Alles sehr real

Foto , CC 2.0 , by MiGowa

Reden wir über zwei Worte: abstrakt und diffus.

Das ist das vorherrschende Grundgefühl, wenn ich mich so umhöre und mir Artikel reinziehe, in denen es auch nur ansatzweise um Überwachung und NSA geht. Eine diffuse Angst, heißt es, und ein Thema, das abstrakt bleibt, weil es nicht greifbar sei. Die Menschen nehmen das zur Kenntnis – (angeblich) achselzuckend.

Reden wir also über meinen Besuch in der Moschee und darüber, dass ich mich nicht getraut habe, zu unterschreiben.

Ich komme also in die Moschee. Yalcin (warum nicht mal Yalcin benutzen als anonymisierten Namen für einen Türken, statt immer nur Ahmet?) kommt zu mir und sagt: „Hey, Hakan, willst Du nicht Mitglied werden bei uns? Du weißt doch, wie es in unserer Kasse aussieht. Wir können uns kaum die Miete leisten, der Hoca unterrichtet die Kinder mit einem mickrigem Gehalt, wir wollen ja auch die Heizung aufdrehen können“ und so weiter und so fort.

Ich sage „Ja“. Yalcin: „Das sagst Du schon zum fünften Mal. Machen wir es doch diesmal fix. Komm‘ mit ins Büro, da sind die Unterlagen.“ Er vor, ich ihm nach.

Ich bin in diese Moschee gegangen, regelmäßig jedes Wochenende, seit ich sechs gewesen war. Zwölf Jahre. Samstag früh hin, Sonntag spätnachmittags weg. Dort haben mir Menschen beigebracht, wie die arabische Sprache aufgebaut ist. Elif, Be, Te, Se, Cim, wenn ich das Alphabet aufsage, versuche ich das auch heute noch so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. Wie damals, als wir daraus ein Spiel gemacht haben. Der Schnellste bekam zwar nix, war aber ganz kurz ganz cool.

Ich find’s ganz geil, dass ich ein Grundverständnis davon habe, wie die arabische Sprache funktioniert, muss ich sagen. Ich mag den Klang und kann sehr lange zuhören, wenn einer von den „Stars“ aus dem Koran vorliest. In meinen Ohren klingt das sehr melodisch.

Yalcin gibt mir den Stift. Ich weiß nicht warum, aber ich habe keine Lust zu unterschreiben. „Kann ich Dir das nicht einfach in bar geben, jeden Monat?“, frage ich. Er: „Warum?“ Ich: „Keine Ahnung, aus dem Stand irgendwelche Verträge unterschreiben ist nicht so meine Welt.“ Er: „Das würde es aber viel einfacher für uns machen, wenn wir eine Einzugsermächtigung hätten.“

Die Moschee war am Hauptbahnhof in München, es gab einen Hinterhof, ganz “klassisch” mit Fixernadeln am Wochenende, wir haben Coladosen plattgetreten und damit Fußball gespielt – wir konnten uns zwar Fußbälle leisten (nehme ich an, wie viel kostet einer denn?), die sind aber sehr laut, wenn sie gegen die Wände knallen, eine Coladose macht nur Blechgeräusche. Außerdem: Bei einem quadratischen Feld, das kaum größer war als ein Lastenaufzug, nähme er auch einfach zu viel Platz weg. Wir übernachteten in dieser Moschee, beteten, lernten Suren aus dem Koran auswendig und rezitierten sie dann.

Neben all diesem Wissen gab es auch banale menschliche Dinge. Pädagogische Grundelemente: „Nett sein, höflich bleiben. Schau‘ mal, das Wort Demut gibt es auch. Guck, wir sind eine Community. Selbst wenn ihr es schwer haben solltet da draußen, und glaubt mir, ihr werdet es in unterschiedlichen Graden schwer haben, wir bleiben hier, wir sind da für euch.“

Dieses Community-Ding hat mir irre durch die Jugend geholfen. Alleine die Gewissheit, dass da jemand ist, der wenigstens versprochen hat, zu gucken, ob es blutet, wenn man geschubst wird, reichte aus. Dadurch, dass immer die gleichen Leute in die Moschee kamen, war es eine Art Großfamilie, was natürlich umso besser ist für die Gemeinschaftssache. Klar, auch ein paar Arschlöcher dabei, aber größtenteils nette Menschen.

