Selbstbedienungsladen Frau

Foto , CC BY-NC-SA 2.0 , by http://www.flickr.com/photos/cassidy

Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Charlotte Heyer.

Charlotte Heyer ist Feministin, lebt in Berlin und bereitet sich derzeit auf ihr erstes juristisches Staatsexamen vor.

Statistisch gesehen kennt es mehr als jede zweite Frau in Deutschland: Sexuelle Übergriffe auf der Straße, im Bus, der Straßenbahn, auf Veranstaltungen, Familienfeiern… Ein Klassiker aus dieser Liga ist die fremde Hand am Hintern. Frau schaut sich um und wird am besten noch angegrinst. In diesem Fall erübrigen sich wenigstens die Zweifel, ob das jetzt Absicht war oder nicht.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten mit dieser Situation umzugehen. Ignorieren ist eine Methode, obwohl dabei das ungute Gefühl bleibt, sich nicht gewehrt zu haben und das mancher Frau den Vorwurf einbringt, sich zum Opfer machen zu lassen.

Denn schließlich gibt es auch die Möglichkeit verbal oder sogar handgreiflich zu reagieren, um sich selbst zu verteidigen – ein Argument, dass einige Menschen ins Feld führen, um die Schwere von Übergriffen zu kontern.

Anzeigen? Fehlanzeige

Doch was ist, wenn Frauen keine Lust auf diese Form von Selbtjustiz haben? Was ist, wenn sie Angst haben, sich Gegenwehr auszusetzen? Was ist eigentlich mit unserem Rechtsstaat – diesem System, das uns helfen soll, unser Zusammenleben zu regeln? Kann sich eine Frau mit einer Anzeige gegen die Hand am Hintern zur Wehr setzen?

Zunächst stellt sich die Frage, ob sich jemand durch sexuelle Belästigungen dieser Art überhaupt strafbar machen kann: Ich mache mich auf die Suche und stöbere in unserem Strafgesetzbuch (StGB). Da gibt es zum Beispiel die sexuelle Nötigung (§ 177 Abs.1). Strafbar machen kann sich hiernach aber nur, wer mit Gewalt, durch Drohung oder Ausnutzung einer schutzlosen Lage, das Opfer zu einem Verhalten zwingt. Sexuelle Belästigungen, wie zum Beispiel das „Busen- oder Arschgrapschen“ oder Berührungen des Genitalbereichs, in denen eine Frau nicht selbst handelt, sondern einer Handlung ausgesetzt ist, werden davon jedenfalls nicht erfasst.

Die Suche geht weiter. Mein Blick fällt auf den Straftatbestand der Beleidigung (§185). Dieser erfasst nämlich nicht nur verbale Äußerungen, sondern auch beleidigende Handlungen. Solche liegen  beim Spucken vor die Füße, bei einer Ohrfeige (Schmidt/Priebe, StrafR BT I, 9.Aufl., §§185ff., Rn. 958), oder beim sog. „Vogelzeigen“ vor. Ergibt Sinn.

Nun denke ich, dann ist sicherlich auch das „Busengrapschen“ eine beleidigende Handlung. Es scheint so, als sei meine Suche beendet. In Zukunft werde ich mich mit einer saftigen Anzeige wegen Beleidigung zur Wehr setzen, wenn ich sexuell belästigt werde.

Weit gefehlt!

Denn laut Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist ein Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung nur dann eine Beleidigung, wenn nach den gesamten Umständen in dem Verhalten des Täters zugleich eine von ihm gewollte, herabsetzende Bewertung des Opfers zu sehen ist. Die Kundgabe einer Herabwürdigung der Betroffenen durch den Täter sei in einer sexuellen Handlung allein regelmäßig nicht zu sehen. (BGH, Beschl. v. 22.11.2006 – 2 StR 382/06).

Auf Deutsch: Der Grapscher macht sich keiner Beleidigung schuldig, denn er würdigt ja eine Frau durch eine sexuelle Handlung nicht herab.

Diese Rechtsprechung ist absurd! Das Anfassen einer Frau gegen ihren Willen ist immer eine Herabwürdigung. Die Herabwürdigung liegt nämlich in dem allgemein verächtlichen Frauenbild der Täter: In ihren Augen ist die sexuelle Verfügbarkeit der Frau ein Selbstverständnis. Sie dürfen sie anfassen wann und wo sie wollen. Die Frau wird als Person mit eigenem Willen und Bedürfnissen negiert und zu einem Objekt degradiert, das zur freien Verfügung steht. Sie ist laut dieser Rechtssprechung ein Selbstbedienungsladen.

