Grüne Wochen

Foto , CC BY-NC-SA 2.0 , by oliverhiltbrunner

Im Januar letzten Jahres beschloss ich, ein Jahr auf Fleisch zu verzichten. Auslöser war ein Gespräch mit meiner Freundin S., die Lehrerin ist und genug davon hatte, jeden Tag ihren Schülerinnen und Schülern zu erzählen, wieviel CO2 Massentierhaltung verursacht, um sich unbeeindruckt davon abends ein Steak in die Pfanne zu hauen. S. wollte ein Jahr auf etwas verzichten, was für sie selbstverständlich war und gleichzeitig immer unbequemer wurde: Da war das schlechte Gewissen beim Griff nach den Hähnchenschenkeln für 1,99 Euro; das Umschalten bei einschlägigen Dokumentationen über Massentierzucht. Dieses Unbehagen und das Wegsehen kamen mir sehr bekannt vor. Umso beeindruckter war ich von ihrer Konsequenz.

Ich beschloss, es ihr gleichzutun. Meine Gründe waren ein bisschen pragmatischer als ihre: Ich hatte einfach keine Lust mehr auf 15minütige Selbstgespräche, -anklagen und -verteidigungen vor der Fleischtheke im Supermarkt, bei denen sich gleich drei meiner mehr oder weniger charmanten Persönlichkeiten um meinen Einkaufszettel stritten und feilschten: Mc Fitti; Mc Sparfuchs, Mc Tradition und Mc Gewissen. “Wenn du Fleisch nimmst, kannst du ein Abendessen fast ganz ohne Kohlehydrate essen. Das ist super, wenn du schlanker sein willst!”; “Das Biofleisch ist doppelt so teuer wie das Normale! Und wer traut schon Biosiegeln?”; “Dieses Fleisch ist zu billig, als dass das Tier, das dafür starb, halbwegs in Würde leben und sterben konnte.”; “Die Nahrung, die dieses Tier brauchte, bis es geschlachtet wurde, hätte effizienter eingesetzt werden können.”. Das letzte Wort hatte in diesen stummen Konversationen meist Mc Dashamwaschonimmersogemacht: “Halt die Klappe, Soja-Lady. Fleischersatz muss schließlich auch erst erzeugt werde und frisst Agrar-Anbaufläche. Und überhaupt: Tofu schmeckt eh nicht so gut wie eine Thüringer Bratwurst.”

Das nimmermüde F-Wort

So weit, so nervig. Grund genug für mich, mir diese Art von Zeitraub ein Jahr zu ersparen, indem Fleisch einfach in jeder Form vom Einkaufszettel flog. Fisch, Milchprodukte und Eier blieben vorerst drauf – zumindest bis zu dieser Infografik, für die eine Kollegin von mir die Zahlen recherchiert hatte. Demnach würden hierzulande 50 Millionen männliche Küken pro Jahr nach dem Schlüpfen vergast oder zerschreddert – einfach, weil sie nicht in der Logik der Eiererzeugung in Massentierhaltung passten. Die Zahl und das Bild, das sie erzeugte, reichten mir, um von dort an auch so oft wie möglich auf Eier zu verzichten.

Was stellte der Verzicht mit meinem Alltag an? Mehr als ich dachte. Zum Einen musste ich – was mir nicht behagte – häufiger und länger darüber nachdenken, was ich kochen sollte. Das liegt, vermute ich mal, an meiner ostdeutschen Herkunft. Den Kindheit in der DDR bedeutete einerseits, dass Kohl, Kartoffeln und Zwiebeln die so ziemlich die einzigen Gemüsesorten waren, die es das ganze Jahr verlässlich und für alle gab und andererseits Fleisch ohne Ende. Entsprechend sah das Rezepterepertoire aus, das ich von zu Hause mitgebracht hatte. Roulade, Schnitzel, Braten. Alles zweifelsohne gut, alles zweifelsohne runter vom Speiseplan. Umging ich die lästige Frage “Was tun?”, indem ich mich bekochen ließ – zum Beispiel jeden Mittag in der Kantine – konnte das auch tricky werden. Meist gab es dort ein warmes Gericht ohne Fleisch. Dies bestellen zu können, setzte aber voraus, es auch zu mögen – und das war nicht immer der Fall. Zur Not gab’s Salat. Nicht weiter tragisch.

