„Wir sind gerade dabei, eine ganze Generation von Mädchen zu versauen“ – Interview mit Kate Nash

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Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Daniel Gerhardt.

Daniel lebt in Dortmund und schreibt von dort aus für die Musikmagazine Visions, Spex und Juice über: #Musik, #Serien, #Filme. @punch_drunk_dan

Im Sommer 2007 wurde Kate Nash vorübergehend zum größten Popstar ihres Landes: Mit der Piano-Pop-Single „Foundations“ und ihrem Debütalbum „Made Of Bricks“ erreichte sie Spitzenpositionen in den britischen Charts, anschließend vermarktete ihre Plattenfirma sie als vorlaute Indierock-Alternative zu Lily Allen. Seitdem hat sich die heute 25-jährige aus dem Londoner Norden als schwer verbiegbare Künsterlin bewährt, die lieber auch mal eine schlechte Geschäftsentscheidung trifft, als sich den eigenen Willen ausreden zu lassen. Für ihr drittes Album „Girl Talk“, das am 1. März erschienen ist, hat Nash ein eigenes Label gegründet und sich von einer Crowdfunding-Kampagne unterstützen lassen. Die Platte klingt lauter und aggressiver als ihre Vorgänger, es gibt darauf kein Klavier mehr zu hören.

Ende Januar hat Nash im Büro der Berliner PR-Agentur, die sich um „Girl Talk“ kümmert, mit uns über das Album gesprochen. Beim ersten Bier des Tages erzählte sie, wie sie mit negativen Reaktionen auf ihren neuen Stil umgeht, warum sie ihre Heimat für heuchlerisch hält und was sie von der Riot-Grrrl-Bewegung der frühen 90er über Feminismus gelernt hat.

kleinerdrei: Du hast vor kurzem in einem Interview gesagt, dass du auch noch mit 85 Jahren auf der Bühne stehen willst. Kannst du dich an den Moment erinnern, in dem dir klar wurde, dass Musik für dich eine Lebensaufgabe ist?

Kate Nash: Als ich 17 war, haben meine Freunde angefangen, mich zu fragen: „Willst du als Musikerin Karriere machen? Soll das mehr als ein Hobby werden?“ Ich habe immer gesagt: „Ja klar will ich das!“, aber eigentlich wusste ich damals noch gar nicht, was es bedeutet, als Musikerin Karriere zu machen. Ich hatte keine Ahnung, worauf ich mich einließ. Jetzt, wo ich mein drittes Album fertig habe, bin ich mir zum ersten Mal wirklich sicher, dass ich Songwriterin bin. Das ist mein Beruf. Vorher hat sich jedes meiner Lieder wie ein Glückstreffer angefühlt. Immer, wenn ich eins fertig hatte, dachte ich: Das kriegst du nie wieder hin.

kleinerdrei: Mit der Musikerin, die du zu Beginn deiner Karriere warst, hast du heute nicht mehr viel zu tun. Du hast dein eigenes Label gegründet, dir das Bassspielen beigebracht, und es gibt überhaupt kein Klavier mehr auf deinem neuen Album. Wann hast du überhaupt zum letzten Mal gespielt?

Kate Nash: Ehrlich gesagt weiß ich es nicht mehr. Ist eine Weile her. Auf der neuen Platte wollte ich laut und mächtig klingen, wie das gemeinste Mädchen der Stadt. Dafür ist der Bass einfach das bessere Instrument. Bis auf drei Songs habe ich das ganze Album auf einem Bass geschrieben.

kleinerdrei: Klingt nach Selbstlimitierung.

Kate Nash: Sollte es auch sein. Ich wollte mir keine Gedanken darüber machen müssen, wie ich die Songs am besten ausschmücken kann. Außerdem bin ich keine Bassistin im klassischen Sinn, ich weiß nicht mal, wie die vier Saiten des Instruments heißen. Deshalb spiele ich anders als jeder andere Bassist, ich habe einen ganz anderen Rhythmus. Aber mit der Zeit bin ich natürlich auch besser geworden. Man kann hören, wie ich das Instrument im Lauf der Platte erlerne.

kleinerdrei: Im vergangenen Sommer hast du den Song „Under-Estimate The Girl“ veröffentlicht, der die Richtung des neuen Albums vorweggenommen hat. Die Reaktionen darauf fielen sehr leidenschaftlich aus, viele deiner alten Fans waren enttäuscht, manche sogar wütend. Hat dich das überrascht?

