Im Dampfdrucktopf der Liebe

Foto , CC BY-NC 2.0 , by bionicteaching

Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Rochus Wolff.

Rochus Wolff aka @rrho ist Vater, Feminist, freier Filmkritiker und einiges mehr – nicht unbedingt immer in dieser Reihenfolge. Er gründete 2005 das Genderblog, seinerzeit eines der ersten deutschen Weblogs zu Feminismus und Geschlechterforschung.
Webseite von Rochus @rrho Genderblog

Die Geburt eines ersten eigenen Kindes ist ein singulärer Moment: So sehr du sie auch erwartest, so sehr du dich vorbereitest, da ist dieser einschneidende Moment, nach dem vielleicht (man ahnt das ja nur, wenn man noch kein Kind hat) „alles anders ist“ als vorher. Es ist, als laufe man in eine Wand aus undurchsichtiger Gelatine: Der Moment bremst dich, umfängt dich, aber was auf der anderen Seite auf dich wartet, das wird erst nach und nach klar, wenn du dich mühsam hindurchgeschoben hast.

Als mein erstes Kind auf die Welt kam, nach einer langen Nacht und einem halben Tag im Krankenhaus, hatte ich erwartet, beim Anblick dieses kleinen Häufleins Mensch von einer Welle der Liebe hinweggefegt zu werden. Stattdessen war ich unsicher und müde und traute mich zunächst kaum, das so zerbrechlich scheinende Wesen überhaupt auf den Arm zu nehmen. Dieses seltsame Gefühl,die Furcht, dem Kind nicht genug Liebe entgegenbringen zu können, verschwand dann ziemlich schnell, und irgendwann stellte ich fest, dass selbst vage Bedrohungssituationen (vermutlich kam einer der Kalbshunde, die man in Berlin auch mal ohne Leine zu sehen bekommt, meinem Kind zu nahe) zu einer heftigen emotionalen Reaktion führten, dass ich durch ein einfaches Lächeln glücklich zu machen war, dass sich diese Sache mit der Liebe fürs Kind wie von selbst eingestellt hatte.

Aber natürlich geschieht sie eben nicht wie von selbst: Die Liebe zum eigenen Kind ist bei Männern* wie Frauen*, bei leiblichen Eltern wie bei Adoptiveltern, in jeder möglichen Konstellation, nicht naturgegeben, nicht selbstverständlich. Sie stellt sich ein, wenn man dazu bereit ist und die Umstände es erlauben – sie braucht Zeit und Raum und Möglichkeit, sich zu entfalten, und dann wird sie zur stärksten Bindung, die ich mir vorstellen kann.

Ein Kind zu bekommen, ist der Lackmustest für jede Lebensgemeinschaft. Ein Kind stellt das Leben seiner Eltern vollständig auf den Kopf, seine Anwesenheit, die Sorge ums Kind stellt Solidarität und Zusammenhalt all jener auf die Probe, die ihm verbunden sind. Der Druck von außen wie von innen ist enorm, manchmal unerträglich, als säße man in einem Dampfdrucktopf.

In einer heterosexuellen Zweierbeziehung ist dann eine der Kräfte, die plötzlich stärker als vorher zu wirken scheint, das schlechte alte Geschlechterverhältnis. Was Ulrich Beck so präzise wie eingängig „verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre“ nannte, kann klarer und schärfer hervortreten, und im Grunde ist das Paar, sofern es sich dieser Problematik bewusst sein möchte, ständig dabei, gegen den Strom anzupaddeln, der es in Richtung althergebrachter Geschlechterrollen treiben will – da drückt der Topf von außen („Ein Kind braucht seine Mutter!“), wie es von innen brodelt und kocht („Ich muss doch die Familie ernähren können!“).

