Wann sind wir erwachsen, warum eigentlich nicht und was hat das mit Adultismus zu tun?

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Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Communeva.

@communeva twittert und bloggt seit neuestem auch. Ihre Lieblingsthemen: Beziehungen in all ihren Rormen, Regeln und Normen, Liebe, Zusammenleben, Psycho-Kram, Sozialisation, Sexuelles, Wissenschaft, Technisches.

Ich weiß nicht, wie das bei euch ist, aber in meiner Peergroup sagen wirklich wenige Menschen, dass sie sich als erwachsen betrachten. Manchmal wirkt dieses Etikett irgendwie uncool, für uns unpassend. Manchmal wird es eher als Problem, wie ein Defizit wahrgenommen, nicht erwachsen (genug) zu sein. Zum Teil ist das wohl ein eher privilegiertes Phänomen, allerdings nicht nur. Aber daher diese Vorbemerkung: Letztendlich kann ich hier nur von meinen eigenen Beobachtungen berichten und würde mich freuen zu hören, wie ihr das seht.

Kürzlich saß ich mit Freund in einem Pub und wir sprachen (mal wieder) über das Thema. Er bezeichnete uns als die degeneration – Erwachsene, die viel zu spät oder überhaupt noch nicht so richtig gelernt haben, Verantwortung zu übernehmen. Die mit der ewig verlängerten Kindheit bzw. Adoleszenz. Die mit 30 nach abgeschlossenem Studium in sogenannten Nebenjobs arbeiten, sich im eigenen Haushalt noch immer so verhalten, als hätte Mama sie zum Abwasch verdonnert oder unter anderem deswegen keine Kinder bekommen, weil spätestens dann Verpflichtungen auftreten würden, die nicht mehr mit diesem Lebensstil vereinbar sind.

In den Medien wird von verschiedenen “Generationen” gesprochen, von der technikaffinen “Generation Y” , der akademisch-prekären “Generation Praktikum”, der spießigen und leistungsorientierten “Generation Biedermeier” oder der orientierungslosen “Generation Facebook”. Inzwischen ist man auch in der öffentlichen Wahrnehmung nach dem Jugendalter noch nicht so richtig erwachsen, sondern zählt zu den sogenannten “jungen Erwachsenen”. Ein unangenehmer Begriff, wie ich finde, der es ermöglicht, über selbstständige, eigentlich volljährige und vollwertige Erwachsene weiter so zu sprechen, als wären sie eben doch noch nicht so richtig zurechnungsfähig.

Ist es wirklich so schlimm?

Nein, denn hier wird etwas überspitzt dargestellt, was vor allem als Unterschied zu früheren Generationen wahrgenommen wird. Aber ich würde schon sagen, dass das Erwachsenwerden bei uns später angefangen bzw. länger gedauert hat und andererseits das Bild vom Erwachsensein anders geworden ist, als es unsere Eltern oder Großeltern gelebt haben. Das ist auch nicht so erstrebenswert, denn dieses Erwachsensein, das wir in der Kindheit kennen gelernt haben, ist hart und nicht besonders lustig oder lustvoll.

Trotzdem gibt es das Gefühl, dem entsprechen zu müssen. Und gleichzeitig das dringende Bedürfnis, sich einfach selbst so viel Eis/Chips/Schoki/Pizza zu kaufen, wie man will, und den ganzen Tag im Bett zu bleiben und Serien zu gucken oder Computer zu spielen. Und so tun, als müsste man nicht erwachsen sein. Kennt ihr?

 

Ich denke, das als verspätet wahrgenommene Erwachsenwerden hat unter anderem stark damit zu tun, dass Verantwortung bzw. ein guter Umgang damit erst dann gelernt werden kann, wenn man auch welche hat. Tatsächlich hatten die meisten von uns recht spät eigene Verantwortung. Ich zumindest bin in einem Umfeld aufgewachsen, in dem wir “nur” Kinder waren und deswegen unsere Meinungen und Leistungen “natürlich” weniger zählten, als die von Erwachsenen, häufig auch gar nicht. Das sind Kennzeichen von einem Phänomen, das Adultismus genannt wird und zumindest im Netz als Idee noch nicht sehr weit verbreitet ist. In Analogie zu Sexismus, Rassismus und anderen -ismen bezeichnet Adultismus ein Machtgefälle zwischen Erwachsenen und Kindern aus dem Diskriminierungen, Grenzüberschreitungen und auch Gewalt entstehen. Er zeigt sich darin, dass unsere Welt größtenteils nach den Bedürfnissen von Erwachsenen gemacht ist und damit Kinder ausschließt. Das soll nicht als einzige Erklärung für das Phänomen vom Erwachsen-nicht-richtig-erwachsen-sein dienen, aber ich möchte es hier herausstellen. Zum einen, weil es ein Thema ist, über das es sich lohnt nachzudenken, und über das ich mir mehr öffentlich sichtbare Diskussion wünsche, zum anderen, weil die Welt, in der wir aufwachsen und ihre Regeln uns als Menschen prägen.

