Paris, Paris

Foto , CC BY-NC 2.0 , by NicolasLoubet

Ein Jahr lang habe ich in Paris gelebt. Ein Versuch zu berichten.

Vor fast genau einem Jahr stieg ich am Kölner Hauptbahnhof in den Thalys nach Paris. Meine Freund_innen auf dem Bahnsteig weinten und ich mir kamen die Tränen erst, als ich im Zug saß. Vorher war ich damit beschäftigt sie zu trösten und meinen Koffer durch den unglaublich engen Mittelgang zu schleifen. Denn der Thalys sieht zwar schick aus, ist aber gar nicht mal so bequem. Erste Gesprächsfetzen von Französisch drangen an mein Ohr. Ich hatte Französisch nie in der Schule, sondern habe erst an der Universität damit begonnen und dann auch Romanistik studiert, unterstützt mit Französischkursen am Institut français. Geholfen hat das alles nichts: Mit zittriger Stimme bitte ich einen Mann, der eben noch auf Französisch sprach, auf Französisch um Hilfe wegen meines Koffers und er antwortet mir: auf Deutsch.

Ich setzte mich und war in einer seltsamen Stimmung. Zum ersten Mal würde ich im Ausland leben. Zum ersten Mal relativ auf mich allein gestellt sein. Zum ersten Mal in einer solch großen Stadt leben. Und natürlich: Paris! Paris! Ich ziehe nach Paris! Wie oft hatte ich davon geträumt in Momenten, in denen alles zu viel wurde. Wie oft hatte ich den Thalys am Gleis stehen sehen und dachte mir: Jetzt einfach einsteigen, ohne Gepäck, ohne was zu sagen. So konsequent war ich dann (leider) doch nicht. Ich nahm den klassischen Weg: Auslandsjahr im Studium, ERASMUS. Kurz nach der belgischen Grenze fiel die Klimaanlage aus und kurz nach meiner Ankunft an der Gare du Nord wurde ich von einem freundlichen Herrn, der vorgab mir beim Kaufen eines Métro-Fahrscheins zu helfen, um einige Euros betrogen. Bienvenue à Paris.

Aber was soll ich schon antworten, wenn ich jetzt nach meiner Rückkehr ein Jahr später gefragt werde, wie es denn in Paris gewesen sei? Natürlich war es gut. Aber ich brauchte viel Zeit, um mich mit Paris anzufreunden. Und wenn ich anderen von meiner kritischen Betrachtung der Stadt berichtete, erntete ich meist völliges Unverständnis, denn es handelt sich ja um Paris! Diese Stadt ist – das ist mir oft bewusst geworden – erstarrt in dem Bild, das man von ihr hat. Und Paris hat viele davon: Stadt der Liebe, Stadt der Lichter, Stadt der Romantik, Stadt der Künstler_innen und Schriftsteller_innen. Sicherlich ist einiges davon noch erhalten geblieben. Vieles ist jedoch nur Fassade, die Stück für Stück abgetragen und an Tourist_innen verkauft wird.

Paris ist toll zum besuchen, aber nicht zum leben

Paris ist toll zum besuchen, aber nicht zum leben. Es sei denn, man hat Geld. Viel Geld. Denn die Stadt ist exorbitant teuer. Die Mietpreise gehören zu den höchsten in Europa und gerade Lebensmittel sind viel teurer als wir es in Deutschland gewohnt sind. Und die Horrorgeschichten, die man über den Pariser Wohnungsmarkt zu hören bekommt, sind auch wahr. Dies ist auch ein Grund, warum in der Stadt tausende Obdachlose leben. Dabei haben viele von ihnen einen regulären Job. Dieser ist jedoch nicht genug, um eine Wohnung oder ein Zimmer zu mieten. Eine Zwickmühle, denn die Jobangebote konzentrieren sich wegen des zentralistischen französischen Staatsverständnisses vor allem auf Paris. In Paris gibt es Jobs, aber keine Wohnungen. Anderswo gibt es Wohnungen, aber keine Jobs. Die administrative Struktur der Stadt befeuert dies auch noch: Seit Dekaden wurden die Stadtgrenzen nicht erweitert, das eigentliche Territorium der Stadt – intra-muros, wie der_die Pariser_in sagt – ist winzig. Die Fläche von Bonn ist größer, es herrscht akuter Platzmangel.

