Das PCO-Syndrom und ich: keine Liebesgeschichte

Foto , CC 2.0 , by Hey Paul Studios

Vielen jungen Menschen, die noch nicht lange menstruieren, wird erzählt, dass es anfangs völlig normal ist, einen unregelmäßigen Zyklus zu haben und dass sich das alles mit dem Alter einpendeln wird. Bei mir hat es etwa 14 Jahre und einen Besuch bei einer Endokrinologin gebraucht, bis ich kapiert habe, dass ich den “völlig normal”-Bereich meines Zyklus schon längst verlassen hatte oder – was viel wahrscheinlicher ist – nie in ihm war. Als ich im Mai 2016 wegen eines anderen Problems bei einer Endokrinologin war, habe ich mit vielem gerechnet, aber nicht mit einer Diagnose, die mein Selbstbild über den Haufen werfen würde. Die Diagnose hieß Polyzystisches Ovarsyndrom (PCOS).

 

 

Vorneweg: Ich bin keine Medizinerin, sondern Betroffene. In diesem Artikel kann ich nur angelesenes Wissen wiedergeben und über meine eigenen Erfahrungen berichten. Diese sind naturgemäß subjektiv. Ich habe Symptome, die bei anderen stärker, schwächer oder gar nicht auftreten oder habe manche Dinge nicht, an denen andere mit PCO-Syndrom leiden. Es dauerte ein wenig, bis die Diagnose zu mir durchsickerte, aber in einer Ecke meines Gehirns regte sich eine Erinnerung an meine Gynäkologin, die vor Jahren beim Ultraschall “so Zysten, naja, eher Bläschen” an meinen Eierstöcken gesehen hat. Meine Endokrinologin erklärte, was genau die erhöhten Werte “männlicher” Hormone in meinem Blut heißen, aber ich war innerlich zu sehr damit beschäftigt, Puzzleteile zusammenzusetzen. Plötzlich entstand zwischen vielen Dingen ein Zusammenhang: meine verzweifelte Dermatologin, die nicht wusste, was sie mir noch gegen Akne verschreiben kann, weil so ziemlich alle Mittel ausgeschöpft waren; mein ehemals unregelmäßiger Zyklus, der mir aber keine offenkundigen Probleme mehr macht, seit ich eine Hormonspirale habe; dass mein Körper hartnäckig an Gewicht festhält, ganz unabhängig davon, ob ich gerade viel Sport mache und mich mustergültig ernähre.

PCOwas?

Es gibt keinen speziellen PCOS-Test, mit dem die Krankheit diagnostiziert werden kann. Stattdessen wird von einigen klassischen Symptomen wie unregelmäßigen Zyklen bis hin zu gänzlich ausbleibenden Monatsblutungen, verstärkter Behaarung im Schambereich, am Kinn, an der Oberlippe und an den Oberschenkeln sowie den namensgebenden Zysten (“naja, eher Bläschen”) an den Eierstöcken ausgegangen. Zusätzlich können Akne, schnell fettende Haare und eine Insulinresistenz auftreten. Viele Personen mit PCO-Syndrom sind übergewichtig, Diesen wird als erster Behandlungsschritt eine Gewichtsverringerung empfohlen, da so die Beschwerden gelindert werden können. Generell bin ich skeptisch, wenn mir von Haus aus “nehmen Sie einfach ab!” ans Herz gelegt wird. Wie kann ich Body Positivity, Fat Acceptance und das ärztlich verordnete Abnehmen vereinbaren? Wie funktioniert “Health At Every Size” für mich, wenn ich eben nicht gesund bin und ein direkter Zusammenhang zwischen meinem Gewicht und den Symptomen angenommen wird?

