Video Game Highschool: It’s all about the Game!
Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Miriam.
Miriam ist Islamwissenschaftlerin, wohnt in Berlin und ist durch ihren Freund auf die Serie VGHS aufmerksam geworden. Die meisten Serientipps und auch viele Ideen zu diesem Text kommen aber von ihrer jüngeren Schwester.
Miriam selbst spielt keine Videospiele. Wenn sie es mal probiert, schießt sie sich dabei in den Fuß oder guckt sehr gründlich den Himmel an. Dafür entspannt sie sich in ihrer Freizeit gerne, indem sie Podcasts hört und dabei Tetris spielt. Außerdem ist sie in der Piratenpartei aktiv.
—
Es ist ein durchschnittlich verrückter Tag im Leben von BrianD. Er ist spät dran zu einer Verabredung mit seinem Egoshooter-Clan. Zufällig tötet er im Spiel den Egoshooter-Superstar „The Law“.
Da „The Law“ gerade in einer Fernsehshow sitzt, wo er eine Kostprobe seiner Fähigkeiten geben will, sieht die halbe Nation BrianDs Sieg, woraufhin er überraschend auf die Video Game High School aufgenommen wird. Auf seiner neuen Schule ist BrianD einerseits im Verhältnis zu allen anderen ein Anfänger und n00b, andererseits bereits ein Star. Er freundet sich mit der Spieleentwicklerin Ki und einem nerdigen Typen namens Ted an, verknallt sich in Jenny Matrix, die beste Egoshooterin der Schule und muss sich immer wieder mit „The Law“ auseinandersetzen, der auch auf die VGHS geht.
Diese Geschichte kann man seit inzwischen zwei Staffeln in einer Serie verfolgen, die von einer Reihe von YouTube-Künstlern rein fürs Internet produziert wurde. Dies war eine bewusste Entscheidung: Die Produzenten sagen, dass sie davon überzeugt sind, dass „Webserien der Grundstein für die Zukunft digital verbreiteter Inhalte sein werden.“ Online ist die Show kostenlos verfügbar, die Produktionsfirma verkauft inzwischen aber auch zusammengeschnittene Versionen auf iTunes und auf DVD.
Die Anfangsfinanzierung lief über ein Kickstarter-Projekt: $75,000 sollten gesammelt werden. Am Ende der gesetzten Frist von 30 Tagen waren aber $273,725 gesammelt, so dass die finanzielle Zukunft des Projektes gesichert war. Man kann die Folgen entweder auf der offiziellen VGHS-Seite oder auf YouTube gucken. Es gibt mittlerweile auch eine ziemlich große Fangemeinde, die sich u.a. im VGHS Wiki austobt, wo man tausend Hintergrundinfos zur Serie finden kann.
Warum ist die Serie so cool?
Die Produktionsfirma beschreibt VGHS als „eine Show über beste Freunde, erste Liebe und den perfekten Headshot“. Das Setting ist eigentlich das einer üblichen Highschool-Story, wie man es aus amerikanischen Filmen und Serien kennt, das aber durch die Tatsache, dass die Schüler*innen ausschließlich Kurse in Videospielen belegen und die Charaktere alle ziemlich schräg sind, außerordentlich aufgewertet wird. Die Serienmacher haben mithilfe einer sehr aufwendigen Produktion und sehr ansehnlichen Special Effects eine eigene Welt geschaffen: Überall prangt das Schullogo, es gibt eine eigene Schuluniform (ich will so einen VGHS Hoodie!) und Situationen in den Videospielen werden als Live-Action-Szenen umgesetzt.
Auch wenn First-Person-Shooter quasi als „Königsdisziplin“ im Vordergrund stehen, kommt auch eine ganze Reihe anderer Videospiele vor, z.B. Rhythm Games, Drift Races, MMORPGs und Real Time Strategy Games.
Die gesamte Handlung bewegt sich zwischen total schräg und normalem Highschool-Alltag. Das ist unterhaltsam anzuschauen und oft auch sehr lustig.
Harry-Potter-Vergleiche
Meine Schwester gab der Serie Video Game Highschool das Prädikat „Eine Kreuzung zwischen Harry Potter und Community. Was Sie damit meint, habe ich – zumindest bezogen auf Harry Potter – hier nachvollziehen können:
Harry Potter-Vergleich zum ersten: BrianD wird überraschend auf die VGHS aufgenommen („You’re a wizard, Harry!“). Er ist irgendwie ein Star, gleichzeitig aber ein Neuling in der Welt, die er betritt. Er stellt sich am Anfang nicht besonders geschickt an und wird von den anderen Schüler*innen auch immer wieder angefeindet oder ausgeschlossen.