All das ist schon tausendfach beschrieben und beklagt worden, es ist eine alte Geschichte und doch immer wieder neu, nämlich täglich zu verhandeln: Wer macht dieses, wer macht jenes? Wer wickelt das Kind, die Küche reinigt sich auch nicht von selbst, und soll die Kleine wirklich Staubmäuse essen? Wer kauft für das Kitafrühstück ein, wer holt den Großen morgen von der Schule ab? Und wer bleibt zuhause, wenn der Kleine mal Fieber hat?

Aber selbst wenn diese Verhandlungen, die sich durchaus zu Konflikten verschärfen können, im Einzelnen alle zufrieden zurücklassen, wenn wir also die dauernde Neuverhandlung und ständige Anpassung mal beiseite lassen können, so gibt es doch noch viel grundlegendere Entscheidungen. Wenn beide nämlich arbeiten wollen, sich vielleicht sogar Hoffnungen auf berufliche Weiterentwicklung machen, dann stellt sich nicht nur die Frage, wie wir die Arbeit, sondern auch, wie wir die Möglichkeiten aufteilen. Muss es wirklich sein, dass die eine hinter den anderen zurücktritt? Wollen wir zum Beispiel, dass die gesellschaftliche Realität, dass Männer in gleicher Position meist mehr verdienen als Frauen, unser Leben als Paar bestimmt? Wollen wir Sklaven der Erwartung sein, dass sich die Frau schon ums Kind kümmern wird, weshalb sie schlecht einen neuen Job findet, er hingegen nicht einmal nach der Betreuungslage gefragt wird?

Es geht mir aber eben nicht nur um das so schrecklich lebenskonkrete Abstraktum Geschlechtergerechtigkeit. Es geht mir auch nicht darum, dass Erwerbs- und Reproduktionsarbeit in Familien immer gleich verteilt sein müssen – das kann im Einzelnen und/oder auf Zeit auch anders ausgehandelt werden, und natürlich wünsche ich mir kaum etwas mehr, als dass es egalitärer zwischen den Geschlechtern zugehen möge.

Worum es mir geht: Ich habe die meiste Zeit als Vater dank einer Kombination aus Glück und richtigen Entscheidungen viel Zeit mit meinen Kindern verbringen können. Trennt mich länger als eine Woche von ihnen, und ihr könnt mal gucken kommen, wie ein emotionales Wrack aussieht. So ist das. Ich möchte deshalb, dass es für Männer selbstverständlich und möglich wird, sich mehr Zeit für ihre Kinder zu nehmen, als sie dies heute im Durchschnitt tun. Natürlich lieben auch jene Väter ihre Kinder, die immer voll berufstätig waren, aber was wäre so falsch daran, wenn sie etwas mehr Zeit mit ihnen verbringen könnten?

Das jedoch schreit nach anderen Arbeitskonzepten, nach Teilzeitmodellen, die nicht gleich das Ende der beruflichen Entwicklung bedeuten (um nicht „Karriereleiter“ schreiben zu müssen, diesen unnachahmlich dämlichen Begriff) – die es also ermöglichen, dass Eltern sich die Erwerbsarbeit teilen können und dadurch beide Zeit für ihre Kinder haben. Zur Familienpolitik sollte es deshalb auch gehören, solche Arbeitsmodelle zu erleichtern und zu ermöglichen. Anreize dafür zu schaffen, dass man auch nur 30 statt 40 Stunden oder mehr arbeiten kann – aber dies eben für Männer und Frauen gleichermaßen geht.

Natürlich geht es trotzdem auch um bezahlbare Kinderbetreuung, also darum, dass Eltern ihrer Erwerbsarbeit nachgehen können, ohne sich Sorgen um ihre Kinder machen zu müssen. Aber dazu gehört ebenso, dass nicht immer die Mütter beim kranken Kind bleiben, dass nicht immer die Mütter Teilzeit arbeiten. Es geht darum, dass wir Elternteile nicht danach bestimmte Aufgaben zuordnen, welche Form ihre Gonaden haben (oder ob sie welche haben). Und natürlich geht es auch darum, dass es für Männer wie Frauen normal wird, die Hälfte der möglichen Elternzeit zu nehmen.