Aber was soll ich noch über Paris schreiben, was nicht eh schon tausendmal gesagt wurde. In jeder Broschüre, jedem Reiseführer, jedem Blog liegt „das wahre Paris“ woanders. Welche Erfahrungen waren also für mich besonders Paris-spezifisch? Das ist für mich schwierig zu beurteilen, da die schönen Erinnerungen für mich mit Menschen zusammenhängen, deren „Parisität“ wohl höchstens darin bestand, zur selben Zeit in dieser Stadt gewesen zu sein wie ich. Vielleicht so etwas wie meine heißgeliebte Métro, der allgegenwärtige Geruch von Urin, die Kais der Seine, die völlig absurde französische Administration. Dass das französische Universitätssystem eigentlich nur aus Frontalunterricht, sprich Vorlesungen besteht. Letztendlich, vielleicht, hatte ich während meiner anfänglichen Probleme mit der Stadt eher mit mir selbst als mit Paris zu kämpfen. Vielleicht ist das nur der, mein üblicher Akklimatisierungsvorgang in fremden Städten. Prägendste Erfahrung war aber trotz allem in einem Land zu leben, wo die meisten Menschen nicht meine Muttersprache sprechen und daher teilweise tagelang meine Muttersprache nicht aktiv zu sprechen und zu hören.

Aber dann konnte ich mich natürlich nicht völlig dem klischeehaften, oftmals kitschigen Charme der Stadt entziehen. Es hat schon was, die ganzen Bauwerke, Paläste und Kirchen an jeder Ecke, Statuen und Gold, die großen Boulevards und – natürlich – die Cafés, die kleinen Läden, die Restaurants, die Museen und das Marais. Wie sich das graue und triste winterliche Paris im Sommer in das eigene Postkartenmotiv verwandelte. Das geht nicht spurlos an einem vorbei. Letztendlich dachte ich nicht bei der Ankunft an der Gare du Nord, sondern an einem meiner letzten Tage: Ich bin in Paris. Ein Teil von mir gehört da jetzt hin und ich musste ihn dort lassen. Deswegen vermisse ich Paris jetzt, aber ich freue mich darauf, diesen Teil bald wieder zu besuchen.

2 Antworten zu “Paris, Paris”

  1. Annabelle sagt:

    Aus dem Herzen gesprochen. Ich habe ebenfalls (zwar nur ein halbes Jahr) in Paris gelebt und Erasmus gemacht. Meine Erfahrungen und mein Gefühl gegenüber der Stadt sind ähnlich. Irgendwie werde ich das nie hinter mir lassen können und das will ich auch nicht. Irgendwie ist es immer noch magisch dort zu sein. Bei meinem letzten Besuch habe ich versucht meine Erfahrung zu betrügen und die Stadt als Touristin zu besuchen – was sehr schön war, aber den niemals enden wollenden Stress, die Ferne die zwischen den dicht an dicht gedrängten Menschen in der Métro herrscht und irgendwie auch die sehr subtile Tristesse des Ganzen konnte ich trotzdem nicht übersehen. Paris, Paris.

  2. spicollidriver sagt:

    „Vieles ist jedoch nur Fassade, die Stück für Stück abgetragen und an Tourist_innen verkauft wird.“

    Wie im übrigen soviele Städte, insbesondere Großstädte. Ich werde z.b. nicht müde zu betonen, daß Berlin nicht die fantastische Superstadt ist, zu der sie gern stilisiert wird – also geht es im Endeffekt um den hype und das marketing, nicht die tatsächliche Stadt. Es sind dann eben doch oftmals lediglich Projektionen, die den jeweiligen Städten übergestülpt werden.

    (Ich lebe bspw. in einer Großstadt im NRW und mußte mir schon mehrfach die Verwunderung von Besuchern aus kleineren Städten darüber anhören, daß hier unter der Woche kaum was los ist. aber selbst in New York (um das übertriebenste Beispiel zu nehmen) dürften in den normalen Wohngebieten unter der Woche nachts die Bürgersteige hochgeklappt werden. Da kollidieren einfach Erwartungshaltung und Realität).