Streckenweise absurd

Foto , CC BY-NC-SA 2.0 , by Elizabeth Thomsen

Ich mag Mitfahrgelegenheiten nicht. Reden, komische Menschen, Stau, Asphalt und Fahrer amüsieren. Kann und will ich nicht. Kaum war ich darauf angewiesen, passierte natürlich genau das.Dass dabei auch rassistische Sprüche gedrückt werden: klar.

Ich hätte natürlich auch in Hamburg bleiben können.

Fahr’ ich halt nicht nach München. Seh ich meine Eltern eben erst in einem Monat wieder, wenn sie zurück sind aus der Türkei. Ich weiß sowieso nicht, wieso ich nach München will. Acht Stunden hin, maximal 24 in der Stadt und dann acht Stunden zurück nach Hamburg.

Außerdem sind die doch eh gerade erst in der Türkei gewesen. Und Teresa kriegt ihr Geschenk dann halt wann anders. Ihr Geburtstag ist ja eh’ schon rum seit zwei Wochen, auf die paar Tage kommt es da auch nicht mehr an.

Nehm ich stattdessen Bus und Bahn zur Holstenstraße, stell’ meinen medizinballgroßen Jutebeutel aufs Bett und gebe das Geld lieber für einen guten Drink aus statt für ein gemietetes Auto, das ich jetzt nicht mehr mieten darf, weil es fünf nach sechs ist und die Empfangsdame wirklich keinen Nerv mehr hat, den Computer hochzufahren.

Oder aber: Ich bleibe einfach nicht in Hamburg.

Also rufe ich panisch Miro an, rufe Hannah an, bell’ ihnen meine Situation ins Ohr und verlange Freundschaftsbeweise. Zu spät, keine Kreditkarte für die 300 Euro Hinterlegungskosten bei Mietwagen, Mussnachmünchen, Hilfe. Die Busstation hier um die Ecke heißt „Am Stadtrand“ und für meinen Anbieter ist das eine ausreichend gute Erklärung dafür, dass ich hier kein Internet habe. Also regeln das Hannah und Miro.

Es ist 18 Uhr und fünf Minuten. Der letzte Zug fährt in einer halben Stunde. Schaff ich nie.. Danach gibts nur noch Zehn-Stunden-Tuckerfahrten Mitfahrgelegenheiten gibt es genau eine und die fährt laut Plan genau jetzt los. Hannah ruft an und sagt, der Mann könne noch ein wenig warten. Also hole ich mir die Nummer und wähle. Ein Hans oder Dieter oder Manfred nimmt ab und sagt, er könne mich mitnehmen, wann ich denn kommen würde.

Er fährt los von der Elbgaustraße. Hoffnungslos, absolut unpackbar.

Da brauche ich eine Stunde hin, mindestens, also das ist der Idealfall, sage ich Hans oder Dieter, nennen wir ihn einfach Manfred ab jetzt. „Scheißegal“, sagt Manfred, „fahr’ einfach los.“ Ich frage noch, ob wir uns am Hauptbahnhof treffen können, aber das geht nicht, weil er jetzt schon an der Elbgaustraße sei und in der Rush-Hour ins Zentrum von Hamburg, das sei Humbug. Bevor ich auflege, höre ich noch, wie er Menschen begrüßt und sie fragt, ob sie gerade angerufen hätten zwecks Mitfahrgelegenheit nach München. Also fahre ich los. Bus, Bahn, alles perfekt aufeinander abgestimmt, Idealzustände hier.

Exakt eine Stunde später. Ich steig’ aus der Bahn und ruf Manfred an.

„Da bin ich“, sage ich,.

„Da wo?“, fragt er.

„Na, an der Elbgaustraße.“, sage ich.

„Aaaaaah, scheiße,“ sagt er.

Ich entscheide mich dazu, das jetzt einfach auszuschweigen.

„Du, das ist jetzt saudämlich, aber ich bin am Hauptbahnhof“, sagt er.

„Da bin ich umgestiegen“, antworte ich.

Er schweigt.

Ich: „Warum?“

Er: „Ja, wollte los, aber dann ist der doch hierher gekommen.“

Ich: „Aha, okay. Und jetzt? Wann bist du hier?“

Er: „Ich fahr doch vom Hauptbahnhof los“.

Ich: „Ich brauch’ da ne halbe Stunde hin, soll ich überhaupt noch

kommen? Was machst Du überhaupt so lange noch in der Stadt?“

Er: „Ja, basst scho. Komm’ einfach.“

Eingestiegen, losgefahren.