Was heißt das konkret?

Ein paar Gedanken zum Aufwachsen sollen das Phänomen verdeutlichen: In allen Haushalten, die ich als Kind/Jugendliche kennen gelernt habe (das waren einige bildungsbürgerliche, meist aber eher weniger privilegierte), waren die Kinder ganz klar keine gleichberechtigten Mitbewohner_innen, die den Haushalt selbst (nach ihren Möglichkeiten) mitgestalten konnten und dort Verantwortung trugen. Die Wohnung gehörte den Eltern, Kinder bekamen kleine Aufgaben (das Bad putzen, Staub wischen etc.), die aber von den Eltern an sie delegiert wurden und mit einem System von Belohnungen und Strafen irgendwie durchgesetzt werden mussten. Nicht mal das „eigene“ Zimmer durfte frei gestaltet werden, Wände bemalen ohne elterliche Kontrolle war zum Beispiel verboten. Auch die eigene Frisur- und Kleidungswahl lag im Entscheidungsbereich der Eltern.

Arbeiten in den meisten Formen wird heute nach dem (notwendigen) Verbot von Kinderarbeit nicht als passende Beschäftigung von Kindern wahrgenommen, sie sollen stattdessen spielen und lernen. Dabei wird das Spielen als der Bereich für Kinder angesehen, in dem sie eigenständig handeln und sich frei entfalten können. Es trägt aber auch dazu bei, einen kleinen, abgeschotteten Bereich für Kinder zu kreieren und sie gleichzeitig aus der Welt der Erwachsenen auszuschließen. Spielen ist in unserer Gesellschaft nämlich auch nicht besonders frei, sondern findet in einem ziemlich eng abgesteckten und durchkommerzialisierten Rahmen statt. Was als Spielzeug für die Kinderzimmerausstattung gekauft wird, sind bunte Plastik- oder auch “pädagogisch wertvolle” Holzsachen, die meistens etwas darstellen, das es auch für Erwachsene gibt, allerdings genau für diese Sache nicht zu gebrauchen ist.

Die Spielzeugkataloge umfassen auf Miniaturgröße geschrumpfte Haushaltsgerätschaften, Werkzeug, Tiere, Essen oder auch Waffen. Mittels dieser Dinge können sich Kinder aber nicht mit Essenszubereitung, Haushaltsführung, der Benutzung von z.B. Messern oder der Pflege von Tieren auseinandersetzen. Was sie beim Rollenspiel damit lernen, bleibt im Bereich des Sozialen und hat wenig Auswirkungen auf praktische Handlungsfähigkeiten.

Während in früheren Generationen Kinder häufig eher zu viel Verantwortung und eine “Freiheit” hatten, die oft genug eher als Alleingelassen-Werden ankam, ist heute teilweise eher das Gegenteil der Fall. Ich möchte jetzt nicht dafür plädieren, dass schon kleine Kinder Geld verdienen und den Haushalt schmeißen müssen. Aber einen eigenen ihren Möglichkeiten entsprechenden Beitrag leisten könn(t)en sie. In der Psychologie und Pädagogik wird das Selbstwirksamkeit genannt: Positive Erfahrungen davon, selbst etwas tun, bewältigen und bewirken zu können, führen dazu, sich selbst auch in Zukunft etwas zuzutrauen. Selbstwirksamkeit gilt wiederum als schützender Faktor, um im Leben auch durch schwierige Erfahrungen durchzukommen, ohne Schaden an der Person zu nehmen. Wenn es dagegen immer einen “Schutzraum” gibt, in dem sich Kinder bewegen, können sie weniger am “normalen” Leben teilhaben, und das wirkt sich auch auf sie aus. Menschen, für die es schon früh dazu gehörte, sich mit echtem Essen und dessen Zubereitung zu beschäftigen, werden später nämlich auch wissen, wie sie sich selbst ernähren können und es nicht erst dann lernen müssen, wenn sie aus der Wohnung ihrer Familie ausgezogen sind.