Wenn Leute übers Essen reden, geht es nie nur ums Essen

Was sich am stärksten veränderte, war die Häufigkeit, in der ich über meine neue Essgewohnheit sprechen und bisweilen verteidigen musste. “Aber du hast doch immer Fleisch gegessen!” hatte mein Vater entgeistert gesagt, als ich ihm das erste Mal von meinem Plan erzählt hatte. Das war leicht zu kontern: “Dinge ändern sich.”. Keine befriedigende Antwort für Eltern, für die sich die Frage nach Verzicht nicht stellt – was ich respektiere. Dass dieser Weg meiner war, ich deswegen immer noch ihre Tochter und nicht unterwegs, um sie zu verändern, brauchte eine Weile, um anzukommen.

Diese Erfahrung machte ich häufiger. Typische Kantinenunterhaltungen gingen so: “Nimmst du auch die Lasagne?” “Nee, die Suppe. Ich esse doch ein Jahr kein Fleisch.” “Mhm, ach so. Wegen der Massentierhaltung? Also, ich hab gelesen, das mit den Biosiegeln ist eh alles Quatsch. Und ich esse ja selbst kaum noch Fleisch. Nur ab und zu.”. Man beachte, dass ich die Ernährungsgewohnheiten meines Gegenübers nicht abfragte, er oder sie sie mir aber unverlangt erzählten. Warum, fragte ich mich oft. Um Absolution zu erhalten? Aber wer war ich, diese zu geben? Ein Jahr auf Fleisch zu verzichten, machte mich doch nicht zur moralischen Oberinstanz beim Thema Ernährung.

Zur Verwunderung über diese Auskunftsfreude gesellte sich Erstaunen über die Flut an Hass, die sich anlässlich einer Themenwoche meines Arbeitgebers über veganes Leben in den Leserkommentaren entlud. Moralapostel, Gutmenschen, Ökodiktatoren. Menschen hätten sich Tiere schon immer Untertan gemacht, argumentierten viele. Das waren keine Duelle mit dem Florett, das waren verbale Maschinengewehre, die da in den Kommentarbereichen abgefeuert wurden.

Essen macht das Selbstbild aus

Verstehen, warum dieses Thema Menschen so emotional auf die Barrikaden brachte, half mir ein Gespräch mit einem Kollegen. Er sagte: “Essen ist universell. Jeder hat dazu eine Meinung, weil jeder essen muss. Und wer über Ernährung diskutiert, diskutiert, ob er es will oder nicht, immer auch über andere Themen: Lebensstil, Erziehung, Moral.” Akadamisch widmet sich dieser Gemengelage ein ganzer Forschungszweig, die “Food Studies”, von denen mir Mitkleinerdrei-Autorin Nicole bei der Vorbereitung dieses Textes erzählte.

Meine Freundin A. brachte eine andere interessante These zur Macht des Essens ins Spiel. Sie sagte: “Es ist kein Zufall, dass die großen Weltreligionen Vorschriften zum Thema Essen in ihre Vorstellungen vom gottesfürchtigen Leben einflechten. So sichern sie sich einen Platz in deinem Alltag.”

Ich lernte in diesem Jahr also etwas über die Macht des Essens und ich lernte, zum unfreiwilligen “conversation starter” zu werden.

Ich lernte auch, wie eng Essen an Kindheit, Herkunft und Gefühle geknüpft ist. Dreimal aß ich im vergangenen Jahr trotz meines Vorsatzes Fleisch. Einmal davon bei meiner Oma, einmal bei meinen Eltern. Es war mir zu schwer gefallen, ihre Erwartungen nicht zu erfüllen. Ich wollte ihnen zu viel Veränderung nicht zumuten. Stolz war ich darauf nicht, ein Drama war es auch nicht. Zumindest im letzten Fall hatte ich dafür gesorgt, dass es wenigstens Biofleisch war, was wir aßen – für meine Eltern bis dahin absolut exotisch.

Was bleibt also vom Jahr ohne Fleisch? Erstens die Erkenntnis, dass es, wenn man ein Leben lang Fleisch gegessen hat, nicht entspannender ist, darauf zu verzichten, als einfach weiterzumachen. Das Nachdenken darüber, was ich esse, wurde nicht weniger, sondern mehr – einfach, weil Fleisch oft die schnellere und einfachere Lösung gewesen wäre. Ich habe so begriffen, wie sehr es mich geprägt hat, dass zu Hause Fleisch gegessen wurde.

