„Die MILF ist ein Markt“ – Interview mit Katja Grach („Die MILF-Mädchenrechnung“)

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Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Mareice und ist ein Interview mit Katja. Das Interview ist zuerst bei der taz erschienen.

Katjas Buch „MILF-MÄDCHENRECHNUNG – Wie sich Frauen heute zwischen Fuckability-Zwang und Kinderstress aufreiben“ ist gerade im Verlag Schwarzkopf und Schwarzkopf erschienen.

Katja Grach ist Sexualpädagogin, Geschlechterforscherin und seit rund 10 Jahren in der Erwachsenenbildung tätig. Sie lebt mit ihrem Kind in Graz, praktiziert Co-Parenting und setzt sich für vielfältige Elternschaft, Trauma- und Gewaltprävention und für die Entstigmatisierung psychisch erkrankter Eltern ein.

Mareice Kaiser ist Journalistin, Bloggerin und Mutter. Ihre Lieblingsthemen sind Inklusion, Feminismus, Trauer und Sex – also das Leben. Ihr Buch „Alles inklusive“ erschien im S. Fischer Verlag.


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Mareice: Du schreibst von der „Dreifaltigkeit der MILF“: Porno, Popkultur und Real-Life-Mütter. Wie hängen diese drei Begriffe miteinander zusammen?

Katja: Die Definition MILF, die „Mom I’d like to fuck“, wurde in den 1990er Jahren durch die Teenie-Komödie „American Pie“ populär. Der Begriff hat sich dann ab Mitte der 2000er Jahre in der Mainstream-Pornografie etabliert und bleib gleichzeitig auch in der Popkultur hängen.

Prominente Mütter werden damit betitelt – oder tun es selbst, um ihre Sexyness auch nach der Geburt ihres ersten Kindes zu unterstreichen. Da kommen dann die „Real-Life-Mütter“ ins Spiel. Die Erwartungshaltung, dass ein Frauenkörper bestimmten Schönheitskriterien zu entsprechen hat, gilt mittlerweile auch im Kreisssaal. Dabei geht es nicht nur um Schönheit, sondern sehr stark um die sexuelle Attraktivität, die Fuckability.

Mareice: Frauen sind ja eh diesen Ansprüchen rund um ihr Äußeres ausgesetzt. Was ist der Unterschied zu Müttern?

Katja: Die Mutter galt sehr lange als asexuelles Wesen. Heilige und Hure standen sich gegenüber, die Mutter galt als die Heilige. Medial hat sich das in den vergangenen zwanzig Jahren geändert. Die Zuschreibungen für Frauen in Bezug auf ihre Attraktivität hat es schon immer gegeben. Aber es ist auffällig, dass diese mittlerweile sehr viel stärker in Bezug auf Mütter verhandelt werden. Die MILF ist ein neueres Phänomen und sie vereint die Assoziationen von Heiliger und Hure.

Mareice: Woher kommt dieses Phänomen?

Katja: Die MILF ist ein Markt. Mit dem neoliberalen Zeitalter und der Marktwirtschaft, die sich auf Geschlechterrollen und Klischees stürzt, werden Mütter als Zielgruppe neu erschlossen.

Die Körper von Frauen verändern sich durch Schwangerschaften und die Schönheitsindustrie macht Geld mit den körperlichen Unsicherheiten der Frauen.

Es gibt Fitnessprogramme, die sich „MILF-Maker“ nennen.


Mareice: Das heißt, in der Werbung wird mit der Selbstbestimmung der Frau gespielt, die aber eigentlich nur eine Marionette der Werbung ist?

Katja: Genau. „MILF“ ist seit zehn Jahren das beliebteste Pornogenre. Die Kombination von Mutter und Sexualität ist ein Tabu das reizvoll ist. Möglicherweise ist auch ein bisschen „Mama wird’s schon richten“ oder eine Sehnsucht nach einer Führung, bei der sich der Mann fallen lassen kann, mit in dieser Fantasie verwoben. Vielleicht ist der MILF-Hype im Porno auch nur die andere Seite der Medaille von „Fifty Shades of Grey“. Aber das ist ein Wild Guess, der sicher genauer betrachtet gehört.

Mareice: In Deinem Buch stellst Du andere Mütterbilder vor. Gibt es Vorbilder?

Katja: Ich spreche vermeintlich „schlechte“ Vorbilder an, also jene, die historisch als Huren gebrandmarkt wurden, weil sie sexuell selbstbestimmt leben wollten. Dabei taucht einerseits Lilith, die erste Frau Adams auf. In der feministischen Theologie wird sie als Ikone gehandelt. Auch die Amazonen werden besonders popkulturell immer wieder als emanzipatorische Vorbilder verarbeitet – wie zuletzt in „Wonder Woman“.

Die Crux an der Sache ist, dass diese alten Vorbilder in den Geschichten immer wieder für ihr Verhalten bestraft wurden – mit Wahnsinn, Tod, Verbannung. Amazonen wurden besonders gern „umgestimmt“, um sich wieder in ein heteronormatives Weltbild einzufügen. Meine Alternative wären deshalb eher vielfältige Lebensweisen, die nebeneinander friedlich koexistieren anstatt eines Ideals, das unerreichbar scheint.

Mareice: Wäre eine MILF überhaupt möglich außerhalb unserer heteronormativen Welt?