Auch auf andere Weise werden kleine Kinder aus dem Alltag der älteren Menschen ausgeschlossen. Häufiger fallen mir 3-/4-jährige auf, die von ihren Eltern im Kinderwagen herum geschoben werden, obwohl sie doch schon lange selbst laufen könnten. Oder weniger verbreitet und ziemlich erschreckend: Kinderleinen! Vielleicht sind solche Lösungen für den Moment für Eltern bequemer, aber würdiger Umgang mit einem kleinen Menschen ist das nicht. Welche Botschaft wird dem Kind dabei vermittelt?

Einwenden könnte man, dass Kinder und Jugendliche heute eine andere Verantwortung haben, nämlich sich zu bilden. In der heutigen Welt würden eben andere Kompetenzen gefordert, die besser in der Schule, als im Haushalt oder auf der Straße erworben werden könnten. Das ist zwar auch richtig, nur ist diese Verantwortung für Kinder und auch für Jugendliche zu abstrakt, um wirklich als eigene Verantwortung verstanden zu werden. Sie kommt vor allem an als Druck von Eltern und Lehrern und lässt auch nur sehr wenig persönlichen Gestaltungsspielraum. Tatsächlicher GestaltungsFREIraum für Jugendliche und Kinder besteht eher in virtuellen Räumen, in verschiedenen Möglichkeiten von Internet-Nutzung oder in Computerspielen, weniger aber im “real life”.

Es wundert mich angesichts dieser Beobachtungen nicht, dass das Erwachsenwerden mit der Volljährigkeit noch nicht abgeschlossen ist. Wie sollten, wenn das eigene Urteil lange nicht ausschlaggebend war, auf einmal gut begründete, abgewogene Entscheidungen getroffen werden? Menschen, die lange wenig eigene Verantwortungsbereiche hatten und immer wieder bestätigt bekommen, dass sie selbst nicht so viel ausrichten können und Fähigkeiten (noch) nicht einsetzen dürfen, brauchen nach dem offiziellen Ende der Abhängigkeit von der Familie mit 18 Jahren noch Zeit, um zu einer reifen, verantwortungsbewussten Persönlichkeit zu werden.

Erwachsen fühlen und Erwachsen sein

Auch Jugendlichen werden Eigenständigkeiten erst spät zugetraut . Warum gibt es kaum Modelle für alternatives Wohnen von Jugendlichen, ohne so viel direkten elterlichen Einfluss? Die Norm ist, dass Jugendliche mindestens bis zur Volljährigkeit, zum Abschluss der Schullaufbahn, häufig aber auch bis zur eigenen Erwerbstätigkeit oder bis zur Hochzeit bei den Eltern bzw. der Familie leben.

In dem Gespräch mit dem Freund haben wir über unsere eigene Kindheit nachgedacht – und das Alter, in dem wir uns in der Lage fühlten und Lust hatten, für uns selbst Verantwortung zu übernehmen. Ich sagte 13/14, er sagte 16/17. Das ist deutlich früher, als von den Eltern und dem Gesetzgeber erwünscht.

In meinem Umfeld gab es wenige Ausnahmen von der Norm: Eine gute Freundin von mir hatte ziemlich progressive Eltern, die ihr mit 15 vorgeschlagen haben, in eine Jugend-WG zu ziehen. Daraus ist nichts geworden, aber die Idee hat mich sehr fasziniert. Eine andere hatte ungefähr im selben Alter eine abgeschlossene eigene Wohnung im Haus der Eltern. Meine Eltern waren weder progressiv noch reich, und so habe ich weitere lange Jahre davon geträumt, ehe ich endlich sofort nach dem Schulabschluss in eine WG gezogen bin. Gut getan hätte es mir, wenn ich das viel früher hätte machen können. Denn ich musste mir dann echt mühsam Strategien aneignen, um überhaupt herauszufinden, was ich so mit meinem Leben anstellen will. Geklappt hat das aber scheinbar trotzdem – ich bin zumindest mit dem bisherigen Ergebnis ganz zufrieden.

Was ist jetzt also mit der degeneration,
den nicht-erwachsenen Erwachsenen?

