Skip durch die Vergangenheit

Foto , CC-BY-SA , by MjaMes1408

Wenn ich den Song heute höre, erinnere ich mich an 2006, an den Flughafen von Istanbul, das Gepäckband, daran, dass ich dringend meinen Pullover ausziehen muss, weil es selbst hier, im klimatisierten Bereich, noch viel zu warm ist. Wie ich den Koffer durch die Gegend rolle, den Flughafen verlasse und kurzzeitig das Gefühl habe, in eine Sauna hineingestolpert zu sein. Aber geil, ab jetzt „Bir Simit, lütfen“, neben der herrlich alten Taksim-Trambahn herlaufen, sich auf den Basaren vier Kilo Safran für ein Euro („Ja, iranischer Safran, sehr intensiv!“) aufschwatzen lassen und absurd oft überlegen, wie man seinen Weg so planen kann, dass man wenigstens einmal an der blauen Moschee vorbeikommt. Urlaub, 2006, dieser Song im Loop.

„Hier siehst Du in Echtzeit, was deine Freunde hören“ steht rechts in der Zeile von Spotify. Ich stelle mir vor, wie einer der 640 Menschen, mit denen ich auf Facebook befreundet bin, sich ein paar gute Songs reinzieht, gucken will, was andere so hören, um sich inspirieren zu lassen, neue Musik zu entdecken und dann da mein Name auftaucht: „Hakan hat sich Sag meinen Namen von Separate“ angehört. Vielleicht klickt er drauf, jemand, der mich recht wahrscheinlich nicht „kennt“, aber vielleicht weiß, was ich so schreibe heutzutage. Und dann hört er, auch sie, egal, diesen Song.

Wenn ich den Song heute hören will, dann fällt mir auf, wie sehr der Text mit Verachtung besprenkelt ist, hier eine Bitch, dort eine Frau, die flachgelegt wird, um den imaginären Gegner zu demütigen. Es nervt mich so schnell und so sehr, dass ich den Song skippe. Nächster Song aus der Phase „deutscher Rap“ (nie: Deutschrap, aber das ist eine andere Diskussion): „deine Crew ist leider schwul“, Fehdehandschuh – Creutzfeld & Jakob feat. Kool Savas. Skip. Chablife. Skip! „Hakan hat sich Honnef Projects von Zwieback angehört“. Nein, geskippt hat er sich das. Ich skippe durch meine Vergangnheit und alles, was übrig bleibt, ist „Flipstar“ von Flipstar. Ein paar Takte noch.

Ich hätte Techno hören sollen. Beats, Gewummere, stumpf, melodisch, treibend, basslastig; Beats sind immer gut, da packt kein Trottel seinen Hass in die Zwischenzeilen, Beats sind vielleicht zu poppig, zu anbiedernd an Hörgewohnheiten, zu einfallslos, aber niemals (offensichtlich) ideologisch aufgeladen, „Ach, einen komischen Musikgeschmack hattest Du damals“, hätte ich dann gedacht bei einem Schluck Apfelsaft trüb in zehn Jahren und den Song trotzdem noch zu Ende gehört und mir ein paar Erinnerungen ausgemalt, schön, bunt und unverfänglich. Aber ich habe mich dafür entschieden, Battlerap zu hören, eine Spielart von Rap, die die musikalische Version davon ist, so zu tun, als ob man Rasierklingen unter den Achseln hätte („Hakan hat sich Intro von K.I.Z….“, SKIP!), wenn man durch die Straßen läuft. Musik, zu der man Liegestütze machen kann. Musik, von der ich mich heute distanzieren muss. Die ich somit nicht mehr hören kann.

Eine Zeit lang habe ich versucht, mir das schön zurechtzureimen. Muss ja einen Sinn gehabt haben, dass ich so lange selber gerappt habe, ich habe doch die Skills, das jetzt so hinzubiegen, dass ich per Alternativreim den Song noch genießen kann. Aus „Du willst rappen? Geh beiseite, ich zerquetsche Bitches und zerlege Hoes in Pixel, ich schreib, um Rap zu bewegen!“ wurde „Du willst rappen? Geh beiseite, ich zerquetsch Flachwichser und zerlege Flows in Pixel, ich schreib, um Rap zu bewegen.“ Eigentlich ganz elegant gelöst, von den Silben passt’s, ich komm nicht aus dem Takt, es ist die gleiche Intonation, klar, der Sinn leidet ein wenig, denn was soll es aussagen, Flows in Pixel zu legen? Genau, nichts. Aber okay, das nehme ich in Kauf, dachte ich mir und habe dann, mit Kopfhörern im Ohr, exakt an der Stelle, leise vor mich hingerappt. Quasi so, dass ich es „überhöre“, mir eine bessere Version des Songs zurechtrappe.

