Broomhilda Unchained

Foto , CC BY-NC 2.0 , by erinsikorskystewart

Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Sofa.

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@sofakissen Die Raummaschine

Quentin Tarantinos neuer Film Django Unchained ist vergangene Woche in den deutschen Kinos angelaufen. Viel wurde über die Darstellung von Rassismus und Sklaverei geschrieben. Dieser Text legt den Fokus auf einen anderen Aspekt: die Darstellung von Frauen.

Tarantinos Filme sind eine große Ausnahme von der traurigen Regel, dass auf gut ausgearbeitete Frauencharaktere größtenteils verzichtet wird. Abgesehen von seinem Erstlingswerk Reservoir Dogs leben seine Filme von ausgeprägten weiblichen Rollen. Als Actionfilm eines anderen Regisseurs würde Django Unchained hier wohl nicht weiter auffallen, im Kontext seines bisherigen Schaffen ist das Fehlen eines auch nur ansatzweise ausgearbeiteten weiblichen Charakters allerdings unübersehbar.

Der Film erzählt die Geschichte des Sklaven Django, der vom deutschen Dr. Schultz freigekauft wird und mit diesem gemeinsam als Kopfgeldjäger durch die amerikanischen Südstaaten zieht. Als er ihm von seiner noch immer versklavten Frau Broomhilda erzählt, fühlt Schultz sich begeistert an die Siegfried-Sage erinnert. Er hilft Django fortan bei der Suche nach ihr, bis es im Anwesen des Plantagenbesitzers Candie zum blutigen Showdown kommt.

Bechdel, Broomhilda und Brünhild

Beim Bechdel-Test fällt der Film mit Anlauf durch. Dieser einfache Test besteht aus einer Reihe von Fragen und macht die Unterrepräsentation von Frauen sichtbar: Haben die Frauen im Film Namen, sprechen sie miteinander, geht es in dem Gespräch um etwas anderes als Männer und deren Handlungen? Die weiblichen Charaktere mit Sprechrollen im Film lassen sich hier an einer Hand abzählen.

Die einzige für die Storyline wichtige Frau ist Broomhilda. Als entführte Ehefrau des Titelhelden, die selbstverständlich zu retten ist, stellt die Figur lediglich einen MacGuffin dar – eine Art Platzhalter, der als Motivation für die Protagonisten dient. Wird sie erwähnt, dann wird ihre Schönheit gelobt. Und wenn wir sie sehen, dann meistens auf Rettung wartend. Das Drehbuch behandelt sie wie den Koffer in Pulp Fiction. Dass Broomhilda in einigen Reviews bei der Charaktervorstellung nicht einmal Erwähnung findet, verdeutlicht auf traurige Art ihren Platz im Film.

Sie entspricht dem Stereotyp der Damsel in Distress. Dabei handelt es sich wohl um eins der ältesten, sexistischen Klischees, das in einer Geschichte vorkommen kann. Die vom (männlichen) Helden zu rettende (weibliche) Jungfer erzeugt beim Publikum im besten Fall Mitleid – im schlimmsten Fall nervt sie durch übertriebene Hilflosigkeit. Broomhildas Handlungsspielraum beschränkt sich auf Leiden, bis ihr Mann sie von diesem erlöst.

Der Film nimmt selbst Bezug auf die Nibelungensage, mit deren Held sich Django identifiziert. Dass hier ein Epos wagnerschen Ausmaßes vor der Kulisse eines trashigen Blaxploitation-Western erzählt werden soll, mag eine Tarantinos Größenwahn angemessene Idee sein. Aber weder die zugrunde liegende Geschichte, noch die Zeit zu der der Film spielt erklären, weshalb das Drehbuch Klischees unkommentiert wiederholt statt sie, wie sonst, zu brechen.

Weder stark noch schwach, aber da

Broomhilda ist nicht die einzige Frau im Film, aber auch die weiteren Darstellungen ändern den Eindruck nicht zum Positiven. Bis auf die Schwester des Antagonisten Candie sind es Sklavinnen, und auch von ihnen ist nur wenig zu sehen. In einer Szene taucht eine von ihnen in einem derart übertriebenen Lolita-Kleidchen auf, dass sich die Frage aufwirft, ob das jetzt die Perversität der Großgrundbesitzer verdeutlichen soll, oder in dieser Form doch eher an männliche Kinogänger gerichtet ist.

