Frühlingsgefühle

Foto , CC BY-NC-ND 2.0 , by Painted Tapes

Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Sammy Khamis.

Sammy hat seine Magisterarbeit zum Thema ägyptische Revolution und orientalistische Repräsentationsmuster in der medialen Repräsentation geschrieben und letztes Jahr auch abgegeben. Hört sich schlimmer an als es ist: Medienanalysen und Metaphern interessieren Sammy, seitdem er während der ägyptischen Revolution in Kairo war und für den Bayerischen Rundfunk arbeitet.

Sammys Blog@Sammysmsm

 

„Zu früh sei aber von einem arabischen Frühling zu sprechen.“ So endet ein Seite-Drei Artikel in der FAZ. Erschienen ist der Artikel nicht im allgemeinen Abgesang an die arabischen Revolutionen ab Ende 2011, sondern bereits 2005. Der ägyptische Langzeitpräsident Husni Mubarak hatte damals einen Gegenkandidaten. Dieser vereinte ganze acht Prozent der Stimmen auf sich. Eine innenpolitische Revolution? Für einen arabischen Frühling reichte das damals jedenfalls noch nicht.

Heute, 2013, ist der arabische Frühling ein gebräuchlicher und mittlerweile wohl auch nostalgischer Begriff. Er fiel ab 2011, quer durch das deutsche Feuilleton, und ist heute ein geflügeltes Wort. 2011 standen die Chancen noch gut in allen arabischen Ländern.  Tunesien, Ägypten und Libyen und natürlich die Aufstände in Bahrein und im Jemen: Der arabische Frühling ist ein Sammelbegriff, ähnlich wie „Arabellion“. Arabischer Frühling – das ist die Forderung nach Freiheit, Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit. Arabischer Frühling – das soll die Erhebung eines Volkes beschreiben, gegen einen in der Regel autokratischen Präsidenten samt Unrechtsstaat. Der Begriff dient als Geburtsstunde, als Startpunkt einer arabischen Zivilgesellschaft.

Das alles mag schon sein. Aber „arabischer Frühling“ – das ist der falsche Begriff. Genauer: Es ist der europäische Begriff.

In Ägypten und Tunesien (sowie allen weiteren Ländern im arabischen Raum, die großzügig dem „arabischen Frühling“ zugerechnet werden) übersetzt man ihn. Er heißt dann Rabih al Arabi – verwendet wird er kaum. Er ist ein Sprachimport, erst aus dem Englischen wurde er ins Arabische übersetzt.

Nach den ersten großen Demonstrationen in Ägypten ab dem 25. Januar 2011, sowie dem erfolgreichen Umsturz in Tunesien, verwendet das Handelsblatt am 28. Januar als erste deutschsprachige Zeitung den Ausdruck „arabischer Frühling“ (ohne Anführungszeichen und in der Überschrift). In den darauf folgenden Wochen ziehen alle führenden deutschen Tages- und Wochenzeitungen, sowie Radio und Fernsehen nach.

Am 25. Januar 2011 ist es der ägyptische Friedensnobelpreisträger Mohamed el Baradei, der nach langen Jahren in Europa den Begriff „arab spring“ verwendet. Der internationalen (englischsprachigen) Redaktion von Spiegel Online gibt er ein Interview, in dem er sagt: „Perhaps we are currently experiencing the first signs of an Arab Spring“. An das Zitat hängt die Redaktion des Spiegels in Klammern folgende Information: „e.g. similar to the so-called Prague Spring of political liberalization in Czechoslovakia in 1968.“ Der arabische Frühling hat damit einen Vorgänger, den Prager Frühling von 1968.

’S ist wieder März geworden – vom Frühling keine Spur!

Der arabische Frühling ist also die kleine Schwester des Prager Frühlings von 1968 und der Märzrevolution bzw. des Völkerfrühlings von 1848. Nur eben anderthalb, bzw. ein halbes Jahrhundert später.

Nicht nur bekommen die Aufstände und Revolutionen in der arabischen Welt einen europäischen Begriff verpasst (der – nur zur Wiederholung – im arabischen kaum verwendet wird), sie hecheln damit der europäischen Geschichte natürlich auch hinterher. Was Europa schon durchgemacht hat, hat der arabische Raum noch vor sich. Simpelste Orientalismen also.