Zweitens die Erkenntnis, dass mir nichts fehlt, ich aber auch nicht zum Fleischhasser wurde. Der Geruch eines Grillsteaks, auf dem Bier verdampft, lässt mir immer noch das Wasser im Mund zusammenlaufen. Es ist dann aber auch völlig okay, es liegen zu lassen. Deswegen werde ich das Experiment fortführen und weiter auf Fleisch verzichten. Die Gründe, weswegen ich anfing, sind schließlich nicht aus der Welt.

Ein Versteck namens Häme

Drittens das Erstaunen darüber, wie jede Art von Kratzen am Status Quo – mehr oder weniger häufig – als Angriff verstanden wird. Wer – was ich nicht getan habe, weil mir dafür Kenntnistiefe fehlt – sagt, dass Massentierhaltung und die Art, wie sich die meisten Deutschen ernähren, in seinen Augen ein Umweltproblem ist und oder eins der Moral, der wird zu Freiwild. Einige weiße, mittelalte Menschen, so scheint es, können eine publizistische Karriere daraus machen, diesen Status-Quo-Kratzern eine gewisse Verkommenheit in Kolumnenform zu bescheinigen. Beliebter Tenor: „Was ihr macht, ist zwar ein bisschen weniger schlimm als das, was die Massentierhaltung macht, aber eben immer noch und wahrscheinlich anders schlimm. Außerdem wollt ihr uns doch nur vorschreiben, was wir tun sollen – selbst, wenn ihr das so nicht sagt, wir haben das im Gefühl.“

Das ist so, als würden Atomwaffenbefürworter zu Atomwaffengegnern sagen: Lasst uns doch die Bombe, kümmert euch erstmal ums Thema Schrotflinten.

Was sie eigentlich sagen wollen, ist: Lasse mir meine Privilegien, hör auf, mich mit etwas zu konfrontieren, über das ich nicht nachdenken will. Wie das Bild von Hühnern, denen der Schnabel abgeschnitten wird, damit sie sich auf dem Quadratmeter, auf dem sie zu neunt leben, bis sie geschlachtet werden, nicht verletzen. Oder von Schweinen, denen der Schwanz abgeschnitten wird, damit sie sich nicht verletzen, weil sie durch die Zusatzstoffe in ihrem Futter und die Enge ihrer Haltung aggressiv werden. Von den Arten, die Tiere zu töten, ganz zu schweigen.

Keiner zwingt uns, auf Fleisch zu verzichten. Man kann die Kampagnen für einen Veggie Day oder gegen die Selbstverständlichkeit, mit der Fleisch zu Billigware geworden ist, für diktatorisch halten und behaupten, es gäbe wichtigeres. Man kann aber auch anerkennen, dass es Menschen gibt, die sagen: Ich will etwas an diesem Zustand verändern, um mir ins Gesicht sehen zu können. Der Verzicht auf eine Sache, deren Folgen man für nicht wünschenswert hält – beispielsweise Massentierhaltung – zieht nicht nach sich, für alle moralischen Dilemmata und Fragen Antworten haben zu müssen. Er bedeutet nur: Hier stehe ich und mit allem, was ich an diesem Punkt über diese Sache weiß, komme ich zu dieser Entscheidung. Respektiere sie, triff deine eigene, aber lasse mir meine.

21 Antworten zu “Grüne Wochen”

  1. Reni sagt:

    Hallo und danke für den Artikel, gefällt mir gut!
    Eine Anmerkung habe ich: Wenn eine* nicht tatsächlich mehrer Persönlichkeitsanteile (im Sinne einer DIS) hat, dann empfinde ich das Spielen mit diesen Begrifflichkeiten eher als unangebracht.

    • julianeleopold sagt:

      Hallo Reni, Danke für den Hinweis. Das war ein Stilmittel und ironisch gemeint. Ich kann nachvollziehen, dass dies missverständlich und gegebenenfalls verletzen wirken kann.

  2. lnwdr sagt:

    „Der Geruch eines Grillsteaks, auf dem Bier verdampft, lässt mir immer noch das Wasser im Mund zusammenlaufen.“

    Ging mir zunächst auch so. Nach ein paar Jahren änderte sich auch das. Inzwischen ist der typische Grillgeruch für mich ziemlich unangenehm. Ich habe das gleiche festgestellt, als ich mit dem Rauchen aufhörte, nur dass es da deutlich schneller ging.