In Kill Bill gibt es Auftragsmörderinnen, in Death Proof Stuntfrauen, in Jackie Brown Schmugglerinnen und in Inglourious Basterds Nazijägerinnen. Es gibt in Tarantinos Filmuniversum Frauen und es gibt Männer – was es nicht gibt, ist ein „schwaches Geschlecht“. Und das liegt nicht daran, dass er einzelne „starke Frauen“ zeigt, denn das würde ja wiederum bedeuten, dass Frauen im Normalfall schwach wären. Er zeichnete seine Charaktere mit Tiefe und Konsequenz als Menschen, deren Handlungen jederzeit nachvollziehbar sind – unabhängig von ihrem Geschlecht, unabhängig von der Absurdität der Welt, die sie umgibt.

In Death Proof schlagen die vom misogynen Serienkiller gejagten Frauen zurück und kehren so das Klischee der kreischenden Frauen in eindimensionalen Opferrollen um, in Kill Bill nimmt Uma Thurman in ihrem gelben Motorradanzug nicht nur optisch die Rolle von Bruce Lee ein, bevor sie es mit Horden von Gegnern aufnimmt. Und in „Inglourious Basterds“ ließ letztlich eine Frau das dritten Reich in Flammen aufgehen – von einer Kinoleinwand aus. Tarantino versteht die Stereotypen des Mediums und noch mehr versteht er es, mit ihnen zu spielen. Er bedient sich immer wieder bei Themen von Trash- und Exploitation-Filmen, bricht sie aber auf und bindet sie in seinen eigenen Kontext ein. Die unkommentierte Reproduktion solcher Stereotypen hat mit diesem Spiel der Zitate aber nichts mehr zu tun.

Django Unchained ist der erste Film, den Tarantino ohne seine langjährige Cutterin Sally Menke fertigstellen musste und viele gedrehte Szenen, auch mit Broomhilda, fanden ihren Weg nicht in die Kinofassung. Vielleicht fehlt Menkes Einfluss, vielleicht fehlen die geschnittenen Szenen. Am Ende mag es zwar der Film geworden sein, den er als Regisseur und Autor beabsichtigt hat. Dass er die Stärke seiner weiblichen Charaktere opfert, ist dennoch mehr als schade. Vielleicht wäre das Ende des Films nicht so träge wie es ist, hätte Broomhilda hier ebenfalls gegen ihre Unterdrücker zurückgeschlagen, anstatt erneut zum Spielball im Kampf der Männer zu werden. Als eine Badass Damsel, eine Walküre.

Das Mainstream-Kino hat ein Problem, ein Männlichkeitsproblem, das nicht nur zu einer unpassenden Darstellung von Frauen führt. Das überbordende Testosteron-Niveau schlägt sich im gesamten Film nieder und zeigt sich absurd in den wiederholten Genitalverstümmelungen. Dabei verliert sich der Film selbst so sehr in all der Männlichkeit, dass andere Themen auf der Strecke bleiben und wichtige Aspekte überdeckt werden.

Nicht nur Django Unchained hätte ein bisschen mehr Shosanna Dreyfus gut getan, ein bisschen mehr Beatrix Kiddo. Es würde dem Kino an sich gut tun, wie Tarantinos Filme das bisher auch leisten konnten. Das macht es um so ärgerlicher, um so enttäuschender, dass Frauen in diesem Film das sind, als was viele diese Kritik sehen werden: eine unwichtige Nebensächlichkeit.

