„Es ist auch ok, nicht immer perfekt zu sein!“ – Lea Schönfelder über ihr neues Videospiel „Perfect Woman“ und das Spielemachen

© , by Lea Schönfelder

Kleinerdrei war auf der A Maze – Indie Connect, dem 2. Internationalen Indie Game Festival, das vom 24.-26.04. in Berlin stattfand. Ein Spiel hat dort besonders unsere Aufmerksamkeit erregt – denn in “Perfect Woman”, einem Spiel für Xbox Kinect, geht es um die verschiedenen Rollen, die eine Frau im Laufe ihres Lebens ausfüllen kann, um dabei – vermeintlich? – möglichst perfekt zu sein. Und das geht eben nicht ohne ziemliche Verrenkungen, im wahrsten Sinne des Wortes…

Hinter „Perfect Woman“ steckt Lea Schönfelder, die an der Kunsthochschule Kassel Visuelle Kommunikation studiert hat und Spiele macht. Abseits vom Mainstream großer Publisher machen ihre Werke nachdenklich, wagen Irritation genauso wie schwarzen Humor. Mal macht sie das Leben und den Tod eines Straßenjungen in Sankt Petersburg in “Ulitsa Dimitrova” zum Thema, mal mischt sie in “Ute” Elemente aus Pacman und Leisure Suit Larry.

Lucie und map haben Lea Schönfelder am Rande des Festivals getroffen und über ihre Spiele und die Gedanken dahinter ausgefragt.

kleinerdrei: Du hast an einer Kunsthochschule studiert. Wie bist du zu Spielen als Medium gekommen? Würdest du dich als Videospielerin bezeichnen? Was reizt dich an Video- und Computerspielen als Medium bzw. Kunstform?

Lea Schönfelder:Während meiner Jugend und Kindheit war ich nie eine große Computerspielerin. Ich hatte zwar schon Erfahrungen damit und auch hin und wieder gespielt – Roller Coaster Tycoon z.B. und Tomb Raider – weit entfernt aber davon, eine richtige Gamerin zu sein. Lustiger Weise habe ich aber schon als Kind selbst Spiele erfunden. Ich kann mich erinnern, Jump `n Runs aus Papier gebastelt zu haben. Heute spiele ich natürlich schon, ich habe Spiele und Ansätze gefunden, die mich wirklich interessieren. Hauptsächlich interessieren mich Spiele nicht wegen einer süchtig machenden Mechanik, sondern wenn sie Themen und Fragen verhandeln, die für mich relevant sind. Also beispielsweise politische Spiele oder solche, die eine persönliche Handschrift tragen, Autorenspiele, wie ich sie nenne.

An der Kunsthochschule Kassel hatte ich mich zunächst für das Fach Illustration eingeschrieben. Schnell bin ich dann ich die Trickfilmklasse gewechselt. Während eines Seminars mit der Klasse der Neuen Medien hatte ich meine erste Erfahrung mit Interaktivität. Dort traf ich Gerard Delmas, mit dem ich unsere ersten beiden Spiele „Huong Jiao Ping“ und „Ulitsa Dimitrova“ realisierte. Meiner Meinung nach muss man offen für eine Vielzahl an Medien sein, ob Buch, Comic, Film oder Game, im Mittelpunkt sollte nie das Medium stehen sondern das, was ich als Künstler ausdrücken möchte. Aber jede Form der Kommunikation hat natürlich ihre charakteristischen Vorteile.

Am Spiel schätze ich sehr die Möglichkeit, dass die Spielerin, dadurch dass sie selbst aktiv ist, sich in einem sehr hohen Maße verantwortlich fühlen kann. Außerdem bieten Spiele eine neue, nicht lineare Form der Geschichtenerzählung. Ideen können in Form von Systemen ausgedrückt werden, was mir sehr liegt.

kleinerdrei: Perfect Woman spielt ja auch mit der Idee, dass Frauen in Rollen passen sollen, und sich verrenken und verbiegen müssen, wenn sie immer die gesellschaftliche Erwartungshaltung erfüllen wollen. Was waren deine Gedanken dahinter? Was war der Ausgangspunkt für “Perfect Woman”?

Lea Schönfelder: Die Idee hinter Perfect Woman ist, Menschen Mut zu machen, nicht immer perfekt sein zu wollen. Wir werden in der Schule benotet, haben Karriereambitionen, wollen uns selbst verwirklichen, aber gleichzeitig im Privatleben nicht zurückstecken. Hier gilt: Möglichst eine glückliche Beziehung, glückliche, erfolgreiche Kinder und bitte viel erleben, sodass wir im Alter weise und erfahren sind. So zumindest sieht ein „perfektes Leben“ in unserem westlichen Kulturkreis für eine moderne Frau aus. Das kommt schon ziemlich nah an eine Zerreißprobe, dargestellt durch die entsprechenden Posen, die man in Perfect Woman einnehmen muss, heran, oder?