Überraschung: Irgendwie kriegen sie ihr Leben auf die Reihe und sind somit offiziell erwachsen. Nur eben anders, als wir die Norm aus der Kindheit in Erinnerung haben – nicht besser oder schlechter, sondern anders. Ich glaube, dass Viele sich deshalb mit dem Begriff “erwachsen” nicht richtig identifizieren können: Sie leben zwar ein eigenständiges Leben, das aber nicht den Vorstellungen entspricht, die sie früher vom Erwachsensein geprägt haben.

Vielleicht muss daher die Aufgabe beim Erwachsenwerden neben der Eigenständigkeit sein, eine eigene Version von Erwachsensein zu definieren.

Was dabei hilft: Adultistische Stereotype in den Vorstellungen von und aus der Kindheit erkennen und über Bord werfen: Kinder werden z.B. häufig als einseitig emotional, naiv, unselbständig, verspielt, unbeherrscht beschrieben, Erwachsene dagegen als spiessig, langweilig, ernst und rational. Diese Stereotype sind interessanterweise nahe an den gängigen Geschlechterstereotypen, wobei das Kindliche der Frau und das Erwachsene dem Mann entspricht.

Die Erfahrung zeigt bei den Klischees von Kindern und Erwachsenen wie bei den Geschlechterstereotypen : Menschen sind komplexer als diese eindimensionalen Bilder von ihnen und zu einer ganzen Person gehört etwas von beiden Polen dazu. Die Merkmale können jeweils auch viel positiver umgedeutet werden. Begeisterungsfähigkeit etwa ist auch für Erwachsene eine sehr nützliche und noch dazu beglückende Eigenschaft.

Solche Vorstellungen loszuwerden ist nicht so ganz einfach, denn adultistische Klischees werden in der Regel viel weniger wahrgenommen bzw. für normal gehalten, schon allein weil sie (im Gegensatz z.B. von sexistischen) alle Menschen betreffen, die ja alle mal Kinder waren. (Eine unschöne Sammlung von Erwachsenen-Sprüchen, die zur Verinnerlichung von solchen Vorstellungen beitragen, gibt es hier.) Zudem hört die Wirkung auch mit der Volljährigkeit nicht auf. Auch am Arbeitsplatz, wo es selten Kinder gibt, sind Sätze zu hören wie “Wir sind doch hier nicht im Kindergarten”. Adultistische Abwertung funktioniert dadurch auch noch bei Erwachsenen.

Ich glaube, dass wir solche Vorstellungen erkennen und neu bewerten müssen, um und auch mit unseren vermeintlich “kindlichen” Gefühlen (Überschwang, Angst, Neugier, …) sowie mit vermeintlich “erwachsenen” (Verantwortung, Respekt, Liebe,…) und den entsprechenden Verhaltensweisen als vollständige, lebendige Erwachsene zu begreifen. Vielleicht gelingt uns das dann sogar besser als den Erwachsenen in unserer Eltern- und Großelterngeneration.

13 Antworten zu “Wann sind wir erwachsen, warum eigentlich nicht und was hat das mit Adultismus zu tun?”

  1. Ravna sagt:

    Interessant verknüpfender Ansatz, wie Abwertung von „Sich-erwachsen-fühlen“ mit Adultismus verknüpft ist. Ich mag auch, die Verknüpfung mit den Geschlechterstereotypen – so right!

    Allerdings unterschlägst du etwas, was ich mir zumindest als deutlichere Randbemerkung gewünscht hätte (weiß aber, du schreibst aus deiner Sicht): hier macht sich Reich-Arm und Klassismus noch einmal ganz massiv bemerkbar! Und zwar nicht nur in früher-heute, sondern auch heute-heute. Wer wann wie Verantwortung übernehmen muss (und nicht nur darf, sondern evtl. auch mit harten Konsequenzen) hängt für mich untrennbar damit zusammen. Wenn die Eltern sich keine Babysitter_innen leisten können, müssen das die älteren Geschwister machen, um nur ein ganz harmloses Beispiel aufzunehmen. Eine Lehre/Ausbildung führt meist auch zu viel früherer Verantwortungsübernahme, als ein Studium etc.

