„Nichts könnte romantischer und erhabener sein als ein Königreich, das dem Untergang geweiht ist“ – Interview mit Vampire Weekends Ezra Koenig

Von links nach rechts: Chris Tomson, Chris Baio, Rostam Batmanglij, Ezra Koenig – Foto © , by Alex John Beck

Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Daniel Gerhardt.

Daniel lebt in Dortmund und schreibt von dort aus für die Musikmagazine Visions, Spex und Juice über: #Musik, #Serien, #Filme. @punch_drunk_dan

Vampire Weekend erscheinen 2008 auf der Bildfläche und sind sofort eine der umstrittensten Bands der Poplandschaft. Ihre Mischung aus verschmitztem Indierock, Afrobeat-Einflüssen und Produktionsweisen, die sonst eher im HipHop üblich sind, bringt ihnen gute Kritiken und Verkaufszahlen ein. Es gibt aber auch Hörerinnen und Hörer, die sich an der überdrehten Verspieltheit ihrer Musik stören – ganz zu schweigen von Auftreten und Herkunft der Band aus Manhattan.

Vampire Weekend kultivieren ein Preppy-Boy– und Ivy-League-Image, das ihnen oft als künstlich und elitär ausgelegt wird. Segelschuhe, Polohemden und geschniegelte Frisuren bilden die Banduniform, im schlimmsten Fall wirft noch jemand ein Sweatshirt über die Schultern. Viele Leute finden das zu schnöselig, vielleicht auch zu unmännlich für eine Rockband.

Dem Erfolg von Vampire Weekend tut das keinen Abbruch. Im Januar 2010 erscheint ihre zweite Platte „Contra“, sie erreicht Platz eins der US-Albumcharts und wird wie ihr Vorgänger in mehreren Ländern mit Goldenen Schallplatten ausgezeichnet. Die Band erweitert ihren Stil darauf um elektronische Elemente und besinnliche Momente, die mit „Modern Vampires Of The City“, ihrem neuen Album, das am 10. Mai erschienen ist, nochmals verfeinert werden. Zum Interview haben wir Sänger und Gitarrist Ezra Koenig Ende Februar in Berlin getroffen. Der 29-jährige sitzt, hockt oder liegt je nach Gesprächsphase auf einem schönen Hotelsofa. Er erzählt von der Fröhlichkeit seiner Band, erklärt die Faszination des Verfalls und räumt ein, dass er als Mitglied von Pussy Riot nicht zu gebrauchen wäre.

kleinerdrei: „Modern Vampires Of The City“ ist eurer drittes Album, und ähnlich wie auf den Vorgängern strahlen selbst die düstersten Lieder eine anscheinend unzerstörbare Grundfröhlichkeit aus. Könntest du dir vorstellen, jemals Musik zu machen, in der diese Fröhlichkeit fehlt?

Ezra Koenig: Nein. Wir nennen es nicht unbedingt „Fröhlichkeit“, eher „Verspieltheit“ oder einfach „Humor“, aber diese Eigenschaften müssen jeden unserer Songs auszeichnen. Ich empfinde das auch nicht als einschränkend. Wir können alle möglichen Gefühlslagen erforschen und trotzdem im Herzen eine freudvolle Band sein. Jeder von uns würde sich als Optimist bezeichnen, also ist es nur folgerichtig, dass wir auch so klingen. Das muss immer so bleiben, denn ich möchte nicht, dass wir irgendwann reife oder erwachsene Musik machen.

kleinerdrei: Die meisten Hörerinnen und Hörer halten euch wahrscheinlich immer noch für eine Indierock-Band, aber ihr habt das neue Album mit dem Produzenten Ariel Rechtshaid aufgenommen, der in Mainstream-Rap und -R’n’B-Kreisen gerade sehr gefragt ist. Die beiden Welten scheinen sich nicht nur bei euch aufeinander zuzubewegen.

