Wem wir glauben. Prominente, sexuelle Gewalt – und alle anderen.

Foto , CC BY-SA 2.0 , by marfis75

[Triggerwarnung: Thematisierung von sexueller Gewalt bzw. den öffentlichen Umgang mit Betroffenen, gilt insbesondere auch für einige verlinkte Texte]

Der neue Woody Allen

Ich radle durch das herbstliche Berlin, so gedankenverloren wie es eben geht, wenn eine auf dem Radweg unterwegs ist. Habe schöne Herbstmusik auf den Ohren, und die Gesamtsituation macht mir gute Laune. Mein Blick streift einen kleinen Platz am Kottbusser Tor, an einer Litfasssäule hängt ein Kinoplakat, darauf zwei Männer nebeneinander spazierend, freigestellt auf rotem Grund. Der eine Umriss kommt mir bekannt vor, die Statur klein, grauhaarig, die Arme in einer schrulligen Geste erhoben. “Oh, der neue Woody Allen!” denke ich für den Bruchteil einer Sekunde. Und gleich darauf: “Ah. Der neue Woody Allen”. Den Rest der Radstrecke bin ich nachdenklich.

Im Filmwissenschaftsstudium Anfang der 2000er hatten wir mal eine richtige Woody-Allen-Phase. Seine Filme waren unterhaltsam und trotzdem gaben sie mir das akademisch verbrämte Gefühl, keinen Mainstream-Quatsch, sondern etwas Kanonisches zu gucken. Irgendwie Filmgeschichte. Als ich sein neues Plakat sah, war mein Kopf wohl kurz wieder bei damals, als ich mich mit nichts beschäftigte außer seinen Filmen, in unbehelligter Ignoranz. Heute bereitet mir eigentlich alles von und mit ihm nur noch unangenehmes Ziehen im Bauch.

Ein Grund dafür sind natürlich die Vorwürfe seiner Adoptivtochter Dylan Farrow, dass Allen sie als Kind sexuell missbraucht hat. Er hat dies abgestritten, aber ist es deswegen nicht wahr? Hundertprozentig weiß ich das nicht. Viele Indizien sprechen nach wie vor dafür. Aber das schlechte Gefühl rührt nicht nur daher. Fast noch erdrückender scheint, dass dieses Plakat da jetzt einfach so hängt. Als wüsste niemand was. Als wäre es allen egal. Ist es vermutlich auch. Der Mann ist doch ein großer Künstler! War da was? Ach, das weiß ja niemand so genau. Und seine Filme sind doch so gut. Und alle (oder zumindest die meisten) Schauspieler_innen Hollywoods wollen mit ihm zusammenarbeiten.

Es ist kein Geheimnis, wie schwer es von sexueller Gewalt und Missbrauch Betroffene haben, Menschen zu finden, die ihnen ihre Erfahrung überhaupt glauben (siehe dazu: Rape Culture). Von Anzeige und Verurteilung ganz zu schweigen. Wenn es um eine prominente Person geht, einen Star, ein Idol, wird es geradezu höllisch. Unweigerlich folgt eine öffentliche Debatte, in der sich die Betroffenen zusätzlich zu ihren Erfahrungen anhören müssen, dass sie einen von vielen verehrten Menschen “zerstören”, und natürlich: lügen. Schnell ist von „Hexenjagden“ die Rede, von „rachsüchtigen Expartner_innen“, „enttäuschten Groupies“, „geldgierigen Frauen“, und unzählige entrüstete Fans eilen zur Verteidigung ihrer Stars herbei.