Mir beigebracht, wie man den Koran liest, das haben zu weiten Teilen Freiwillige. Es ist nämlich so: Bevor du die wichtigen Teile lernst, also Übersetzung und Exegese, kriegst Du das Grundgerüst vermittelt. Weil statistisch gesehen aber viel mehr Leute das Grundgerüst brauchen und die Zahl der bezahlten Hocas bei Weitem nicht ausreicht, um das abzudecken, brauchen die Moscheen Freiwillige. Das Geld geht dafür drauf, die Heizung aufdrehen zu können, die Miete zu zahlen und für die Kinder, die am Wochenende dort pennen, ein paar warme Mahlzeiten und Frühstücke zu organisieren.

Die Freiwilligen waren Menschen, die während der Woche größtenteils anstrengende Knochenjobs hatten und am Wochenende vermutlich gerne mal gechillt hätten – die dann aber trotzdem losstapften und einer Horde von grölenden Kindern etwas über die richtige Betonung erzählen wollten. In meinem Fall insbesondere ein Mann, der damals (1990-91) schon weiße Haare und einen Goldzahn hatte. Er ist im vergangenen Jahr verstorben. Ich habe das nicht so wirklich mitbekommen, weil ich mich in der Zwischenzeit aus der Moschee verabschiedet habe, aus Gründen, die ich in diesem Artikel mal angedeutet hatte. Dass dieser Mensch gestorben ist, hat mich trotzdem getroffen.

Mittlerweile sitzt mein Vater an den Wochenenden in der Moschee und bringt den neuen Knirpsen bei, wieso diese Schrift so anders aussieht, klingt und wie man sie richtig betont. Für irgendein kleines Kind ist er jetzt der Mann mit den graumelierten Haaren (aber ohne Goldzahn). Geld kriegt er natürlich keins, sein Brotjob ist hart genug und er würde auch ganz gerne mal ausschlafen, nehme ich an.

Das ist also die Moschee, das sind ihre Probleme, das ist der Stift in meiner Hand.

So eine Moschee ist groß, denke ich mir. Das ist ja nur eine von mehreren, allein in München. Zu der Moschee gehört ein Verein, eine Dachorganisation, die hat soundsoviele andere Moscheen, in Augsburg, Köln, Frankfurt, Istanbul, auch irgendwo in Pakistan und Somalia, habe ich mal gehört. Die ganzen Opferlämmer, die geschlachtet werden, schicken sie dann dorthin. Humanitäre Hilfe, alles gut. Aber riesig.

Ich kann denen kein Geld spenden, denke ich. Was ist, wenn die Scheiße damit bauen? Ich teile ja schon viele ihrer politischen Ansichten nicht. Klar, ich finde es gut, dass ich die Pädagogik mitbekommen habe, das Gemeinschaftsgefühl hat mich durch meine Jugend getragen und alles in allem hoffe ich, dass ich menschlich passabel bin. Und ja, das ist auch deren Verdienst.

Aber kann ich ausschließen, dass sie mit dem Geld Mist anstellen? Dass sie es veruntreuen oder in Projekte investieren, die ja auch ganz banale Dinge sein können, wie zum Beispiel Unterstützung für eine hier provisorisch angenommene neue „Flottilla„-Mission, die ich inhaltlich absolut hassen würde?

Na gut, denke ich mir. Das Problem hast du auch bei Kirchen, bei Parteien, bei Vereinen. Entweder du kommst klar damit, dass es hier nicht um Musketiere geht, du also nicht für jede Tat mithängst, oder aber du kommst es nicht. Mir geht es ja um die Unterstützung, das soziale Netz, mir geht es nicht um Politik. Und Arabisch als Sprachgerüst zu verstehen, ist doch auch super.

Aber da hört es ja nicht auf: Kann ich wirklich für die nächsten fünf bis zehn Jahre kategorisch ausschließen, dass von diesen Menschen niemand – und auch niemand, der mit diesen Menschen zu tun hat – jemals, egal wann, egal in welcher Form, an einer Aktion beteiligt sein wird, die als terroristisch bewertet wird? Kann ich das wirklich so sicher ausschließen? Bei hunderttausend oder keine Ahnung wie viel Mitgliedern? Ja? Nein? Was, wenn es passiert? Was mach‘ ich dann? Dann heißt es Verein X, Muslime, Terror.

Wenn ich hier unterschreibe, dann tragen die das in ihre Datenbank ein, dann steht da mein Name drin, in der Excel-Tabelle, dieser bestimmt dann so genannten “Terror-Datenbank”, die ans Netz angeschlossen ist, in Sekunden kaperbar, mir brauchen die nichts zu erzählen. Und das alles, in diesem übertrieben hypothetischen Fall, das reicht ja vollkommen für einen begründeten Verdacht, damit alles überwacht wird, was technisch drin ist. Nicht nur von der NSA, um das an dieser einen Stelle klar zu formulieren. Sondern auch in Deutschland. Will ich mich da freiwillig in so eine potentiell ätzende Situation begeben?