Wir wollen natürlich niemandem sagen, dass sie nicht versuchen soll, alles zu haben, wenn sie es möchte. Aber gewisse Schwierigkeiten werden da schon hin und wieder auftauchen. Und wir meinen eben: Hey, es ist auch ok, nicht immer perfekt zu sein! Du musst nicht Karriere machen und die perfekte Mutter sein, zum Beispiel. Oder anders herum. Im Spiel Perfect Woman wird der Spielerin vorgegeben, was die perfekte Wahl ist. So ist es mit 34 „perfekt“, eine erfolgreiche Professorin zu sein. Die anderen Möglichkeiten, z.B. Dein Leben am Strand zu verbringen, haben aber auch ihren Reiz. Im Spiel kann man ausprobieren, wie schön es sein kann, manchmal perfekt zu sein, manchmal aber auch nicht.

kleinerdrei: Mit “Ute” und “Perfect Woman” greifst du Probleme aus Sicht einer Frau auf. Wie begegnet dir die Videospiel(er)welt bei dieser für sie zum grossen Teil eher ungewohnten Perspektive?

Lea Schönfelder: Mal die negative Seite zuerst: Bei Spielen wie Ute bekomme ich Feedback wie: Das ist doch kein richtiges Spiel. Das Game Design lässt zu wünschen übrig, etc. Das stimmt zu Teilen! Denn wie schon oben erwähnt, geht es mir in erster Linie darum, eine künstlerische Position auszudrücken und weniger, eine ausgeklügelte Mechanik zu entwickeln, die die Spieler in einen Highscore-Rausch versetzt. Allerdings sehe ich mich trotzdem bestätigt, denn auch Ute wird von vielen Spielerinnen und auch immer wieder gespielt. Das liegt zu großen Teilen am Humor des Themas und der Animation.

Auf der anderen Seite sehe ich einen großen Hunger nach Spielen, die eine gesellschaftliche Position vertreten. Man schaue nur auf den diesjährigen mehrfachen Preisträger beim Independent Games Festival: Richard Hofmeier mit „Cart Life“. Auch ich fühle mich von der (Indie-)Szene sehr offen aufgenommen. Ich schiebe das auf das Verlangen nach drei wichtigen „Inhaltsstoffen“ meiner Spiele: Erstens, nach Spielen, die sich mit Fragen des echten Lebens beschäftigen, zweitens nach mehr Diversität im Look und drittens nach mehr Diversität bei den Spielemachern, also unter anderem mehr weibliche Spielemacherinnen.

Immer wieder werde ich nach feministischen Positionen in meinen Spielen gefragt und natürlich bin ich auch stolz darauf, eine Feministin zu sein. Andererseits muss ich schon manchmal schmunzeln, wenn allein das erzählen aus Sicht einer Frau ausreicht, als feministische Spielemacherin gesehen zu werden. Das heißt dann wirklich: Es gibt noch viel zu tun!

kleinerdrei: Viele deiner Spiele scheinen sich auch um “Agency” zu drehen, also auch um das Gefühl, eine Wahl zu haben. Anders als die meisten anderen Spiele gaukelst du da aber nicht grenzenlose Freiheit vor und zeigst dem Spieler, dass seine Wahlmöglichkeiten begrenzt sind, oder sich beeinflussen. Was sind deine Beweggründe hier zu experimentieren?

Lea Schönfelder: Es stimmt ja nie, dass man in einem Computerspiel völlige Freiheit hat. Das Spiel wurde schließlich von jemandem aus einem bestimmten Grund designt. Selbst in Spielen wie Sim City, die einem wirklich viel Freiraum zu lassen scheinen, ist man ganz klar limitiert. Du baust eine Stadt, das wars! Und das muss auch so sein, denn ein Spiel wird ja erst durch Rahmenbedingungen, d.h. Begrenzungen, spielbar. Innerhalb eines Regelsatzes gibt es bestimmte Wahlmöglichkeiten.

Diese Wahlmöglichkeiten können auch eine Aussage übermitteln wie in meinen Spielen: Pjotr, das Kettenrauchende Kind stirbt auf jeden Fall am Ende. Die scheinbare Wahl, die der Spieler hat, besteht nur darin, aufzuhören zu Spielen, oder nicht (was ja auf Dauer unrealistisch ist). Das führt zu der Aussage: Es gibt keinen Ausweg, Pjotr stirbt immer. Spiele sind also höchst manipulativ! Es mag viele verschiedene Möglichkeiten für die Spielerin geben, doch jede einzelne ist von der Game Designerin zuvor bedacht worden und sie legt auch fest wozu jede Entscheidung führt. In diesem Sinne ist ein Computerspiel ein Medium wie Sprache oder Bild: Der Hersteller versucht, seine Position deutlich zu machen und vertritt dabei immer eine Meinung.

kleinerdrei: In Ulitsa Dimitrova konfrontierst du die Spielenden mit einem sehr deprimierenden Spiel, das man nicht gewinnen kann. Hast du dazu Feedback bekommen, wie das aufgenommen wurde?

