pxl.txt (1): Coming of Age mit „Secret of Mana“

© 1993 , by Square Enix

Dieser Text ist Teil der Kolumne „pxl.txt“, in der Daniel über seine alten und nicht so alten Lieblingsvideospiele schreibt.

Nach wochenlangem Kopfzerbrechen kann ich eine Videospielkolumne nur mit meiner liebsten Konsole beginnen: dem Super Nintendo (SNES). Kannte ich davor nur die 8 bit des NES und den Gameboy, kam mir die 16-bit-Grafik des SNES vor wie ein Schritt in eine andere, bessere Dimension: ein Vielfaches mehr an Farben konnten dargestellt werden, die Pixel waren nicht mehr so groß, dass man sie mit Hand abzählen konnte und fast alle Spiele hatten nun endlich (!) eine integrierte Speicherfunktion. Der Controller hatte ganze vier Knöpfe dazubekommen und sah mit seinen 8 Knöpfen futuristisch und viel zu kompliziert aus, um ihn beherrschen zu können. Ein Freund hatte uns – das sind: ich und meine Brüder – die Konsole mit nur einem Spiel ausgeliehen und als ich an diesem Tag von der Schule nach Hause kam, hörte ich nicht mehr das vertraute Dröhnen und Dudeln von „The Legend of Zelda“ und auf dem Bildschirm sah ich drei Charaktere durch eine zerklüftete Landschaft aus Teichen und Wasserfällen wandern, während sie gegen mit Stacheln schießenden Wespen und beißenden Blumen kämpften. Ich sog jeden einzelnen Pixel in mich auf.

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Das Spiel hieß „Secret of Mana“ und war ein Action-Rollenspiel, von Square entwickelt und 1993 veröffentlicht: In einer postapokalyptischen Welt versuchen die drei Hauptcharaktere ein tyrannisches Imperium daran zu hindern, die magische Kraft Mana zu missbrauchen und so letztendlich die Welt wieder in einen Abgrund zu stürzen. Einst lebten die Menschen friedlich in einer Koexistenz mit Mana, bis sie begannen Mana für ihre Zwecke auszunutzen. In ihrer Hybris erschufen sie dann die Mana-Festung, eine Art Kriegsschiff, um Mana zu kontrollieren und als Waffe zu missbrauchen. Damit zogen sie den Zorn der Gött_innen auf sich und diese schickten den Mana-Drachen, um die Festung und mit ihr fast alle anderen Spuren von Mana auf der Welt auszulöschen. In letzter Sekunde erschien jedoch ein Held mit dem Mana-Schwert, einem heiligen Artefakt, zerstörte die Festung, besiegte den Drachen und versiegelte Mana zusammen mit dem Schwert in einem Fels.

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Die Handlung setzt ein, als der erste Hauptcharakter zufällig auf das Schwert im Stein trifft, sich wie magisch von ihm angezogen fühlt und es heraus zieht. Dadurch bricht er unbewusst das Siegel, das auf Mana lag, die Welt wird wieder von Monstern bevölkert und er ist für die heroische Aufgabe bestimmt, durch das Land zu reisen und nach und nach das Mana-Schwert wieder zu alter Kraft zu bringen, um damit letztendlich wieder die Festung und den Drachen zu bezwingen. Bald schließen sich ihm eine Prinzessin an, die auszieht, um ihren Verlobten aus den Händen des Imperiums zu befreien, das nach der Reaktivierung der Mana-Festung strebt (und sie ist damit das Gegenteil einer Damsel in Distress); und eine Koboldin, die an Amnesie leidet und durch eure Reise versucht ihre Erinnerungen wiederzuerlangen.

Von Ringmenüs & Textboxen

Der Plot und Stil des Spieles ist zugegebenermaßen eine bunte Mischung aus verschiedensten Einflüssen: Das Mana-Schwert ist eine Variation von Excalibur aus der Artus-Sage, Mana als Konzept einer in Mensch und Natur vorkommenden Macht stammt aus polynesischen Religionen bzw. deren Mythologien, der Mana-Baum als Inkarnation von Mana auf der Erde ist eine Version des Weltenbaums und im Level-Design einiger Dungeons (z. B. der Palastruinen) sind deutliche Anspielungen an buddhistische Architektur aus Südostasien zu finden. Die Handlung war aber für mich auch nie das Stärkste an der High-Fantasy-Welt von „Secret of Mana“, sie war plausibel und kohärent genug, um zu rechtfertigen was geschah, aber auch nicht so komplex, dass sie verwirrte oder unnötig ablenkte (was auch an der Gnade der kurzen Textpassagen aufgrund der sehr beschränkten Systemvoraussetzungen liegen könnte: die englische Übersetzung des Skripts dauerte gerade mal 30 Tage und musste aufgrund von Zeichenbegrenzungen massiv gekürzt werden). Typisch für die Action-RPGs dieser Zeit war eine jugendliche Coming-of-Age-Atmosphäre, gepaart mit Rebellion gegen die Obrigkeit. Was „Secret of Mana“ aber bis heute auszeichnet, sind die exzellent ausgearbeiteten Spielmechaniken wie das Menü-, Kampf- oder Zaubersystem.