Harry-Potter-Vergleich zum zweiten: Die Figuren: Da ist BrianD, die Gamer-Variante von Harry Potter. Und dann seine besten Freund*innen: Der Trottel (Ted) und die Streberin (Ki), die dann auch zusammen sind. Erinnert an das Trio Harry, Ron und Hermine.
Harry-Potter-Vergleich zum dritten: Es gibt ein Paralleluniversum, das die Hauptfigur am Anfang betritt. Darin gibt es andere Regeln, andere Marken und Logos, andere Werte und Ziele als in der normalen Welt. Die Zuschauer*innen betreten zusammen mit der Hauptfigur staunend diese neue Welt. Bei Harry Potter sind die Schulfächer Zaubertränke und Verteidigung gegen die Dunklen Künste, bei VGHS belegen die Schüler*innen Kurse in Rythm Gaming oder trainieren mit der Egoshooter-Mannschaft. Die Eltern etlicher Charaktere sind selbst Lehrer*innen an der VHGS. In fast allen dargestellten Eltern-Kind-Konflikten geht es um Erwartungshaltungen: Die Mutter von Jenny Matrix will, dass diese auch eine erfolgreiche Egoshooterin wird. Dafür soll sie persönliche Interessen und ihre Beziehung zu BrianD zurückstellen. Der Vater von Ted kann nicht verstehen, dass der nicht – wie er – ein Rhythm Gamer, sondern lieber Drift Racer werden will. Der Vater von Ki will sie am liebsten von der Schule nehmen weil sie ihre Fähigkeiten als Spieleentwicklerin nicht ausreichend ausbaut, sondern lieber Zeit mit ihren Freund*innen verbringt. In den Harry-Potter-Büchern kommt das Motiv „Du müsstest in dieser oder jener Disziplin ja ganz toll sein, genau wie Deine Eltern“ auch sehr oft vor.
Harry-Potter-Vergleich zum vierten: Für den Hauptcharakter gibt es keine Alternative zum Paralleluniversum. Harry Potters größtes Problem wäre es, aus der Zauber*innenwelt wieder ausgeschlossen zu werden, denn draußen gibt es nichts für ihn. Seine Eltern sind tot und in der normalen Welt ist er ein Niemand. BrianD geht es genauso: Seine Mutter ist offensichtlich nicht in der Lage, sich um ihn zu kümmern, ein Vater kommt nicht vor, von den Nachbarskindern wird er gemobbt. Lieber verdient er als Hausmeister der Schule seine Schulgebühren, als die VGHS verlassen zu müssen.
Harry-Potter-Vergleich zum fünften: Die Egoshooter-Schulmannschaft, die in Turnieren gegen Teams anderer Schulen antreten muss, erinnert sehr an das Quidditchteam bei Harry Potter. Die gesamte Schule schaut bei diesen Turnieren zu, es liegt enormer Druck auf den Starspieler*innen und wenn sie versagen, ist die ganze Schule schlecht auf sie zu sprechen. BrianD kommt, genau wie Harry, gleich zu Anfang in die Schulmannschaft und erlebt aufregende Siege und Niederlagen. Zugegebenermaßen ist bereits das Konzept von Quidditch sehr an den Kult um amerikanische Football- oder Basketball-Highschoolteams angelehnt.
Es geht auch ohne Genderstereotype
In vielen feministischen Texten und Blogs wird immer wieder beklagt, dass in popkulturellen Filmen und Serien zu wenig weibliche Charaktere vorkommen und dass diejenigen, die in einer Geschichte auftreten, vollkommen stereotyp und ohne Tiefe angelegt sind.
Da mich das auch immer wieder ärgert, war ich umso begeisterter von dem Ansatz von VGHS, denn im Cast herrscht ein recht ausgewogenes Geschlechterverhältnis. Frauen treten in allen Rollen auf: Als Angebetete, beste Freundin, Sidekick, Mutter, Lehrerin, Konkurrentin, Gegenspielerin, Mitglieder irgendeines Kurses oder einer Schulclique.