Fünfundzwanzig Minuten später rufe ich an: „Bin gleich da, noch zwei
Stationen“. Drei Minuten später meldet er sich: „Wo bist Du denn? Ich will losfahren.“

Sein Tonfall ist genervt, seine Sätze wie Axtwürfe. Ich steige am Hauptbahnhof aus und gehe direkt an den falschen der zwei oder drei Taxistände. Noch weiß ich es nicht, aber Manfred schreit mir die Neuigkeiten direkt ins Ohr. „Bist Du blind“, sagt er, „ich steh’ hier und hab die Hände oben, wieso siagst (bayrisch für „siehst“) du das denn net (er meint „nicht“)? Du bist bestimmt an der falschen Seite.“ Geht mir aber gehörig auf die Nerven mit seinem neuen Ton, also schreie ich zurück, dass er ruhig mal locker bleiben kann und dass ich ja schon vor einer Stunde hier gewesen wäre, wenn er das alles talentierter koordiniert hätte.

Andere Bahnhofsseite.

Manfred ist 1,75m groß und geschätzt 60 Jahre alt, hat einen grauen Ziegenbart und blonde, Haare nach hinten gestriegelt. Der oberste Hemdknopf ist offen, Goldkettchen gut sichtbar auf Brusthaar, die Hemdknöpfe weiter unten werden von seinem Bauch weggedrückt. Das Kinn ist ausladend und kantig. Kaum sieht er mich, zeigt er auf seinen schwarzen Geländewagen, der zu groß ist für die Bahnhofsparkplätze und mitten in die Straße ragt. „Pack mas“, sagt er. Daneben stehen drei Männer, die mitfahren wollen und auch auf mich warten. Zwei davon sprechen kurdisch, der dritte ist schwarz und versichert Manfred in brüchigem Deutsch, dass seine Frau ihn abholen werde in München-Laim und da könne er dann die 40 Euro haben für die Fahrt. Manfred spricht anscheinend schon länger mit ihm.

Er fragt, ob er in der Zwischenzeit Geld organisiert habe. München-Laim ist ihm egal: „Na, kein Geld, keine Mitfahrt. Da hab’ ich kein Bock drauf. Tschüss!“ Dann schaut er mich an und fragt, ob ich Geld habe. Bar hab ich nichts dabei. „Klar“, sage ich, „aber nicht in Scheinen.

Ich zahle einfach das erste Mal Tanken mit der ec-Karte.“ Das reicht Manfred anscheinend. Wir steigen ein, seine zwei Navigationsgeräte kennen jeweils andere Wege aus Hamburg in Richtung München und mittlerweile ist es acht Uhr.

Manfred schimpft sich seinen Weg zur Autobahn und kaum dürfen wir Richtgeschwindigkeit fahren, beginnt er sich zu rechtfertigen: „Das ist mir schon so oft passiert, dass die Leute gesagt haben, sie zahlen. Aber dann bist in München und zack schmeißen sie die Tür auf und laufen weg. So oft habe ich das erlebt.“ Ich nicke ihm gutes Gewissen zu. Dann redet er weiter: „Dieser Bimbo, der hat kein Geld.“

Ich könnte natürlich nichts sagen. Ist halt ein alter Mann. Wir haben noch acht Stunden gemeinsam zwischen vier Autotüren. Die ganze Stimmung wird ruiniert sein, wenn ich ihm jetzt darüber aufkläre, dass die Wahrscheinlichkeit, bei ihm absurd hoch liegt, dass er, was soll ich lügen, einfach ein Rassist ist.

Einfach aussitzen, geht schon, streng dich an.. Nicht jeden Arsch auf seine Arschigkeit ansprechen, das muss doch drin sein.

Oder aber: Ich sag’s ihm einfach.

„Du, weißt schon, dass das Wort ‚Bimbo’ rassistisch ist?“, frage ich.

„Aaa-Ge-So-A-Schmarrn“, sagt er.

„Neger ist rassistisch, Bimbo nicht.“, sagt er.

„Naja“, sage ich, „nein. Ist beides rassistisch und respektlos.“

„Seh’ ich anders“, sagt er. „Kanake ist ja auch kein Schimpfwort.“. Manni!

„Naja“, sage ich wieder, „also ich persönlich wurde oft genug Kanake genannt, und die haben nicht nach einem Synonym für ‚Mensch’gesucht. Die wussten schon, was sie sagen.“

Manfred schweigt. Ich mach’s mir gemütlich im Ledersitz und wackle meinen Hintern in eine bequeme Position. Die restlichen 7xx km werde ich mich wohlfühlen, dass ich es angesprochen habe. Ich habe aber absolut keine Lust, mit ihm das Thema zu vertiefen, es reicht mir vollkommen, dass er schweigt und womöglich nachdenkt. Auch wenn ich ihn aller Wahrscheinlichkeit nach nicht überzeugt habe.