Lea Schönfelder: Zunächst mal natürlich wird Ulitsa Dimitrova nicht als klassisches Spiel gesehen. Der Reiz an dem Spiel ist, das zugrunde liegende System zu verstehen, auch Pjotrs Straße und sein Leben kennen zu lernen, aber es endet immer schlimm. Über Ulitsa Dimitrova wurde viel geschrieben und wir konnten es auf vielen Festivals zeigen. Das heißt, es hat die Leute beschäftigt. Ulitsa Dimitrova liegt eine Haltung zugrunde, ein Aufmerksam machen auf ein ernstes Thema.

Wir haben jedoch versucht, auf die große Moralkeule zu verzichten und selbst Pjor in seinem Straßenleben hat durchaus glückliche Momente. Umso trauriger natürlich dass Pjotr erfriert, sobald der Spieler es aufgibt mit ihm zu spielen. Neben einigen Preisen, die das Spiel gewinnen konnte, sind wir sehr stolz auf einen Artikel in der britischen Zeitung „The Independent“, in der es heißt, dass im russischen Parlament, der Duma, darüber debattiert wurde, „russenfeindliche“ Spiele, wie Modern Warfare 2 und Ulitsa Dimitrova zu zensieren. Das zeigt schon, wie viel Durchschlagkraft selbst ein gewaltloses Spiel haben kann.

kleinerdrei: Viele deiner Spiele lassen sich ja durchaus sozialkritisch interpretieren. Ist dir das wichtig, Spielende auch auf der Ebene zu irritieren und zum nachdenken zu bringen?

Lea Schönfelder: Ja, das ist das wichtigste bei meinen Spielen. Ich habe ja schon ausgeführt, dass genau das meine Priorität ist. Ich kann aber auch sagen, dass ich die klassischen Spaß-Spiele keineswegs verachte: Es muss alles geben! Ein kleines Ziel für meine Zukunft ist auch, die zwei Positionen ein bisschen mehr miteinander zu vereinen als ich es bisher getan habe. Das heißt im Idealfall, ein Spiel zu machen, das gleichzeitig eine gesellschaftliche Relevanz hat – damit meine ich nicht, dass es belehren muss, aber es sollte schon einer Frage nachgehen, die über den bloßen Zeitvertreib hinaus geht. Und aber die Regeln eines guten Game Designs nicht verachtet, also darauf abzielt, den Spielerinnen länger und wiederkehrend Spaß zu bereiten. Auch was Kommunikation angeht, können wir Indies meines Erachtens nach eine Menge von der Industrie lernen.

kleinerdrei: Hast du schon neue Game-Projekte in Planung?

Lea Schönfelder: Perfect Woman ist das aktuelle Projekt an dem Peter Lu und ich seit meiner Residency am UCLA Game Lab arbeiten. Es versucht genau das zu machen, worüber wir eben sprachen: Wir haben einen gesellschaftsrelevanten Ansatz, sehen aber auch in unseren Playtests, dass es einfach Spaß macht, vor der Kinect herumzutanzen und in die verschiedensten Rollen zu schlüpfen. Perfect Woman soll bis Oktober fertig gestellt werden.

Nebenbei arbeite ich immer mal wieder an kleineren Projekten, wie zuletzt an „Dwayne York – Stagediver“, ein kleines Spiel, das zusammen mit dem tollen Team von Major Bueno im Rahmen ihres one-game-a-month Game Jam entstanden ist. Dort war ich hauptsächlich für den Look verantwortlich. Ich bin eigentlich immer offen und freue mich, in verschiedenen Teams mit zu arbeiten.

kleinerdrei: Wir sind auf jeden Fall gespannt, was es noch von Dir zu sehen geben wird. Vielen Dank für das Gespräch!

 

The Perfect Woman (WIP) from UCLA Game Lab on Vimeo.

 

4 Antworten zu “„Es ist auch ok, nicht immer perfekt zu sein!“ – Lea Schönfelder über ihr neues Videospiel „Perfect Woman“ und das Spielemachen”

  1. […] Auf kleinerdrei.org gab es diese Woche ein Interview mit Lea Schönfelder, der Entwicklerin des Spiels “Perfect Woman” – ein Spiel über die verschiedenen Rollen, die eine Frau* im Laufe ihres Lebens ausfüllen kann, und darum dabei möglichst perfekt sein zu wollen. […]

  2. […] die Schippe. So zum Beispiel der „Perfect Woman Simulator“ der deutschen Künstlerin Lea Schönfelder, das am Game Lab der UCLA entwickelt wurde und 2016 für die XBox One erschienen ist. Inspiriert […]