Eine Facebook-Bildergeschichte

Foto , CC BY-SA 2.0 , by KyleBGalleries

Er hat sein Profilbild geändert. Als er gemerkt hat, dass er angeklickt wird, von Frauen, die seine Mutter sein könnten, von Männern, die so alt sind wie sein Vater, von unbeteiligten Dritten, die ihn zwar nicht kennen, deren Urteil aber in einem Klick und Blick gefällt ist. Da hat er ein anderes Foto genommen, er zusammen mit meiner Cousine, die beiden bei ihrer Verlobung. Keine Reibungsfläche, sondern das Foto, das erwartet wird. Genau das ist also sein neues Profilbild.

Vielleicht hat er sich das schon die ganze Zeit gedacht. „Ich müsste mal mein Profilbild ändern.“ Vielleicht nicht, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, was ich gedacht habe: „Puh, ernsthaft?“ Ich weiß auch, was sich meine Mutter gedacht hat, weil ich sie gefragt habe. „Das schickt sich doch nicht für einen Verlobten, oder?“

Hier ist das, was passiert ist: Er ist jetzt verlobt. Damit wollen alle Frauen wissen, wer das denn ist, schließlich wird sie dieser junge Mann ab sofort mit „Yenge“ (Tante) ansprechen. Und all diese Frauen landen über Umwege auf „Face“, wie sie es nennen, auf Facebook. „Such’ mal nach dem Neuen“, sagen sie und landen auf seiner Timeline.

Sein Profilbild also. Er schaut in die Kamera, sein Mund ist minimal geöffnet, man sieht seinen Oberkörper, die muskulösen Arme, in seinen Augen ist ein helles Licht, nein, seine Augen funkeln nicht, an der Kamera ist nur eine extra Lichtquelle angebracht, damit er besser ausgeleuchtet ist, damit er schöner wirkt. Das frisch rasierte Gesicht, die Schweißtropfen, vielleicht hat er gerade Liegestützen gemacht, Gewichte gestemmt, keine Ahnung, der Hintergrund ist monochrom, es ist egal, was wichtig ist, das sind seine Konturen. Der Mann, als der er sich gerne darstellen würde, der er vielleicht ist, was geht es mich an. Ich denke mir “Puh, ernsthaft?“, aber im Endeffekt „Hey, wenn er Lust hat, easy, sein Ding“.

Aber so funktioniert das nicht.

In ein paar Monaten, Jahren, wann auch immer sie heiraten, werden er und sie auf der Tanzfläche stehen. Er im Anzug, sie im Brautkleid. Auf der Bühne die immer gleiche miese Band, die es nicht auf die Reihe kriegen wird, ihr immer gleiches Programm aus „Halays“ wenigstens ein einziges Mal von vorne bis hinten durchzuspielen, ohne dass es zu fiependen Rückkopplungen kommt, es wäre auch zu viel verlangt, dass sie sich mal professionell verhalten könnten. Er und sie tanzen, 500 Augenpaare stieren in ihre Richtung. Sie wollen ihn so sehen. Also ändert er sein Profilfoto.

Facebook ist mittlerweile der öffentliche Raum, auch angekommen bei älteren Migranten. Sie nehmen Teil an der Diskussion, weil kein Rechner mehr hochgefahren wird, und danach ein paar Tasten gedrückt werden müssen (welche?), ein Fenster geöffnet (warum?), eine Adresse eingeben (keine Ahnung!) und dann eingeloggt. Sie müssen einfach nur eine App öffnen und sie sind drin. Also sind sie auf „Face“, nehmen teil und wissen Bescheid. Ich habe viele türkische Freunde (ich betone hier ausdrücklich,dass sie alle einen muslimischen Background haben, sprich: Die Eltern sind religiös), die Fotos von sich hochgeladen haben. Stinknormal, sie sind mir zwar nicht besonders aufgefallen, aber irgendwann habe ich gemerkt, dass sie fehlen. Fotos, gar nicht mal so effektheischend wie ein muskulöser Oberkörper, sondern ein Türke und ein Glas. Bier. Wodka. Kram, den die Eltern nie gesehen haben, weil es eine komplett andere Dimension ist. Wenn ich auf Partys genau gucke, dann sehe ich, wie sie manchmal die Gläser jetzt vor sich wegschieben.

Ich rede übrigens nicht von Teenagern, die gerade 16 geworden sind. Sondern von Männern und Frauen, die 30 sind und teilweise Vater/Mutter. Durch dieses Beobachtetwerdenkönnen, durch diese Einfachheit, dass die Eltern einfach nur eine App öffnen müssen, um dabei zu sein, gibt es jetzt wieder genau diese Situation. Sie sind 16.

4 Antworten zu “Eine Facebook-Bildergeschichte”

  1. Dominik sagt:

    Dass sich Menschen, die unter Beobachtung stehen, anders verhalten ist ja schon länger bekannt.
    Dass FB und Co. mittlerweile dazu geführt haben, dass diese Beobachtung gar nicht mehr von außen angestrengt werden muss, sondern bei der Selbstdarstellung in sozialen Netzwerken beiläufig mit entsteht, war mir neu. Beängstigend…

  2. hakantee sagt:

    Hi.

    ich finde es schwierig, die Texte, die ich schreibe, daran auszurichten, wie sie ankommen könnten. Gar nicht mal so, weil es Selbstzensur wäre, sondern vielmehr, weil es sich mir nicht erschließt? Wenn jemand Bock drauf hat, wird er mich immer so auslegen können, dass ich als Trottel dastehe bzw. als Fürsprecher eines Arguments, das ich nie gebracht habe,

    • spicollidriver sagt:

      es macht vor allem auch deshalb wenig Sinn, weil es bei der schieren Masse an Menschen immer irgendwen geben wird (oder zumindest geben könnte), der eigene Aussagen anders auffaßt als man selbst.

  3. hakantee sagt:

    Kann ich sehr gut zustimmen.