Auf alle Fälle ist er nicht beleidigt und blockiert die restlichen acht Stunden. Also reden wir über seine Arbeit. Er hat auf Schiffen gearbeitet und viele hochpreisige Whiskeyflaschen mitgehen lassen, zur Zeit sei er selbstständiger Anlageberater in Spanien und verkaufe leerstehende Hallen an Pharmakonzerne aus Großbritannien, weil es anscheinend in Großbritannien verboten sei, gewisse Chemikalien einzusetzen, wenn man Kram bastelt, in Spanien aber nicht. Mitten im Satz bricht er ab und wird laut: „Das Pedal reagiert ja gar nicht mehr.“ Ich sehe, wie sein linkes Knie auf und abwippt, wie Manfred das Gaspedal volle Kanne durchdrückt und wir trotzdem langsamer werden. Passenderweise geht es bergaufwärts, unser Tempo fällt auf 100, auf 80, auf 50 und pendelt sich auf 30 km/h ein. Wir wechseln auf die Standspur und kriechen in den Parkplatz. Durchdrücken, keine Reaktion, durchdrücken, sauer werden. Wir sind 150 Kilometer von Hamburg entfernt, es ist 21 Uhr 30 und ich hasse mich dafür, nicht den Tucker-ICE genommen zu haben.

Manfred will zu einer Tankstelle fahren, warum weiß er nicht so wirklich. Der ADAC fährt ja schließlich auch in Parkplätze. Also rollen wir mit Tempo 30 weiter den Hang hinauf und ich rechne damit, gleich aussteigen und schieben zu müssen. Aber wir haben Glück und die Tankstelle ist ein Autohof und nur einen Kilometer entfernt. Dort angekommen, schaltet Manfred den Motor aus, den Motor an, drückt durch und: Der Motor heult völlig grundlos auf. Manfred macht ein Gesicht, als wolle er mich umarmen, überlegt es sich aber anders, grinst und geht zum Tank. Ich zücke meine ec-Karte, bezahle und wir fahren weiter.

Hinter Kassel ist eine Baustelle, wir müssen Umwege fahren. „Passt schon“, sagt Manfred, „ich kenne den Weg. Kassel, Fulda, Würzburg, Nürnberg, dann Vollgas.“ Er schaut auf das Navigationsgerät eins und zwei, und wenn es nach ihnen geht, kommen wir wahlweise in sechs oder sieben Stunden an. Die Navis sind alt, tippen reicht nicht, man muss den Bildschirm schon eindrücken, bevor sie reagieren. Wir hätten rausgemusst. Macht nix, laut Manfred. Zwei Stunden und einen Stau von 30 Kilometer später, als wir vollkommen sinnloserweise in Halle sind und von dort aus über die A-Interessiertmichnicht nach München fahren, schaltet Manfred ein Navigationsgerät aus.

Aber der Rest der Fahrt verläuft vollkommen reibungslos, kurz hinter Nürnberg kippe ich Billigenergy-Drinks in mich hinein und übernehme das Steuer – Manfred ist müde – und drücke das Gaspedal durch, zumindest in den kurzen Strecken zwischen den Nebelbänken.

Als wir in der Zielstraße ankommen ist es vier Uhr morgens. Ich hebe das zweite Navi auf, es lag auf dem Boden. Es zeigt mir noch eine Stunde Fahrtzeit an.

15 Antworten zu “Streckenweise absurd”

  1. […] Test, Test, 1, 2, 3. […]

  2. Well written, Moruk!

    :-)

  3. kät sagt:

    bei jeder meiner fahrten ist immer min. ein_e soldat_in dabei. zum glück musste ich noch nie 8 stunden mitfahren. ich wünsch dir coolere fahrten für die zukunft!

    • hakantee sagt:

      Geil. Das würde mich ja auch interessieren, was Soldaten so erzählen. Und ich warte einfach auf billige 25€-Bahnfahrten.

      • kät sagt:

        meistens lassen die so im nebensatz fallen dass sie beim bund sind und das wars dann. da erwische ich mich auch ganz oft dabei, dass ich genau das denke was du beschrieben hast, also dass ich auch nicht jedes arsch auf sein_ihr srschsein ansprechen muss. zweimal habe ich mich auf ne krasse diskussion eingelassen, das war echt ungemütlich und ich hab überlegt zu trampen.
        vielleicht sollte ich meine reisen jetzt auch einfach mal früh genug planen ;)

        • Dubbel sagt:

          Huiuiui, da ist aber jemand differenziert drauf!
          Nicht, dass ich beim Bund wäre, aber wenn mich jemand aufgrund meiner Berufswahl(/Kleidung/Sprache/Religion/…) auf mein angebliches „Arschsein“ ansprechen würde, dann könnte die nachfolgende Diskussion tatsächlich ungemütlich werden. So läuft das halt.
          BTT, keine Mitfahrgelegenheit gleicht der anderen, es steckt immer etwas Risiko mit drin. Aber das ist ja auch das Schöne – wenn ich darauf keine Lust habe fahre ich halt Bahn :)

  4. […] 6. “Streckenweise absurd” (kleinerdrei.org, Hakan) […]

  5. Krisse sagt:

    Besonders häufig bin ich noch nicht mit Mitfahrgelegenheiten unterwegs gewesen, aber habe bisher wohl relativ viel Glück gehabt (wobei ich aber meistens auf einem Bahnticket mitfuhr und dann meist maximal anderthalb Stunden).