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Als Spieler_in kann man jederzeit zwischen den drei Charakteren hin- und herwechseln, die jeweils zwei verbleibenden Charaktere werden dann von der KI gesteuert, es können ihr aber jederzeit noch individuelle Befehle gegeben werden. Möglich macht dies das innovative Ringmenüsystem, das jederzeit von jedem Charakter aus aufrufbar ist und Organisation und Verwaltung von Items, Waffen, Zauber, Ausrüstung und weiteren Übersichten und Optionen regelt.

Und natürlich konnte man „Secret of Mana“ mit dem passenden Equipment auch zu zweit und sogar zu dritt spielen, was damals eine kleine Sensation war. Da es ein Action-RPG war, fanden die Kämpfe in Echtzeit auf dem Bildschirm statt und es gab keinen Kampfbildschirm (also ein Setting, das nur für die Dauer des Kampfes auftaucht und ihn z.B. rundenbasiert abwickelt) – das Erlebnis des gleichzeitigen Erkundens wurde also nicht unterbrochen. Zugleich wurde aus traditionellen Rollenspielen die Textbox am oberen Bildschirmrand übernommen, die Benachrichtigungen über Levelanstieg oder Infos über Feinde anzeigen. Das Ringmenü und die Steuerung sind mühelos und intuitiv und damit für neue Spieler_innen schnell begreif- und bedienbar, statt sich in endlosen und unübersichtlichen Listen zu verlieren.

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Das vorherrschende Spielprinzip Erkunden & Kämpfen führt zu sehr repetitiven Aktionsmustern: neben den Charakteren mit ihren Statuswerten können sowohl die acht verschiedenen Mana-Waffen sowie acht verschiedene Mana-Geister mit ihren Zaubern aufgelevelt werden – um jeweils acht Level. Vor allem beim Aufleveln mit Zaubern geht es ab einem bestimmten Zeitpunkt nur noch um das perfekte und schnelle Ausführen von Tastenkombinationen (Ringmenü aufrufen, Zauber auswählen, Ziel auswählen, Go!), um Timing und Reaktion. Der Wert des Ringmenü-Systems macht sich daher vor allem bemerkbar, weil es eine solche sensible Handhabung überhaupt zulässt. „Secret of Mana“ lehrte mich schließlich ein eisernes Grundprinzip, dem ich bis heute in (Action-)Rollenspielen folge: Immer alles aufleveln, was es aufzuleveln gibt – erst dann wird in neue Spielabschnitte vorgedrungen.

Der Junge, das Mädchen und … die Koboldin?

In „Secret of Mana“ herrscht strikte Arbeitsteilung: der Held ist stark im physischen Kampf, kann dafür jedoch keine Magie einsetzen; seine Begleitungen sind etwas schwächer, können jedoch Heil- & Support-Zauber (Prinzessin) sowie Angriffszauber (Koboldin) verwenden. Die Hauptcharaktere haben (außer in der japanischen Version) keine Default-Namen, als Spieler_in ist man daher gezwungen eigene Namen zu vergeben. Im deutschen Spieleberater zu „Secret of Mana“ wurden die Charaktere auch deswegen nur als der Junge™, das Mädchen™ und die Koboldin™ betitelt. In der englischen Version wird die Koboldin Sprite genannt und mal mit männlichen, mal mit weiblichen Pronomen bezeichnet – welches Geschlecht die Koboldin dort also hat (bzw. ob sie überhaupt eines hat), ist also unklar. Schnell etablierte sich bei uns aber die Praxis das Mädchen und die Koboldin nach unseren besten Freundinnen (und vielleicht auch Crushes) zu benennen, die so Teil des Spiels und seiner Welt wurden, ohne davon je etwas zu erfahren.

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Ein Spiel wie „Secret of Mana“, das so genrebildend für mich war, heute distanziert und kritisch zu betrachten, ist wahrscheinlich unmöglich. Egal wieviel Zeit ich verstreichen lasse, jeder Schritt und jede Tastenkombination ist automatisiert und ich könnte „Secret of Mana“ wahrscheinlich noch betrunken und mit verbundenen Augen fehlerfrei durchspielen und dabei noch die Dialoge mitsprechen. Gleichzeitig sind es aber genau diese Spiele, deren Erfahrung uns so irrational durchdringt, dass sich alle anderen Videospiele, die darauf folgen, an ihnen messen lassen müssen. Aber genau das macht sie auch zu einem idealen Startpunkt für eine Videospielkolumne.

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