Lauch oder Janz

Foto , cc 2.0 , by waldopepper

Sonntag abend. Der Tatort ist gerade vorbei, das deutsche Fernseh-Publikum kuschelt sich tiefer in die Couch. Titelmusik, Berlin Impressionen, das Gasometer in Schöneberg. Der Kamerakran torkelt angetrunken durch das Gebäude auf Günther Jauch zu.


„Einen schönen guten Abend und ein herzliches Willkommen.“ sagt der Mann im dunkelblauen Anzug. „Die aktuellen Ereignisse haben es gezeigt: Wir als Gesellschaft haben immer noch ein Sexismus-Problem. Lassen Sie uns heute darüber reden und nachdenken wie wir das verändern können.“ Jauch stellt seine Gästerunde vor. Allesamt betroffen oder erfahren. Nicht wieder die selben Nasen, die sowieso dauernd im Fernsehen zu sehen sind. Es herrscht Konsens, dass hier über ein Problem diskutiert werden soll und hinterher im Idealfall Menschen schlauer sind als vorher. Auch Mehrfachdiskrimierung wird nicht einfach ausgeklammert. Die Diskussion verläuft trotz Meinungsverschiedenheiten gesittet, und auch wenn keine Lösung gefunden wird, trägt die Sendung letztlich mehr Bewusstsein in die Fernsehstuben. Am Ende verabschiedet sich Jauch von seinen Gästen mit einem nachdenklichen Fazit.

Utopie? Klar.
Naiv? Sowieso.
Wunsch? Trotzdem irgendwie.

Gerade beim Thema #aufschrei und Sexismus zeigt sich diese Woche wieder einmal besonders deutlich wie anders die Realität ist. Egal ob Jauch, Will, Lanz, Illner, Maischberger oder log in: Keine Talkshow legt wert auf themenorientierte Diskussion. Es geht um Konflikt. Action. Zündstoff.

Welcher vernünftige Mensch käme auf die Idee einen „Pickup Artist“ – der Männer berät wie sie Frauen möglichst effektiv belästigen – zu einem Thema wie #aufschrei einzuladen? Etwas anderes als Absicht zu unterstellen wäre nur unnötig unhöflich.

 

Hier werden Gäste mit Maximalabstand zum Thema eingeladen um ein möglichst kontroverses Gespräch zu erzeugen. Am besten unter dem Deckmantel der Ausgewogenheit. Vielleicht denkt sich ja die eine oder andere Redaktion: „Wir haben Feminist*innen eingeladen, also brauchen wir eine möglichst menschenfeindliche Gegenposition. So als Ausgleich. BEIDE SEITEN!!!1elf“ Zum Fehlschluss, dass die Wahrheit wohl irgendwo in der Mitte liegen müsste (argumentum ad temperantiam) ist es dann für den Zuschauer nicht mehr weit. Am Ende bleibt immer nur ein diffuser „goldener Mittelweg“ zwischen zwei Positionen die sich stark in ihrer Realitätsverwurzeltheit und Faktenbasiertheit unterscheiden. Nichts ist gewonnen. Alles ist wie immer.

Das Bild rundet dann der geschickt gewählte Titel der Veranstaltung ab. Von pseudo-hinterfragend, grundsätzliche Zweifel included („Herrenwitz mit Folgen – hat Deutschland ein Sexismus-Problem?“) über themaverfehlend („Grabschen, glotzen, Sprüche klopfen: Sind Frauen Macho-Opfer?“) bis hin zum Backlash aus dem 19. Jahrhundert („Sexismus-Aufschrei – hysterisch oder notwendig?“). Respektvoll geht anders – die Glaubwürdigkeit des #Aufschrei müssen die Betroffenen wie so oft erstmal unter Beweis stellen.

Warum diesen ganzen Schwachsinn also überhaupt gucken? Warum sich aufregen? Immer wieder weisen Menschen etwa auf Twitter – mit durchaus verständlichen Motiven – darauf hin, dass Mensch das ignorieren / sich nicht antun sollte oder muss.