All das wäre Familienpolitik: Weil es den Eltern wieder mehr Spielraum gibt, selbst darüber zu entscheiden, wie sie ihre Zeit und die Arbeit, die getan werden muss, verteilen wollen. Das ist wichtig, weil Eltern, die sich und ihre Kinder lieben, ihre berufliche und persönliche Entwicklung nicht auf dem Rücken und unter Belastung ihrer Kinder austragen wollen. Und zufriedene Eltern, so einfach ist das wahrscheinlich, haben glücklichere Kinder.

Und natürlich ist es Aufgabe der Männer, ihren Arsch hochzukriegen. „Welcher Mann hätte diese gewaltigen Eier, seine Karriere einfach abzublasen?“, hat Malte Welding vor einiger Zeit mal mit Blick auf die Berufsentscheidungen seiner Schwester gefragt. Auch Männer müssen sagen: Ich will Zeit für meine Kinder haben. Wir Männer müssen endlich kapieren, dass man Erwerbs- und Reproduktionsarbeit auch paritätisch teilen kann und dass es unglaublich bereichernd ist, viel Zeit mit unseren Kindern verbringen zu können: Es macht uns zu vollständigeren, glücklicheren Menschen.

Das größte Geschenk, das wir einander machen können, ist mehr Zeit zu haben, um die Liebe zwischen uns wachsen zu lassen. Und das Beste, was wir unseren Kindern und unserer Gesellschaft antun können, wäre dies: Mehr Raum, mehr Zeit für Liebe.

Vielleicht ist das zu viel Pathos. Aber ich bin es leid, immer nur vom Kleinkram, von den Mühen der Ebene zu sprechen. Wenn wir davon sprechen, was Eltern und was Kinder brauchen, dann müssen wir von Liebe sprechen.

13 Antworten zu “Im Dampfdrucktopf der Liebe”

  1. dieKadda sagt:

    !!

    (haha – „Kommentare müssen mindestens zwei Zeichen lang sein“ – ist scho recht! ein Ausrufezeichen wäre auch echt zu wenig)

  2. Moritz Adler sagt:

    Danke für den Post.
    Was ich mich nur zu dem Thema „Verzicht auf Job“ bei Männern hinzufügen möchte: Oft ist die Entscheidung gar nicht einfach. Meine Situation ist die folgende: Meine Frau und ich arbeiten beide Vollzeit. Das Kind kommt im Mai auf die Welt. Elternzeit gibt’s in unserem Land nicht, sondern 14 Wochen nach der Geburt für die Mutter, 5 Tage für den Vater. That’s it. Danach wird erwartet, wieder 100% in den Job zurückzukehren. Da meine Frau nach der Geburt wieder Vollzeit arbeiten möchte (und ich das auch unterstütze), wollen wir unser Kind in eine Kita geben, 4 Tage die Woche. Das ist immens teuer. Dazu kommen noch andere Mehrkosten, die wir nach der Geburt tragen müssen (neue Möbel, Kleidung etc.). Dazu noch laufende Kosten wie Miete, Auto, Versicherungen etc. Wenn ich meinen Job auf 80% oder 60% reduziere, wird es eng finanziell. Es ist also für mich nicht damit getan, zu sagen „ich möchte mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen“. Leider. Das erfordert dann viel Mut und Wille sich noch stärker einzuschränken als ohnehin schon.

    (die Situation in Deutschland ist dank Elternzeit vielleicht etwas komfortabler als in der Schweiz, das noch als Einschränkung.)

    • SL sagt:

      genau an der stelle geht es doch um familienpolitik. Auch in der schweiz. Dass männer dafür laut werden (einfordern), längere elternzeit und bessere bedingungen für ein leben mit & bei den kindern zu bekommen.

  3. SL sagt:

    empfinde gerade so viel liebe dafür, dass rochus diesen text veröffentlicht hat. dankeschön!