Der Fall Jian Ghomeshi

Aktuell lässt sich dieser Prozess in Kanada verfolgen: mittlerweile sind es etliche Frauen, die von gewalttätigen sexuellen Übergriffen durch den prominenten CBC-Radio- und TV-Moderator Jian Ghomeshi berichten. Mir war er vorher nicht bekannt, in Kanada ist er aber offensichtlich eine echte Medienikone und (bislang) sehr beliebt. Es verwundert wenig, dass sich erst jetzt, nachdem drei erste Fälle publik geworden sind, immer mehr Frauen mit ihren Erlebnissen mit Ghomeshi an die Öffentlichkeit trauen. Carla Ciccione, die schon vor ca. einem Jahr über Übergriffe durch einen kanadischen Radiomoderator berichtete, aber nicht mal dessen Namen nannte, wurde bereits von Ghomeshis Fans im Internet mit Attacken überschwemmt. Die drei Frauen, die sich als erste der Zeitung Toronto Star gegenüber äußerten, bestanden daher auch verständlicherweise auf Anonymität.

Verkompliziert wird ihre Lage durch die Tatsache, dass sie auf Dates mit Ghomeshi für Sex aus dem BDSM-Spektrum offen gewesen waren (warum auch nicht), Ghomeshi sie dann aber ohne Absprachen oder Konsens attackiert hat. Das hat dann zwar nichts mehr mit BDSM zu tun, in der Öffentlichkeit wird dies jedoch gerne misogyn verzerrt: wer grundsätzlich in kinky Sex eingewilligt hat, kann ja quasi nichts gegen Schläge und Zwang haben.

“None of the women wanted their identities on the record, and none of them went to the police, citing reasons that are undoubtedly familiar with anyone who has been abused by a public figure: They worried nobody would believe them. They didn’t want their own safety threatened by people who believed that consenting to mild BDSM meant that they consented to all uses of violence in the context of sex. They didn’t want their inbox flooded by hatemail. “

(“Keine der Frauen wollte ihre Identität preisgeben, und keine von ihnen ging zur Polizei, aus Gründen, die allen bekannt sind, die von einer prominenten Person attackiert wurden: Sie befürchteten, dass ihnen niemand glauben würde. Sie wollten nicht bedroht werden durch Menschen, die davon ausgingen, dass Zustimmung zu mildem BDSM bedeutete, dass sie jeder Art von Gewalt in sexuellem Kontext zustimmten. Sie wollten nicht, dass ihre Postfächer mit Hatemail überschwemmt werden)”. (Quelle: Jezebel.com)

Die Ablehnung seiner sexuellen Vorlieben ist es auch, die Ghomeshi zu seiner Verteidigung heranzieht: er sieht sich als Opfer kleinlicher Moralvorstellungen (er wurde von CBC entlassen) und – auch ein bekanntes Narrativ – einer enttäuschten Ex-Geliebten. Sein Facebook-Post, in dem er all dies wortreich erklärt, erhielt über 100.000 Likes, und er auch zunächst noch Unterstützung durch etliche Prominente. Inzwischen sind jedoch neun Frauen, darunter eine in Kanada bekannte Schauspielerin, an die Öffentlichkeit getreten, und unterstützende Stimmen werden stiller.

Was über die Vorfälle berichtet wird, liest sich zudem so eindeutig, so himmelschreiend, dass ich versucht bin, zu denken: das lässt keine Fragen offen. Er kommt da nicht mehr raus. Andererseits wurde auch bekannt, dass Geschichten über sein zumindest übergriffiges Verhalten gegenüber Frauen unter der Hand bereits länger kursierten – ohne Konsequenz. Sein Verteidigungsversuch, dies alles als Kampagne darzustellen, erscheint mehr als unglaubwürdig: so sollen sich offenbar all diese (einander unbekannten) Frauen zusammengeschlossen haben, um für seine Ex-Freundin über ihn zu lügen. Dennoch:

“It seems that every time a male celebrity is accused of rape or sexual assault, people eagerly latch onto any bonkers theory that might explain away the allegations, while ignoring the simplest explanation: They’re probably true.”