Das Urteil (und viele andere auch) zeigt, dass das höchste deutsche Gericht den Ursprung sexueller Belästigung und sexualisierter Übergriffe nicht erfasst hat.

Urteile wie diese bedeuten für Millionen von Frauen, dass ihnen der Rechtsstaat im Kampf gegen alltägliche Belästigung nicht zur Seite steht – allen Sonntagsreden zum Trotz.

Übrigens wird in unseren Nachbarländern Österreich und Schweiz mit dem Thema fortschrittlicher umgegangen. Dort werden auch leichte sexuelle Belästigungen gesetzlich sanktioniert.

27 Antworten zu “Selbstbedienungsladen Frau”

  1. Christian Oberhamberger sagt:

    In Österreich gabs relativ früh parallel zu #Aufschrei eine breite Debatte über das Po-Grapschen. Soweit ich mich erinnern kann, wird Po-Grapschen bei uns auch nicht durch das Strafgesetzbuch geahndet, sondern über das Zivilrecht… http://derstandard.at/1358305180156/Po-Grapschen-Politstreit-um-Strafe-fuer-unerwuenschte-Beruehrung

    • Charlotte H. sagt:

      Ich habe den § 218 StGB in Österreich als Auffangtatbestand zu den Sexualdelikten verstanden. Nach meiner Recherche wird durch den § 218 sexuelle Belästigungen wie das“Busengrapschen“ erfasst.

      • Christian Oberhamberger sagt:

        Ich bin juristisch zu wenig versiert um zu dem Thema genau Stellung zu nehmen, ich wollte nur auf die bezügliche Debatte in Ö. hinweisen. :)

  2. luisa sagt:

    unfassbar, wirklich. und in einem solchen land zahle ich steuern

  3. Robin Urban sagt:

    Das erinnert mich an diesen Artikel von onyx, in dem sie einen für mich komplett unglaublichen Fall auseinander genommen hat: http://onyxgedankensalat.wordpress.com/2012/11/21/rechtsprechung-in-graz-an-den-hintern-grabschen-ist-keine-sexuelle-belastigung/

    Zeigt übrigens, dass unsere Nachbarländer überhaupt nicht fortschrittlicher sind, denn das Ganze spielt in Österreich. Die Anklagen werden halt aus anderen Gründen abgeschmettert: Bei uns, weil es kein Straftatbestand ist, eine Frau anzugrabschen, in Österreich, weil der Hintern einer Frau plötzlich keine sexuelle Körperzone ist (sic).

    In diesem Zusammenhang würde mich interessieren, wie es nun aussieht, wenn man sich wehrt. Ich hatte in letzter Zeit auf der Arbeit wieder mal so viele blöde Erlebnisse (einige hab ich hier gesammelt: http://robinsurbanbarstories.wordpress.com/2013/01/29/ein-aufschrei-geht-durch-die-kneipe/), dass ich mir vorgenommen habe, dem nächsten, der mich ungefragt anfasst, eine zu knallen. Ich habe noch nie im Leben jemanden geschlagen, aber das scheint mir doch die einzige effektive Methode zu sein. Nur, mache ich mich dann strafbar? Oder greift hier dieser Beleidigungsparagraph, der besagt, dass die eine Beleidigung die andere Beleidigung aufwiegt? Oder gilt das dann plötzlich schon als Körperverletzung?

    • Christian Oberhamberger sagt:

      Wäre die Frau in Graz den zivilrechtlichen Weg gegangen, hätte der Täter vermutlich ein Bußgeld gezahlt… ist aber umständlicher für sie, dauert länger, usw.

      • Robin Urban sagt:

        Ich nehme an, das kostet dann aber auch so richtig? Im Normalfall übernimmt doch der Staat die Kosten des Verfahrens, aber zivilrechtlich ist das doch anders. Ich denke, viele Frauen, die sich gegen sowas wehren wollen, werden von den Kosten, die auf sie zukämen, würde der Angreifer nicht verurteilt, zurück schrecken, außer sie sind finanziell sehr gut gestellt. Das Ganze hat also noch eine klassistische Dimension: Gerechtigkeit nur für Reiche.