Sowohl die weiblichen als auch die männlichen Charaktere sind ausgesprochen interessant und vielseitig, machen spannende Entwicklungen durch und benehmen sich erfrischend unstereotyp. Ein paar Beispiele:
BrianD kocht und backt gerne für seine Freund*innen, wenn er ihnen eine Freude machen will. In der zweiten Staffel muss er ständig putzen, weil er sich als Hausmeister der Schule die Studiengebühren verdienen muss. Er handelt nicht nach den klischeehaften Vorstellungen von Männlichkeit. In der Beziehung mit Jenny Matrix offenbart er überraschend eine Vorliebe für das Dancing Game DXM. Wenn BrianD sich erschreckt, entfährt ihm immer ein hohes „mädchenhaftes“ Quieken.
Auch bei der Figur von Jenny Matrix wurden Geschlechterklischees aufgegeben. Sie ist die beste Egoshooterin der Schule und rettet ihm in wichtigen Turnieren immer wieder den Arsch. Sie ist Kapitänin der Schulmannschaft und sagt, wo’s langgeht. Gefühlsdinge müssen für den Erfolg des Teams auch mal hinten anstehen.
Ki, die Spieleentwicklerin, ist das Superhirn der vier Hauptfiguren. Sie ist noch nerdiger als alle anderen, durchschaut die Architektur der Videospiele und langweilt sich deswegen oft, weil es für sie keine intellektuellen Herausforderungen an der Schule mehr gibt. Sie initiiert die Beziehung zu Ted und lässt es dann geschickt so aussehen, als wäre es seine Idee gewesen. Trotzdem ist sie total selbstständig und definiert sich genau wie Jenny Matrix nicht über die Beziehung zu ihrem Freund, sondern über andere Dinge, die sie beschäftigen. Beide Mädchen haben zwar einen Boyfriend, sind aber nicht nur „die Freundin“, sondern haben things to do und places to be.
Die Eltern, die als Lehrer*innen an der VGHS arbeiten, sind auch nicht gerade genderstereotype Rollenvorbilder. Die Mutter von Jenny Matrix ist zum Beispiel selbst eine erfolgreiche und berühmte Egoshooterin und will, dass ihre Tochter mal genauso erfolgreich wird. Der Vater von Ted ist Lehrer für Rythm Gaming und kommt mindestens genauso trottelig rüber wie Ted selbst.
Die Jungs in der Serie, die versuchen sich durch besonders männliches oder dominantes Verhalten zu produzieren, werden mit ihren Aktionen vollkommen überzeichnet und machen sich damit meistens vor allen anderen lächerlich.
Es ist außerdem sehr bemerkenswert, dass die Frauen in der Serie in der Welt der Videospiele in jeder Hinsicht gleichberechtigt auftreten und dargestellt werden. Meine Schwester meinte, als sie die Serie das erste Mal sah, sei ihr sofort das Mädchen in dem Egoshooterteam von BrianD aufgefallen und sie habe gedacht: „Cool, ein Mädchen spielt da auch mit!“
Zu keinem Zeitpunkt stellt die Serie in den Raum, dass Videospiele nichts für Frauen wären, weil sie dafür von Natur aus weniger begabt wären oder irgendsoein sexistischer Quatsch, wie man ihn in der Videogames-Szene ständig zu hören bekommt („Go back to the kitchen!“). In der Serie treten Jungs und Mädchen auf, die im gleichen Maße gut und gerne Videospiele spielen. Gaming und die Welt der Videospiele stehen ohne Erklärung oder Thematisierung ganz natürlich für alle offen, völlig unabhängig vom Geschlecht.
Damit hebt sich die Serie wohltuend vom Sexismus in der Gamerszene und -branche ab, über den schon viel gesagt und geschrieben worden ist. Weibliche Charaktere bleiben bei der Spielentwicklung oft auf der Strecke, werden mit unrealistisch großen Brüsten und langweiligen und stereotypen Storylines ausgestattet. Frauen trauen sich bei Online-Rollenspielen aus Angst vor sexuellen Belästigungen und verbalen Angriffen oft nicht, ihr Geschlecht zu offenbaren. Als Einstieg in das Thema Sexismus in der Gamingszene empfehle ich den YouTube-Channel von Anita Sarkeesian.
Die Kehrseite
Ich weiß nicht, ob es Zufall oder das Ergebnis gezielter Überlegungen war, VGHS in vielerlei Hinsicht mit weniger stereotypen Charakteren und Geschichten auszustatten und bei allem, was positiv hervorzuheben ist: Manche Dinge könnten aus einer sehr kritischen, feministischen Sicht natürlich immer noch verbessert werden.