 

 

Die Diagnose erklärte also nicht nur einiges, sondern warf auch neue Fragen auf. Ich sah mich plötzlich mit Fragen konfrontiert, deren Antworten auf einmal ungewiss waren. Eine davon: Nun sag, wie hast du’s mit der Familienplanung? Viele Menschen mit PCO-Syndrom haben Schwierigkeiten, schwanger zu werden, und benötigen eine Hormonbehandlung, um ihren Kinderwunsch erfüllen zu können. Ein Kind (schon gar nicht mehrere) war bereits seit einigen Jahren in meinen Zukunftsfantasien nicht vorgesehen, aber ich war dennoch eine Zeit lang traurig und wütend, dass die Möglichkeit einer freien Entscheidung für oder gegen ein Mini-Me von meinem eigenen Körper so stark eingeschränkt wurde. Während ich früher dahingeschmolzen bin, wenn ein Baby in meiner Nähe war, suche ich nun aktiv das Weite und beschäftige mich möglichst wenig mit den ganz Kleinen. Viele Informationen sind jedoch auf Menschen mit PCOS und Kinderwunsch zugeschnitten, was mir den Umgang mit dem Syndrom und die Beschaffung von Informationen erschwert. Die Diagnose hat mich in dieser Hinsicht verändert und es fällt mir unheimlich schwer, nachsichtig mit mir selbst zu sein und das zu akzeptieren. Ich erinnere mich immer und immer wieder daran, dass niemand dazu verpflichtet ist, Kinder toll zu finden, und dass es in Ordnung ist, aus persönlichen Gründen Abstand zu halten, aber wie so oft messe ich mit zweierlei Maß, wenn es darum geht, zu mir selbst nett zu sein.

Die Lehren des PCOS

Stichwort zweierlei Maß: Ein bestimmter Moment führte mir vor Augen, wie sehr ich Cissexismus und Stereotypen über Geschlechtszugehörigkeit verinnerlicht habe. Ich würde gerne von mir selber glauben, dass ich halbwegs aufgeklärt bin, meine eigenen Privilegien als cis Frau generell hinterfrage und mir dessen bewusst bin, dass ich Cissexismus internalisiert habe. Eines Abends stand ich vor dem Spiegel und dachte erst, dass ich recht gut aussehe. Definitiv vorhandene Oberweite, relativ schmale Taille, runde Hüften, klassische Sanduhrfigur halt, die als “typisch weiblich” gilt. Dann fielen mir meine Laborwerte und der Überschuss “männlicher” Hormone ein. Plötzlich war ich mir nicht mehr sicher, als was ich mich sah. Mich erschreckte diese Sichtweise auf mich selber sehr. Die Frage nach dem Geschlecht einer Person ist für mich eigentlich recht schnell beantwortet: Sie hat das Geschlecht, dem sie laut ihrer eigenen Aussage angehört, ganz unabhängig von ihren Geschlechtsteilen, ihren Chromosomen, ihren Hormonen oder ihrer Statur. Ende. Warum sprach ich mir dann selber meine Weiblichkeit ab, bloß weil ein Labor festgestellt hat, dass ich einen Überschuss männlich codierter Hormone habe? Als übergewichtige Frau hatte ich schon länger das Gefühl, ich müsse Feminität auf einem höheren Level performen, um wirklich als Frau und nicht als Blobfisch wahrgenommen zu werden. Der Laborbefund bekräftigte wohl unbewusst dieses Gefühl. Ein weiterer Punkt drehte sich um mögliche zukünftige Beziehungen: Wer wird mich, Gewinnerin in der Lotterie chronischer Krankheiten, denn jemals wollen? Was, wenn ich meine Meinung zu Kindern doch ändere, aber es auch mit Hormonbehandlung nicht klappt und mein Partner deshalb weniger von mir hält? Beim Tippen dieser Worte erschaudere ich, aber ein kleiner Teil von mir hat weiterhin Angst, dass ich für manche Menschen wegen des PCOS weniger wert bin.