(“Jedes Mal, wenn einem männlichen Prominenten Vergewaltigung oder sexuelle Gewalt vorgeworfen wird, scheinen die Menschen bereitwillig auf jede krude Theorie aufzuspringen, die die Vorwürfe auflösen könnte, und ignorieren die einfachste: sie sind vermutlich wahr.”) (Quelle: damemagazine.com)

Die Autorin Kate Harding fasste die ganze Absurdität der üblichen „Aussage gegen Aussage“-Argumentation für den Fall Ghomeshi sehr treffend zusammen:


(“Aber wie können wir jemals die Wahrheit wissen in einer ‘er sagt / sie sagt,
sie sagt, sie sagt, sie sagt, sie sagt, sie sagt, sie sagt, sie sagt’-Situation?”)

Unabhängig davon, wie dieser Fall sich entwickeln wird – Kausalitäten gibt es hier nicht. Die Öffentlichkeit ist willig und schnell darin, solche Vorfälle zu verdrängen. Roman Polanski, Woody Allen, R. Kelly, Bill Cosby: die Liste ließe sich fortsetzen. Sie sind alle noch oder wieder im Geschäft. Sie werden eher bewundert als boykottiert. Bekannte und beliebte Künstler_innen arbeiten mit ihnen zusammen und geben ihnen Legitimation. Und wir können nicht einmal anfangen, darüber nachzudenken, dass es so etwas wie Reue, Verzeihen oder Rehabilitation geben könnte. Nicht, so lange die Dinge so sind, wie sie sind. Niemand gibt irgendetwas zu, öffentlich (und meistens auch nicht privat). Niemand reut. Wozu auch? Andere sind auch auf den Füßen gelandet.

Vielleicht sind kleine Entwicklungen zu erkennen, quälend langsam. Queen Latifah hat kürzlich Bill Cosby aus ihrer Talkshow wieder ausgeladen und als Grund die zahlreichen Vergewaltigungs-Vorwürfe genannt, die dem Comedian in der Vergangenheit gemacht wurden und die seit Jahren hinlänglich bekannt sind. Was trotzdem bezeichnend ist: ich las in diesem Jahr zum ersten Mal von diesen Vorfällen, im Zusammenhang mit den Vorwürfen von Dylan Farrow. Von allem hätte man (ich) schon längst wissen können, genauso wie man es von vielen anderen weiß oder wissen könnte. Aber diese Dinge tendieren dazu, in Vergessenheit zu geraten. Na sowas. Und warum werde ich das Gefühl nicht los, im weißen Kulturbetrieb (bzw. der damit zusammenhängenden Öffentlichkeit) wird es noch länger dauern?

Prominente und Nicht-Prominente
– Wem wir glauben

Ich habe Bauchweh, während ich diesen Text schreibe. Wer sich mit diesem Thema auseinandersetzt, sollte sich auf ohnmächtige Wut und Kummer gefasst machen – wenn es einer oder einem denn überhaupt möglich ist, ohne durch eigene Erfahrungen getriggert zu werden. Es fällt mir schwer, alles so sachlich auseinanderzudröseln, wie ich gerne würde. Ich wollte darüber schreiben, was es für einen Unterschied macht, wenn sexuelle Gewalt von Prominenten ausgeht. Dann fallen mir Fälle in meinem weiteren Bekanntenkreis ein. Oder Steubenville. Oder unzählige andere Beispiele. Die Reaktionen sind dabei eigentlich nicht so verschieden. Bei Prominenten sind die Proportionen anders, ohne Frage, aber die Grundprinzipien sind gleich. Und um einige Dimensionen schlimmer wird es noch, wenn die Anklagende eine Woman of Color ist; eine Frau mit niedrigem sozialen Status, wie die Hotelangestellte im Fall von Strauss-Kahn; oder eine Transfrau, die in sehr hohem Maße von sexueller Gewalt bedroht sind – und deren Geschichten zudem kaum an die Öffentlichkeit gelangen.

Es gibt keinen logischen Grund, einem bewunderten Menschen, Künstler, Entertainer aus dieser Bewunderung heraus bestimmte Taten nicht zuzutrauen. Eine Motivation dafür ist (ob nun bewusst oder unbewusst), dass wir es nicht wissen oder glauben wollen. Die Konsequenzen wären uns unangenehm, auch, weil wir uns dabei Dinge über uns selbst eingestehen müssen. Der andere Grund ist universeller – die in unserer Gesellschaft tief verwurzelten Vorurteile, Sexismus, Rassismus und Transphobie, die bewirken, dass Aussagen unterschiedlich viel wert sind. So schlicht und so wirkmächtig.