  3. endorphenium sagt:

    danke für das teilen deiner erfahrungen. ich verzichte zwar nicht gänzlich auf fleisch, habe aber vor 2 monaten begonnen noch maximal 2x die woche fleisch zu essen (also auch keine wurstbrötchen etc…), da mir aufgefallen ist, dass ich zwar selten fleisch kaufe und nicht das gefühl hatte, dass ich viel esse, aber das eher daran lag, dass eine salamipizza oder eine salat mit hähnchenbruststreifen dann eben nicht als fleisch gedacht wurde.

    ich habe dabei ganz ähnliche erfahrungen gemacht, wie du. man beobachtet sich selbst ganz anders beim essen und man setzt sich mit seinem eigenen essen ganz anders auseinander.

    was mir besonders aufgefallen ist, ist das aufschieben von fleisch. es könnte ja in der kantine an den restlichen wochentagen noch ein besseres fleischgericht geben. also verzichtet man schnell von montag bis freitag. und am wochenende gibt es nahezu kein fleisch, da wir in unserem haushalt eigentlich keins kaufen. und schon lebt man zwei wochen vegetarisch und merkt es kaum, weil einem letztendlich doch nichts fehlt.

    eine spannende und schöne erfahrung. danke fürs teilen.

  4. Manfred sagt:

    „Ich will etwas an diesem Zustand verändern“
    Wie genau glaubst du denn bitte, durch deinen Vegetarismus, etwas an der Massentierhaltung zu ändern? Glaubst du Wiesenhof bricht jetzt der Umsatz ein, weil du deren Hähnchen nicht mehr kaufst?
    Sorry, aber das halte ich für die schlimmste Art von Pseudo-Weltverbesserismus direkt nach Online Petitionen. Du tust das ganze für dich und dein Gewissen und für nichts mehr!

    • julianeleopold sagt:

      Hallo Manfred,
      Danke für diese perfekte Illustration meines Textes, was die Reaktionen von Skeptikern auf meinen Verzicht angeht. Entgegen deiner Behauptung plane ich mit meinem Schritt nicht die Verursachung des Ruins des Unternehmens Wiesenhof. Was ich sehr wohl praktiziere ist die Umsetzung des Credos „Sei der Wandel, den du in der Welt sehen möchtest.“ Ich verzichte, weil ich es für richtig halte und zumindest mein Geld nicht mehr etwas unterstützen soll, wovon ich nichts halte. Es ist natürlich viel bequemer zu resignieren. Viel Freude noch dabei.

      • Manfred sagt:

        Du solltest vielleicht wissen, dass ich selbst seit 8 Jahren vegetarisch Lebe!
        Deshalb kann ich auch den Vorwurf den ich dir mache sehr wohl begründet anbringen.
        Du belegst ihn ja gerade zu!
        „Ich verzichte, weil ich es für richtig halte und zumindest mein Geld nicht mehr etwas unterstützen soll, wovon ich nichts halte“
        Du sparst Geld. Das ist ein Nutzen. Auch dass du gesünder lebst, weil du kein mit Antibiotika vollgepumptes Fleisch isst, ist ein Vorteil für dich!
        All diese Dinge sind lediglich dazu da, damit du dich besser fühlst und nicht, weil du damit irgendetwas erreichen kannst und das weißt du auch, behaupte ich.

        Lieben Gruß
        Manfred

      • T3o sagt:

        Bis hierhier fand ichs gut :(

        Manfreds Gehässigkeit mal aussen vor, hat er völlig recht: es wird sich auch nichts an der Massentierhaltung ändern wenn KEINER(!) mehr Fleisch ist. Dann wird es halt produziert und vernichtet und die Kosten trägt der Staat/Steuerzahler. Siehe Kohleindustrie.

        Das ist ein klassisches Lügenmärchen, dass die Nachfrage den Preis und das Angebot bestimmen kann.

        Die Lösung dieses Problems ist deutlich komplexer und erfordert eine Umdenken und eine daraus folgenden Abschaffung jedweder Nahrungsmittelindustrie. Und das kostet Profite. Aber solange wir als Gesellschaft der Meinung sind, dass es gut ist mit lebensnotwendigen Dingen Gewinne zu erwirtschaften, weil wir glauben, dass das effizienter ist (Marktwirtschaft^^), bleibt das so.