Natürlich weisen die Umbrüche und Umstürze in Ägypten und Tunesien Ähnlichkeiten untereinander auf. Und allzu weit sind sie nicht von den Volksbewegungen in der Tschechoslowakei 1968 entfernt. Aber in Ägypten verweist man auf die Revolution entweder indem man sie als solche benennt: thawra (ثورة), oder indem man einfach den Tag der ersten großen Demonstrationen, den 25. Januar (2011) – Hashtag #jan25 – als Synonym verwendet. Frühling? Den findet man im ägyptischen Klima ebenso wenig, wie im politischen Revolutionswortschatz.

Drop the Orientalist term

Folgerichtig schreibt der libanesische Journalist Rami Khouri „I find this [term „arab spring“] totally inappropriate, and have banished it from my own writing and speaking.“ Khouri fängt bei sich selbst an. Kein Arab-Spring in seinen Artikeln. Und er fordert von westlichen Medien: Verwendet den Begriff „arabischer Frühling“ einfach nicht mehr.

Nun lassen sich Journalisten von Berufs wegen her wenig vorschreiben, vor allem, wenn es ihnen um Herzenssachen geht. Die arabischen Revolutionen und Aufstände waren und sind ein Thema, dem sich ganz grundsätzlich mit größter Empathie und inhaltlicher Trennschärfe genähert wurde. Die Berichterstattung aus Kairo, Tunis und Damaskus beschrieb eine Zeitenwende: Ein politischer Aktivist aus dem arabischen Raum, noch dazu ein Muslim, war nicht mehr ein barttragender Religionskämpfer – sondern ein jugendlicher, gebildeter, onlineaffiner Bürger, der legitime Forderungen nach Freiheit und Gerechtigkeit stellte.

Europäisches Qualitätssiegel „Arabischer Frühling“

Der Ausdruck „arabischer Frühling“ ist aber von einem wohlgemeinten und empathischen Begriff zu einem selektiv verwendetem europäischem Gütesiegel geworden: Wer „Frühling“ gebraucht, der umgeht die (dummerweise) politologisch überformte Definition von Revolution – in Anbetracht der Kontinuität autoritärer Strukturen in den entsprechenden Ländern vielleicht nicht zu Unrecht, aber ignorant gegenüber der Tatsache, dass die Innenansicht zahlreicher Ägypter „Revolution“ als Begriff zu Hand legt.

Darüber hinaus braucht es für das westliche Qualitätssiegel „Frühling“: Einen von der linken westlichen Öffentlichkeit kritisch beäugten (bestenfalls autokratischen) Präsidenten, und/oder eine unterdrückte intellektuelle Mittelschicht und/oder einen globalisierungskritischen internationalen Bezugspunkt. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, dann kann „Frühling“ mit landes-, regions- oder religionsspezifischem Präfix vergeben werden. Die Unabhängigkeitsbestrebungen Palästinas, aber auch der koloniale Freiheitskampf gegen europäische Besatzungsmächte – das war kein „Frühling“, sondern bestenfalls Rebellion. Über Definition streitet, wer darüber entscheidet. Im Fall des „Frühlings“ ist es ein Teil des Westens. Heute geschieht dies unter wohlgemeinten Vorzeichen; dreht bekannte Orientalismen aber nur um, anstatt sie aufzuheben.

Hinter wohlmeinender und empathischer Berichterstattung versteckt sich oftmals eine europäische Revolutionsromantik und ein zweiter Orientalismus: die des Sehnsuchtsortes Orient

Im 19 Jahrhundert bauchtanzten die arabischen Frauen die vom viktorianischen Puritanismus gemarterten europäischen Männer aus ihrer sexuellen Agonie – in Orientreisen oder Orientliteratur. Heute verschwimmen Tahrir Platz oder Jasmin-Revolution zum manifesten oder imaginierten und tränengasverhangenen Sehnsuchtsplatz revolutionsabstinenter Bundesbürger. Cool, gewagt und ein re-run der eigenen Geschichte sind die Proteste. Seit vergangener Woche auch in Istanbul. Bäume retten vor den Baggern des Kapitalismus, auf die Straße gehen gegen staatlichen Ökonomismus, protestieren gegen den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan samt seines Islamismus. Ein türkischer Frühling? Gleich ein türkischer Sommer? Es sei „noch zu früh […] von einem türkischen Frühling zu sprechen“. schreibt Liberation. Man könnte aber auch einfach aufhören, den Begriff zu verwenden. Dafür wäre es höchste Zeit.

