Gute Indies, schlechte Indies

Foto , © , by The Fullbright Company

Die sogenannten Triple-A Videospiele, also die Titel, die dem entsprechen, was man im Filmbereich „Blockbuster“ nennt, enttäuschen mich oft. Das ist für die geneigte Leserin vermutlich keine sonderliche Überraschung. Umso größer ist meine Erwartungshaltung an Games, die aus der Szene der Independent Developers, der unabhängigen Studios, kommen. Die sogenannten “Indies” arbeiten ohne den Druck von Publishern und oft in der Hauptsache aus Leidenschaft an Spielen, die auch jenseits ausgetretener Pfade die bisher unerforschten Möglichkeiten des Mediums erkunden können.

Und das wünsche ich mir: Neue Ideen, neue Spielmechaniken, eine Welt, die man nicht nur durch das Fadenkreuz einer Waffe betrachten muss. Oft fehlt den großen Titeln nämlich nicht nur emotionale Tiefe, sondern schon schon viel fundamentaler überhaupt eine Interaktionsmöglichkeit mit der Geschichte jenseits von Schießen. Natürlich haben “Halo”, “Call of Duty” und tausend andere Shooter ihre Daseinsberechtigung im Medium Videospiel. Ich vermisse nur manchmal die Bandbreite. Also eben die Titel, in denen Geschichten auch ohne Waffen erzählt werden können. Die gibt es auch, aber es gibt nicht genug.

Also: Indie Games zur Rettung! … Oder?

Jein. Auch bei den Indies gibt es – nach meinen subjektiven Kriterien – natürlich Licht und Schatten. Exemplarisch fiel mir das bei zwei Titeln der letzten Wochen besonders auf.

Zuerst, die „schlechte Nachricht“. Einer meiner bisherigen Lieblingsentwickler hat ordentlich daneben gegriffen bei seinem neuen Spiel. Und das schon bei Prämisse und Struktur so sehr, dass mich die eigentliche Spielerfahrung schon gar nicht mehr reizt.

The Castle Doctrine

Aber von vorne: Jason Rohrer, seines Zeichen personifizierter Urschleim der Szene hat ein neues Spiel vorgestellt. Sein zehntes. Bisher fiel er vor allem durch kreatives Storytelling und grafisch eher simple, aber emotional berührende Ideen auf – wie etwa “Sleep is death” bei dem sich Spielende eine eigene Welt erschaffen können in der sie sich interaktive Geschichten erzählen. In seinem neuen Spiel geht es aber erstmal wieder um eher konventionellen Computerspiel-Stoff: Töten und getötet werden.

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In „The Castle Doctrine“ sollen die Spielenden ihr Heim und das eigene Hab und Gut möglichst gut vor Eindringlingen beschützen. Die Mittel zum Aufbau der Verteidigungsanlagen häuft man derweil selbst durch Überfälle an.

Benannt ist das Spiel nach dem amerikanischen Rechtsprinzip, das eine Verteidigung der eigenen Wohnung auch mit tödlichen Mitteln legitimiert. Mit dem Slogan „Protect what’s yours“ beschreibt Rohrer das Gameplay, in dem Spielende die Rolle eines Familienvaters übernehmen, der Besitz, Frau und Kinder in einem Multiplayer-Online-Spiel gegen Eindringlinge von aussen verteidigt. Ist man gerade selbst auf Raubzug, sind Familie und Heim anderen schutzlos ausgeliefert, hat man nicht für hinreichend Selbstschussanlagen und Fallen gesorgt.

In Interviews erzählt Rohrer, er hätte mit diesem Spiel selbst erlebte Bedrohungssituationen verarbeitet, so zitiert er zum Beispiel einen Vorfall bei dem seine Frau von einem Hund angefallen wurde. Seine Hilflosigkeit und Angst wurde zum inspirierenden Element für das Spiel.

Für mich persönlich war dieses Spielkonzept aus mehreren Gründen aber ziemlich uninteressant. Erstmal geht es (im weiteren Sinne) wieder nur ums schießen. In einer Welt des Alle-gegen-alle, des homo homini lupus, die unter dem Anstrich der Avantgarde schlussendlich auch nur Quake 3 Arena mit anderen Mitteln ist. Der politischen Brisanz des namengebenden Themas, im Angesicht des etwa zeitgleich abgeschlossenen Prozess gegen George Zimmerman und den damit verbunden Diskussionen um das „Stand your Ground Law“ in Florida wird Rohrer leider in keinem Maße gerecht.