Kate Nash: So sind die Leute eben, vor allem in England. Sie erwarten von einem, dass man sich nicht verändert, dass man für immer dieselbe Künstlerin bleibt. Das ist nicht nur unrealistisch, sondern auch heuchlerisch. Es hat mich aber schon überrascht, wie drastisch die Reaktionen teilweise waren. Eine junge Musikerin, die sich weiterentwickelt: Anscheinend ist das die letzte Sache, mit der man die Leute noch schocken kann.

kleinerdrei: Ein englisches Klatschblatt hat seine Leser abstimmen lassen: „Wollt ihr die alte Kate wiederhaben?“

Kate Nash: Ist das nicht verrückt? Am Anfang war ich sehr sauer darüber, mittlerweile finde ich es ganz amüsant. Es ist gut, den Leuten mal ans Bein zu pinkeln, sie aus ihrer Komfortzone herauszuholen. Musik sollte schließlich immer auch eine Art der Rebellion sein. Gerade diesmal wollte ich Songs schreiben, zu denen junge Mädchen ihren Eltern die Tür vor der Nase zuschlagen und von zu Hause ausreißen.

kleinerdrei: Glaubst du, dass vor allem von jungen Künstlerinnen erwartet wird, dass sie sich nicht verändern?

Kate Nash: Auf jeden Fall. Wenn Chris Brown sagt, er habe sich geändert und würde keine Frauen mehr verprügeln, wird er bei der Grammy-Verleihung mit offenen Armen zurückempfangen. Wenn eine Frau sagt, sie mache jetzt andere Musik, sind die Leute völlig außer sich vor Entsetzen.

kleinerdrei: Hast du nach den ersten Reaktionen jemals an deinem neuen Weg gezweifelt?

Kate Nash: Ich bin von Natur aus sehr selbstbewusst, das war schon als Kind so. Wenn ich ins Schwimmbad oder in die Bibliothek gegangen bin, kam ich jedes Mal mit einer neuen besten Freundin nach Hause. Als Teenager wurde ich dann zum Außenseiter, der Freak, der Musik gemacht hat. Ich habe mich selbst so gesehen, bis ich nach der Schule anfing, Theater zu studieren. Plötzlich drehte sich mein ganzes Leben um Kunst, ich wollte schreiben, schauspielern, neue Filme und Platten entdecken. Mein ganzes Umfeld war damals sehr kreativ, das hat mir dabei geholfen, mein Selbstbewusstsein wiederzuentdecken. Als Schauspielerin kann man sich ohnehin keine Selbstzweifel leisten. Die schlimmsten Schauspieler sind die, die beim Spielen über sich selbst nachdenken. Also habe ich versucht, das zu vermeiden, und auf einmal fand ich es toll, ich selbst zu sein und mir selbst zu vertrauen. Wenn sich also heute jemand an meiner Musik stört, bestärkt mich das eher noch darin, sie genau so zu machen, wie ich es für richtig halte.

kleinerdrei: Vor knapp zwei Jahren hast du den „Rock’n’Roll For Girls After School Club“ gegründet. Du wendest dich damit an Mädchen im Mittelstufen-Alter und ermutigst sie, Instrumente zu lernen und Bands zu gründen.

Kate Nash: Ausschlaggebend waren diverse Statistiken, von denen ich gelesen habe: 86% der Einnahmen der Performing Rights Society For Music (ein mit der Gema vergleichbarer Verein – Anm. d. Red.) werden an männliche Musiker ausgeschüttet. Von den weiblichen Künstlern in den britischen Charts schreibt nur ein kleiner Teil seine Lieder selbst. Eine Zeit lang hat mich das wahnsinnig deprimiert. Wenn ich zum Beispiel die Ramones gehört habe, hätte ich losheulen können, weil ich mich gefragt habe, warum nicht mal eine weibliche Band so tolle Musik machen kann. Irgendwann kehrte aber mein Kampfgeist zurück. Ich wollte nicht länger verbittert sein, sondern etwas unternehmen.

kleinerdrei: Ich nehme an, die Mädchen, die du kennen gelernt hast, waren nicht alle von Natur aus so selbstbewusst wie du.

Kate Nash: Im Prinzip war es meine Hauptaufgabe, ramponierte Selbstwertgefühle aufzupolieren. Die meisten der Mädchen hätten ohne das Projekt wahrscheinlich niemals eine Band gegründet, sie waren viel zu schüchtern oder haben sich zu unwohl gefühlt in ihrer Haut. Am Ende haben sie Gitarre, Bass, Schlagzeug und Trompete gespielt, Songs geschrieben und in der Londoner Queen Elizabeth Hall vor 800 Zuschauern ein Konzert gegeben. Ein paar Mädchen haben ihre Band Angry Judgement genannt, die waren so gut! Sie haben ihre Wut regelrecht am Publikum ausgelassen.

kleinerdrei: „Angry Judgement“ wäre auch ein guter Titel für dein neues Album, du klingst darauf so angriffslustig wie nie zuvor. Hat das mit den Erfahrungen zu tun, die du während des Schulprojekts gesammelt hast?