        BTW, der Link oben funktioniert nicht, wohl wegen der Klammer. Nochmal: http://robinsurbanbarstories.wordpress.com/2013/01/29/ein-aufschrei-geht-durch-die-kneipe/

        • Christian Oberhamberger sagt:

          Das wäre mir zu viel der Interpretation. Wichtig ist, dass die Handlungsfähigkeit des Opfers nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist, und man die Sache argumentativ differenzierter angehen muss, um Argumente gegenüber zu stellen und abwiegen zu können.

    • Charlotte H. sagt:

      Deinen Kommentar zur Rechtsprechung in Österreich glaube ich sofort. Danke für die Ergänzung.

      Zu deiner Frage:
      .
      Das mit dem „Zurückhauen“ ist so eine Sache. Grundsätzlich steht dir in so einem Fall zwar ein Notwehrrecht zu, obwohl dein Gegenüber keinen Straftatbestand erfüllt. Er greift jedenfalls dein allgemeines Persönlichkeitsrecht an und deshalb darfst du dich handgreiflich wehren, ABER leider nur solange der „Angriff“ noch anhält. Das heißt nur, solange du noch begrapscht wirst, nicht danach. Wenn du dich also wehrst nachdem der Grapscher seine Hand schon von deinem Hintern genommen hat kannst du dich mit einer Ohrfeige mindestens wegen Beleidigung – wenn du heftig genug zuschlägst sogar wegen Körperverletzung – strafbar machen.

  4. someone sagt:

    Danke für dieses Posting – das war mir nicht klar und macht mich ehrlich gesagt ziemlich fassungslos. Und nachdem ich ein bißchen recherchiert habe, um den Wikipedia-Artikel zum Thema zu erweitern, bin ich noch fassungsloser.

    1. Wer _danach_ einen Busengrabscher ohrfeigt, macht sich der Körperverletzung schuldig! Notwehr gilt nur, solang die entsprechende Handlung andauert.

    2. Das Lesen des BGH-Urteils lohnt sich: http://www.recht-in.de/urteil/beschluss_kurz_2_str_382_06_bgh_beschluss_132919.html

    es geht darin nicht um sexuelle Belästigung, sondern um eine Vergewaltigung, die nach der aktuellen Rechtslage – Opfer hat sich nicht gewehrt – nicht als solche gilt. Weil, wenn ich jemand den Geldbeutel aus der Hose ziehe und der wehrt sich nicht, isses ja auch nicht Diebstahl, oder?

    ich hab mal den Wikipedia-Artikel ein bißchen erweitert: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Sexuelle_Bel%C3%A4stigung&diff=118753607&oldid=116198260 – mag das jemand vielleicht noch deutlicher herausstellen?

  5. Fidel sagt:

    Ich vermisse im Artikel den Aspekt, dass eine solche Tat auch in irgendeiner Form nachweisbar sein „muss“. Fingerabdrücke auf der Kleidung dürften ja wohl ausscheiden… und eine flächendeckende Videoüberwachung, um Grabscher zu überführen, dürften auch die wenigsten wollen, oder? Also: wie weist frau (oder man?) einen Übergriff tatsächlich nach? Oder soll etwa schon die Behauptung ausreichen?

  6. Korrekturleserin sagt:

    Wieso eigentlich „Selbstbedienungsladen Frau“, die Gesetze betreffen doch sicher beide Geschlechter gleichermassen? Demnach wären auch Männer (und was es sonst noch gibt) Selbstbedienungsläden, falls die Analyse von Frau Heyer zutrifft.

    • julianeleopold sagt:

      Stimmt, Gesetze betreffen alle. Allein: In die Lage, Übergriffen ausgesetzt zu sein kommen mit statistischer Signifikanz deutlich eher Frauen als Männer. Wie im Übrigen auf diesem Blog ständig nachzulesen ist. Statistikfutter gibt es z.B hier im Kommentierten Datenbericht zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Bundesrepublik Deutschland http://www.bmfsfj.de/doku/Publikationen/genderreport/10-gewalthandlungen-und-gewaltbetroffenheit-von-frauen-und-maennern.html

      Zitat: „Sexuelle Gewalt gegen Frauen und Männer, Mädchen und Jungen wird zu 95 bis 99 Prozent von Männern ausgeübt. Opfer sexueller Gewalt werden vor allem Frauen, Mädchen und Jungen, seltener dagegen erwachsene Männer.“

      „Von den meisten Gewaltdelikten sind Frauen seltener als Männer als Opfer betroffen. Dies gilt nicht für Sexualdelikte, die sich ganz überwiegend gegen weibliche Opfer richten (…)“

      Jetzt kannst du natürlich sagen: Ja, aber körperliche Gewalt ist ja keine sexuelle Belästigung. Ich glaube aber, dass sich aus diesen Zahlen eine Tendenz zur Entwertung und Übergriffigkeit gegenüber Frauen- und zwar deutlich eher als gegenüber Männern – ablesen lässt. Ach so: Das „falls“in deinem Kommentar finde ich unnötig provokant.