Was glauben wir Menschen und was trauen wir ihnen zu, und warum? Oder warum nicht? Welchen Menschen glauben wir? Könnt ihr euch diese Fragen ehrlich beantworten? Würden wir das Prinzip der Unschuldsvermutung konsequent anwenden, dann müssten wir damit anfangen, auch anzunehmen, dass Anklagende unschuldig sind – der Lüge unschuldig und ehrlich im Berichten ihrer Erlebnisse. Das Gegenteil ist der Fall. Anlässlich von Ghomeshi hat eine kanadische Staatsanwältin darüber geschrieben, warum sie gut versteht, dass Frauen sexuelle Gewalt nicht zur Anklage bringen (starke Triggerwarnung für diesen Link). Sie zählt die vorwurfsvollen Fragen auf, denen Frauen sich stellen müssen, wie die Geschehnisse zu ihrem eigenen Fehler umgedeutet werden, und nennt vorurteilsbelastete, einseitige Urteile. Wie eine Bestätigung dazu entstand, wohl angestossen durch eine Reporterin des Toronto Star, im englischsprachigen Twitter der Hashtag #BeenRapedNeverReported, unter dem Menschen berichteten, warum sie sexuelle Gewalt nicht zur Anklage gebracht haben. In Deutschland gab es mit #IchHabeNichtAngezeigt bereits eine vergleichbare Aktion, die wiederum ein Vorbild in #ididnotreport hatte. Es sind immer wieder ähnliche Erzählungen. Immer und immer wieder. Für jede_n zum Nachlesen. Die Muster sind offensichtlich.

Harassment

Comic von Jim Chimes zur unmöglichen Situation, in der Betroffene stecken

Aber vermutlich ist bei Prominenten nicht mal das Glauben solcher Anschuldigungen das Problem. Sondern, dass es sogar in Kauf genommen wird. Männer wie Klaus Kinski werden als “exzentrisch” und “enfant terrible” betitelt. Sowas käme eben vor bei kreativen / mächtigen Männern. Sie werden als wild, abgründig und gefährlich oder boulevardesk “pervers” beschrieben. Diese Narrative nützen ihrem öffentlichen Image in vielen Fällen eher, als dass sie schaden.

Und der neue Woody Allen? Scheiß drauf. Filme von Regisseur X oder Songs von Musiker Y nicht mehr konsumieren zu “können”, ist nun wirklich nicht das Problem. Es ist eine alberne Lappalie verglichen mit dem, was Überlende von sexueller Gewalt durchmachen. Aber es ist auch ein Teil eines weitaus größeren Puzzles: wem glauben wir, und warum?

13 Antworten zu “Wem wir glauben. Prominente, sexuelle Gewalt – und alle anderen.”

  1. Bettina sagt:

    Eine kleine Korrektur: Der „neue Woody Allen-Film“ ist kein neuer Woody Allen-Film in dem Sinne, Woody Allen ist nur einer der Schauspieler, Autor und Regisseur ist John Turturro (der auch die Hauptrolle spielt).
    Aber das nur nebenbei als Info, mit den restlichen Überlegungen hat das ja nichts zu tun.

  2. KWiNK sagt:

    Es gibt da dieses grundsätzliche Dilemma.
    Jemanden verurteilen, bevor eine Untersuchung und am besten eine Gerichtsentscheidung die Schuld nach unserem (oder dem amerikanischen) Rechtssystem im Rahmen der Möglichkeiten einwandfrei geklärt hat? Oder die Opfer „alleine“ lassen oder sogar als potentielle LügnerInnen hinstellen.