  4. farbenprinz sagt:

    Schöner Artikel der mir aus meine Vaterherz spricht! Leider ist die derzeitige Familienpolitik sehr weit von einer gleichberechtigten und geschlechtsunspezifischen Familienrealität entfernt!

  5. Samya sagt:

    Den Artikel von Malte Welding habe ich vor kurzem auch gelesen und fand ihn sehr beeindruckend. Dieser hier ist eine schöne Ergänzung, vielen Dank dafür.
    Ich glaube, dass die einzige Lösung für die ganze Ungerechtigkeit, was berufstätige Frauen mit Kindern angeht, tatsächlich beinahe gelöst werden könnte, wenn es einfach normal wäre, dass auch der Vater Elternzeit nimmt. Aber solange die Männer mehr verdienen und die Familie sich ohne das fehlende Einkommen schlecht finanzieren kann, wird das einfach nicht passieren. Das ist ziemlich traurig. Ein Kind braucht beide Eltern, ob die nun weiblich und männlich, männlich und männlich oder weiblich und weiblich sind.

  6. Adieu_Tweetesse sagt:

    Ich frage mich ernsthaft, warum so oft so getan wird, als sei das alles schrecklich kompliziert und beinahe unmöglich, das „schlechte alte Geschlechterverhältnis“ (schön formuliert!) zu überwinden. Ich glaube, man muss es einfach wollen. Dann müssen beide Seiten zwar zurückstecken, dann muss man vielleicht mit weniger Geld auskommen… es ist aber der einzige Weg die Verhaltensstarre zu überwinden. Unser Kind ist jetzt 3 Monate alt und wir werden beide 7 Monate Elternzeit nehmen, den ersten Monat zusammen, dann jeder ein halbes Jahr. Ich erschrecke immer, wenn ich von jungen, klugen Menschen gefragt werde, ob denn mein Freund auch noch 1,2 Monate Elternzeit nehmen wird und noch mehr, wenn ich die aktuellen Statistiken zur Elternzeit lese. Und bei der Elternzeit geht es dich erst los. Was soll das? Warum ist es so exotisch, sich die Elternzeit, die Arbeitszeit, die Familienzeit hälftig zu teilen. Als ob die Pause nicht auch für die Frauen von Nachteil sein könnte (warum wird hier immer nur die Männerkarriere diskutiert? warum spielt das fehlende Einkommen der Frau eigentlich keine Rolle?); als ob die Mütter mehr Spaß an Babykacke, Babykotze und Babygeschrei hätten… Ich vermute leider auch, dass das Geldargument oft (nicht immer) nur vorgeschoben wird und bin überzeugt, dass auch bei finanziellen Einbußen zugunsten von mehr Zeit für den Nachwuchs alle profitieren! Ist es wirklich so schwer, die rein verbale Aufgeschlossenheit zu überwinden?

  7. Bin so einer sagt:

    Ich habe meine Karriere (Mann) wegen meiner Kinder hinten angestellt und bereue es im Grunde. Nicht weil es eine schöne Zeit ist und die Gegenliebe meiner beiden Söhne gut tut, sondern weil meine Partnerin mir vorhält, dass ich dadurch zu wenig zum Einkommen beitrage. Und dies massiv unsere Beziehung stört. Und im Grunde bin ich nun in der Situation, aus der sich die Frauen in den 70/80iger Jahren berechtigter Weise befreit haben. Ich bin finanz. abhängig von meiner Partnerin und habe dazu im Grunde keine bezw. kaum Rechte in unserem Staatssystem. Was da im Rentenalter auf mich zukommt, da graut es mir….

    Wenn ich die Forderungen bestimmter Frauen höre, kommt bei mir mittlerweile Übelkeit auf.

  8. evakarel sagt:

    !!!!!!!!

  9. […] den Punkt bringt es Rochus Wolff in seinem Gastartikel “Im Dampfdrucktopf der Liebe” auf […]