Der heilige Zustands-Gral heißt „Get your shit together“ – Über die Serie „Girls“

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Seit April 2012 läuft die Serie „Girls“ auf HBO. Die 2. Staffel ging vor kurzem zu Ende und der Dreh für die 3. Staffel beginnt dieser Tage. Ein guter Zeitpunkt also, um euch die in den Staaten bereits viel besprochene Serie (ohne Spoiler) näher zu bringen und zu schauen, was sie eigentlich ausmacht.

„Girls“ dreht sich um vier junge Frauen in New York, die Anfang bis Mitte zwanzig sind und sich in dieser Lebensphase ausführlich mit Grenz- und entsprechender Selbstfindung beschäftigen. Denn während es im Teenie-Alter für die Außenwelt noch halbwegs okay ist, wenn man orientierungslos und ohne großen Plan ist, sieht das am Ende dieser Altersphase und erst recht Anfang zwanzig schon ganz anders aus. Plötzlich steht man unter dem riesigen Druck, doch nun endlich mal etwas Richtiges mit seinem Leben anfangen und etwas aus sich zu machen zu müssen. Was das ist, hat natürlich weniger mit Selbstverwirklichung und vielmehr mit gesellschaftlichen Erwartungen zu tun. Bei „Girls“ steht daher berufliche Selbsterfüllung vs. Miete bezahlen, wird Casual Sex gegenüber Dating und Langzeitbeziehungen gestellt und kollidiert immer wieder eigenes Wollen mit den Erwartungen des persönlichen Umfelds. Get your shit together ist der heilige Zustands-Gral, den die Hauptfiguren Hannah, Marnie, Jessa und Shoshanna fortwährend suchen und mehr schlecht als recht erreichen.

Wer jetzt an „Sex and the City“ denkt, denkt allerdings in die falsche Richtung.

Hannah, Marnie, Jessa und Shoshanna

Hannah (Lena Dunham) ist der Hauptcharakter der Serie und angehende Schriftstellerin. Sie hat ein paar Ticks, noch mehr Komplexe und vor allem aber große Träume in Bezug auf ihre Karriere. Wir lernen sie kennen als ihre Eltern entscheiden, dass sie finanziell nun auf eigenen Füßen stehen soll, obwohl alles was Hannah gerade hat, ein (natürlich) unbezahltes Praktikum ist. Charakterbildung nennen es die Eltern – sie empfindet es in ihrer typischen, liebenswürdigen und doch auch nervigen Art als pure Grausamkeit.

Marnie (Alison Williams) ist Hannahs beste Freundin seit sie gemeinsam die Uni besuchten. Sie wohnen zusammen in Greenpoint, Brooklyn und mit ihrem Job als Assistentin einer Kunstgalerie ist Marnie so etwas wie die Vernünftige dieser Wohngemeinschaft. Das ändert jedoch nichts daran, dass sie auch mit ihr nahe stehenden Menschen schon mal oberflächlich und abfällig umgeht.

Jessa (Jemima Kirke) bewegt sich zwischen Hippie und Hipster. Sie war auch mit auf der Uni, lernt ihre Lebenslektionen jedoch lieber auf dem gesamten Globus und tobt sich auch sonst ordentlich aus. Das macht sie als Person nicht gerade immer sensibel für Andere, aber dafür sympathisch direkt sobald ihr Bullshit-Detektor anspringt.

Shoshanna (Zosia Mamet) ist die Jüngste, Unsicherste im Bunde und eine Cousine von Jessa. Sie hat ihr Studium gerade begonnen und zeitgleich den Versuch, sich mehr mit der Männerwelt zu beschäftigen. Ihre größte Last besteht nämlich darin, mit 21 noch Jungfrau zu sein. Sie redet viel und schnell, ist Fan von „Sex and the City“ und geradezu erfrischend naiv, wo die anderen Mädels bereits etwas abgebrüht sind.