    Solange nichts bewiesen ist, sollte es eigentlich heißen: Alles kann passiert sein, nichts muss. Nur wenn die Vorwürfe berechtigt sind, hilft das den Opfern nicht. Wenn sie es nicht sind, werden aus Unschuldigen Täter gemacht, die zu unrecht geächtet und boykottiert werden. Keine Option ist gut oder für irgendwen zufriedenstellend.

    Deswegen ist das Einzige, wogegen ich mich stemme, dass irgendwer aus einem Fandom oder einer Promi-Ablehnung heraus zu wissen meint, wie etwas gewesen sein muss. Wer nichts weiß und nicht dabei war, sollte sich einfach zurückhalten. Ist im Internet ein unerfüllbarer Wunsch, aber schön wäre es, wenigstens würde man den Dingen damit die Möglichkeit geben, sich ohne Druck durch „öffentliche Meinung“ zu entwickeln und untersucht zu werden.

  3. Dolly Hüther sagt:

    Alle diese tollen chronologischen Aufzeichnungen, kann ich sehr gut nachempfinden. Ich dachte immer, wenn wir einmal mehr Frauen als Richterinnen und Beisitzerinnen in den Prozessen hätten, würde sich irgend etwas ändern. In den 70-80iger Jahren habe ich für Prof. Weiß, Forscher an der saarländischen Uni, Prozessbeobachtung bei Vergewaltigungsprozessen gemacht. Die waren damals sehr sexistisch und darüber hat Prof. Weiß auch ein Buch verfasst. Ich denke Ihr Appell muss an die männlichen Menschen in unserer Gesellschaft gehen. Es sind die Bündnisse und Platzhirsche, die sich stützen. Nur was mir auch klar ist, Frauen sind nicht die besseren Menschen. Ich denke nur an Kachelmann? Ganz viele Frauen zeigen, wie Sie sehr richtig schreiben nicht mehr an. Zur Zeit geht Vieles, was wir uns in den 80iger Jahren erkämpft haben zurück. Darüber mache ich mir schon lange Gedanken. Einer dieser ist leider, dass viele junge Frauen glauben, wir haben es geschafft. Danke für diese ausführliche Arbeit zum Thema. Mit freundliche Grüßen Dolly Hüther

    • Auto_focus sagt:

      Was den Fall Kachelmann angeht, muss ich klar widersprechen: er wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen, nicht weil das Gericht von seiner Unschuld überzeugt war oder von einer Falschbeschuldigung ausging – der Richter hat dies klar deutlich gemacht. Dies lässt sich alles sehr detailliert nachlesen. Kachelmann hat dafür mit seinem Unwort „Opfer-Abo“ deutlich gemacht, dass er für genau die Kultur steht, die ich hier anprangere.

      • Auto_focus sagt:

        Und noch eine Ergänzung: dass Kachelmann als ein Beispiel für „böse Frauen“ und Falschbeschuldigung gilt, ist genau Teil des von mir beschriebenen Problems. Die tatsächlichen Fakten geraten in den Hintergrund, ein anderes Narrativ wird kollektiv erinnert.

      • Kinch sagt:

        Kachelmann, bei aller Antipathie, hat allerdings auch wiederholt klar gemacht, dass er davon überzeugt ist, dass (zu-)viele Opfer von Vergewaltigungen diese nicht anzeigen.

        Gestehen wir ihm ferner zu nicht schuldig zu sein, dann finde ich seine Perspektive auf das Geschehene durchaus nachvollziehbar. Der Fall zeigt eher, wieso sich solche Diskussionen sich nicht an einzelnen Fällen aufhängen sollten. Die Gefahr selbst jemanden Unrecht zu tun, ist schon sehr groß, wie man etwa auch am Fall von Andreas Türck gesehen hat.

        • Auto_focus sagt:

          Kachelmann fällt mir vor allem mit Antifeminismus und Frauenfeindlichkeit auf. Und ich finde es nun geradezu zynisch, dass es unter diesem Text nun SCHON WIEDER darum gehen soll, dass Männern durch Falschbeschuldigungen Unrecht widerfahren ist. Oder eher: widerfahren könnte. Es ist ein marginales Problem verglichen mit dem, was ich im Text beschreibe. Weitere Kommentare in diese Richtung (Kachelmann / Falschbeschuldigungen) werde ich nicht freischalten, sorry.