Leider ist die Lösung – und bei diesem Thema schon gar nicht für Betroffene – nicht so einfach. Weil in den TV-Shows auch (und gerade dort) Normalität verhandelt wird. Weil von 5 Millionen Zuschauer*innen abends bei Jauch eine normative Kraft ausgeht. Weil wir uns damit auseinandersetzen müssen, wie tief das Problem wirklich geht, wenn wir etwas ändern wollen. Weil das, um Nikel Pallat zu zitieren, nun mal ein „Unterdrückungsinstrument“ ist. Und weil perfiderweise selbst die kathartische Seh-/Schimpferfahrung mit Freund*innen, ein stabilisierendes und sedierendes Element hat. Wir brauchen diese Teerlöcher des politischen Diskurs nicht. Wir brauchen Fortschritt: „Und deswegen mach ich jetzt hier diesen Tisch mal kaputt“.

 

PS: Zum Glück hat die Arbeit an Alternativen schon begonnen! Shehadistan hat einige Vorschläge für Anne Will vorbereitet.

 

13 Antworten zu “Lauch oder Janz”

  1. @janl sagt:

    <3 <3 <3

  2. mauerunkraut sagt:

    Dem ist nichts hinzuzufügen.
    PS: ich schalte heute Abend auch nur Anne Will ein, weil ich sehen möchte, ob nicht doch Dr. Snuggles gesendet wird, oder sie alle „Somebody that I used to know“ singen

  3. Ounk sagt:

    So utopisch und naiv ist das doch gar nicht. Naja, auf Jauch bezogen vielleicht schon. Aber zumindest gab es bis vor kurzem noch eine Talkshow im deutschen Fernsehen, in der die Diskussionen wie von dir beschrieben abliefen: das ZDF Nachtstudio. Das lag wahrscheinlich auch an der Gästeauswahl, denn dort waren immer Wissenschaftler und andere schlaue Menschen zu Gast, deren Ziel es war, miteinander zu reden und nicht gegeneinander.
    Vielleicht kommt ja irgendwann mal wieder eine ähnliche Sendung ins Programm. Diese ganzen Krawalltalkshows sind wirklich unerträglich.

  4. „Welcher vernünftige Mensch käme auf die Idee einen “Pickup Artist” – der Männer berät wie sie Frauen möglichst effektiv belästigen – zu einem Thema wie #aufschrei einzuladen?“

    Gerade mit der indirekten Methode ist eine weitverbreitete Pickupstrategie darauf ausgelegt, Frauen nicht zu belästigen. Insbesondere wird dazu geraten auf „Indicators of Interest“ (also Anzeichen für ihr Interesse) zu warten und wenn diese nicht kommen die Sache abzubrechen und sich an einer anderen Frau zu versuchen.Erst wenn sie Interesse signalisiert hat (female to male Interest) soll man seinerseits Interesse zeigen (male to female interest).

  5. nk sagt:

    > „Wir haben Feminist*innen eingeladen, also brauchen wir eine möglichst
    menschenfeindliche Gegenposition. So als Ausgleich. BEIDE SEITEN!!!1elf”
    Zum Fehlschluss, dass die Wahrheit wohl irgendwo in der Mitte liegen
    müsste (argumentum ad temperantiam) ist es dann für den Zuschauer nicht mehr weit. “

    Oh, Du siehst das falsch. Erst dieses breite Spektrum _garantiert_, dass die Debatte dermaßen zerfasert, dass garantiert keine echte Problemdiskussion entstehen kann. Das ist Konzept!

  6. dorabella sagt:

    Vorschläge für bessere Sendungen zu machen, ist ja gut und schön. Aber ich fürchte, das reicht nicht. Wenn man Normalität verändern will, wie MAP richtig sagt, muss man ganz anderen Druck aufbauen. Anregung: Bei der nächsten Fernsehredeschau zum Thema einen Flashmob organisieren und das Studio besetzen. Um dem 5-Millionen-Publikum endlich mal klar zu machen, worum es in dieser Diskussion wirklich geht.
    Wer eine Revolution machen will, darf sich nicht fragen, ob er vorher vielleicht eine Bahnsteigkarte lösen muss. Hat schon Lenin gesagt! (So ähnlich jedenfalls).