        Insofern ist das vegitarische Leben nur ein persönlicher Erfolg. Aber deswegen trotzdem richtig und sinnvoll. Nur wirds halt nix ändern.

        • sturmfrau sagt:

          Ich hörte vor längerer Zeit einmal das Argument aus dem Munde eines in Massentierhaltung wirtschaftenden Landwirts (der Begriff „Bauer“ ist meines Erachtens obsolet), dass die Massentierhaltung absolut notwendig und auch fortschrittlich sei – schließlich habe man eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. „Hm, ja“, dachte ich mir, „mit Putensteaks, verstehe.“ Ich empfände es schon als Fortschritt, wenn sich alle Menschen überhaupt genügend zu essen leisten könnten, was aber, wie Sie völlig zu Recht feststellen, unmöglich ist, solange…

          „(…) wir als Gesellschaft der Meinung sind, dass es gut ist mit lebensnotwendigen Dingen Gewinne zu erwirtschaften (…)“

          Der erwähnte Massentierhalter tut, was er tut, sicher nicht, weil er meint, der wachsenden Weltbevölkerung damit einen Segen zukommen zu lassen. Er tut es, weil es sich für ihn lohnt. Das Thema ist in der Tat sehr komplex, und auch ich glaube nicht an das Märchen, dass die Nachfrage das Angebot bestimmt. Wäre dem so, dann hätten wir keine absurde Werbung für Fleischabfälle, die als „Männer-“ und „Frauenbratwurst“ getarnt im Handel sind. Unter Herstellern wird gern immer argumentiert, die Leute wollten es so, dass das Fleisch möglichst billig zu haben sei, was sie dann wieder als Rechtfertigung dafür heranziehen, dass sie Ferkeln nur ohne Betäubung die Ringelschwänze kappen können, weil die Spritze zu teuer sei. Umgekehrt kann man aber auch argumentieren, dass der Durchschnittsdeutsche längst nicht so viel Fleisch in sich hineinstopfen würde, wenn es mehr kostete. Nur würden dann die Herrschaften, die über die Masse ihren Gewinn maximieren, finanzielle Einbußen erleben, was ihnen eben nicht passt.

          Man kann sich zu Recht fragen, welche Rolle man als Konsument in all dem spielt. Ich bin aber sicher, man spielt eine. Ich sehe es nicht so wie Sie, dass es gar keinen Effekt hätte, wenn letztlich alle zu Vegetariern oder Veganern würden. Vermutlich hätte dies äußerst kuriose, noch nicht überschaubare Auswirkungen auf den Anbau von Lebensmittelpflanzen. Aber ich schweife ab. Ob meine persönliche Konsumentscheidung für oder gegen Fleisch die Welt besser machen oder verändern würde, weiß ich nicht. Klar sind Motive wie die von Juliane immer ein Stück egoistisch – das Gewissen zu entlasten ist natürlich egoistisch. Sich nicht die Mühe machen zu wollen, ein Bewusstsein in diesen Dingen zu entwickeln, ist allerdings ebenso egoistisch.

          Letztlich liegt das Problem, wie Sie ja auch anmerken, in der industriellen Massenfertigung von quasi allem zum Zwecke nicht der Versorgung der Menschen, sondern der Gewinnmaximierung. Dieses Problem zu überwinden dürfte meiner Meinung nach die größte Aufgabe sein, die wir vor uns haben. Ich las neulich in einem anderen Kontext (bezüglich der Bekleidungsindustrie) die Ansicht, dass es billig sei, die Verantwortung für diese Dinge allein auf die Konsumenten abzuwälzen. Das stimmt sicher. Das Ding ist, dass es heute auch nicht mehr fruchtet, als Bürger den Staat zur Wahrnehmung dieser Verantwortung zu drängen, denn letzterer versteht sich inzwischen zumindest in kapitalistisch geprägten Ländern als verlängerter Arm und Lobbyist der Wirtschaft, ohne dies jedoch zuzugeben. In Zeiten der massiven Massentierhaltungs-Subvention wirkt sämtliches Gefasel staatlicherseits („Wir wollen nur Euer Bestes!“) ohnehin wie eine Farce. Im Zweifel müssen die argumentativ beliebten Arbeitsplätze bzw. ihr Verlust als drohendes Erziehungsmittel herhalten.

          Lösung? Hm, mir ist noch keine eingefallen. Aber ich mag mich als Konsumentin auch nicht vollkommen aus der Verantwortung stehlen. Und sei es bloß, dass ich kaufe, was ich verantworten mag, und was nicht, im Regal stehen lasse.