  4. Giliell sagt:

    Ein paar Punkte
    1. Guter Text, der viele der Fragen, die sich auftun behandelt
    2. Der Autor des Comics ist Jim C. Hines. Seine Bücher kann ich nur wärmstens empfehlen, wenn man Fantasy with a twist mag, besonders die Princesses Serie.
    3. Ich kann das Wort „Unschuldsvermutung“ nicht mehr hören. Die Unschuldsvermutung ist ein juristischer Grundsatz. Die Juristerei hat ein grundsätzliches Dilemma: Sie hat immer eine Fehlerquote. Entweder werden Unschuldige verurteilt oder Schuldige freigesprochen. Und der Konflikt löst sich auch nicht, wenn Methoden besser werden*. Zwangsweise wird immer die eine Gruppe größer je kleiner die andere wird. Nun hat man sich in unseren Gesellschaften darauf geeinigt, dass es die Zahl der unschuldig Verurteilten zu minimieren ist, auch wenn man damit wissentlich in Kauf nimmt, dass Schuldige freikommen. Siehe „Freispruch aus Mangel an Beweisen“.
    Die Öffentlichkeit ist kein Gerichtssaal. Sie kann andere Maßstäbe anlegen. Als potentielles Opfer MUSS ich das sogar um mich zu schützen. Aber trotzdem DARF ich es laut „Unschuldsvermutungsfanatikern“ nicht. Heads I win, tails you lose.
    4. Dass kein Gerichtsurteil gesprochen wurde (weil es erst gar keine Anzeige, Untersuchung, Prozess gab) oder gemäß der juristischen Unschuldsvermutung ein Freispruch erfolgte heißt nicht, dass das Verbrechen nicht geschehen ist und heißt nicht, dass jemand es nicht getan hat. Gerichte schaffen nicht posthum Fakten. Es gibt nicht Schrödingers Missbrauchsopfer: Findet ein Gericht den Täter/die Täterin schuldig sind die Sachen passiert, geschieht das nicht dann ist man auch nie Opfer geworden.

    *Über die großen Ungerechtigkeiten, insbesondere wenn es um Herkunft, Migrationshintergrund und Hautfarbe geht red ich hier erst mal gar nicht.

  5. Pandora sagt:

    Ich bin seit meinem Außensemester immer Fan von Q, der Show von Gomeishi, gewesen und kann den Schock in diesem Fall gut nachvollziehen: kluge Interviews, tolle Gäste und ein für mich persönlich durchweg sympathischer Host. Jian ist auch nicht „nur“ ein Radiomoderator, sondern war tief verankert in der (pop-)kulturellen Szene. Er war ein bekanntes Gesicht auf allen möglichen Konzerten, Ausstellungen usw. und selbst auch ehemaliges Bandmitglied einer früher mal in Kanada recht beliebten Indie-Band.

    Besonders schlimm für mich sind aber nicht nur die nicht mehr abstreitbar übereinstimmenden Berichte der verschiedenen Opfer oder das unter der Hand Gomeishi wohl bei vielen Leuten bereits einen Ruf als „creepy/fishy“ hatte, sondern das offenbar sogar direkt beim CBC Anschuldigungen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz bewusst ignoriert wurden. Jimmy Saville anyone?

    Ich finde das Prinzip Gerüchteküche richtig scheiße aber was ist die Alternative, wenn das System nicht funktioniert? Und auch wenn ich der Überzeugung bin, dass es viel weniger falsche Anschuldigungen als ignorierte Opfer gibt, gab es durchaus auch prominente Fälle, wo mit großer Wahrscheinlichkeit die Anklage nicht stimmte: ich denke da an Conor Oberst. Nachdem er online der Vergewaltigung beschuldigt wurde, hat nicht nur (Jahre später!) die mittlerweile identifizierte Anklägerin alles zurückgezogen, sondern es kam raus, dass sie in der Vergangenheit öfter mal Probleme mit der Wahrheit hatte (z.B. Krebserkrankung erfinden).