Sie alle sind in erster Linie furchtbar mit sich selbst beschäftigt und Freundschaft scheint manchmal fast nur ein Nebenprodukt ihrer aufeinander geprallten Leben zu sein. Das klingt nun alles nicht nach konkreten Identifikationsfiguren und in ihrer Ambivalenz sind sie es oft auch nicht – zumal sie es kaum schaffen, über ihren eigenen Tellerrand hinauszublicken. Aber um dann doch mal den äußerst hinkenden Vergleich zu bemühen: Ich kann noch weniger behaupten, dass ich mich jemals mit einer Carrie, Samantha, Charlotte oder Miranda identifiziert hätte. Mancherorts und besonders zu Beginn von „Girls“ wurde der Vorwurf geäußert, sie würde das Leben in New York und besonders das in Brooklyn, Greenpoint nicht korrekt abbilden. Nun, natürlich kann das keine Serie, sofern der Cast nicht mindestens auf „The Wire“-Eposniveau angelegt ist, aber den Anspruch hatte „Girls“ meiner Meinung nach auch nie, sondern er wurde eben unterstellt. Zwar lautet der Titel „Girls“, doch verweist dieser vielmehr auf Identitätsfindung als Kernthema der Serie, denn auf die Repräsentation aller weiblichen Wesen einer Stadt, eines Stadtteils oder gar einer Generation.

Comedy und Drama

Ich hatte jedenfalls genau ab dem Punkt Freude an „Girls“, als ich erkannte, dass ich die jungen Damen gar nicht durchweg mögen muss und das Genre Comedy Drama als Erzählform annahm. Geht man nämlich von entweder nur dem einen – Comedy – oder dem anderen – Drama – aus, wirkt „Girls“ doch ziemlich verstörend.

Dennoch sind Hannah, Marnie, Jessa und Shoshanna auf ihre Weise auch einfach äußerst ehrliche, zugleich extrem liebenswürdige, (ungewollt) witzige und liebevolle (Anti-)Heldinnen. Das beste Beispiel hierfür ist eine Szene zwischen Hannah und Jessa, die in der 2. Staffel gezeigt wurde und seitdem zu meinen absoluten Lieblingen gehört (keinerlei Spoilergefahr):

Wir sehen sie (er)wachsen, lernen und trotzdem wieder auf die Schnauze fallen. Es sind Ausschnitte aus Leben, die vielleicht nicht das eigene widerspiegeln, aber an gewissen Punkten dann eben doch mal weniger und mal heftiger daran vorbeischrammen. Wenn zum Beispiel Hannah mit einer Deadline im Nacken unter einer Schreibblockade leidet, wird eben auch das komplette „Tagelang völlig fertig im Schlaf-Shirt auf den leeren Bildschirm starren und trotzdem allen erzählen dass es super läuft“-Elend gezeigt, wenn sie sichtlich zwischen Anspruch, Wunsch und Wirklichkeit zermalmt wird.

Unsicherheit und Comfort zone

Für mich ist das die Stärke von „Girls“ und zeigt, dass Lena Dunham in der von ihr kreierten Serie nicht nur auf mehreren Ebenen die Hauptrolle spielt, sondern auch eine gewisse Vision verfolgt. Dabei kann ich jedoch ebenso alle verstehen, die die Serie wegen dieser, vielleicht manchmal doch zu dicht an den eigenen Unsicherheiten kratzenden, Darstellung nicht anschauen können. So wie „Girls“ es seinen Figuren erlaubt, sich auch mal richtig beschissen und/oder bescheuert zu fühlen, erlaubt es seinen Zuschauerinnen und Zuschauern eben nicht immer nur mit einem eindeutig guten oder schlechten Gefühl aus der Folge zu gehen.

Besonders schmerzhaft fand ich diese Erkenntnis angesichts eines Plots um eine emotional ausbeutende und damit auch gewaltvolle Beziehung. Denn während man vor dem Bildschirm die ganze Zeit nur „GTFO!“ denkt, wird den Beteiligten nicht bewusst, worin sie sich befinden, werden bestimmte Quälereien sogar noch romantisiert und Bewusstsein und Konsequenzen folgen erst sehr spät. Aber auch wenn das nicht immer einfach mitanzusehen ist: Es ist nun einmal auch symptomatisch dafür, wie solche Beziehungen verlaufen.