Ezra Koenig: Für mich ist heute eigentlich alles Post-HipHop. HipHop beeinflusst, wie die Menschen Musik schreiben und aufnehmen, sogar wie sie darüber nachdenken. Man kann erst einen Beat am Computer produzieren und dann einen ganzen Song obendrauf schreiben. Man kann Samples benutzen, weil sie gut klingen oder weil man sich eine schöne Melodie aneignen will. Songwriting und Produktion werden auch in der Rockmusik immer mehr als Einheit begriffen. Zu einer guten Aufnahme gehört heute mehr als ein toller Song, und das ist auf jeden Fall eine Idee, die aus dem HipHop kommt.

kleinerdrei: Du sahst gerade nicht sehr glücklich aus, als ich Vampire Weekend als Indierock-Band bezeichnet habe.

Ezra Koenig: Wir verstehen uns selbst absolut nicht als Rockband. Als HipHop-Band natürlich auch nicht, aber wir glauben, dass es Zusammenhänge zwischen unserer Musik und Rap, R’n’B oder elektronischer Musik gibt. Jeder unter 30 hört heute eigentlich alles. Niemand fühlt sich mehr einem bestimmten Genre verpflichtet. Das soll man uns anhören.

kleinerdrei: Euer Auftreten war ja auch von Anfang an sehr „unrockig“. Das Preppy-Boy-Image, das ihr durch eure Outfits, Videos, Albumcover und Konzerte kultiviert habt, hat sogar ziemlich schnell zu einem Backlash geführt. Ihr wurdet als Schnösel bezeichnet.

Ezra Koenig: Wir sind halt einfach keine Rocktypen. Ich hatte auf dem College ein HipHop-Projekt, andere von uns haben elektronische Musik gemacht. Eine Band mit klassischer Besetzung war also zunächst völliges Neuland für uns. Wir haben uns gewissen Zwängen und Limitierungen unterworfen, aber wir haben auch unsere eigenen Vorstellungen davon gehabt, wie eine Band klingen und aussehen sollte. Es ist uns nie schwer gefallen, die typischen Rockband-Regeln zu brechen, eben weil wir keine Rockband sein wollten. Nicht jeder Song braucht eine Gitarre, nicht jeder Song braucht ein Schlagzeug. Wenn wir Drum-Machines verwenden wollen, machen wir das einfach.

kleinerdrei: Und du glaubst, dass deine Post-HipHop-Theorie zu mehr musikalischer Toleranz geführt hat, sowohl bei Musikerinnen und Musikern als auch bei Hörerinnen und Hörern?

Ezra Koenig: Es ist wahrscheinlich wie immer, wenn sich etwas verändert: Manche Leute reagieren darauf mit Offenheit, andere reaktionär oder konservativ. Es gibt Menschen, die bis heute nicht glauben können, dass weiße Jungs aus der Mittelschicht HipHop hören. Und eine Zeit lang gab es Rockmusiker, die sehr bemüht und verklemmt mit HipHop umgegangen sind. Für mich ist das ein Merkmal des Alternative Rock aus den späten neunziger Jahren: verklemmte weiße Männer, die sich plötzlich einen DJ in die Band geholt haben. Ich fand das immer unglaubwürdig, und ich würde behaupten, dass Bands wie wir einen natürlicheren, zwangloseren Umgang mit HipHop-Einflüssen pflegen. Wir sind einfach ganz anders damit aufgewachsen.

kleinerdrei: Über „Modern Vampires Of The City“ habt ihr ihm Vorfeld gesagt, dass es sich wie der letzte Teil einer Trilogie anfühle, ohne dass ihr das vorher geplant hättet. Warum ist das so?