17 Antworten zu “Broomhilda Unchained”

  1. Dominik sagt:

    Es gibt noch einen Frauencharacter, der zumindest erahnen lässt, dass QT das Thema nicht ganz kalt gelassen hat für diesen Film. Zoe Bell spielt eine der Handlangerinnen von DiCaprios Character. Hier noch etwas mehr Infos dazu:

    http://www.vulture.com/2013/01/what-was-cut-from-django-unchained.html
    Zitat: „The most mysterious character in the film has to be the female tracker played byDeath Proof’s Bell, who has her face covered throughout the movie; she never speaks, but gets a long, slow close-up right before she dies. And before that there is a scene in which she meaningfully looks into a stereopticon at what seems to imply that she and Django knew each other as kids. The script offers no clue, but Goggins confirmed to Indiewire that there was something cut out of that part, saying, “Yeah, you don’t really get anything from her character but she’s lethal“ but declining to elaborate.“

    Die stumme Frau, mit verstecktem Gesicht, ist vielleicht ein Eingeständnis Tarantinos, dass der Film keine starken Frauenrollen zeigt.

    • sofakissen sagt:

      Das wäre ja sehr meta, aber interessanter Gedanke. Wobei ich es Tarantino eher noch übler nehmen würde, wenn er reflektiert genug wäre, sein eigenes Drehbuch in dieser Art zu kommentieren – und dann trotzdem noch die üblichen Stereotypen reinschreibt. Auf das „five-hour director’s cut“, gerade die Broomhilda-Backstory, bin ich allerdings sehr gespannt. Dass ungewöhnlich viel abgedrehtes Material rausgeschnitten wurde las ich schon öfters, eine spätere Veröffentlichung klingt also ganz wahrscheinlich.

      • Dominik sagt:

        Das Drehbuch kann man hier lesen: http://twcguilds.com/assets/screenplay/django/screenplay.pdf

        Die Backstory ist eine längere Sequenz, die meines Wissens leider nicht gefilmt wurde. Sie beginnt auf Seite 55. Es wird größtenteils aus ihrer Perspektive beschrieben, wie sie über Umwege in den Besitz von Candie geraten ist: „The strong but frightened girl …“. Sehr lesenswert, aber man versteht, warum es nicht gefilmt wurde (zu großer Bruch in der Handlung).

  2. Anne Wizorek sagt:

    ich einselfe deine aussagen. mich hat es richtig wütend gemacht, wie tarantino broomhilda als figur vollkommen vernachlässigt und dermaßen schwach gemacht hat. allein die ohnmacht? oder das kindliche klatschen nach der explosion? oh please. wenn er schon die künstlerische freiheit hat, keine historisch korrekte story erzählen zu müssen, hätte er diese genau so für broomhilda walten lassen können. sehr enttäuschend.

    • sofakissen sagt:

      Die Szene nach der Explosion war wirklich schon zum Fremdschämen peinlich… ich werd mir mal diese 10 Seiten Hintergrundgeschichte zu Broomhilda im ursprünglichen Drehbuch durchlesen. Bin gespannt, was Tarantino ursprünglich für sie geplant hatte.

      • exo sagt:

        Für mich gehören die hier genannten Szenen (Ohnmachszene, Klatschszene) zu den besten Szenen des Films. Warum? Der Film handelt von Diskriminierung. Im Vordergrund steht hier natürlich die Unterdrückung von Afroamerikanern oder wie Tarantino es gefühlte 500 mal ausdrückt „Niggern“. Szenen wie die oben genannten zeigen aber auch die Diskriminierung der Frauen auf. Sowohl im „Wilden Westen“ als auch im Hollywood der 50er und 60er Jahre. Das dies bewusst so gewählt ist zeigt auch die, für Tarantino unüblich, extreme Darstellung von Stereotypen und Vorurteilen. Ich sehe den Film als Gesamtkunstwerk gegen Diskriminierung. Es ist sicher kein Meisterwerk aber man kann keinen Film über Diskriminierung drehen und die größte diskriminierte Gruppe außen vor lassen.

  3. Manuel sagt:

    Es zählt doch zu Tarantinons Stärken immer immer etwas anderes abzuliefern. Hier mal ein Film ohne starke Frauenfigur, dafür mit viel politischer Brisanz. Der Film ist wirklich grandios und von mir aus, hätte er ruhig noch länger sein können. Den Charakteren in Tarantinofilmen Tiefe zu unterstellen, halte ich für gewagt. Konsequent sind sie. Oh Ja!