 

 

Mittlerweile habe ich meinen Frieden mit dem PCO-Syndrom gemacht. Leider kommen an dieser Stelle keine inspirierenden Worte darüber, wie sehr ich doch in den letzten Monaten gewachsen bin und dass PCOS sich als Segen entpuppt hat. Ich muss ein Medikament mit unangenehmen Nebenwirkungen nehmen, um meine Insulinresistenz, die mit dem PCO-Syndrom zusammenhängt, in den Griff zu bekommen. Meine Ernährung habe ich auf Anraten der Ärzt*innen komplett umgestellt: Ich verzichte vollständig auf Sojaprodukte, habe den Konsum von Milch und Milchprodukten drastisch reduziert, zähle meine Kohlenhydrate und esse nach mehreren Jahren als Vegetarierin nun wieder Fisch und Fleisch. Diese Umstellung ist besonders frustrierend und ich fühle mich – ja, schon wieder – meiner Entscheidungsfreiheit beraubt. Seit der Diagnose habe ich auf ärztliches Rat hin auch abgenommen, allerdings zu einem Preis, den ich nun nicht mehr bezahlen will. An guten Tagen habe ich ein ganz okayes Verhältnis zu Essen; an schlechten, die nun vermehrt auftreten, ist Essen der Feind™ und ich falle in ungesunde Verhaltensmuster zurück.  Der Kontakt zu und Austausch mit anderen Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie ich, hat mir sehr geholfen (danke, Twitter!). Ich spiele mit dem Gedanken, zu einer Selbsthilfegruppe zu gehen, um mich nicht so alleingelassen zu fühlen. PCOS ist noch nicht besonders gut erforscht und auch medizinisches Fachpersonal oft nur unzureichend informiert und sensibilisiert. Bisher wurde noch kein Weg gefunden, um PCOS zu heilen; es können nur die Symptome behandelt werden. Bis dahin bleibt mir nichts anderes übrig, als auch anderen die Hand zu reichen und sie daran zu erinnern, dass sie mit ihren polyzystischen Eierstöcken nicht allein sind.

 

Einige Links zu dem Thema (auf Deutsch und Englisch):

http://www.pcosaa.org/

http://pcos-selbsthilfe.org/

https://jeanhailes.org.au/health-a-z/pcos

 

Eine Antwort zu “Das PCO-Syndrom und ich: keine Liebesgeschichte”

  1. Carolin sagt:

    Ich lebe ebenfalls seit Monaten mit der Diagnose PCOS – und auch ich habe den Sermon des „Stelle dein Leben radikal um, keine Kohlenhydrate, mehr Fleisch, und sowieso, ABNEHMEN!“ über mich ergehen lassen müssen.

    Und ich dachte einfach: Nö.

    Ich hatte viele Jahre lang Probleme mit einer Essstörung, habe lange gebraucht, um ein gesundes Körperbild zu entwickeln und mich selbst wirklich schön zu finden. Das mit der Unfruchtbarkeit ist für mich sogar ein ganz willkommener Nebeneffekt. Das einzig wirklich schlimme ist die Neigung zur Insulinresistenz, und auch da gibt es Möglichkeiten gegenzuwirken, ohne in den blinden Diätwahn zu verfallen oder sich selbst mit Hormonen und Medikamenten abzuschießen.

    PCOS ist mies, gemein und generell kacke, aber diese ursächliche Verbindung zwischen der Hormonstörung und dem Körpergewicht ist einfach falsch und wissenschaftlich nicht nachgewiesen. Die üblichen Ratschläge der Mediziner*innen (Fleisch, Abnehmen, Sport) sorgen nicht dafür, dass der Hormonhaushalt plötzlich magisch wieder in Balance kommt. Ich will dich (oder andere Leserinnen) natürlich nicht davon abhalten, es zu versuchen, aber für mich ist es wichtiger, mich persönlich wohl zu fühlen – und da ist das Gewicht genau so wenig ein Hinderungsgrund wie irgendwelche Zystenbläschen oder ein beeindruckender Oberlippenbart.