„Das ist nicht mein Problem“ – die irrsinnige Rezeptpflicht für die Pille danach

Es ist Freitagnachmittag und eine Freundin braucht die Pille danach. Sie geht in das Hospital zum Heiligen Geist in Frankfurt, ein Krankenhaus mit Notambulanz, das gleiche in dem sie aus dem gleichen Grund vier Jahre zuvor schon war. Sie rechnet damit vor 20 Uhr mit dem Rezept in einer Apotheke sein zu können, das Medikament dort abholen zu können.
Im Krankenhaus wird sie angehalten, auf eine Ärztin zu warten, für eine Untersuchung. Die Freundin wundert sich, sie will nicht gynäkologisch untersucht werden, aber sie braucht das Rezept. Ihr wird von einem Krankenpfleger mitgeteilt, dass sie es ohne transvaginalen Ultraschall nicht erhalten könne, so würde das nun mal laufen, sie könne es ja woanders probieren.
Die Freundin macht sich auf den Weg ins nächste Krankenhaus. Dort wird ihr gesagt, dass man ihr nicht helfen könne, da das Krankenhaus keine Gynäkologie habe. Desweiteren würde sie ohne Untersuchung wohl nirgends Erfolg haben, da man ja eine Schwangerschaft ausschließen müsse. Sonst wäre das ja Mord, sagt man ihr. Mord.
Sie beginnt vor Wut zu weinen. Geht zurück ins Hospital zum Heiligen Geist, will dort mit der diensthabenden Ärztin sprechen. Sie ist immer noch aufgelöst, wird vom Pfleger ignoriert. Sie fragt ihn, seit wann das so sei, dass man einen Ultraschall machen müsse, fragt ihn nach der gesetzlichen Grundlage. Er sagt, er wisse das nicht, aber das sei so, er habe da nichts zu entscheiden und könne nichts für sie tun. Sie weiß von einer befreundeten Krankenschwester, dass ein transvaginaler Ultraschall für ein Rezept für die Pille danach keine Pflicht sei, er höhnt, dass die sie ihr dann geben solle. Er bittet sie zu gehen oder es sich zu überlegen, sie will erst mit einer Ärztin sprechen. Da droht er ihr, die Polizei zu rufen, wenn sie jetzt nicht ginge. Ein anderer Arzt kommt, bittet den Pfleger die Ärztin anzurufen, diese kommt. Und erklärt das gleiche: kein vaginaler Ultraschall, kein Rezept. Sie halte sich nur an Vorgaben ihres Chefs. Die Freundin fragt, ob sie riskieren soll, schwanger zu werden und abtreiben zu müssen, die Ärztin sagt, das sei nicht ihr Problem. Die Freundin weist darauf hin, dass man eine bestehende Schwangerschaft mit einem hCG-Test auch weniger invasiv feststellen könne, doch nichts hilft. Sie wird weggeschickt.
Zu keiner Zeit kann sie ein Vier-Augen-Gespräch mit einer Ärztin führen, zu keiner Zeit wird darauf eingegangen, wie es ihr geht, welche Gründe sie dafür haben könnte, nicht mit dieser Untersuchung einverstanden zu sein, obwohl sie aufgelöst ist und weint.
„Du musst dich regelrecht vergewaltigen lassen, denn so fühlt sich das für mich an, das ist der Grund nach dem mich niemand gefragt hat, der Grund weshalb ich diese Untersuchungen hasse.“
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Für die, die ihm noch nicht begegnet sind: ein vaginales Ultraschallgerät sieht ein bisschen aus wie ein Dildo, ist ein langer Stab mit einem einem etwas breiteren Schallkopf und wird, Überraschung, vaginal eingeführt. Ich kam während meinen Schwangerschaften in den Genuss von einigen sehr unterschiedlichen vaginalen Ultraschallsituationen. Bei einer sehr erfahrenen Ärztin, zu der ich Vertrauen hatte und die gut damit umgehen konnte, schnell und schmerzlos. Während einer Notsituation im Krankenhaus, bei einer Ärztin in Ausbildung, die so viel Kontaktgel benutzte, dass es auf dem Heimweg noch aus mir tropfte, die während der Untersuchung bohrte, schob, drückte und, während sie mir weh tat, schimpfte, dass ich mich mehr entspannen müsse. Bei einer niedergelassenen Ärztin, die erst das Kontaktgel auftrug und dann eine Art Kondom über das Gerät zog, so dass immerhin nichts tropfte. Aber angenehm? Nee. Dabei war ich immer damit einverstanden gewesen, wurde nicht mit einem Ultraschall erpresst, um eine andere Gesundheitsleistung zu erhalten, schäme mich nur so mittel für meine Vulva, habe keine Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt, die diese Untersuchung zur Tortur machen könnten.