        • mom sagt:

          „Die Abschaffung jedweder Nahrungsmittelindustrie“…
          und dann materialisiert sich das Essen hastenichtgesehen aus Luftmolekülen?
          Ich bin da sehr skeptisch.
          Sollte es seriöse Quellen dazu geben, wie der Nahrungsmittelverbrauch von, sagen wir mal 80 Mio Deutschen ohne Industrie bzw. Herstellung im großen Stil bewerkstelligt werden kann, wäre ich für eine Nennung dankbar.
          Und dann ist noch zu bedenken, dass Leute mit einem geringen Einkommen mit wesentlich höheren Nahrungsmittelkosten (und anders kann ich mir die Folgen eines Endes „jedweder Nahrungsmittelindustrie“ schwer vorstellen) nicht gedient ist.

    • mom sagt:

      Sind die Motive nicht zweitrangig, wenn das Ergebnis positiv ist?

  5. Aris sagt:

    Hier einfach nur ein paar Gedanken, die mir beim Lesen des Textes kamen:

    – “Nimmst du auch die Lasagne?” “Nee, die Suppe. Ich esse doch ein Jahr kein Fleisch.”

    Warum der zweite Satz? Warum ist es für den anderen wichtig, warum Du die Suppe isst? Ist Deine Antwort nicht im Ansatz schon das gleiche wie die darauf folgende Reaktion des anderen?

    -„Das ist so, als würden Atomwaffenbefürworter zu Atomwaffengegnern sagen:“

    Ich hoffe, es ist nicht gewollt, aber es kommt so an, als ob kommentierende Fleischesser mit der Atomwaffenbefürworter gleich gesetzt werden. Darüber hinaus halte ich den „weißen, mittelalten Menschen (auch hier meint man(n), dass nur das männliche vom stupid white old man vermieden wurde) als ob Fleischgenuss etwas mit Hautfarbe oder Alter zu tun habe.

    Das sind natürlich alles Interpretationen meinerseits, was ich auch unbedingt betonen will.

    Nun glaube ich herausgelesen zu haben, dass Du Dich durchaus auf diesen Text vorbereitet hast. Was mir dann allerdings fehlt ist die Seite der Produzenten. Hast Du Dir vor Ort auf einem Bauernhof mal ein Bild von der Massentierhaltung gemacht? Und das bitte eben nicht über einschlägige Dokumentation im TV sondern vor Ort. Hast Du Dich mal mit den Erzeugern unterhalten, einen Stall oder einen Schlachthof besucht. Hast Du mal versucht, das Qualitätswesen z. B. bei Wiesenhof kennen zu lernen? Warum richtet sich die Qualität der Tierhaltung nach der Menge? Warum nicht nach Kriterien wie Größe der jeweiligen Fläche, tiergerechte Einrichtungen (allein, was sich in diesem Bereich in den letzten 20 Jahren getan hat, ist unbeobachtet von Verbraucher in Riesenschritten passiert) oder Sauberkeit.

    Aus persönlicher Erfahrung misstraue ich Organisationen wie PETA oder Foodwatch, deren Hauptziel, nämlich Spenden zu sammeln, sich am besten mit Skandalisierung erreichen lässt.

    Ich kenne, nicht nur durch selbt erlebte Kindheit, Bauernhöfe, Biobauern, Hänchenschlachthöfe von Innen. Mag sein, dass ich dadurch voreingenommen bin, aber ich bilde mir ein, dass ich weiss, wie Massentierhaltung aussieht.

    Und das ist zumindest mein Grund, warum ich angefressen (sic!) auf Bemerkungen zur bösen Massentierhaltung reagiere.

