick ist sie die perfekte typische 50er-Jahre Hausfrau, die jeden Abend auch noch im superschicken Kleid auf ihren Mann wartet und das Abendessen im Ofen warm hält. Auf den zweiten kämpft sie sichtlich mit diesem Perfektionsanspruch sowie der Tatsache, dass das Interesse ihres Mannes an Forschungsberichten und Statistiken offenbar größer ist, als das an ihr.

Dass Bill und Virginia Gefühle abseits wissenschaftlicher Bewunderung für einander entwickeln – was übrigens auf wunderbar subtile Weise erzählt wird –, ist aufgrund des historischen Hintergrunds kein wirklicher Spoiler, aber ich bin äußert froh darüber, dass Libby deswegen nicht wie es sonst oft laut eines ungeschriebenen Seriengesetzes passiert, zur hassenswerten Ehefrau mutiert – nur damit wir Zuschauer_innen das neue Paar moralisch schneller absegnen. Sie behält ihre eigenen Wünsche, Sorgen, eben ihre eigene Geschichte und wird nicht bloße Antagonistin.

Ansonsten haben wir noch die tolle Margaret Scully (Allison Janney – oder auch C.J. Cregg, liebe West-Wing-Fans!) zu bewundern, Ehefrau des Direktors der Universitätsverwaltung Barton Scully (ebenfalls super: Beau Bridges) [Spoiler] und eindeutig darunter leidend, dass dieser sie kaum (mehr) begehrt – denn dass er eigentlich schwul ist, ahnt Margaret bislang nicht.[/Spoiler]

Ebenso hervorheben muss man die Figur der Lillian de Paul (Julianne Nicholson), die später als erste weibliche Gynäkologin an die Uni kommt und stets durchblicken lässt, wie steinig ihr Weg in dieser Männerdomäne ist. Sie versucht, verpflichtende Pap-Tests am Lehrkrankenhaus einzuführen, um die Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs voranzutreiben und scheitert allerdings kontinuierlich an den bürokratischen Prozessen rund um Frauengesundheit. So stellt De Paul genervt fest, dass dem vermutlich nicht so wäre, würde diese Krankheit Penisse betreffen.

An ihr lässt sich außerdem bestens beobachten, was verinnerlichter Sexismus mit dem Verhältnis zwischen Frauen anstellt und selbst die schlagfertige Virginia steht ihr oft nur perplex gegenüber. Dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, entwickelt sich die Beziehung zwischen den beiden zu den besten Storylines der Serie und ich bin gespannt, wie die 2. Staffel das fortsetzen wird.


Neben Bill Masters gibt es natürlich auch weitere männliche Charaktere, die die Serie tragen. Zum Beispiel sein Protegé, Dr. Ethan Haas (Nicholas D’Agosto), der sich als Geschenk an die Frauenwelt empfindet und demnach auch gleich ein Auge auf „die Neue“, Virginia, wirft. Er ist meiner Meinung nach die problematischste Figur, zumal er besonders am Anfang durchaus Züge eines „Nice Guy“ trägt und sein Charakter einen nicht immer ganz glaubwürdigen Wandel durchmacht.

Dr. Austin Langham (Teddy Sears) ist Arzt im Krankenhaus und wird Teil der Studie, weil er eh schon als notorischer Ehebrecher bekannt ist. Dass ihn ausgerechnet die Studie wiederum dazu bringt, erstmals zu reflektieren, was Sex eigentlich für ihn bedeutet, ist ein herrlich mitanzusehender Lernprozess.

Barton Scully ist nicht nur Direktor der Universitätsverwaltung, sondern auch ein langjähriger Freund von Masters. Insofern stellt die Studie auch deren Freundschaft auf eine harte Probe, insbesondere, weil Bill sich plötzlich zu politischen Machtspielen gezwungen sieht, die weitere Wunden aufreißen.

Und wenn ich hier schon so ausführlich auf den Cast eingehe, muss eigentlich auch noch Ulysses erwähnt werden. Ulysses ist nämlich ein Vibrator inklusive Minikamera, den Masters für die Studie angefertigte und der dementsprechend eine nicht ganz unwichtige Rolle bei den Untersuchungen hat.

Shame and guilt – Die Themen

Nun ist es natürlich keine Überraschung, dass es in „Masters of Sex“ tatsächlich viel um Sex geht, doch geschieht das eben nicht nur in Bezug auf die Studie, sondern auch aufs Leben der Menschen, die sich darum ranken – plus alle möglichen Zwischenmenschlichkeiten obendrauf. „Masters of Sex“ ist ein Drama mit geschichtlichem Hintergrund und dabei trotzdem auch irgendwie immer nah dran am Heute.

Es geht um Rollenklischees und das Brechen dieser, um (gesellschaftliche) Erwartungshaltungen, Erektionsstörungen, Homosexualität, Sexarbeit, ätzende Ex-Partner und andere Gespenster der Vergangenheit, wie z.B. erlebte häusliche Gewalt. Das Thema Rassismus wird ebenfalls angerissen, wenn bislang auch eher zurückhaltend, u.a. wenn gezeigt wird, dass das Lehrkrankenhaus eine eigene Abteilung für Schwarze Frauen hat.

Dazwischen gerät die Studie immer wieder in Gefahr als Schweinkram abgelehnt zu werden und Johnson wie Masters setzen vieles aufs Spiel, um sie überhaupt weiter vorantreiben zu können.

