„Versuchen ein Zeichen zu setzen“ – Interview mit Jan Strauss der AIDS-Hilfe Münster e. V. zur Aktion #prohomo und dem Internationalen Tag gegen Homo-, Bi- und Trans*phobie

Foto , CC BY 2.0 , by SarahDeer

Heute ist internationaler Tag gegen Homo-, Bi- und Trans*phobie. Am 17. Mai 1990 hat nämlich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Homosexualität offiziell aus ihrem Krankheitsregister gestrichen (wohingegen Transsexualität noch immer als psychische Krankheit angesehen wird). Angesichts der noch immer grassierenden Homophobie, möchte die AIDS-Hilfe Münster e. V. (mit freundlicher Unterstützung von kleinerdrei) heute ein Zeichen setzen: Unter dem Hashtag #prohomo seid ihr dazu aufgerufen eure positiven Erfahrungen mit Homosexualität und Homosexuellen zu twittern. Was findet ihr gut daran schwul, lesbisch, bi oder trans* zu sein? Und was mögt ihr besonders an euren nicht-heterosexuellen Bekannten und Freund*innen? Homosexualität ist zwar längst keine Krankheit mehr, sie ist aber auch nichts, was nur toleriert werden, sondern vielmehr gleichberechtigt und -wertig neben der heterosexuellen Norm existieren soll. Und das sollten wir den Betroffenen heute auch einmal zeigen. Auch könnt ihr unter #prohomo eure Erfahrungen mit Homo-, Bi- und Trans*phobie schildern. Jan Strauss von der AIDS-Hilfe Münster wird heute über ihren Twitter-Account die Aktion verfolgen und unterstützen – genauso wie wir natürlich.

Jan Strauss studiert Sozialpädagogik und ist derzeit Praktikant der AIDS-Hilfe Münster. Anlässlich des heutigen Tages hat Daniel ihm ein Paar Fragen gestellt.

kleinerdrei: Heute, am internationalen Tag gegen Homo-, Bi- und Trans*phobie, startet die Aidshilfe Münster e.V. die Aktion #prohomo. Kannst du kurz erläutern, was es damit auf sich hat, wer dahinter steht und wie die Idee dazu zustande kam?

Jan Strauss: An diesem Aktionstag ist die AIDS-Hilfe in diesem Jahr bereits im dritten Jahr – gemeinsam mit anderen sexualpädagogischen Träger*innen – direkt in Schulklassen und mit Infoständen unterwegs. Dabei wollen wir ein Bewusstsein für das Thema und eine gewisse Sensibilisierung schaffen. Um in diesem Jahr nicht nur klassisch in den Schulen sichtbar zu sein, entstand die Idee auch im Bereich Social Media Präsenz zu zeigen und ein positives Zeichen gegen Homophobie zu setzen. Wir wollen zusammen mit anderen Twitternutzer*innen am 17. Mai unter dem Hashtag #prohomo twittern, um so auf den Aktionstag aufmerksam zu machen und ein positives Zeichen gegen die immer noch alltäglich stattfindende Homophobie zu setzen. Dafür eignet sich Twitter ideal, wir als Einrichtung sind noch neu im Umgang mit diesem Medium, deshalb sind wir auf die Unterstützung von erfahrenen Nutzer*innen angewiesen, bisher gab es dort eine positive Resonanz und wir hoffen, dass wir möglichst viele Menschen erreichen.

kleinerdrei: Inwieweit ist die AIDS-Hilfe Münster von Homophobie betroffen?

Jan Strauss: Wir als AIDS-Hilfe engagieren uns mit und für die queere Community in Münster, sind also auch zum Teil den Vorurteilen dieser gegenüber ausgesetzt und haben viel Kontakt mit Menschen die homophober Diskriminierung im Alltag ausgesetzt sind, deshalb ist es uns natürlich wichtig viel dafür zu tun, dass dieses Problem in Zukunft nicht mehr besteht. Wir unterstützen Vernetzung und Selbsthilfe, und haben zum Beispiel – mit verschiedenen weiteren Träger*innen – in Münster den Jugendtreff „Track“ ins Leben gerufen, dort treffen sich schwul/lesbisch/bi und trans* Jugendliche. Die Besucher*innen sind in ihrem Alltag zum Teil auch homophoben Anfeindungen ausgesetzt und finden dort einen Ort, an dem niemand die Sorge haben muss wegen seiner sexuellen Orientierung diskriminiert zu werden.

kleinerdrei: Gibt es einen Zusammenhang zwischen HIV bzw. AIDS und Homophobie?