Ezra Koenig: Ich denke, man kann die Alben schon gut hintereinander hören, auch wenn ich das niemandem empfehlen würde. Und ich höre Zusammenhänge zwischen einzelnen Songs, sowohl thematisch als auch stilistisch. Unser Debütalbum sehen viele Leute als reine Spaßplatte, aber der letzte Song darauf schlägt bereits einen anderen Ton an, der dann auf der zweiten Platte weiterverfolgt wurde. Diesmal ist es ähnlich: „Modern Vampires“ kann nur mit einem so ruhigen Song wie „Obvious Bicycle“ beginnen, weil der letzte Song des Vorgängers das möglich gemacht hat.

kleinerdrei: Aber warum muss das neue Album dann unbedingt ein Abschluss sein? Es könnte doch auch der dritte Teil in einer noch längeren Serie sein.

Ezra Koenig: Im Moment fühlt es sich einfach nach dem Ende eines Abschnitts an. Natürlich kann uns passieren, dass wir in zwei Jahren doch wieder mit einer Platte ankommen, die eine Fortsetzung ihrer Vorgänger ist. Aber selbst dann werden die ersten drei Platten immer diejenigen sein, die wir in unseren Zwanzigern gemacht haben. Sie sind unsere Coming-of-Age-Alben mit denen wir den Charakter von Vampire Weekend gezeichnet und offen gelegt haben. Ich sehe uns nicht mehr als College-Band, nicht mehr als Preppy-Band, noch nicht mal als Gitarrenband. Wir haben eine Identität, die all diese Attribute übersteigt.

kleinerdrei: Ihr werdet schon immer als New Yorker Band wahrgenommen, aber erst auf dem neuen Album geht es auch explizit um die Stadt. Mir ist aufgefallen, dass dein New-York-Bild sehr prachtvoll und romantisch ist, ein bisschen wie in den zwanziger Jahren bei F. Scott Fitzgerald. Empfindest du die Stadt wirklich noch so? Oder singst du über eine Version von New York, die es gar nicht mehr gibt?

Ezra Koenig: Die Stadt ist immer noch prachtvoll und romantisch. Diese Eigenschaften sind einfach Teil ihrer DNA, egal wie sehr sie sich verändert. Aber mein New-York-Bild wird tatsächlich sehr von der Geschichte der Stadt beeinflusst. Es gibt mein New York, das New York meiner Eltern und das New York unserer Vorfahren, die aus der alten Welt übergesiedelt sind. All diese Versionen der Stadt prägen mich, viel mehr sogar als ich früher dachte. Ich habe mir immer eingeredet, dass ich überall leben könne, aber in Wahrheit bin ich ein Provinz-New-Yorker. Ich glaube nicht, dass ich zu einem anderen Ort eine ähnlich enge Verbindung aufbauen könnte.

kleinerdrei: Hältst du es für wichtig, dass eure Musik den Zeitgeist ihrer Entstehung reflektiert? Muss man ihr anhören, wann und unter welchen Umständen sie gemacht wird?

Ezra Koenig: Nicht in dem Sinn, dass wir Statements zur tagesaktuellen Politik abgeben wollten. Kunst ist besser darin, Fragen aufzuwerfen, Stimmungen zu erforschen, die Nuancen abzubilden. Aber das ist mir in der Tat wichtig.

kleinerdrei: Welche Rolle spielen denn die Erhabenheit und Romantik, die „Modern Vampires“ ausstrahlt, momentan in New York, den USA oder der Welt insgesamt? Ich persönlich würde nicht sagen, dass wir im Zeitalter der Romantik leben.

Ezra Koenig: Derzeit breitet sich eine gewisse Endzeitstimmung unter den Menschen in den USA aus. Das mächtigste Land der Welt befindet sich im Verfall. Die Leute sind besessenen von der Apokalypse. Und das Lustige daran ist: Nichts könnte romantischer und erhabener sein als ein Königreich, das dem Untergang geweiht ist. Deshalb entwickeln sich die Gedanken an das Ende von etwas Großem auch immer schon sehr früh. Meistens dann, wenn eigentlich noch alles halbwegs glatt läuft. Dem bevorstehenden Untergang wohnt eine Art düstere Schönheit inne. Viele Leute ziehen nicht deshalb nach New York, weil sie es für einen besonders glücklichen Ort halten. Sie sind von den dunklen Seiten der Stadt fasziniert.

kleinerdrei: Klingt nach einer Art Katastrophentourismus.