    Bei Künstlern ist das sowieso nochmal in anderer Hinsicht schwierig – warum soll ich die Werke von möglichen Verbrechern nicht gut finden dürfen? Warum erwarten wir überhaupt, dass Schauspieler u.Ä. gute Menschen sind? Leute aus Celebrity-Interviews ausladen ist ok, die sind ja auch nur Teil des Problems („du machst tolle Musik, also musst du als Typ auch dufte sein und ich will alles über deine Ansichten wissen!“) aber darf ich ein Werk nicht ohne Personenkult schätzen dürfen?

    Mein Problem ist auch hier, insbesondere bei R.Kelly, das offensichtliche Versagen des Rechtssystems. Ich will das Leute zur Polizei gehen können und ernst genommen werden. Das Sie mit Würde behandelt werden. Das niemand das Gefühl hat, Tumblr-Posts wären die einzige Lösung. Ich will, dass Institutionen auch „wichtige“ Leute nicht schützen, sondern sich an ihre eigenen Regeln halten.

    Den „Lügen“schreienden Mob will ich aber hier gar nicht in Schutz nehmen o.Ä.: Vollidioten, allesamt.

  6. SusiSubjektiv sagt:

    Sehr schön und nachvollziehbar geschrieben..

    Ich glaube, dass Menschen den Aussagen der Angegriffenen skeptisch gegenüber stehen, wenn man nichts „sehen“ kann, wenn es z.B. kein Video und keine Fotos gibt, die das Ganze stützen. Natürlich ist das eben oft nicht möglich oder zu intim. Ansonsten könnten Fotos von Würgemalen o.ä. bestimmt das öffentliche Bild beeinflussen. Auf der anderen Seite gab es schon etliche Bilder vom lächelnden, freundlichen mutmaßlichen Täter, zu dem oft schon eine Beziehung aufgebaut wurde.

    Die größte Baustelle bleibt aber wohl, dass auch wirklich Anzeige erhoben wird. Es darf nicht sein, dass die Gesellschaft und die Medien die Menschen so sehr unter Druck setzen, dass diese ihre Würde verlieren, indem sie sich nur einrollen können und hoffen, dass alles schnell vorbei ist..

  7. tempovoyager sagt:

    Guter Text. Kann ich so unterschreiben ;o)

    Ich denke wir glauben der Person mit dem besten Standing, mit der höchsten Glaubwürdigkeit. Und die ergibt sich blitzschnell in unserem Kopf anhand eines total individuellen Rasters, welches wir über jede Person legen. Bewusst und unbewusst.
    Dazu kommt Bequemlichkeit, wer will sich schon eingestehen so jemanden gut zu finden oder zu mögen? Wer mag schon sein Bild von der Person ändern und sich vielleicht sogar damit gegen den Mainstream stellen?

  8. Auto_focus sagt:

    In der Wikipedia wird zitiert, was das Gericht dem Urteilsspruch voranstellte: „Der heutige Freispruch beruht nicht darauf, dass die Kammer von der Unschuld von Herrn Kachelmann und damit im Gegenzug von einer Falschbeschuldigung der Nebenklägerin überzeugt ist. Es bestehen aber nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme begründete Zweifel an der Schuld von Herrn Kachelmann. Er war deshalb nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ freizusprechen.“ Mit dem ersten Satz klingt das wie: die Schuld lässt sich halt nicht nachweisen. Aber Unschuld ist was anderes…

    • Kinch sagt:

      Entschuldigung, aber ich finde es nicht so gut, dass du einerseits das Thema hart unterbinden möchtest – was ich völlig verstehen kann – aber andererseits das Thema durch polarisierende Aussagen wiederholt selbst auf den Tisch bringst.

      Möchtest du das nun diskutieren, oder nicht?