  6. Lisa M. Koßmann sagt:

    Die Erfahrungen decken sich sehr mit meinen. Ich lebe seit einem Jahr vegan und führe seitdem mehrmals wöchentlich Diskussionen über Ernährung. Ich habe den Eindruck, dass viele im Grunde dieses schlechte Gewissen haben, es aber erst zutrage tritt, wenn jemand dieser Gewissensbotschaft folgt und konsequent danach handelt – dann fühlen sich andere (wie ich selbst früher auch, wenn jemand sagte, dass er Vegetarier oder Veganer ist) oft angegriffen, weil sie es selbst nicht tun.
    Manchmal schlagen diese Diskussionen aber auch in eine ganze andere Richtung um, nämlich dann, wenn kein Vorwissen über die Lebensmittelindustrie vorhanden ist bzw. der Einfluss unseres Konsumverhaltens auf die Umwelt nicht reflektiert wird. Dann sieht das Gegenüber nur den Verzicht und nicht selten wird man deshalb belächelt oder mit einem Kopfschütteln bedacht, denn „wieso sollte man das nur tun“?
    Dem Fazit stimme ich ebenfalls zu. Ob nun (siehe vorige Kommentare) der eigene Konsum den Zustand ändern kann, das kann ich nicht beantworten, aber wie wollen wir es rausfinden, wenn wir es nicht versuchen?

  7. […] kleinerdrei ist heute ein artikel erschienen, der sich mit dem fleischverzicht für ein jahr beschäftigt. dieser hat mich dazu […]

  8. narit sagt:

    Ich lebe seit drei Jahren konsequent vegetarisch/vegan und ich kenne das alles. Manchmal träume auch ich von einer Rinderroularde etc. aus meiner Kindheit, aber wenn ich mir den Rohzustand und den Geruch von dem Fleisch vorstelle und wie sehr es mich geekelt hat, dies zu riechen und anzufassen, bis es dann mit allen Gewürzen und Gemüsen angebraten endlich lecker roch, dann bin ich heute mit meinen fleischlosen Alternativen sehr glücklich. Besonders da ich feststellen musste, dass vieles einfach nur über die Gewürze gut schmeckt und nicht einfach als Rohzustand Fleisch. Keiner mag ungewürztes Mett ohne Salz, Pfeffer und Zwiebel. Sauerbraten birgt eine Vielfalt an Gewürzen in einer mehrtägigen Marinade usw. Die Masse an Gemüsesorten, die ich vorher durch Fleisch nicht gewürdigt habe, hat sich vervielfältigt zu wirklich köstlichen Gerichten ohne extreme Gewürzmischungen.

  9. Hugo Blartenpfonk sagt:

    Beim Grillsteak könntest du es ja machen wie ein buddhistischer Kumpel von mir: Selbst kein Fleisch kaufen, aber wenn du welches geschenkt bekommst, gerne essen. Das Tier ist eh schon tot, aber dadurch, daß du kein Geld und keine Gegenleistung für das Fleisch gibst, bist du nicht dafür verantwortlich, und damit lastet das Karma auch nicht auf dir.

  10. rollinger sagt:

    Das einzige Problem das ich mit Veganern habe ist dieses „ich bin heilig“.

    Gespräche in der Art „Hallo ich bin Julia ich komme aus Stuttgart und ich bin vegan“

    Tja, wenn man sonst nichts hat als Auszeichnung. Die veganen Kumpels in Freundeskreis sind da zum Glück weniger anstrengend. Hält zwar keiner (bis auf einer)wirklich durch, denn so lange hält dieser Veganhype eben nicht wirklich an.
    Aber er kommt ja alle 20 Jahre wider. Wie sagte meine Nichte vor ein paar Jahren im Urlaub in Ungarn, nachdem sie ein Gulasch gegessen hatte. „Eigentlich bin ich Vegetarierin“.
    Sie isst aber auch gerne Burger ekelt sich aber vor Hackfleisch. Das ist krank. Nicht umsonst sollen meine Kinder hin und wieder auch mal einen Fisch ausnehmen oder wir gehen zum Muscheln sammeln im Atlantik. Einfach um mal zu zeigen, wie mühevoll es ist sein Essen selbst zu fangen und manchmal auch unangenehm.
    Ich fordere das ein, wer es nicht kann, ist akzeptiert und muss trotzdem nicht hungern. Aber Kinder sind da erstmal neugierig und wollen es auch wissen. Wie sich das für ihr Leben ausprägt ist unklar, ich hoffe, als Respekt vor der Natur und ihrem Viehzeugs.
    Aber ich BESITZE ja auch keine Haustiere die ich kastrieren müsste aus lauter falscher Tierliebe. Haustierbesitz ist genau so unvegan wie Tiere zu essen. Tut mir leid, so ist es nun mal.

    Seid bitte vegan, oder nicht vegan. Seid katholisch oder muslim, aber lasst eure Menschen mit euren Heldentaten die keine sind einfach in Ruhe.
    Es nervt einfach.
    Das Experiment selbst finde ich toll, eine gute Sache das mal selbst heraus zu finden. Andere leben ein Jahr ohne Alkohol oder ohne TV und manche ein Jahr ohne Aluhütchen.