Jan Strauss: In der Form, dass HIV in der Gesellschaft sehr stark mit homosexuellen Männern assoziiert wird, die zwar unter den HIV-positiven Menschen in Deutschland die Mehrheit bilden – HIV aber ausschließlich als ein Problem homosexueller Männer zu betrachten, ist grundfalsch. Leider wird dieses Vorurteil aber immer noch von einigen Menschen reproduziert, dadurch entstehen homophobe Ressentiments, denen man mit verstärkter Aufklärung begegnen sollte.

kleinerdrei: Viele Menschen sagen ja, den Lesben und Schwulen dieses Landes geht es mittlerweile viel besser als vor einigen Jahrzehnten oder noch gegenwärtig in anderen Ländern – ein typisches Argument, um weitere Forderungen nach Gleichberechtigung im Keim zu ersticken. Wie schätzt du jedoch den Grad der Homophobie in unserer Gesellschaft ein?

Jan Strauss: Das eine Verbesserung der Zustände in den letzten Jahren weitere Bemühungen und Forderungen nach Gleichberechtigung ausschließt, ist natürlich ein Argument, welches unhaltbar ist. Solange nicht die komplette Gleichberechtigung erreicht und Homophobie immer noch existent ist, bleibt es eine gesellschaftliche Aufgabe, weiter an der Verbesserung der Umstände zu arbeiten. Laut einer Untersuchung von Wilhelm Heitmeyer sind homophobe Einstellungen bei einem Drittel der Bevölkerung verbreitet [in diesem Band zu finden], auch andere Studien, zum Beispiel über die Verbreitung von Homophobie unter Schüler*innen, gehen von einem hohem Grad der Verbreitung aus [zum Download der Studie]. Diese große Unterstützung für homophobe Ressentiments ist erschreckend und zeigt uns wie viel Aufklärung und emanzipatorische Arbeit noch notwendig ist.

kleinerdrei: Was ist deiner Meinung nach das wirksamste Mittel gegen Homo- und Trans*phobie?

Jan Strauss: Das allerwirksamste Mittel gegen Homo- und Trans*phobie ist meiner Meinung nach jemanden kennenzulernen, der*die homosexuell bzw. trans* ist und mit diesem Menschen ins Gespräch zu kommen. Das ist der einfachste Weg Vorurteile abzubauen und das Bild, welches manch einer von Homosexualität und Trans*-Personen im Kopf hat, mit der Realität abzugleichen.

kleinerdrei: Kann ein symbolhafter Tag pro Jahr wirklich gegen Homo- und Trans*phobie helfen?

Jan Strauss: Er kann versuchen ein Zeichen zu setzen und eine tiefgehende gesellschaftliche Diskussion anzustoßen. Um wirksam gegen Homophobie zu kämpfen, sollte man natürlich die ganze Zeit aktiv sein. Es ist vor allem wichtig selbst aufmerksam zu sein und Diskriminierung im Alltag nicht unkommentiert geschehen zu lassen.

kleinerdrei: Heute leistet die AIDS-Hilfe Münster auch Aufklärungsarbeit in Form von Infoständen und indem sie Schulklassen besucht und direkt mit den Schüler*innen spricht. Wie sind die Rückmeldungen der Schüler*innen auf das Thema Homophobie und eure Aktion?

Jan Strauss: Die Rückmeldungen sind vielfältig, oft haben die Schüler*innen gar keine Vorstellung davon wie viele Schüler*innen an ihrer Schule, rein statistisch gesehen, homosexuell sein könnten. Die wenigstens Schüler*innen kennen aber selbst geoutete Menschen an ihrer Schule. Auf diese Diskrepanz angesprochen ist den meisten Schüler*innen bewusst, dass der Grund dafür sich nicht in der Schule zu outen, die reale Gefahr von Mobbing und homophoben Anfeindungen ist. Die Reaktionen, wenn das Thema zur Sprache kommt, sind höchst unterschiedlich, in den meisten Fällen sind die Schüler*innen aber durchaus sehr interessiert und offen für Diskussionen. Über Homo- und Trans*phobie mit Schüler*innen zu sprechen kann also durchaus sehr wirksam sein.

kleinerdrei: Zählt solche Aufklärung an Schulen zu den ständigen Aufgaben der AIDS-Hilfe Münster? Ist das Konzept ausbaufähig?