Ansonsten wäre noch das Thema Körperlichkeit zu nennen, das „Girls“ durchaus besonders macht und nicht nur im Kontext von meist unprätentiösem Sex eine Rolle spielt. Denn Hannah entspricht nicht der Normschönheit, die uns sonst in Film und Fernsehen als gegeben vermittelt werden soll und ist trotzdem, auch in entsprechenden Alltagssituationen (siehe Video weiter oben) immer wieder (halb)nackt zu sehen. Ein Fakt der gut tut, da man sich kaum daran erinnern kann, ob und wann es so eine weibliche Figur (Wortspiel beabsichtigt) schon einmal zu sehen gab. In den Staaten, wo die amerikanischen Verhältnisse herrschen, ist ihre Nacktheit natürlich auch oft negativ thematisiert worden, aber ich lehne mich mal aus dem Fenster und behaupte, dass dies auch in anderen, vermeintlich progressiven Ländern wie Deutschland eine ähnliche Diskussion nach sich ziehen würde.

Mein Fazit: Ich würde nicht sagen, dass „Girls“ alles richtig macht, aber dass es bestimmte Dinge im vor Stereotypen strotzenden Kontext namens Fernsehumfeld bewusst anders macht, finde ich wirklich toll. Diese Art von TV sehe ich sonst nirgends und kann mich auch nicht an vergangene Beispiele erinnern, die ihr nahe kommen. Insofern gilt für mich, dass „Girls“ zwar bislang keine Lieblingsserie ist, sie sich aber – vielleicht mal abgesehen von deren Ende – besonders mit der 2. Staffel auf dem Weg in eine sehr gute Richtung befindet. Ich warte nun jedenfalls gespannt auf Staffel 3.

9 Antworten zu “Der heilige Zustands-Gral heißt „Get your shit together“ – Über die Serie „Girls“”

  1. Claire sagt:

    Was ich mich bisher immer gefragt habe, würde eine Serie, die nur aus männlichen Protagonisten des gleichen Alters von Hanna & Co. bestehen würde, jemals „Boys“ genannt werden?! Dennoch: Serienstoff in zartbitter. Man möchte eigentlich keine der Figuren sein und doch sieht man Fragmente von sich selbst in allen von ihnen. Hannas häufige Nacktheit hat mich zu Beginn aber auch gestört (obwohl ich ihren nackten Körper ebenfalls als Befreiungsschlag sehe) weil ich dachte, ok, aber auch coole Frauenfiguren dürfen gerne ihre Klamotten anbehalten, inzwischen finde ich diese Konsequenz (These: Leitmotiv?) aber gut, weil es einen eben immer wieder verdeutlicht, quasi trotzig-rotzig, dass ein solcher nackter Frauenkörper (im Gegensatz zur Männer-überall-Wampe) bisher nicht im TV zu sehen war – nicht mal wenn die Figuren eine Schwangerschaft gespielt haben. Ich hoffe aber sehr, dass [Light-SPOILER] Hanna in Staffel 3 wieder mehr Raum und vor allem Kraft zugesprochen wird. Ihre Power kam mir in Staffel 2 einfach zu kurz.

    • Anne Wizorek sagt:

      Hm, die Frage wäre da vermutlich eher, ob eine „Boys“-Serie den Protagonisten es auf ähnliche Weise erlauben würde, sich so in Selbstfindung zu ergehen?

      „Serienstoff in Zartbitter“ fast es aber gut zusammen, warum ist mir das nicht eingefallen? ;) Mich hat Hannahs Nacktheit am Anfang auch irritiert. Bis ich dann festgestellt habe, dass es für mich wirklich daran lag, dass ich es einfach nicht gewohnt war, *nicht* normierte Körper nackt zu sehen, geschweige denn auf so selbstbestimmte Weise (also nicht mit einem sexualisierten Blick à la Sex sells) – was ja auch sehr krass ist, wenn man drüber nachdenkt. Dass Hannah ihre Komplexe dennoch thematisiert, finde ich sehr gut. Ansonsten liebe ich ja übrigens auch alle Szenen, in denen Hannah tanzt. <3

      http://25.media.tumblr.com/4cd2a04b60bb867bb4746d682aa60020/tumblr_mjnzo4jAQu1qcm0m3o1_400.gif

      Mich hat das Ende der 2. Staffel, nachdem ich sie eigentlich insgesamt als großen Qualitätssprung empfunden habe, ja leider enttäuscht, aber das hängt vermutlich auch mit der von dir erwähnten Entwicklung Hannahs zusammen. Ich bin jedenfalls gespannt, ob es nun in dieser offensichtlichen Weise weitergeht oder wir überrascht werden (was ich hoffe).