Katja: Der Begriff ist stark an einen weißen, heteronormativen und patriarchalen Kontext geknüpft. Kultureller Background und die ökonomische Ausgangssituation spielen ebenfalls eine Rolle. Die MILF ist nur denkbar in einem Umfeld, wenn sie ein Tabubruch ist. Dieser fehlt zum Beispiel bei einer Teeniemutter, weil Sexualität und Jugend ohnehin zusammen gedacht werden. Oder bei einer lesbischen Mutter, weil Geschlechterhierarchie kein Thema ist.


Mareice: Frauen werden – meistens – durch Sex Mütter. Und sind dann aber keine sexuellen Wesen? Das ist doch Paradox.

Katja: Ja, das ist recht spannend in unserem Kulturkreis. Da greift eben die Kultur- und Religionsgeschichte ganz stark. Niemand möchte außerdem über den Sex der eigenen Eltern nachdenken. Gleichzeitig ist es ein Thema unter frischgebackenen Eltern: Hat man überhaupt noch welchen und wenn ja, wie oft?

Mareice: Ändern sich denn sexuelle Bedürfnisse nach einer Geburt?

Katja: Die Bedürfnisse eines Menschen als sexuelles Wesen bleiben die gleichen. Unsere sexuelle Biografie, unsere Sozialisation ist ja nicht weggewischt dadurch, dass jemand ein Kind zur Welt gebracht hat. Aber die Zeit, die zur Verfügung steht, ist natürlich weniger. Die Energiereserven sind andere. Damit müssen Eltern erstmal klarkommen. Paradoxerweise finden sich in Elternratgebern für die ersten Jahre mit Baby nirgendwo Hinweise für die Stärkung und Aufrechterhaltung ihrer Beziehung und ihrer Sexualität.

Gleichzeitig wird der Kontext Elternschaft in Beziehungs- und Sexratgebern oft ausgelassen. Eigentlich ist das grob fahrlässig für all die Ansprüche, die wir heute an Partnerschaft stellen. Das Einzige, das ständig überall verhandelt wird ist, wie Frauen für Männer sexuell attraktiv sein können, was sie drauf haben sollten, um ihren sexuellen Marktwert zu steigern. Als ob Eltern keine anderen Sorgen hätten.

Mareice: Du beschreibst, wie viel Arbeit die Fuckability für Frauen bedeutet. Während Männer unbearbeitete Dickpics verschicken. Woran liegt das?

Katja: Es liegt an patriarchalen Gesellschaftsstrukturen, in denen Frauen Objekte und Männer Subjekte sind.

Als Subjekt muss ich niemandem gefallen wollen. Entweder nimmt man mich, wie ich bin, oder nicht. Als Objekt stehe ich immer in Konkurrenz und deshalb tu ich mir die Arbeit an.

Das hat mit Hierarchien zu tun. An Orten, die hierarchisch organisiert sind, gibt es viel Konkurrenz. Konkurrenz bedeutet, dass ich mich mit anderen messen muss. Wenn ich am oberen Ende der Hierarchie sitze, muss ich nichts leisten.

Mareice: Dann kann ich einfach ein Dickpic verschicken.

Katja: Genau, und dabei denken: „Deal with it“.


Mareice: Wie können Frauen vom Objekt zum Subjekt werden?

Katja: Grundsätzlich sind wir natürlich alle Subjekte. Aber für die Öffentlichkeit braucht es Sichtbarkeit bis an die Schmerzgrenze und damit verbunden eine Portion Präpotenz, um einen Objektstatus zu überwinden. Wir sehen überall an öffentlichen Plätzen Penisse auf Wände geschmiert. Vielleicht sollten wir anfangen, parallel anatomisch korrekte Vulven an Bushaltestellen zu schmieren oder uns als Frauen einfach mal zugestehen, mehr Raum einzunehmen.

Und das kann schon damit beginnen, sich nicht damit zu quälen, welches Outfit den heute geblähten Bauch am besten kaschiert, sondern der Welt einfach diese Normalität des menschlichen Körpers zuzumuten. Genauso wie ein paar Härchen am Bein, anstatt bei 32 Grad in Leggings zu schwitzen.

Vielfalt und Normalisierung erreichen wir nur, wenn wir vermeintliche Tabus vor den Vorhang holen und uns selbst zu handelnden Subjekten machen.


Mareice: Wenn wir utopisch denken: Wir leben in einer Welt, in der es die Kategorien Subjekt und Objekt nicht mehr gibt. Wie sähe unsere Sexualität aus?

Katja: Wir wären sehr viel freier und hätten weniger Diskussionen darüber, was Konsens ist. Dazu viele unaufgeregte Gespräche darüber, wo unsere Grenzen liegen. Uns würde es leichter fallen zu akzeptieren, dass Menschen unterschiedlich sind und Menschen unterschiedliche Bedürfnisse haben. Wir könnten menschliche Vielfalt besser akzeptieren. Wir würden weniger Ängste entwickeln, die auf Mythen beruhen. Pornografie würde zurückgedrängt werden, weil es weniger Tabus gäbe. Erotik und Sinnlichkeit wären dafür präsenter. Sexualität wäre positiver besetzt und hätte weniger mit potentiellen Gefahren zu tun.

Mareice: Du appellierst an die Überwindung von der MILF zur Fuckermother. Wie meinst Du das?

Katja: Den Begriff habe ich von einem feministischen Blog der Historikerin Lisa Malich. Sie stellt sich Fuckermothers als Menschen vor, die sich weigern, einem unerreichbaren Ideal nachzulaufen.

Je fehlerfreundlicher wir zu uns selbst sind, desto weniger Stress werden wir haben, desto gelassener werden wir. Und das tut uns und unserer Sexualität gut.

MILF-Mädchenrechnung für Zuhause

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