    Zu „Wie im Kindergarten“: Ja, ich sehe den Adultismus, glaube ich. Von daher ist es eine ungeschickte Wendung. Ich benutze diesen Begriff noch manchmal und meine damit dann tatsächlich ein Verhalten, was ich auf (noch) mangelnde (ja, Mangel = Abwertung) Sozialkompetenz von kleinen Kindern zurückführe. Probleme und Konflikte zu lösen, ist etwas, was ich glaube, Menschen erst lernen müssen. Manche haben auch aufgrund bestimmter soziokultureller Einschränkungen nie lernen können, wie sie für sich selbst mit Emotionen und Interaktionen umgehen können. Das ist kein Defizit in dem Sinne, aber schränkt mitunter stark ein – was wiederum von einer gesellschaftlichen Erwartung beeinflusst wird, also mitunter einen Zirkel ergibt. (Ich denke da z.B. an sog. „Persönlichkeitsstörungen“) Es ist streitbar, ob Menschen den Umgang lernen „müssen“. Naja, ist jetzt nur ein gedanklicher Anfang, noch sehr unreif.

    • Eva sagt:

      Ja, den Text zu Klassismus und Erwachsensein muss glaub ich ein*e ander*e schreiben, weil ich tatsächlich in Klassismus als Theorie nicht so drin bin. Allerdings hab ich schon länger darüber nachgedacht, ob ich das noch mit rein nehme. Ich komme ja selbst auch aus so eher weniger privilegierten Verhältnissen, besonders auch was Bildung betrifft. Ich sehe absolut deinen Punkt. Trotzdem glaube ich, dass man die Grenze eben nicht zwischen arm und reich ziehen kann, diese Zusammenhänge kommen mir ziemlich komplex vor. In dem Dorf, aus dem ich komme, fällt mir z.B. auf, dass es tendentiell eher die Frauen sind, die ganz viel Verantwortung übernehmen (was Familie/Soziales angeht, aber auch Erwerbsarbeit) und es ihren Männern damit teilweise ermöglichen, in so einer irgendwie adoleszenten Haltung zu bleiben. Oder auch, dass gefühlte Perspektivlosigkeit dazu führen kann, sich selbst gar nicht so in der Verantwortung für das eigene Leben zu sehen. Ich überblicke das alles nicht so richtig, deswegen hab ich’s rausgelassen ;)

      • Hermine sagt:

        Den Punkt „Komplexität in Bezug auf klassistische Differenzen“ kann ich noch eine weitere Perspektive hinzufügen: Meine Geschwister und ich sind bei unserer stets Vollzeit arbeitenden Mutter groß geworden, die uns allein erzogen hat. Geld hatten wir immer wenig. Ab einem gewissen Alter haben meine Geschwister und ich den Haushaltskram zu großen Teilen übernommen, was einfach eine Notwendigkeit, vielleicht auch ein Zwang war. Dennoch kann ich rückblickend sagen, dass wir – auch durch die häufige Abwesenheit meiner Mutter – ein recht freies, früh selbstverantwortliches Leben geführt und dadurch auch wohl recht viel „Selbstwirksamkeit“ mitbekommen haben, auch und vor allem, weil unsere Mutter uns Dinge zugetraut hat. Ein Glück, aus meiner heutigen Sicht. Diese Erfahrung werte ich also nicht als Benachteiligung gegenüber anderen, die keine entsprechenden Aufgaben übernehmen mussten, weil ein Elternteil (oder eine Putzkraft) die komplette Sorgearbeit getragen haben.

  2. Eule sagt:

    Ich bezeichne mich gerne (und schon lange) als erwachsen. Das nehme ich aber gleichzeitig auch als Selbstermunterung zum verantwortungsvollen Handeln. Die Verknüpfung Verantwortung übernehmen = Erwachsenes Verhalten steht also auch in meinem Kopf. Ob das jetzt Adultismus ist? Wahrscheinlich.

    Zum Erwachsenwerden: Ich hatte so etwa ab 15 das Gefühl, die Verantwortung für mein eigenes Leben voll übernehmen zu wollen. Meine Eltern haben mir diese Freiheit auch gelassen (so weit sie das beeinflussen konnten). Interessanterweise, war es dann aber doch so, dass ich mich ganz schön allein gelassen fühlte, als ich mit 19 zu Hause auszog, ins Ausland ging und meine Eltern dann ihr Haus verkauften und auswanderten, respektive mit jemand anderem zusammenzogen.