Doch ist ein transvaginaler Ultraschall für die Herausgabe der Pille danach wirklich notwendig?
Wenn Ärzt_innen ihn verlangen, wird das damit begründet, eine Schwangerschaft ausschließen zu wollen. Dabei ist bei einer Frühschwangerschaft so früh nicht viel zu sehen, außer z.B. ob ein Follikel geplatzt ist, also ein Eisprung stattgefunden hat oder ob die Gebärmutterschleimhaut aufgebaut ist. Teil des normalen Zyklus. Eine Schwangerschaft gilt offiziell erst als solche, wenn ein befruchtetes Ei sich in die Gebärmutterschleimhaut eingenistet hat. Das lässt sich im Frühstadium durch einen Schnelltest mit Urin oft einfacher und schneller feststellen. Ich bin selbst schon mit positivem Schwangerschaftstest zur Gynäkologin, die mich nach transvaginalem Ultraschall bat, zu einem späteren Termin wiederzukommen, weil noch nichts zu sehen war. Auch für Schwangerschaften in späterem Stadium reicht ein Urintest. Vaginalultraschalle sind zwar ein gutes Mittel, um rechtzeitig festzustellen, wenn sich ein Ei außerhalb der Gebärmutter eingenistet hat, aber um sowas geht es in diesem Fall nicht. Mit einem transvaginalen Ultraschall kann man auch nicht feststellen, ob jemand Geschlechtsverkehr hatte. (Und es überprüfen zu wollen ist unverschämt, demütigend und hat keinen medizinischen Nutzen.) Die meisten Ärzt_innen verlangen ihn nicht.
Muss denn überhaupt für eine Herausgabe der Pille danach die Schwangerschaft festgestellt werden?
Nein. Die Pille danach verzögert, wenn zur rechten Zeit gegeben, einen Eisprung, erschwert die Einnistung eines befruchteten Eis. Gegen eine bestehende Schwangerschaft richtet sie nichts aus, schadet einem Embryo nicht. Es gibt seit 2009 noch eine 5-Tage-Pille (auf der Basis von Ulipristalacetat), die teurer ist und deren Auswirkungen auf bereits bestehende Schwangerschaften noch nicht erforscht sind (so wie bei ungefähr jedem Medikament, Arzneimittelforschung an Schwangeren ist, sagen wir mal, unüblich), aber es ist möglich, darüber aufzuklären, dass es unterschiedliche Pillen gibt, auf diese Pille zu verzichten und stattdessen ein Präparat auf der Basis von Levonorgestrel zu verschreiben.
Es gibt genügend Medikamente, die stärkere Nebenwirkungen haben als die sogenannte „Hormonbombe“ Pille danach (fo realz: dann ist eine Schwangerschaft der Krieg der Hormone), und sie sind freiverkäuflich (lebensgefährlicher Leberschaden mit Paracetamol, anyone?). Und es gibt so viele Gelegenheiten, in denen man Medikamente verordnet bekommt, die unter Umständen einer Schwangerschaft schaden könnten oder deren möglicher Schaden noch nicht erforscht ist (Anästhesie, Psychopharmaka), für die es reicht, auf einem Blatt Papier „schwanger ja/nein“ anzukreuzen oder die Frage mündlich zu beantworten, sofern man überhaupt danach gefragt wird, und für die man keinen Urintest oder gar Ultraschallnachweis erbringen muss, um behandelt zu werden. Und nicht zuletzt kann man das Rezept für die Pille danach auch bei Haus- und Allgmeinärzt_innen bekommen.
Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe empfielt zwar Untersuchung und Rezeptpflicht zu erhalten, um zu überprüfen, ob es Anzeichen für eine Gewaltproblematik gebe und zu verhindern, dass Frauen nach der Aushändigung des Arzneimittels in dieselbe Situation zurückgingen, in der der ungeschützte Geschlechtsverkehr stattgefunden habe. Das klingt für mich jedoch nach einem vorgeschobenen Grund. Eine transvaginale Ultraschalluntersuchung eignet sich nicht, um Gewalt festzustellen oder gar zu verhindern, eine erzwungene Ultraschalluntersuchung, um die Pille danach zu erhalten, ist eine zusätzliche Gewaltsituation (man spricht bei vaginaler Penetration gegen den eigenen Willen üblicherweise von Vergewaltigung) und nimmt einer von Gewalt betroffenen Person die Mündigkeit, selbst Gesprächszeitpunkt und -ort zu wählen, ganz abgesehen davon, dass es einer von häuslicher Gewalt betroffenen Person ganz sicher nicht hilft, wenn der Zugang zu schwangerschaftsverhütenden Medikamenten eingeschränkt ist. Nicht zuletzt steckt im Vorwurf, Frauen gingen bei Rezeptfreiheit der Pille danach zurück in Gewaltverhältnisse, eine ordentlich Portion Victim Blaming. Nicht cool, DGGG, nicht cool.
Es gibt einfach keinen guten Grund für einen vaginalen Ultraschall. Warum wird das dann überhaupt gemacht?
Ich habe einige Ideen. Zum Beispiel denke ich an den Versuch in nicht wenigen Bundesstaaten in den USA, (transvaginale) Ultraschalle vor Abtreibungen gesetzlich zur Bedingung zu machen (pdf). In acht Staaten ist es Pflicht, in zwei davon muss das Ultraschallbild gezeigt und beschrieben werden. (In vier dieser Staaten “dürfen” Schwangere immerhin weggucken.) Das hat zum einen den Zweck, Schwangere zu beschämen (die Hoffnung, dass sie sich bei einem sichtbaren Herzschlag gegen eine Abtreibung entscheiden) und ist zum anderen eine Restriktion, die den Zugang zu Abtreibungen erschwert, weil viele für den Besuch einer der wenigen Kliniken, die noch Abtreibungen vornehmen, oft Stunden fahren müssen und diese Reise so ein zusätzliches Mal aufbringen müssen. Medizinische Gründe gibt es dafür nicht, auch Ärzt_innen wehren sich dagegen.
Eine andere Idee hat mit Geld zu tun. Einen Ultraschall durchzuführen ist kostspieliger als einen Teststreifen in Urin zu halten oder ein Gespräch zu führen. Soweit ich weiß, verdienen Ärzt_innen, beziehungsweise Krankenhäuser an solchen Untersuchungen, sofern sie privat abgerechnet werden. Auch wenn man die Pille danach selbst bezahlen muss, wenn man über 20 Jahre alt ist, die Behandlung, die zu einem solchen Rezept führt, ist eine Kassenleistung. Trotzdem gibt es immer wieder Fälle, in denen Ärzt_innen, obwohl das verboten ist, mit dem Unwissen ihrer Patientinnen spielen und Beratung oder sogar Untersuchung und Ultraschall privat in Rechnung stellen.
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Die Freundin geht einige Stunden später mit Begleitung ins Bürgerhospital. Dort erhält sie das Rezept ohne Wartezeit nach einem kurzen, freundlichen Gespräch, in dem nur geklärt wird, wann die letzte Periode war, wann der Geschlechtsverkehr stattfand und sie darauf hingewiesen wird, die Tablette schnell zu nehmen und einen Nachfolgetermin mit ihrem_ihrer Gynäkolog_in zu machen. Das ist alles. Sie hat Glück, wohnt immerhin in einer Großstadt, hat in Frankfurt mehrere Krankenhäuser mit unterschiedlichern Trägern zur Wahl.
Aber was wäre, würde sie in einer ländlicheren Region leben? Was, wenn sie von einem einzigen Krankenhaus abhängig wäre, kein Auto zur Verfügung hätte oder abends keinen zuverlässigen öffentlichen Nahverkehr?