    @kät: Also Leute vom Bund können mal so, mal so sein, aber wenn sie das nur so einwerfen und sonst nicht groß zu diskutieren anfangen, ist das ja alles okay. Und wenn es echt unangenehm wird, gehören immer zwei dazu. Ich kenne sowohl Leute, die mit der Bundeswehr generell ein Problem haben und kaum einem Konflikt aus dem Weg gehen könnten, als auch solche, die beim Bund sind und sehr unreflektiert eben tun, was sie dort tun und sich nicht selten als die geilsten vorkommen. Glücklicherweise sind beide Gruppen in der Minderheit und die meisten Menschen ganz normal.

  6. […] Augstein und/oder diejenigen, die ihm Antisemitismus vorwerfen, genau sagen. In einem Land, in dem “Bimbo” und “Kanake” keine Schimpfworte sind. In dem Hierarchien und ihr Ausleben zum Volkssport […]

  7. Julia sagt:

    Erstmal Hallo – ich bin grade über das Bildblog hierhergekommen und werde hier sicher öfters mal wieder vorbeischauen!

    Dein Text ist ganz unterhaltsam geschrieben, er war größtenteils nett zu lesen :)

    Mit Mitfahrgelegenheiten macht wohl jeder so seine ganz speziellen Erfahrungen (meine waren bisher zu 90% positiv, habe interessante Leute getroffen und tolle Gespräche geführt). Wenn die Chemie so gar nicht stimmt, lese ich was oder stecke mir Kopfhörer in die Ohren.

    Was mich ein bisschen geärgert hat, ist der manchmal besserwisserische Ton. Das mit dem Bimbo, naja. Vielleicht ist der Mann wirklich ein Rassist; vielleicht hat er sich nur geärgert über jemanden, der ohne Geld dabeizuhaben, mitfahren wollte.
    Aber der etwas oberlehrerhafte Ton, in dem du seine dialektal eingefärbte Sprache „übersetzt“ („siagst (bayrisch für „siehst“) … net (er meint „nicht“)“), ist – tut mir leid, das sagen zu müssen – selbst ein klein wenig rassistisch. Das hat sowas von „der tumbe Bayer kann nichtmal richtig deutsch, ich übersetz das mal für euch in richtige Sprache“. Das fand ich etwas ärgerlich beim Lesen.

    Ich hoffe, du verstehst das jetzt nicht als Motzerei, sondern als konstruktive Kritik auf, so ist es nämlich gemeint :)

    viele Grüße,

    Julia

    • hakantee sagt:

      Ich selbst bin in München geboren, finde bayrischen Dialekt großartig. Kann mir aber eben sehr gut vorstellen, dass Leute nichts damit anfangen können, wenn da „siagst“ steht, ohne jede weitere Erklärung. Das schon alles ;)

    • Charlotte sagt:

      Hello!
      Kann ich verstehen, dass Du die Art, wie das bayrisch uebersetzt wurde, nicht magst. Ich bin bloss nicht sicher, ob es rassistisch sein kann – muss fuer Rassismus nicht ein Machtgefaelle vorliegen? Also, kann ein Schwarzer einen Weissen diskriminieren?

      Davon abgesehen: Bimbo ist echt absolut immer rassistisch. Auch wenn man sich aergert, dass derjenige kein Geld dabei hat. Finde ich.

      • dan sagt:

        „muss fuer Rassismus nicht ein Machtgefaelle vorliegen? Also, kann ein Schwarzer einen Weissen diskriminieren?“ d
        as ist ja wohl auch naiv und rassistisch. Warum soll das bitte nicht gehen?

        • Charlotte sagt:

          Hi dan!

          keine Ahnung, das war eine Frage. Und der Grund ist, wie oben geschrieben, dass ich mich frage ob ein Machtgefaelle vorliegen muss. Eine derartige Argumentation habe ich auf verschiedenen Blogs gelesen. Aber nicht auf der Wikipedia. Insofern weiss ich es nicht.

  8. diep sagt:

    Hakan…du sprichst mir aus der Seele..in jedweder Hinsicht.