    Da habe ich gemerkt, dass es für mich auch zum Erwachsensein gehört, nicht mehr im Hinterkopf zu haben, dass man zur Not bei den Eltern unterkriechen kann.

    Meine Freunde haben mich, als ich jünger war, belächelt, dass ich eine eigene Waschmaschine hatte (oder wahlweise über mich geschimpft, wenn sie die Maschine beim Umzug schleppen helfen mussten) – aber ich war auch die einzige in der WG, die nicht ab und zu Wäsche zu Mama brachte. Und die WG-GenossInnen waren dann auch dankbar, dass sie jetzt selbst waschen konnten…

    • Eva sagt:

      Klingt doch super :) Ich hätte gerne mit dir getauscht.
      Ich glaube gar nicht, dass die Verknüpfung Verantwortung übernehmen = Erwachsenes Verhalten eine adultistische ist. Adultistisch ist aber, als erwachsener Mensch zu definieren, wie viel Verantwortung ein nicht erwachsener Mensch haben darf, und zwar ohne zu beachten, womit er eigentlich schon selbst umgehen könnte (s.o. Kommentar bei Egal).

      Es ist schön zu hören, dass das bei dir gut geklappt hat und deine Eltern dir die Verantwortung nicht genommen haben, die du selbst tragen konntest. Das klingt für mich nach einem respektvollen Umgang miteinander in der Familie.

  3. Egal sagt:

    Ganz einfach ist es nicht mit den Kindern, man muss auch aufpassen daß sie noch spielen können und eben nicht alles was sie tun gleich mit Verantwortung behaftet ist. Meistens tastet man sich doch ran, z.B. indem es eine Pflanze und später ein Haustier gibt für das Verantwortung übernommen werden muss. Ich stimme aber zu daß man den Kids die Möglichkeit geben sollte, wenn sie es sich wünschen.

    • Eva sagt:

      Ich würde dir zustimmen, dass Verantwortung gelernt werden muss und es auch nicht gut ist, Kindern mehr zuzumuten, als sie bewältigen können. Allerdings finde ich die Haltung problematisch, als Erwachsene*r davon auszugehen, selbst die Verantwortung zu „haben“ und sie dann dem Kind zu „geben“ (z.B. in Form einer Pflanze). Ich bin überzeugt davon, dass auch Kinder schon verantwortlich Dinge tun und tun können und ihnen die Selbstbestimmung eben häufig auch von Erwachsenen entzogen wird, wo es gar nicht nötig ist. Wichtig ist, denke ich, genau hinzuschauen und zuzuhören, um zu merken was ein kleiner Mensch schon alleine tun/entscheiden kann und will, bevor man (über den Kopf des Kindes hinweg) definiert, ab wann er das können soll oder darf.

  4. […] Wann sind wir erwachsen, warum eigentlich nicht und was hat das mit Adultismus zu tun?Foto, CC BY-NC-SA 2.0 , by TJDax Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Communeva. @communeva twittert und… […]

  5. Michael sagt:

    Ich glaube beim Thema „erwachsen werden“ vs. „erwachsen sein“ mittlerweile an ein Missverständnis. Mein Eindruck ist, dass Jugendliche bzw. „junge Erwachsene“ als Ziel haben, unbeeinflusst ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Aber als nicht mehr ganz so junger Erwachsener glaube ich, dass das, was wir im Rückblick als „erwachsen sein“ bezeichnen, eher das Aufgeben dieses Anspruchs ist. Ich bin nicht erwachsen, wenn ich Miete zahle und es selbst verantworte, bis in die Nacht laut Musik zu hören. (Im Sinne von: „Die Konsequenzen selber tragen.“) Sondern ich bin erwachsen, wenn ich – aus Rücksicht auf die Nachbarn – auf laute Musik verzichte. Für Jugendliche scheint „erwachsen sein“ viel mit dem „ich“ zu tun zu haben. Während ich im Rückblick mich selbst eigentlich erst als erwachsen wahrnehme, seit ich das „wir“ mehr nach vorn stelle. (Nicht absolut natürlich, aber relativ.)

    Nebeneffekt dabei – oder Voraussetzung dafür – ist, dass man sich der Wirkung seines Handelns besser bewusst ist. Glaube ich. Und wenn man mir sowas früher gesagt hat, dann habe ich abwechselnd genervt mit den Augen gerollt oder gedacht, dass ich das doch schon kann. Oder beides. Verstanden hab ichs aber, rückblickend, nicht.