Kate Nash: Eher mit meiner persönlichen Situation. Ohne da jetzt ins Detail gehen zu wollen: 2012 war kein gutes Jahr für mich, und das hat den Ton der Platte sicherlich geprägt. Ich habe mich sehr schwach und verletzt gefühlt, was ich wiederum in kampfbetonte, aggressive Musik ummünzen wollte. Durch die Songs spreche ich viele Dinge aus, die ich niemals jemandem ins Gesicht sagen könnte. Aber natürlich hat auch das Schulprojekt in die Stimmung des Albums reingespielt. Ich habe mindestens 100 junge Mädchen kennengelernt, die wahnsinnig verunsichert waren, und das hat mich nur noch wütender gemacht. In England sind wir gerade dabei, eine ganze Generation von Mädchen zu versauen.

kleinerdrei: Was genau läuft deiner Meinung nach schief?

Kate Nash: Wir pflegen einen feindseligen Umgang miteinander. Alles wird bewertet und verurteilt, Fernsehen und Magazine bestehen nur noch aus Pickeln, Schande und Scheidungen. Die Medien verkaufen uns ihren Starkult, wir springen total darauf an und merken gar nicht, was wir damit anrichten. Ganz normale Mädchen sehen diesen Kram, vergleichen sich damit, und am Ende fühlen sie sich wertlos.

kleinerdrei: Du hast in anderen Interviews schon darüber gesprochen, wie sehr dich die Riot-Grrrl-Bewegung der frühen 90er-Jahre während der Arbeit an „Girl Talk“ beeinflusst hat. Bist du durch dein Interesse an feministischen Themen auf sie gestoßen oder war es eher so, dass dich die Musik von Bands wie Bikini Kill oder Bratmobile an den Feminismus herangeführt hat?

Kate Nash: Ich bin während meiner Zeit an der Uni auf sie gestoßen, mit 19 oder 20. Erst waren da Bikini Kill und Le Tigre, später Bands wie Bratmobile und Heavens To Betsy. Mich hat vor allem ihre Attitüde angesprochen, sie wirkten sehr cool und tough. Zur gleichen Zeit kam ja auch mein erstes Album raus, und damals habe ich so etwas wie eine starke weibliche Stimme gebraucht, an der ich mich orientieren konnte. Ohne die Riot Grrrls wäre mir die ganze Sache über den Kopf hinausgewachsen. Außerdem haben sie mir einen völlig neuen Blickwinkel auf Feminismus beigebracht.

kleinerdrei: Inwiefern?

Kate Nash: Eine Zeit lang war Feminismus ja fast schon ein Schimpfwort, wahrscheinlich, weil er sich selbst so ernst genommen hat. Die Riot Grrrls haben mir gezeigt, dass es auch anders geht. Sie haben Feminismus eine künstlerische Note gegeben. Vieles, was heute passiert, orientiert sich daran, zum Beispiel das Rookie-Magazin. Junge Mädchen begeistern sich wieder dafür, die ganze Wahrnehmung des Feminismus ändert sich. Er ist wieder cool, bunt und girly.


Kate Nash verlinkt und auf einen Blick:

Kate Nashs Webseite
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Kate Nash bei Tumblr
Kate Nash über den „Rock’n’Roll For Girls After School Club“
Infos zur Riot-Grrrl-Bewegung

2 Antworten zu “„Wir sind gerade dabei, eine ganze Generation von Mädchen zu versauen“ – Interview mit Kate Nash”

  1. Anne Wizorek sagt:

    Musikerinnen und Musiker machen Platten und reden vor der Veröffentlichung darüber, damit Menschen wie z.B. ihre Fans Bescheid wissen, dass da was Neues kommt. Das war schon immer so, weil sie mit ihrer kreativen Arbeit nun mal auch schlicht Geld verdienen. Was daran verwerflich sein soll, kann ich wirklich nicht erkennen, zumal das neue Album von Kate Nash hier ja noch nicht mal im Fokus steht. Dieses tolle Interview als schlecht verpackte Werbung zu bezeichnen, finde ich daher ziemlich respektlos, denn gute Interviews – vor allem mit Menschen, die man nicht kennt – hinzubekommen, ist harte Arbeit.

  2. Anne Wizorek sagt:

    Lasse ich mal frei zur Übersetzung hier stehen: Le sigh.