    • sofakissen sagt:

      Ja, ich unterstelle Tarantinos Charakteren deutlich mehr Tiefe, als fast dem gesamten Hollywoodkino. ;) Vor allem sind seine Charaktere nie die langweiligen Klischees, das sind durchaus komplexe Charaktere mit teilweise sehr subtilen Beweggründen – nimm alleine Hans Landa in Inglourious Basterds. Sie bauen auf Klischees auf, machen dann aber etwas anderes daraus. Dass Tarantino diese Klischees so unverändert nachbildet empfand ich zum ersten mal so – und weil er sonst eine Abwechslung zu der üblichenn Hand voll Standardrollen des Actionkinos bietet bin ich auch enttäuscht.

      Abgesehen davon ist die stereotype Zeichnung von Frauen im Kino ein strukturelles Problem, bei dessen Bekämpfung jeder Erfolgsfilm hilft, der das Gegenteil beweist. Jungen Autoren wird ja teilweise explizit dazu geraten, keine Frauen als Hauptrollen zu schreiben, um nicht den Erfolg des Films zu gefährden: http://thehathorlegacy.com/why-film-schools-teach-screenwriters-not-to-pass-the-bechdel-test/

  4. argh sagt:

    bemerkenswert ist übrigens, dass das original aus dem jahr 1966 diesen bechdel-test besteht – auch wenn die sequenz nur wenige sekunden lang ist.. (den advanced-test von feminist frequency besteht er also nicht ;) )

    im abspann wird eben jene bardame, die maria ihr zimmer leiht und einmal beim namen genannt wird, nicht aufgeführt.

    (es war so etwas ähnliches wie elisia oder so..vielleicht weiß es wer anders.. ich hab den film nicht erneut abspielbar zur hand und blöderblöderweise – oder doch bezeichnenderweise?? – den namen schon wieder vergessen).

  5. map sagt:

    Als Nebenfachmediziner glaube ich Sofa täte sich ein bisschen schwer mit „überbordende Östrogen-Niveau“. Deine Annahme dass dem nicht so ist, ist allerdings sehr lustig, so auf der Metaebene.

    • Jonathan Widder sagt:

      Hey, jetzt noch mal ganz klar: Was ich geschrieben habe, war keine Annahme, sondern nur Versuch zu zeigen, wie absurd und pauschalisierend diese Terminologie ist. Man macht damit das Hormon mitverantwortlich, anstatt sich auf das Verhalten bzw. den Film zu konzentrieren. Eine Stellungsnahme hatte ich mir eigentlich von der Autorin selbst erhofft.

  6. sofakissen sagt:

    Ich befürchte, dass da einfach eine Gewöhnung drin ist, weil es in fast allen Filmen so ist. Hier ist es mir wohl auch nur so sehr aufgefallen, weil Tarantinos sonstigen Filme bisher im Action-Mainstream herausstachen.

  7. Mr. White sagt:

    „Er zeichnete seine Charaktere mit Tiefe und Konsequenz als Menschen, deren Handlungen jederzeit nachvollziehbar sind“

    Naja, das stimmt bedingt. Oft zeichnet er einen Charakter mit großer Geduld, um seine Glaubwürdigkeit dann aufgrund der Eskalation zu opfern.

    *Spoiler*

    Warum erschießt Christoph Waltz Leonardo DiCaprio? Zuvor tut er alles dafür, um Djangos Frau zu retten. In diesem Moment trennt ihn nur ein Handschlag von seinem Ziel. Die Erklärung, dass es der berühmte Tropfen ist, der das Fass zum überlaufen bringt, ist da einfach zu trivial. Eine ähnliche Situation kennt man aus Inglourious Bastards, als die Konfrontation mit August Diehl in der Nazi-Kneipe eskaliert.

    Man weiß einfach von Tarantino, dass irgendwann das große Feuerwerk mit Gewalt kommt, aber wenn es dann da ist, denkt man, die Spannung davor war einfach schöner…

  8. […] und deckt Logikfehler, Plotlöcher und nervigen Kram auf. Ich nutze den Clip dazu um auf diesen Artikel bei Kleinerdrei hinzuweisen in dem es um das FRauenbild in Django Unchained geht, welches für Tarrantino […]