7 Antworten zu “Frühlingsgefühle”

  1. alja sagt:

    Sammy Khamis war wohl selbst schon lange nicht mehr in Ägypten. Im
    Nordteil Ägyptens (wo die Revolution
    hauptsächlich stattfand) kennt man den Frühling sehr wohl, der beginnt
    nämlich nach der Regenzeit – die äußerst kühl sein kann. Es gibt auch ein Frühlingsfest Shams-El-Nissim: http://en.wikipedia.org/wiki/Sham_el-Nessim.
    Die Idee des Erwachens die el Baradei mit“Spring“ ausdrücken wollte,
    ist urägyptisch und wurde Anfang 2011 dort auch so verwendet. Selten das muss ich
    zugeben, aber als rein westliche Metapher ist sie unmöglich zu
    bezeichnen. Es ist klar, dass das nicht auf die anderen betroffenen
    arabischen Länder und schon gar nicht auf die Türkei zutrifft. Im Falle
    der Türkei hat das meines Wissen aber auch noch keiner ernsthaft behauptet. Ach ja
    … in Oberägypten gibt es natürlich keinen klimatischen Frühling, die
    Revolution hatte 2011 dort aber auch kaum Fuss gefasst.
    Ich
    war zur 2011 von Januar bis Mai sowie von Dezember bis zum Juli 2012 in
    Ägypten und habe die Umbrüche dort mit dem ägyptischen Teil meiner
    Familie erlebt und durchgemacht. Ich bin Soziologin und ich muss sagen, dass ich es beschämend finde, wenn jemand sich in irgendeinem wissenschaftlichen Rahmen – und sei es nur eine Magisterarbeit – mit einem derart konstruierten und dünnem Material nicht nur durchmogelt sondern auch noch produziert. Sorry, aber es gibt wohl „im Westen“ nur sehr wenige Leute, die tatsächlich glauben, der Begriff „arab spring“ würde auf die Ereignisse in allen betroffenen Länder passen. Es ist halt eine Metapher, eine „Reduktion von Komplexität“ in einer Zeit der schnellen Berichterstattung und das ist den meisten auch klar. Hat der Autor ein passenderes griffigeres Bild, möge er einen Vorschlag machen.

  2. Urgestein sagt:

    Probleme haben manche Leute… Kann es den „Orientalen“ nicht völlig egal sein wie man in anderen Ländern ihre Revolution nennt? Ich bin auch gespannt wie dort an den Europäern vorbeigezogen werden wird, hat man dort schon ein System in Planung das besser funktioniert als Demokratie?

    • hakantee sagt:

      Erstens: Sammy als „Orientalen“ zu bezeichnen. Auf welcher Grundlage? Finde ich hier schon sau problematisch.
      Zweitens. Ja, als Person, die mit der Region verbunden ist und auch regelmäßig hinfährt, interessiert es ihn natürlich, wie darüber berichtet wird. In dem ganzen Beitrag wird ja ausgeführt, was daran die Probleme sind. Von daher verstehe ich die Kritik nicht bzw. finde, sie geht nicht auf den Beitrag ein, sondern ruht sich auf einer „Aha, was geht’s denn an?“-Position aus.

      Das ist aber kein Argument.

  3. Robin Urban sagt:

    In all diesen Ländern müssen Menschen um ihre Gesundheit oder gar um ihr Leben bangen und wir streiten hier über Begrifflichkeiten. Sehr europäisch.

    • Sammy sagt:

      Folgerichtig schreibt der libanesische Journalist Rami Khouri „I find this [term „arab spring“] totally inappropriate, and have banished it from my own writing and speaking.“

      • Robin Urban sagt:

        Das habe ich schon gelesen und verstanden, finde diese Diskussion aber dennoch kleinlich und am Problem vorbei.

  4. Urgestein sagt:

    Weiss nicht wie ich im Thread antworten kann, daher so: „Orientalen“ habe ich verwendet da ich den korrekten Oberbegriff nicht weiss und im Artikel ständig von Orientalismen die Rede war, woraus ich rückgesclossen habe das Menschen des Orients eine real existierende Kategorie ist. War nicht abwertend gemeint. Dachte z.B. Araber passt nicht, da Orient wohl noch mehr umfasst (z.B. Asien)? Den Artikel habe ich gelesen, das Problem aber nicht verstanden. Es wird doch auch im Artikel erklärt: arab. Frühling bezeichnet die und die Umstände (zb Diktator wird gestürzt). Und wenn Palästina nicht darunter fällt – na und??? Wichtig ist dass die Menschen würdige Lebensumstände haben, nicht wie man den Freiheitskampf nennt.