  11. […] Ich bin gespannt auf die weiteren 25 Tage und was ich noch so für Erfahrung machen werde und wie oft sich wohl noch der Schweinehund melden wird – und ich vielleicht sogar ihm nachgeben werde? (Der Titel ist übrigens von Kleinerdrei abgeleitet, da hat Juliane ausführlich darüber berichtet wie es ist ein ganzes Jahr auf Fleisch zu verzichten.) […]

  12. […] Fleisch­freie Ver­tei­di­gung: Seit einem Jahr ver­zich­tet Juliane von Klei­ner­drei auf Fleisch — weil sie genervt war von „15-minütigen Selbst­ge­sprä­chen, –ankla­gen und –ver­tei­di­gun­gen vor der Fleisch­theke im Super­markt“. Nun zieht sie eine Zwi­schen­bi­lanz und kon­sta­tiert: „Was sich am stärks­ten ver­än­derte, war die Häu­fig­keit, in der ich über meine neue Ess­ge­wohn­heit spre­chen und bis­wei­len ver­tei­di­gen musste.„ Klei­ner­drei […]

  13. mom sagt:

    Ich war lange Jahre vegetarisch unterwegs – nicht „puddingvegetarisch“ – und habe letztes Jahr wieder angefangen, selten Fleisch zu essen. Ich hatte plötzlich ein wildes Verlangen nach Fleisch, das wochenlang nicht aufhörte, aß dann ein blutiges Steak, und spürte: DAS hat mir gefehlt. Irgendwelche Mikronährstoffe waren’s wohl. Seitdem esse ich ab und zu Fleisch, ehrlich gestanden mit reichlich schlechtem Gewissen, aber dann geht’s mir wieder gut. Ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass es eben nicht nur Sozialisation oder Druck ist, sondern der Körper manchmal wirklich Fleisch braucht. Ich könnte jetzt natürlich eine langwierige Ersatzstoffe-Suche anfangen, aber das ist mir zu aufwendig und auch zu unsicher.
    Bei den Veganern – besonders den blutjungen, völlig enthusiasmierten – bin ich immer sehr skeptisch, da fehlt mir die Langzeitwirkung des veganen Selbstversuchs. Wer weiß, wie lange es dauert, bis diese Veganer plötzlich der wilde Fleischhunger überfällt. Veganer, die das schon 20 Jahre oder so durchziehen, scheinen mir eher selten zu sein.

    Und nie vergessen:
    Wer jemandem sagen kann, was er essen soll/nicht darf, der hat Macht.
    Diese „Sojamilch vs. Steak“/“roh vs. gekocht“-Diskurse fallen meines Erachtens in die Kategorie „Machtfragen“. Besonders Frauen scheinen sich in solchen Machtspielchen zu ergehen, bei Männern scheint ein gewisser Konsens zu herrschen, nicht so’n Gedöns ums Essen zu machen. Aber bei manchen Frauen wird das – gekoppelt mit einem geheuchelten „Ich will ja nur, dass es dir gut geht“ und halbgarem Gesundheitswissen- zur Möglichkeit, über andere Aufzutrumpfen. Ziemlich unschön, wenn man bedenkt, dass Menschen prinzipiell voneinander verschieden sind und unterschiedliche Bedürfnisse haben.

    • Alex_a sagt:

      Dazu nur zwei Anmerkungen:

      1. Ich kenne keine ‚enthusiastischen Jungveganer_innen‘, die das seit 20 Jahren ‚durchziehen‘, aber einige, die seit gut 10 Jahren vegan leben und keine_n von ihnen hat je ein Fleischhunger-Rückfall überfallen. Ich selbst lebe seit 14 Jahren vegetarisch, seit 4 davon vegan und der einzige „Ausrutscher“ passierte in den ersten 2 Monaten meines Vegetariertums. Und da war ich 10.
      Im übrigen, zum Thema ‚Fleisch brauchen‘: http://ultratriathlon.org/arnold-wiegand.php – nur eins von hundert Beispielen.

      2. Diese „Frauen* handhaben das so“ und Männer* sind eben so-Dichotomie finde ich ziemlich unerträglich, ehrlich gesagt. Und unhaltbar noch dazu.