      • Korrekturleserin sagt:

        Schade daß gesunde Skepsis bei euch unerwünscht zu sein scheint. Ich finde das Thema interessant, es braucht aber mehr als eine Jurastudentin die mal im Strafgesetzbuch „stöbert“ (OTon Artikel) bevor ich an einen Skandal glaube. Zumal durch Googeln Fälle aufzufinden sind in denen Grapscher bestraft wurden. Wie anders als „falls“ hätte ich es formulieren können?

          • Korrekturleserin sagt:

            Ehrlich gesagt scheint mir die Fälle wurden ernsthaft verhandelt, und es gibt auch mehr Aspekte als nur „ist es Beleidigung oder nicht“. Man mag mit jeweiligen Gerichtsurteilen nicht übereinstimmen, aber man kann doch auch nicht automatisch bei jeder Vergewaltigungsklage von Schuld ausgehen? Sonst könnte man sich Gerichtsverhandlungern auch komplett sparen.
            Der Fall liest sich schon extrem seltsam, ausserdem geht es um mehr als Busengrapschen, eben Vergewaltigung. Also ich für mich ziehe daraus nicht den Schluss Belästigung oder gar Vergewaltigung seien generell straffrei. Im zweitern Fall wurde der Täter doch auch verurteilt?

          • julianeleopold sagt:

            Kannst du einen der Fälle, die du in puncto „bestrafter Grabschen“ ergoogelt hast, mal verlinken? Wie nimmst du Stellung zu den von Charlotte zitierten Rechtsgrundlagen?

          • Korrekturleserin sagt:

            Ich hatte nach dem Artikel „Die straflosigkeit des Busengrapschens“ gegoogelt und das hier gefunden:http://www.juraexamen.info/die-straflosigkeit-des-busengrapschens/ in den cooments wird als Beispiel verlinkthttp://mobil.infranken.de/regional/forchheim/Busengrabschen-kostet-Rentner-2275-Euro;art216,285816

            Rechtsgrundlagen: bin keine Juristin, abet im zweiten Fall wurde doch eine Strafe verhängt? Bei dem Vergewaltigungsfall weiss ich es gerade nicht mehr. Auf jeden Fall scheint mir die Rechtslage nicht schwarz/weiss wie behauptet, sonst müsste nicht so lsnge verhandelt werden. Denke Recht ist auch nicht einfach…

          • Charlotte H. sagt:

            Es scheint, als hättest du die Rechtslage nicht ganz verstanden.

            Hättest du den Artikel von Nina Adelmann, den du gepostet hast gelesen und nicht nur die Kommentare, dann hättest du die gleiche rechtliche Darstellung erhalten wie in dem Artikel oben. Es geht hier nicht um einen juristischen Meinungsstreit. Vielmehr ist die Rechtslage eindeutig: Sexuelle Belästigungen wie das „Busengrapschen“ (solange dabei keine Hämatome entstehen) sind in unserem Rechtsstaat straflos.

            Zu den Urteilen:

            Das Entscheidende in dem Urteil vom OLG Karlsruhe war nicht, ob der Täter wegen irgendeiner Straftat bestraft wurde, sondern, dass er wegen der sexuellen Belästigung straffrei blieb.

            Das BGH-Urteil ist aber weitaus erschreckender. Eine Strafbarkeit des Täters wegen Vergewaltigung wurde abgelehnt, weil die Klägerin sich nicht offensichtlich genug gewehrt hatte (Stöße mit dem Ellenbogen reichen laut BGH nicht aus). Dann wurde geprüft, ob sich der Täter nicht wenigstens wegen Beleidigung strafbar gemacht hat. Aber auch das wurde abgelehnt. Die Gründe dafür wurden in dem Artikel erläutert.

            Mit schwarz und weiß hat das nichts zu tun. Ich sehe nur schwarz.

        • julianeleopold sagt:

          Zum Beispiel, indem du erst deine Nachfragen formulierst, bevor du – wie ich finde – unnötig provokativ und suggestiv Zweifel anmeldest.

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