Ezra Koenig: Selbst ein wankender Riese wie New York hat eben große Macht über die Leute, die dort leben. Das ist ganz normal, die Menschen fühlen sich seit jeher zum Unglück hingezogen. Daher auch die ganzen Babylon– und Zion-Anspielungen in meinen Texten: Das sind Bilder, die sich auf die Antike zurückbeziehen, auf Ideen, die tausende von Jahren alt sind. Trotzdem treffen sie noch immer einen Nerv bei den Menschen.

kleinerdrei: Glaubst du, dass sich die Geschichte gerade wiederholt? Fitzgerald hat schon vor 100 Jahren über den Untergang von New York geschrieben.

Ezra Koenig: Auch das ist lustig: Irgendwas scheint eigentlich immer irgendwo zu Neige zu gehen. Ist Verfall vielleicht einfach der natürliche Zustand unseres Daseins? Jetzt wird es vielleicht ein bisschen prätentiös, aber der Grund dafür, dass der Dollar vor die Hunde geht und New York auseinanderfällt, ist doch, dass sich die Menschen immerzu Gedanken um den Tod machen. Der Mensch muss sich mit der eigenen Sterblichkeit arrangieren, das ist seine größte Aufgabe. Kein Wunder also, dass jede Generation denkt, sie wird die letzte auf Erden sein. Schon vor 2.000 Jahren glaubten die Leute, die Welt würde bald untergehen. Heute lachen wir darüber, aber über unsere eigene Angst vor dem Ende lachen wir nicht.

kleinerdrei: Und was genau ist daran jetzt so romantisch?

Ezra Koenig: Die Angst vor dem Ende weckt auch Hoffnung und Verlangen. Würde alles glatt laufen, gäbe es in New York keinen Platz für Kunst, schon gar nicht für romantische. Die Stimmung dort ist aber angespannt, die Künstlerinnen und Künstler sind besonders leidenschaftlich. Deshalb schien mir der sarkastische Unterton, den vor allem unsere erste Platte hatte, für das neue Album unangebracht. Auch wir wollten leidenschaftlicher klingen. Auch wir fühlen uns zur dunklen Seite von New York hingezogen. Batman ist nicht umsonst der populärste aller Superhelden.

kleinerdrei: Trotz allem sollte man natürlich nicht vergessen, dass eure Alben in einem sehr sicheren Umfeld entstehen und oft von Problemen handeln, die viele andere Menschen gerne hätten. Wünschst du dir manchmal selbst, dass für euch mehr auf dem Spiel stünde, dass eure Musik gefährlicher sein könnte? Ich meine das gar nicht als Vorwurf, aber ihr seid nun mal nicht Pussy Riot.

Ezra Koenig: Gott sei dank nicht. Ich bin ein sehr risikoscheuer Typ und in Gefahrensituationen für nichts zu gebrauchen. Ob Kunst gefährlich sein muss, kann ich also gar nicht beurteilen. Ich bin aber überzeugt davon, dass sie die Menschen in verschiedenen Situationen auf verschiedene Weise zum Denken bringen muss. Wenn die russische Regierung die Meinungsfreiheit in extremer Weise beschneidet, muss darauf mit extremen Mitteln reagiert werden. In den USA ist die Regierung kompliziert. Sie hat verschiedene Facetten, viele davon sind gut, ebenso viele sind schlecht. Als Künstler ist es meine Aufgabe, darauf mit Besonnenheit zu reagieren, die Nuancen zu erkennen und zu betonen. Denn natürlich hast du recht: Wir leben in einem vergleichsweise sicheren und reichen Land. Alles was wir tun, muss auch unser Bewusstsein über dieses Privileg zum Ausdruck bringen.

 

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