Zum Beispiel die Tatsache, dass der Protagonist noch immer männlich ist. Nichts gegen BrianD, cooler Typ und so, aber wenn man in so vielen anderen Punkten nicht die klassischen Klischees erfüllt, hätte man doch auch noch den kleinen Extraschritt machen und eine Frau als Hauptfigur anlegen können?
Eine Reihe von Studien zeigen, dass Männer glauben, es wäre ein 50/50-Verhältnis von Männern/Frauen in Filmen vorhanden, obwohl es in Wahrheit nur 17 Prozent sind (als Hauptdarstellerinnen, in Nebenrollen, als Komparsinnen). Wenn in einem Film 30 Prozent Frauen auftreten, haben Männer das Gefühl, es wären mehr Frauen als Männer auf dem Bildschirm, während Frauen das Verhältnis tendenziell realistischer einschätzen.
Meine Schwester hat daraufhin mal besonders auf die Frauen im Hintergrund bei VGHS geachtet. Ihr Ergebnis: Das mit den 17 Prozent könnte gut hinkommen. Sie hat in vielen einzelnen Szenen jeweils gründlich gezählt, und ist da zum Beispiel zu einem 4/14 Verhältnis von Mädchen/Jungs in Klassenszenen gekommen. Oder 2/10 und 4/13 in Schulhofszenen. Wir fanden das ganz schön krass, vor allem, nachdem wir uns beide so sicher gewesen waren, dass das Männer/Frauen-Verhältnis in der Serie 50/50 ist. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass das Verhältnis bei den Hauptfiguren wirklich ausgeglichen ist und man auf die Kompars*innen nicht so achtet. Es gibt also an der VGHS doch deutlich mehr Jungs als Mädchen. Die auftretenden Mädchen fallen uns zwar positiv auf, aber wenn es wirklich 50 Prozent weibliche Komparsinnen wären, hätten wir am Ende auch gedacht, dass es an der Schule mehr Mädchen als Jungs gäbe.
Den Bechdel-Test besteht die VGHS verhältnismäßig knapp. Ja, es kommen recht viele Frauen vor, sie reden auch miteinander, aber beim Kriterium „reden sie miteinander über etwas anderes als Männer“ gibt es Abstriche. Jenny Matrix spricht mit ihrer Mutter über die Konflikte, die sie miteinander haben. Da geht es aber ziemlich oft um ihre Beziehung zu BrianD. Ki und Jenny sind zwar im Prinzip in der gleichen Clique, aber wenn ich so drüber nachdenke, unterhalten die sich eigentlich so gut wie nie miteinander. Höhepunkt in dieser Hinsicht ist eigentlich die Gegenspielerin Ronin, die Ki in der 2. Staffel herausfordert und ihr am Ende Respekt zollt.
Wenn man sehr genau darauf achtet, finden sich noch andere Anzeichen für Sexismus. Warum tragen die Jungs in den Live-Action-Szenen immer Uniformen, die den ganzen Körper bedecken, während Jenny Matrix nur ein weißes Tanktop unter ihrer Weste trägt? Nicht gerade praktisch, wenn man durch den Staub kriecht und jederzeit einen Streifschuss abbekommen könnte.
Ki wird im Highschool-Alltag von vielen abfällig behandelt. Mit meinem Freund habe ich darüber diskutiert, ob sich hier sexistische Stereotype offenbaren. Ich würde aber sagen: Eher nicht. Sie wird von den anderen ignoriert oder schlecht behandelt, weil sie als langweilige, uncoole Streberin gilt, aber nicht, weil sie eine Frau ist. Am Rande kommen aber auch Scherze vor, die auf typische Game-Klischees verweisen, wie den Nerd, der nicht mit Frauen sprechen kann.
Alles in allem gibt es aber nicht besonders viel zu meckern, selbst wenn man die sehr kritische Brille aufsetzt.
Insgesamt finde ich VGHS außerordentlich unterhaltsam und erfrischend und ganz anders als das, was man so im Allgemeinen an amerikanischer Highschool-Popkultur vorgesetzt bekommt. Ich kann Euch daher nur ans Herz legen, sie euch selbst anzusehen.
[…] Diese online produzierte Serie schau ich mir beizeiten mal an. […]
Vielen Dank für den Artikel! Die Serie der Hammer! Falls du, dein Freund oder deine Schwester noch mehr solche Tipps auf Lager habt, dann bitte melden ;)