Hat alles nichts gebracht, obwohl ich an und für sich kein Problem damit hätte, auf öffentlichen Straßen so zu wirken, als ob ich ein Selbstgespräch mit mir flüstere. In Musik kann man nicht eintauchen, wenn man die ganze Zeit genau zuhören muss, ob da jetzt eine Stelle kommt, die dann doch fragwürdig ist. Die Texte von anderen Rappern so umzutexten, dass ich damit noch klarkomme, das ist mehr Anstrengung als Genuss. Also wurde das Flüstern leiser, verstummte irgendwann ganz und das Skippen begann.

Freunde, die also auf Spotify sehen, was da so für ein Quatsch durch meine Playlist huscht, sehen nicht, dass ich den Song skippe, kriegen nicht mit, dass ich leise vor mich hingerappt habe, dass ich versucht habe, den Hakan aus 2006 wenigstens taktweise in die Gegenwart zu spielen. Klar, private Sessions wären eine Lösung, aber was genau ist der Vorteil davon, zu verstecken, was einen geprägt hat?

Aber hey, ich fahr‘ ja fast jedes Jahr nach Istanbul. Und die blaue Moschee sieht ganz bestimmt auch gut aus, wenn ich dazu Caribou höre. Unskippbar!

5 Antworten zu “Skip durch die Vergangenheit”

  1. 200dolphins sagt:

    Leider scheinbar ein Problem der Ausdrucksform Rap…Wer nicht wegen 200 kilo Koks im Gefängnis war oder meine Mutter über 247 km Distanz durch ein Mikrofon vergewaltigt hat, hat im Biz nichts mehr zu sagen.

    Ich kenne jedenfalls leider nur wenige Rapper, die noch geistreiches zu sagen haben, obwohl ich Rap als Kunstform sehr schätze…

    • hakantee sagt:

      Es gibt in dieser Richtung schon viel, würde ich sagen. „Die Orsons“ fallen mir ein, allgemein der Kram, den insbesondere Maeckes so veröffentlicht. Und wie gesagt, Flipstar, OnAndOn. Die Hamburger um die Zeit herum gehen auch. Dazu noch Blumentopf et cetera. Aber Battlerap in dieser Richtung ist seltener. Zumindest aus dieser Zeit. Aktuelle Sachen verfolge ich nicht mehr konstant.

  2. Charlotte sagt:

    Hm, bloede Sache :/

    Wo ist der „I like the music but I completely disagree with the lyrics“-button?

  3. spicollidriver sagt:

    Wobei Musik doch auch ohnehin, wie du es ja auch für dich selbst empfindest, für einen großen Teil ihrer Hörer vor allem dann „wichtig“ wird, wenn man persönliche Erinnerungen daran knüpft. Wenn diese dann aber seltsamer Natur sind, kann auch eine bis auf Vocalsamples o.ä. textlose Musik wie Techno im Nachhinein „schwierig“ sein.

    Ich bin seit Jahren sozusagen im weitesten Sinne in deiner 2006er Phase, was mein Verhältnis zu Gabber und ähnlichen elektronischen Spielarten angeht, die ich vor ewigen Zeiten mal gehört habe. Problematisch sind in diesem Fall aber die Assoziationen, die damit einhergehen: aus späterer (, schlauerer ;) ) Sicht hat ein nicht unbeträchtlicher der Menschen, mit denen (und den gemeinsamen Erlebnissen) ich diese Musik verbinde eine mehr als fragwürdige politische Einstellung vor sich her getragen. Muß also auch trotz offenkundiger fehlender „Inhalte“ zumindest nicht zwangsläufig so easy funktionieren.

  4. Martin sagt:

    Das ist vermutlich nur eine Nebensache: Aber wenn sie Dir vier Kilo Safran für einen Euro verkauft haben, dann haben sie Dich übern Tisch gezogen. Vermutlich war das Zeug eine Fälschung,die mit Kurkuma eingefärbt wurde.