    • spicollidriver sagt:

      „[…] würde eine Serie, die nur aus männlichen Protagonisten des gleichen
      Alters von Hanna & Co. bestehen würde, jemals „Boys“ genannt werden?“

      kurz: nein. und ja, das hat wohl leider mit Sexismus und Geschlechterbildern zu tun. man kann wahrscheinlich problemlos zu fast jeder Tageszeit den Fernseher anschalten und bekommt Serien, „Reportagen“ oder sonstwas zu sehen, in denen die weiblichen (Ü20) Beteiligten „Mädchen“ oder „Mädels“ sind, männliche Beteiligte aber tendenziell eher „Männer“ als „Jungs“.

  2. Svenja sagt:

    Schöne Zusammenfassung. Ich mag GIRLS auch sehr gerne.

  3. Kathi sagt:

    Der Artikel fasst sehr gut zusammen, wie es mir beim Sehen ging. Ein wenig enttäuschend empfand ich im Vergleich zu Hannah die drei anderen Hauptfiguren. Sie entsprechen optisch dann doch wieder den „Schönheiten“ von Sex and the city.

  4. die_krabbe sagt:

    Ich schaue GIRLS zwar sehr gerne, finde aber, dass sie zum Ende der ersten Staffel ihren Höhepunkt hatte und seitdem wieder konstant schlechter wird. Wo ich in S01 in vielen Situationen wieder fand oder sie doch zumindest nachvollziehen konnte, fiel mir das in S02 zunehmend schwieriger.

    Die Situationen der Girls wurden immer weiter zugespitzt und übertriebener, wohingegen die Boys für mich die Rolle der Identifikationsfiguren übernahmen. Nie haben mich die Girls in S02 emotional so gepackt, wie die Boys. Deren natürliche Auseinandersetzung mit ihren eigenen Schwächen war unerreicht.

    Während die Männer der Serie nun wie aus dem Leben gegriffen scheinen (natürlich auch mit ihren Übertreibungen) verkommen die Frauen ausnahmslos zu Karikaturen. Und das ist sehr schade.

    Ich habe etwas Angst vor S03.

    @Anne Wizorek: Eine weitere Serie, zu der du so weit ich weiß ja noch keinen Zugang gefunden hast, die sämtliche Konventionen bricht, ist LOUIE. Diese kann man grob ins gleiche Genre stecken (also Dramedy), wobei mir LOUIE viel, viel besser gefällt.

  5. DieLori sagt:

    Hi,
    Für mich ist das die Serie, bei der die meisten Akteure EVER auf dem Klo sitzend spielen :) ich würde sogar soweit gehen zu sagen, dass Klositzen ein eigenes Leitmotiv der Serie ist, neben dem der Nacktheit …
    Aber egal, ich hab mir erst diese Woche beide Staffeln angeschaut u am Anfang hat es etwas gedauert bis ich damit warm wurde, aber dann gab’s kein Halten mehr. Könnte wirklich daran liegen, was du über die Genrezuordnung geschrieben hast. Man hat schon lustigere Serien gesehen, u. sicherlich auch schon dramatischere …. Ich finde die Serie trotzdem wahnsinnig sympathisch. Die Charaktere scheitern zwar dauernd, sind aber Heldinnen, weil sie immer wieder aufstehen. Das ist das Schöne dran.
    Danke für den guten Artikel!

  6. spicollidriver sagt:

    „Denn während es im Teenie-Alter für die Außenwelt noch halbwegs okay
    ist, wenn man orientierungslos und ohne großen Plan ist, sieht das am
    Ende dieser Altersphase und erst recht Anfang zwanzig schon ganz anders
    aus.“

    Und mit ENDE Zwanzig erst. *seufz*

  7. SL sagt:

    Für mich liegt die Stärke (bin noch bei Staffel 1) gerade im Identifikationspotenzial: die unangehmen Situationen, die so krass dargestellt werden, wie ich es aus Popkultur sonst nicht kenne. Wie du es selbst bescheibst: „vielleicht manchmal doch zu dicht an den eigenen Unsicherheiten kratzenden, Darstellung“.