    Diese Theorie von mir hat, so weit ich das erkennen kann, den Vorteil, dass sie einiges erklärt. Beispielsweise die Unattraktivität des „erwachsen werdens“. Also das man sich als verantwortlich handelnd wahrnimmt, aber nicht so gern „erwachsen“ sein möchte. Denn es würde natürlich bedeuten, dass man seine eigenen Bedürfnisse vermehrt nach hinten stellen muss. Und das man Regeln akzeptieren muss, die den Sinn haben, die Gemeinschaft an sich funktionieren zu lassen. Hausordnungen, Bekleidungsvorschriften, Benimmregeln… Sowas. Dass das für junge Erwachsene, die noch ihr „ich“ entwickeln, unattraktiv ist, kann man sich ja ganz einfach vorstellen.

    Optimaler Weise verläuft der Wechsel von „sich erwachsen fühlen“ zu „erwachsen sein“ ohnehin fließend. Das ist ja bei jeder Entwicklung so – mit den Fähigkeiten ergeben sich auch die Möglichkeiten. Irgendwann, und da mag es viele Einflussfaktoren geben, verliert man beispielsweise das Interesse an lauter Musik, hat ein größeres Ruhebedürfnis und einen geregelteren Tagesablauf. Und plötzlich „muss“ man die Regel nicht mehr einhalten, sondern man hält sie einfach ein. Weil sie dann auch Sinn ergeben. Ebenso auf allen anderen Gebieten. Ich glaube, das „erwachsen werden“ ist ein Prozess, der sich sicherlich in einem gewissen Spannungsfeld abspielt, letztlich aber unterschwellig stattfindet. Es gibt keinen deutlich wahrnehmbaren „Kampf“ wie vielleicht mit den Eltern, wo es in der Pubertät hauptsächlich darum geht, die eigene Selbständigkeit zu entwickeln.

    Ich glaube, die Haltung dazu, diesen Schritt zu vollziehen, hat sich verändert. Ich glaube, dass es früher „normaler“ war, also letztlich von allen Beteiligten ganz selbstverständlich erwartet wurde, erwachsen zu werden und vor allem das auch zu wollen. Während es heute, wo sich alle doch sehr viel mehr auf ihre persönliche Entwicklung, also auf ihr „ich“ konzentrieren, praktisch automatisch in Frage gestellt ist, ob man diesen Entwicklungsschritt noch/schon angehen will. Ich glaube, dass man dafür auch eine ganze Reihe von Gründen oder Anzeichen finden kann, in praktisch jedem Lebensbereich von uns allen. Das Gezerre an sich, glaube ich, gab es aber schon immer. Ich glaube, dass es einfach eine ganz normale Entwicklung im Menschen ist, also quasi entwicklungsbiologisch bedingt. Das erklärt zum Beispiel für mich auch sehr schön, dass offenbar über Jahrhunderte hinweg immer wieder festgestellt wurde, dass mit den „jungen Erwachsenen“ nichts mehr los ist – Sie seien egoistisch und faul und nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Meiner Meinung nach stimmt das – nur nehmen wir es bei uns selbst nicht wahr, weil wir aus unserer Perspektive immer verantwortlich gehandelt haben. Dass sich dabei das Verhältnis von „ich“ und „wir“ in unserem Handeln verändert hat, erleben wir nur selten bewusst.

  6. petr sagt:

    wer setzt denn Erwachsenes Handeln mit verantwortungsbewusstem Handeln gleich? in sich ist das stimmig aber der Gedanken beschäftigt mich jetzt in Gedanken an meine eigene Erziehung schon den ganzen Vormittag.
    Was ich von meinen Vorbildern gelernt habe ist, dasss „Erwachsensein“ irgendwo da anfängt, wo man sich selbst als Person keinen Wert mehr zumisst, dort wo man aufhört darüber nachzudenken, was gute Grunde für Handlungen sind und sich auf ein schlichtes und so einfaches „das macht man so“ und “ weil es schon immer so war“ zurückzieht.
    ich kann alles hier geschriebene nachvollziehen
    aber: auch wenn ich glaube, schon lange wesentlich verantwortungsvoller mit meinem Leben umzugehen, als die Menschen von denen ich das hätte lernen sollen, werde ich mich wohl niemals als erwachsen bezeichnen

  7. […] …sein muss nicht zwangsläufig spießig sein, sagt […]

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