Auch die eigentlich emotional interessante Frage der Angst um die Liebsten oder auch die Frage nach den Auswirkungen von Viktimisierung bleiben aus meiner Perspektive weitgehend unbeantwortet. Dort wo Rohrer seine Inspiration tatsächlich bearbeitet, findet er enttäuschenderweise nur Lösung in der klassischen Männlichkeitskonstruktion des Beschützers der auch (präemptiv) Vergeltung übt.

Überhaupt fand ich diese androzentrische Sicht auf die Welt sehr abschreckend. Rohrer zeichnet Frau und Kinder nicht als Subjekte im Spiel sondern als Objekte, ja sogar erweiterter Besitz. Selbst wenn dieses Bild überzeichnet wirken soll und das Konzept der Kernfamilie karikieren soll, reproduziert es im wesentlichen nur Strukturen, analog zum sogenannten Hipster Sexismus.

Gone Home

Aber genug gejammert. Es gibt ja auch positives zu berichten. Die Lichtstrahlen am Himmel der Independent Games, die mich wieder glauben lassen, dass hier wirklich ein Medium erforscht und ausdifferenziert wird.

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Die Rede ist von „Gone Home“ (Mac/PC/Linux), das letzte Woche von der Fullbright Company veröffentlicht wurde. Dabei handelt es sich um vier Spieleschaffende, die sich bisher bei grossen Publishern mit Spielen wie Bioshock 2 beschäftigt waren und sich jetzt auf ein eigenes Projekt gestürzt haben.

In „Gone Home“ übernimmt man die Rolle der zwanzigjährigen Kaitlin Greenbriar, die nach einem Jahr Weltreise zurück nach Portland kommt. Ihre Familie ist, während sie auf Reisen war, umgezogen und so steht Kaitlin nun am Anfang des Spiels vor einem unbekannten Haus, das zu allem Überfluss auch noch verlassen scheint.

Warum sind die Eltern in dieses Haus gezogen? Wo ist die 17-jährige Schwester Sam abgeblieben? Was zum Teufel ist passiert?

Das sind die Fragen, um die sich „Gone Home“ dreht. Dabei verzichtet das Spiel auf ausführliche Erklärungen und aufgesetztes Narrativ: Die Spielenden sind als Kaitlin auf sich allein gestellt, im verlassenen Haus Briefe, Tagebuchfragmente oder einfach nur liegengebliebene Alltagsgestände zu erforschen und herauszufinden, was vor sich geht oder ging.

Diese Story ist dabei das magische Herz von „Gone Home“, dass es zu entdecken gilt. Ich werde sie hier nicht spoilern. Sagen kann ich allerdings, dass die Art des explorativen und fragmentarischen Geschichtenerzählens so erstaunlich gut funktioniert, dass ich zur Familie Greenbriar eine emotional so starke Verbindung aufbauen konnte, wie sonst kaum in einem Videospiel. Alle Charaktere sind liebevoll detailliert ausgearbeitet, haben eine Backstory, und es gibt auch jenseits der Hauptgeschichte gibt es um Sam so vieles zu entdecken – oder übersehen – dass es eine wahre Freude ist. Ein Spiel über das man sich am Ende austauschen will: „Hast du eigentlich mitbekommen dass … und dass der Vater …?“.

All das in eine mittlere Spieldauer von zwei Stunden zu komprimieren ist eine Glanzleistung. Es macht Hoffnung, dass die Vier von Fullbright es geschafft haben, ein Spiel so stark und bewegend zu machen, das in Besetzung, Thematik und Spielmechanik so ganz anders ist als herkömmliche Triple-A Titel. Die Hoffnung auf ein Medium Videospiel, dass emotionale Tiefe transportieren kann.

4 Antworten zu “Gute Indies, schlechte Indies”

  1. Lars sagt:

    In der Liste fehlt natürlich das geniale Papers, please! Ein 1983er Ostblock-Zollbeamten-Simulator.

  2. Desiato sagt:

    Danke für den Tipp. „Gone Home“ werd‘ ich mir mal anschaun. Nichtsdestotrotz, „Indie Games zur Rettung“ ist der fieseste Anglizismus des Monats:)

  3. sn sagt:

    Guter Anfang, unter Umständen spannende Frage, jetzt nicht aufhören. Indie Games: The Movie, Steam Greenlight, Ur-Qan Masters, Amnesia, Dear Esther, Wettbewerbe, neue Spielkonzepte – und auf der anderen Seite das Budget von GTAV, Konzernrestriktionen, die ganze Suppe. Ich würde das sehr gern lesen.

  4. Kathi sagt:

    Danke für die Kritik zu „Gone Home“. Das steht erst recht jetzt auf der Spieleliste.