  7. janosch sagt:

    Es geht ja mit der Themenauswahl los.
    Wenn man schon in der Ueberschrift die Legitimitaet der gesamten Debatte hinterfragt, muss man natuerlich Leute einladen, die entweder ja, nein oder vllt antworten. Sonst sind sich alle einig und spulen ihr Programm ab – fuer Flausch und nur Flausch schaltet aber niemand diese Talkshows ein.
    Also muessten sich die Talkshow-Leute ein vernuenftiges Thema aus dem Kreuz leiern, ueber das man konstruktiv streiten (sic!) kann.

  8. B sagt:

    Der Sinn von Talkshows ist doch nie etwas zu verändern oder etwas zu lernen, sondern lediglich den Zuschauern das Gefühl zu geben darüber geredet zu haben. Damit haben sie ihre Pflicht erfüllt und können beruhigt weiterzappen. Selbst falls man schlaue Köpfe zusammenbringt, wie gross ist die Chance in der kurzen Zeit und durcheinanderdiskutierend wichtige Punkte darstellen zu können? Das ganze Konzept ist ein Fake, am meisten ekelt mich diese Kameraperspektive an in der der Zuschauer das Gefühl vermittelt bekommt er säße mit in der Runde.

  9. Roma M. sagt:

    Ich denke die o.g. Talkshows bedienen sehr unterschiedliche Bedürfnisse. Das Bedürfnisse nach Sach- oder Themenorientiertheit dürfte vermutlich nur untergeordnet sei – im Vordergrund stehen sicherlich eher die Einschaltquoten und bei Zuschauern ein „erster Einstieg ins Thema“, Voyerismus und vieles mehr. Sich ernsthaft auseinandersetzen, denken und recherchieren ist um 21.45 Uhr für den Großteil der Bevölkerung auf der Couch sicher nicht die Intention Nr. 1 (mutmaße ich). Leider – ich selbst würde mir auch andere Formate wünschen, manchmal (oft auch zu unpopulären Zeiten) werde ich auf 3Sat oder Arte fündig. Letztlich ist aber die Quelle für Themen in meinen Augen egal. Wichtig finde ich, selbst verschiedene Quellen heranzuziehen und nachzudenken und sich eine Meinung bilden und diese Themen in seinem Umfeld zu diskutieren – das stösst vielleicht auch etwas an.

  10. “Wir haben Feminist*innen eingeladen, also brauchen wir eine möglichst menschenfeindliche Gegenposition. So als Ausgleich. BEIDE SEITEN!!!1elf”

    Was bitte schreiben Sie da? Haben Sie über ihre Aussagen nachgedacht? Hier nur einige Zitate von weiblichen Feministen:

    Morgan, Robin – Ms. Magazine Editor

    „Ich finde, Männerhass ist eine mögliche und ehrenwerte politische Handlung.“ [40][41]

    Heinisch-Hosek, Gabriele

    „Ich will nicht warten, bis die Männer endlich tot sind oder freiwillig ihren Platz räumen.“ [24]

    Gould Davis, Elizabeth

    „Der Mann ist ein Feind der Natur: Das Töten, das Roden, das Einebnen, die Verunreinigung und die Zerstörung sind seine instinktiven Reaktionen auf auf die ursprünglichen Erscheinungen der Natur, die er im Grunde fürchtet und denen er misstraut.“

    French, Marilyn

    „Männer sind Nazis durch und durch; ihr Tod ist also historisch gerechtfertigt.“ [18]

    Aus diesen Aussagen geht hervor, dass Feminismus auf irrationalem Männerhass basiert. Wenn Sie persönlich den Mann als Mensch zählen, ist also der Feminismus eine menschenfeindliche Ideologie. Den Gegenpart zu einer überzeugten Feministin stellt also nicht ein Menschenfeind, sondern vielmehr ein Menschenfreund dar.

    Freundliche Grüße

  11. Nanu mein Betrag verschwunden? Wird hier etwa zensiert?

  12. […] Kleinerdrei – Lauch oder Janz […]