Allein Masters’ Rant, dass die Gesellschaft, was Sex angeht, immer noch um Dunkeln tappt und absurde Prüderie sie von der Erforschung einer sonst allseits verbreiteten Sache abhält, ist ein Grund sich in die Serie zu verknallen. Diese Doppelmoral bringt er auf den Punkt:

Die Ausschnitte aus der Studie selbst zeigen wiederum sehr schön wie Consent Culture funktioniert. Denn da sich die Paare nicht kennen und anonym aufeinander treffen, besprechen sie erst einmal, worauf sie stehen und was sie anmacht.

Eine der herzzerbrechendsten Szenen ist, als eine potenzielle Probandin für die Studie abgelehnt werden muss, weil sich herausstellt, dass sie noch nie einen Orgasmus hatte, geschweige denn bisher ein erfülltes Sexleben [Spoiler nach dem Link] – nur um genau das kurze Zeit später, frisch inspiriert, zu bekommen.

Dass es insgesamt gerade auch viel um weibliche Sexualität geht, erfreut natürlich das feministische Herz und „Masters of Sex“ zeigt deutlich, dass diese Thematisierung weiterhin eher die Ausnahme ist. Dabei entstehen zwischen Masters und Johnson so schöne Dialoge wie dieser, als er sie auffordert, einen Orgasmus zu beschreiben:

It’s like describing salt to someone who’s never tasted salt. – I’ve tasted salt. – Not the way I’ve tasted it.

Thank you for coming – Die Fortsetzung

Masters und Johnson sind trotz ihrer bahnbrechenden Forschungsergebnisse nicht unumstritten – mal von ihrem Fokus auf den Orgasmus abgesehen – und die Sexualforschung hat sich seitdem ja auch weiter entwickelt.

Im Kontext der Geschichte von Johnson und Masters bin ich aber gespannt zu sehen, ob und wie in der Serie damit umgegangen wird. Anzeichen für einen anderen Ansatz gibt es zumindest schon. So gerät Masters zwar bei Betty DiMello als Studienteilnehmerin ins Grübeln als er mitbekommt, dass sie lesbisch ist, doch Virginia weist diese Bedenken zurück und meint, dass ein Orgasmus ein Orgasmus ist, egal wie er zustande kommt.

In diesem Jahr soll bereits die 2. Staffel von „Masters of Sex“ folgen, allerdings gibt es noch keinen genauen Termin. Ich hoffe aber, dass ich dann mit noch mehr Menschen über diese Serie schwärmen kann: einen Teil der kleinerdrei-Redaktion konnte ich immerhin schon damit anstecken!

In der Zwischenzeit empfehle ich noch einen Besuch auf der Serien-Homepage von Showtime, wo es so nette Spielereien wie eine Timeline zu 100 Jahren Sex gibt oder auch das serieneigene tumblr mit lauter GIF-Schätzchen zu finden ist.

Also dann: Kommen Sie bald wieder, Ms. Johnson und Mr. Masters!

*Ich beziehe mich bei Zitaten etc. auf die Originalfassung, die es im iTunes Store neben der deutschen Fassung auch gibt.

9 Antworten zu “Mission Orgasmus – Über die Serie „Masters of Sex“”

  1. Anne Wizorek sagt:

    Danke für den Hinweis! Ich gucke Sky halt nicht und wusste nur, dass es im iTunes Store ebenfalls eine deutsche Version gibt, die an die Sendetermine von Sky angepasst war, daher meine Schlussfolgerung. Die Tonspur auswählen zu können, ist natürlich cooler. :)

  2. […] schreibt auf kleinerdrei über die Serie Masters of Sex, die ich ebenfalls sehr […]

  3. Evy Heart sagt:

    Ich finde die Rezi sehr ausführlich, mit etwas zu vielen Links und Spielereien, aber sehr tiefgründig und vielseitig. Dass die schauspielerische Leistung in den Hintergrund rückt, ist ok. Aber so wunderbar Lizzy Caplan ist (vor allem ihre Stimme! Und ihre Lippen :P ), schauspielerisch kann sie vermutlich mehr. Die Frage ist natürlich immer, was das Drehbuch vorschreibt, aber…. für mich war sie etws eindimensional. Meistens.

    • Anne Wizorek sagt:

      Danke. Ich finde Caplan in dieser Rolle nicht einseitig. Aber ich achte auch auf mehr als Lippen und Stimme.

      • Evy Heart sagt:

        Das klingt interssant. Woran machst du es fest, wenn nicht nur an Lippen + Stimme? Worin siehst du ihre Vielseitigkeit im Spiel?

        • Anne Wizorek sagt:

          Sehr einfach: An allem anderen. :) Ansonsten habe ich ja bereits in der Rezension hervorgehoben, was mir an der von ihr gespielten Figur gefällt.

          • Evy Heart sagt:

            Das ist die Figur. Aber was ist mit der Schauspielerin? Ich bin ein Laie, aber du scheinst mehr Ahnung vom Thema zu haben. Daher interessiert mich das wirklich :-) Was hat ihr Spiel, dass es förderlich für die Figur ist?

  4. Christian Samereier sagt:

    Sorry aber der Kamera Vibrator heisst in der serie „ODYSSEUS“ und nicht Ulysses

    • Auto_focus sagt:

      Dazu muss man wissen, dass „Odysseus“ im Englischen „Ulysses“ heißt und die Serie zum Zeitpunkt der Rezension noch gar nicht auf Deutsch erschienen war…