Jan Strauss: In den sexualpädagischen Veranstaltungen arbeiten wir an den Themen die von den Schüler*innen gerade als wichtig empfunden werden, wir sprechen die allgemeine Thematik von verschiedenen sexuellen Lebensentwürfen durchaus an – wenn dies von den Schüler*innen gewünscht ist auch intensiver, da wir uns aber wie gesagt an den Fragen und Wünschen der Schüler*innen orientieren, ist dies nicht immer der Fall. Spezielle Veranstaltungen, bei denen es um Homosexualität und Homophobie geht, finden bei uns eher Anlassbezogen statt. Es gibt aber verschiedene Initiativen, die ausschließlich mit diesem Thema in Schulen unterwegs sind, an die sich Schulen wenden können.

kleinerdrei: Leider wird – wie sehr häufig, wenn es um LGBTIQ-Themen geht – auch beim Thema Homophobie überproportional nur von Schwulen gesprochen; Lesben oder nicht-weiße Personen sind beispielsweise häufig unter- oder gar nicht repräsentiert. Wie schätzt du daher das Problem der Mehrfachdiskriminierung ein, wenn also Homophobie mit Sexismus, Rassismus, Klassismus, Ableismus etc. zusammenfällt? Und was kann man gegen die Unsichtbarmachung dieser Gruppen in der eigenen Community tun?

Jan Strauss: Das Problem der Mehrfachdiskriminierung ist uns bewusst, wir versuchen mit verschiedenen Projekten dagegen zu arbeiten. Zum Beispiel sind wir auf der diesjährigen CSD-Demonstration mit dem Stammtisch „Ich liebe wen ich will!“ dabei, dabei handelt es sich um ein Angebot für homo/bi/trans*-sexuelle Menschen mit Behinderung. Gemeinsam auf einer solchen Veranstaltung dabei zu sein, setzt ein wichtiges Zeichen an die eigene Community und auch an die Öffentlichkeit. Es ist uns sehr wichtig uns der Mehrfachdiskriminierung, von der viele Menschen betroffen sind, bewusst zu sein und möglichst viel dafür zu tun, die verschiedenen unter- und nicht repräsentierten Gruppen anzusprechen und ihnen den Rahmen zu geben, sich in der Community zu bewegen.

kleinerdrei: Zu guter letzt: Wir bei kleinerdrei finden eure Arbeit und die Aktion #prohomo wirklich super! Wie kann man euch unterstützen?

Jan Strauss: Ganz einfach, indem man heute auf Twitter unter dem Hashtag #prohomo ein positives Zeichen gegen Homophobie setzt, Solidarität zeigt und damit möglichst viele Menschen zum Nachdenken und Handeln anregt.
Wer aus Münster und Umgebung kommt kann gerne bei uns vorbeischauen [Adresse und Öffnungszeiten hier], wir freuen uns immer über ehrenamtliche Helfer, die bei uns in verschiedenen Bereichen wie zum Beispiel in der Beratung und Öffentlichkeitsarbeit interessante Aufgaben übernehmen können.
Wir bedanken uns bei kleinerdrei für die Unterstützung!

kleinerdrei: Wir haben zu danken!

Links:

Webseite der AIDS-Hilfe Münster
Die AIDS-Hilfe Münster bei Twitter
#prohomo-Tweets auf einen Blick
Empfehlenswertes Faltblatt der HU Berlin: „Wie können wir Homo- und Transphobie bei Kindern und Jugendlichen abbauen?“

3 Antworten zu “„Versuchen ein Zeichen zu setzen“ – Interview mit Jan Strauss der AIDS-Hilfe Münster e. V. zur Aktion #prohomo und dem Internationalen Tag gegen Homo-, Bi- und Trans*phobie”

  1. […] ans Herz legen möchte ich Euch das Interview mit Jan Strauss von der AIDS-Hilfe Münster e. V. bei Kleinerdrei. Dort erklärt er die Aktion #prohomo und weitere Aktionen der AIDS-Hilfe Münster e.V. Das […]

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