Und alles, was ich sage, ist: „Sorry.“ Ich gebe den Stift zurück. Ein weiteres Sorry, als ich sehe, dass ich nicht genügend Scheine im Geldbeutel habe. „Reiche ich nach, ganz bestimmt.“ Yalcin nimmt den Stift; mittlerweile die sechste Zusage ohne Abschluss.

Kurz darauf bin ich auf einer Veranstaltung. Dort reden Muslime, die in einem Bericht vom Verfassungsschutz auftauchen. Der Verfassungsschützer sagt: „Hey, wir wollen nicht stigmatisieren.“ Die muslimischen Personen sagen: „Alle wenden sich von uns ab, wir kriegen überhaupt keine Unterstützung. Sobald man unseren Verein googelt, steht da: Verfassungsschutz. Klar stigmatisiert das. Wir erleben das doch tagtäglich.“

Klar stigmatisiert das, denke ich – und bin froh, dass ich nicht unterschrieben habe. Zwar habe ich mich mittlerweile aus vielen, vielen anderen Gründen dagegen entschieden, zu spenden (auch in bar) – aber die erste Reaktion war eine andere. Eine dumme Reaktion, eine Reaktion, bei der ich es eigentlich besser weiß, besser wissen müsste, dass es so nicht funktioniert. Dass Abschreckung und Einschüchterung genau das sind, was andere meinen, wenn sie “Schere im Kopf” sagen.

Jedenfalls, ich weiß nicht, was gemeint ist, wenn ich die beiden Wörter abstrakt und diffus lese. Für mich fühlt sich das alles sehr real an.

7 Antworten zu “Alles sehr real”

  1. Gast sagt:

    Klasse Text, welcher die „Schere im Kopf“ gut beschreibt.
    Das betrifft nicht nur Muslime – es betrifft alles und Jeden, denn auch ich schreibe hier lieber „nur als Gast“ – nicht weil es um ein Thema mit Bezug zum Islam geht (ich bin Atheist, vormals Evangelisch), sondern weil sich nur noch konervative Hardliner offen äussern. Denn deren Meinung zählt als akzeptiert – obwohl dadurch meines Erachtens reale MORDE unbewusst GEFÖRDERT und begangen wurden. Die #NSU konnte nur auf dem Nährboden dieser reaktionären Hetze wachsen. Dort hat kein #BND und keine #NSA frühzeitig Alarm geschlagen! Das ist deren Schuld und die Gefahr in unseren westlichen Gesellschaften!

  2. Gast II sagt:

    @Gast was meinst du mit “ Denn deren Meinung zählt als akzeptiert – obwohl dadurch meines Erachtens reale MORDE unbewusst GEFÖRDERT und begangen wurden.“

  3. Gast II sagt:

    und an den Autoren: Ich glaube, wenn diese reale Angst darin besteht, dass du auf irgendwelchen Listen geführt wirst: Du wirst auch auf dieser Liste stehen, wenn du in die Moschee gehst. Wenn deine Sorge die ist, wohin dein Geld fließt: Machst Du dir die gleichen Gedanken beim Einkaufen? Oder ist das egal, weil das Geld da nicht direkt von Dir kommt? Oder weil es potenziell nicht Terroranschläge, sondern andere Sachen sind?

    • hakantee sagt:

      Ja, aber der Moscheebesuch wäre noch ein Stück weit Mehrarbeit. Eine Liste, die ans Netz angeschlossen ist und vermutlich sehr leicht zu kapern ist, das ist noch einmal was anderes.

      Das mit dem Geldfluss ist zwiespältig. Einerseits ist das eine Sache, die, wie geschrieben, ja auch für Kirchen geht. Aber tendenziell geht es um Terrorismus, ja. All das andere wäre ja gut diskutierbar.

      Aber wie gesagt: Habe mich mittlerweile eh‘ davon distanziert.

  4. […] so weit weg ist? Dabei könnte es so schnell gehen. „Verein X, Muslime, Terror“ – Hakan über die Angst, die sehr real ist. (Relatiert: […]

  5. […] Misstrauen und Vorurteilen auf den Einzelnen und von der Schere im Kopf  berichtet Hakan auf kleinerdrei . Gegen die Gefahr, sich vereinnahmen zu lassen, hat gut betucht ein […]