Der Kampf um reproduktive Rechte wird zur Zeit weltweit weniger über Verbote und immer mehr über Zugangsbeschränkungen ausgetragen. Das Problem steckt sowohl in Lehrmeinungen als auch uninformiertem Personal, ist krankenhausspezifisch und kulturell, klebt strukturell in der Gynäkologie des Hospitals zum Heiligen Geist wie in einer misogynen Gesellschaft. Menschen mit Uterus wird nicht zugestanden, eigene Entscheidungen über ihren Körper zu treffen. Das Machtgefälle, das zwischen Ärzt_innen und Patient_innen besteht, zeigt sich daran besonders krass.
Es geht nicht nur um katholische Krankenhäuser wie in Köln, Augsburg, Regensburg, Oldenburg, Münster und dass diese vergewaltigten Frauen Abtreibungen und sogar Verhütung verweigern (oder bei der Pille danach aus Unkenntnis Abtreibung und Verhütung miteinander vermischen). Das Hospital zum Heiligen Geist in Frankfurt ist ein Stiftungskrankenhaus, nicht in kirchlicher Trägerschaft. Zugang zu Notfallkontrazeptiva sollten nicht nur vergewaltigte Frauen haben. Und Krankenhäuser sollten sich nicht dadurch auszeichnen, dass sie Hilfesuchenden medizinische Versorgung verweigern.
Rezeptfreiheit nao!
Allesallesalles ruft nach Rezeptfreiheit für die Pille danach. Die Weltgesundheitsorganisation empfielt es. In fast allen europäischen Ländern (Ausnahme: Polen, Italien und Deutschland) und in den USA ist sie bereits rezeptfrei erhältlich. Keine Wartezeiten oder Ablehnung in Krankenhäusern oder Praxen mehr, also auch eine bessere Wirksamkeit durch schnellere Einnahme. Geringere Abhängigkeit von infrastrukturellen Gegebenheiten. Die Möglichkeit wie bei anderen Medikamenten auch, eine Notration für den Fall der Fälle vorher zu besorgen. (Sie dann schneller einnehmen zu können.) Sich nicht rechtfertigen müssen, sich für einen Verhütungsunfall nicht beschämen lassen zu müssen, nicht mehr bevormundet zu werden und diese Entscheidung über den eigenen Körper selbst treffen zu können. Die Pille danach auch von anderen Menschen besorgen lassen zu können, die Verantwortung für (Notfall-)Verhütung besser teilen zu können.
Beratung, zum Beispiel zu Unverträglichkeiten mit anderen Medikamenten, können auch Apotheken leisten. Wenn die Pille danach rezeptfrei wäre, wäre sie leichter zugänglich für Jugendliche, angenehmer und konfliktfreier zu erhalten für Trans*Männer und genderqueere Menschen mit Uterus, unkomplizierter zu besorgen für Menschen, die nicht stundenlang in Krankenhäusern rumwarten können, weil sie Erwerbs- und oder Pflegearbeit leisten müssen. Und niemand müsste mehr mit einem vaginalen Ultraschall erpresst werden.
Was für Erfahrungen habt ihr gemacht? Welche Hindernisse musstet ihr auf dem Quest zur Pille danach überwinden? Was ging gut? Und was wünscht ihr euch?
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Die Pille danach – Mythen und Wirklichkeit (pdf, pro familia)
Nachtrag:
Einen Tag nach diesem Text hat der Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages beschlossen, die Verschreibungspflicht von Notfallverhütungsmitteln nicht aufzuheben.
Auf Twitter ging am gleichen Tag der Hashtag #wiesmarties herum und aus der Idee, sich untereinander beim Zugang zu Notfallkontrazeptiva zu helfen, wurde der Account Freie Pille Danach gegründet.
Hier in den Kommentaren gab es die Idee, eine Website aufzusetzen, bei der man auf einer Karte eintragen kann, bei welchen Krankenhäusern und Ärzt_innen der Versuch, die Pille danach zu bekommen, mit Problemen verbunden war. Kann und will jemand mit Skills und Zeit sich daran setzen, so eine Seite zu bauen und zu betreuen? Es wäre so toll! Butzelmann aus den Kommentaren hat sich gekümmert, dankeschön! Hier könnt ihr eure positiven wie negativen Erfahrungen eintragen.
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